22.12.2012 Aufrufe

bin ich «psycho», wenn ich mich beraten lasse? - Schulen Ruswil

bin ich «psycho», wenn ich mich beraten lasse? - Schulen Ruswil

bin ich «psycho», wenn ich mich beraten lasse? - Schulen Ruswil

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Allan Guggenbühl (58) ist Psychologe<br />

und Buchautor. Im Frühling erscheint sein<br />

nächstes Buch «Was ist mit unserer Jugend<br />

los? Hilfe bei Jugendgewalt.»<br />

In einem Interview – abgedruckt im Migros-Magazin<br />

41 vom 11. Oktober 2010 -<br />

geht der Autor auf die Jugendgewalt ein:<br />

Interview:<br />

«Allan Guggenbühl, schlagen die Jugendl<strong>ich</strong>en<br />

immer öfter zu? Oder täuscht dieser<br />

Eindruck?<br />

Jugendgewalt ist zwar ein Problem, aber<br />

historisch gesehen ist sie n<strong>ich</strong>t schlimmer<br />

geworden: Es gab immer gewalttätige Jugendl<strong>ich</strong>e.<br />

Was erschreckt Sie am Thema Jugendgewalt<br />

am meisten?<br />

Das Schlimmste ist die Naivität. Eine gewaltfreie<br />

Gesellschaft ist eine Illusion. Gewalt<br />

ist ein Potenzial des Menschen, das<br />

müssen Politiker, Eltern und <strong>Schulen</strong> akzeptieren.<br />

Heisst das, man muss Schlägereien – etwa<br />

auf dem Pausenplatz – einfach hinnehmen?<br />

S<strong>ich</strong>er n<strong>ich</strong>t, aber aggressive Auseinandersetzungen<br />

schon. Präventionsprogramme,<br />

die jegl<strong>ich</strong>e Gewalt unter<strong>bin</strong>den wollen,<br />

sind problematisch. Besser, die Jungen<br />

kämpfen fair. Es darf auch ein bisschen<br />

wehtun. So entwickelt man Hemmmechanismen.<br />

Kann man fair kämpfen lernen?<br />

Ja. Auch wir vom Institut für Konfliktmanagement<br />

und Mythodrama versuchen den<br />

Buben zu zeigen, wie man fair kämpft. Etwa,<br />

dass mit Kämpfen Schluss ist, <strong>wenn</strong> jemand<br />

auf dem Boden liegt.<br />

Sie führen auch Anti-Aggressionstrainings<br />

durch?<br />

Ja, die Jugendanwaltschaft schickt verur-<br />

16 | SCHULSPIEGEL<br />

...<br />

«WIR HABEN EIN<br />

LEICHT GESTÖRTES<br />

VERHÄLTNIS<br />

ZUR GEWALT»<br />

teilte jugendl<strong>ich</strong>e Täter zu mir. Zuerst müssen<br />

sie einsehen, dass sie Mist gebaut haben.<br />

Dann helfen wir ihnen, mit Aggressionen<br />

umzugehen. Es klingt paradox: Junge<br />

Männer können n<strong>ich</strong>t mehr zivilisiert aggressiv<br />

sein.<br />

Aber n<strong>ich</strong>t jeder, der es n<strong>ich</strong>t lernt, wird<br />

deshalb gewalttätig.<br />

Ob ein Jugendl<strong>ich</strong>er gewalttätig wird oder<br />

n<strong>ich</strong>t, hängt von vielen Faktoren ab. Junge<br />

Menschen, die sozial eingebunden sind und<br />

s<strong>ich</strong> akzeptiert fühlen, werden weniger gewalttätig.<br />

Warum sind oft junge Männer involviert?<br />

Männer wollen s<strong>ich</strong> über Gewalt profilieren,<br />

markieren, und zwar vor allem gegenüber<br />

anderen jungen Männern. Es gibt ja auch<br />

immer wieder Mädchen, die das bewundern.<br />

Die Jungen grenzen s<strong>ich</strong> so von den Erwachsenen<br />

ab.<br />

Inwiefern?<br />

Aufeinander losgehen ist in der westl<strong>ich</strong>en<br />

Gesellschaft zum Glück tabu. Aber wir haben<br />

ein le<strong>ich</strong>t gestörtes Verhältnis zu körperl<strong>ich</strong>en<br />

Auseinandersetzungen, aber sie<br />

gehören zu jungen Männern. Mit 30 ändert<br />

s<strong>ich</strong> das. Die Jungen betrachten die Erwachsenen<br />

deshalb als «Höseler».<br />

Haben Männer mehr Mühe mit der Opferrolle<br />

als Frauen?<br />

Natürl<strong>ich</strong>. Ein Überfall ist ein einschneidendes<br />

Erlebnis. Man ist gedemütigt, veruns<strong>ich</strong>ert,<br />

leidet vielle<strong>ich</strong>t unter Ängsten.<br />

Männer fühlen s<strong>ich</strong> oft in ihrer Rolle als<br />

Held und Beschützer hinterfragt.<br />

Und die Frauen?<br />

Sie sind eher veruns<strong>ich</strong>ert und entwickeln<br />

einen Hass auf den Täter. Werden sie von<br />

einer anderen Frau wegen eines Beziehungsthemas<br />

attackiert, können sie kaum<br />

je verzeihen. Wie man hier vorgeht, ist mir<br />

auch ein Rätsel.<br />

Es gibt Opfer, die keine Wut auf die Täter<br />

haben.<br />

Gle<strong>ich</strong> nach der Tat ist diese Reaktion problematisch<br />

und könnte von Selbstverleugnung<br />

zeugen: Man kommt n<strong>ich</strong>t an die eigenen<br />

Verletzungen heran, die Heilungschancen<br />

sinken.<br />

Wenn die Polizei involviert ist, wird automatisch<br />

die Opferhilfe eingeschaltet. Warum<br />

nehmen viele dieses Angebot n<strong>ich</strong>t an?<br />

Weil sie keine Opfer sein wollen, vor allem<br />

Männer n<strong>ich</strong>t. Opfer sein heisst wehrlos<br />

sein. Das ist n<strong>ich</strong>t männl<strong>ich</strong>. Man sollte<br />

deshalb n<strong>ich</strong>t von Opferhilfe sprechen,<br />

sondern besser von Hilfe bei der Nachbearbeitung<br />

etwa.<br />

Den Opfern wird oft indirekt eine Mitschuld<br />

zugewiesen.<br />

Das tun manche Täter. Wenn <strong>ich</strong> den Eindruck<br />

habe, dass das n<strong>ich</strong>t stimmt, signalisiere<br />

<strong>ich</strong>, dass <strong>ich</strong> die Schilderung n<strong>ich</strong>t akzeptiere.<br />

Gewalttrainings werden als Kuschelpädagogik<br />

beschimpft. Was entgegnen Sie?<br />

Dass acht von zehn Tätern nach geeigneten<br />

Massnahmen n<strong>ich</strong>t mehr gewalttätig sind.<br />

Damit sind wir in der Schweiz weit voraus.<br />

Strafen allein nützt n<strong>ich</strong>ts. In den USA und<br />

in Deutschland setzt man stark darauf. Der<br />

Erfolg ist vergl<strong>ich</strong>en mit uns gering.<br />

Warum?<br />

Weil jeder Täter glaubt, er sei die grosse<br />

Ausnahme und werde n<strong>ich</strong>t erwischt. Wenn<br />

Erwachsenen präsent sind und signalisieren,<br />

dass sie Gewalt n<strong>ich</strong>t tolerieren, nützt<br />

das viel mehr.<br />

Was wirkt am meisten?<br />

Die Auss<strong>ich</strong>t, zu einem Massnahmenprogramm<br />

verknurrt zu werden, schreckt junge<br />

Männer r<strong>ich</strong>tig ab. Da müssten sie s<strong>ich</strong> ja<br />

plötzl<strong>ich</strong> zu s<strong>ich</strong> selbst äussern. Das finden<br />

sie einfach nur peinl<strong>ich</strong>.»

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!