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D a f B r u c k e D a F B r u c k e<br />
28<br />
<strong>AGPA</strong> - Chile<br />
Grauben Navas<br />
Ein „als” und ein „nun” sind die zeitlichen<br />
Rahmen, in denen der Dichter Rainer Kunze<br />
mit großer Sensibilität über die kaum seit<br />
einem Jahr erreichte Einheit Deutschlands<br />
reflektiert. Bei dem „als” dachte man, dass<br />
man durch die materielle Zerstörung der<br />
Mauer auch ihr Verschwinden in den Köpfen<br />
bewirken könnte. Die Mauer und die Teilung<br />
des Landes wurden zur Gewohnheit, daraus<br />
folgte, dass ihr Vorhandensein keine Schatten<br />
mehr warf, sie schien nichts mehr zu<br />
verstecken, sie war durchsichtig geworden.<br />
Bei dem „nun” aber tritt die Naivität in den<br />
Vordergrund. Man war so naiv zu denken,<br />
dass man allein durch das Zerschlagen der<br />
Steine die Mauer wirklich zerstören könne.<br />
Dabei vergaß man die sensible, intime und<br />
psychologische Größe der Mauer. Innerhalb<br />
dieses „nun” verspürt man die Last der<br />
Schuld für diese „unverzeihliche” Entfremdung<br />
von der Realität, denn man erwarte-<br />
Die Mauer in den Köpfen:<br />
Images der Teilung<br />
in der Wendeliteratur<br />
Als wir sie schleiften,<br />
Ahnten wir nicht<br />
wie hoch sie ist in uns.<br />
Wir hatten uns gewöhnt<br />
an ihren Horizont<br />
Und an die windstille.<br />
In ihren schatten warfen<br />
alle keinen schatten<br />
Nun stehen wir entblößt<br />
jeder Entschuldigung<br />
Rainer Kunze,<br />
‘Die Mauer’ Zum 3. Oktober 1990.<br />
te viel vom Fall der Mauer und mit der Zeit<br />
merkte man, dass der Fall der Mauer allein,<br />
ohne das engagierte Mitmachen der Menschen,<br />
eher wenig bewirken konnte. Diese<br />
tendenziell negative Bilanz des Dichters<br />
wird von einer „Wir-Person” im Gedicht dargestellt,<br />
ein „Wir”, das auf den neuerdings politischen<br />
und geographischen einheitlichen<br />
Charakter Deutschlands verweist, aus dem<br />
man schreibt.<br />
Diese Verwendung des „Wir” könnte auch<br />
auf die einerseits materiellen und spürbaren<br />
und anderseits subjektiven und internen<br />
Aspekte des Einheitsbegriffes hinweisen.<br />
Dieses spricht für eine Änderung der existierenden<br />
Paradigmen, die eine echte Entsprechung<br />
der Einheit auf dem Papier und<br />
auf der seelisch-subjektiven Einheit zur Folge<br />
haben sollte. In dieser Hinsicht würde dann<br />
so ein „Wir” trotz all dieser internen Konflik-<br />
te dieses Kollektivs des vor kurzem vereinten<br />
Deutschlands beinhalten.<br />
Seitdem ich mich mit der deutschen Sprache<br />
und Kultur beschäftige, hat mich dieser<br />
konfliktive Aspekt interessiert. Besonders<br />
faszinierend fand ich die zahlreichen literarischen<br />
Werke, die ganz unterschiedliche<br />
Perspektiven darstellen. Autobiographien,<br />
Reportagen, Romane, Kurzgeschichten, Gedichte,<br />
Theaterstücke, Dokumentationen und<br />
Chroniken neben vielen anderen Textsorten<br />
widmeten sich dieser dichotomischen Idee<br />
der Einheit. Aber trotz dieser offensichtlichen<br />
Vielfalt weisen diese literarischen Texte eine<br />
interessante Gemeinsamkeit auf: in der Regel<br />
verspürt man in ihnen ein nostalgisches Gefühl<br />
für die alte Ordnung, ein Gefühl, das trotz<br />
aller Kritik an der Vergangenheit, deutlich<br />
hervortritt. Mit der Zeit wurde dieses nostalgische<br />
Bild der Wendeliteratur durch die<br />
Entstehung des Ostalgie-Begriffes abgelöst<br />
und mit ihm verbreitete sich die Idee, dass<br />
die Wendeliteratur praktisch nur im Osten<br />
geschrieben wird (Simon, 2000; Grub, 2003;<br />
Lange, 2005). Auf diese Art wurde die Literatur<br />
aus dem Westen, die sich mit der Wende<br />
beschäftigte, nicht in Betracht gezogen oder<br />
sie wurde nur als Wendeliteratur verstanden,<br />
wenn sie von prominenten Autoren entstammte,<br />
wie z.B. von Martin Walser oder<br />
Günter Grass, während die Werke von unbekannten<br />
oder neuen Autoren unbeachtet blieben.<br />
In der Literaturkritik entstand der Glaube<br />
an den Vorrang des Ostens im Rahmen der<br />
sogenannten Wendeliteratur. Grub (2003)<br />
z.B. behauptet, dass die Mehrheit der Texte<br />
von Autorinnen und Autoren aus den „neuen”<br />
Bundesländern stamme; vergleichsweise<br />
wenige Beiträge kämen von Schriftstellerinnen<br />
und Schriftstellern aus den „alten” Bundesländern<br />
(Grub, 2003: 672).<br />
Diese Literaturkritik betont immer wieder,