22.12.2012 Aufrufe

sondern Mehrsprachigkeit! - AGPA

sondern Mehrsprachigkeit! - AGPA

sondern Mehrsprachigkeit! - AGPA

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die Hervorhebung der Bilder des „Ich”<br />

und ihre ausführliche Beschreibung in<br />

beiden Büchern schließt die Entstehung eines<br />

gemeinsamen „Wir” aus, welches die Merkmale<br />

beider Teile Deutschlands so vereinen könnte,<br />

dass eine relativ homogene Gruppe entstehen<br />

könnte, die der seit 1990 existierenden<br />

politischen und geographischen deutschen<br />

Einheit entsprechen würde.<br />

Welche Auswirkungen die Teilung Deutschlands<br />

hat, merkt man auch im Bereich des<br />

Kollektivs, d.h., in der Art, in der man die<br />

Zugehörigkeit zu der Nation zeigt. Eine Volksoder<br />

Ortszugehörigkeit, die ein gemeinsames<br />

„Wir” schafft, ist nicht ersichtlich.<br />

Ortsnamen, Adjektive und Adverbien, die auf<br />

die Herkunftsorte hinweisen, zeigen, dass<br />

die Wunde der Teilung noch nicht verheilt<br />

ist. Ihre Heilung wird durch den Glauben<br />

verhindert, dass die Gesellschaft, aus der<br />

man stammt, eine andere imaginäre Gemeinschaft<br />

(imagined community) d.h., eine andersartige<br />

klar abgegrenzte community ist.<br />

In den analysierten Büchern haben die<br />

Wörter „Ost” und „West” immer noch eine<br />

größere Bedeutung als das Wort „Deutsch”<br />

als Herkunftsbezeichnungen. Dem Wort<br />

„Deutsch” gelingt es noch nicht, beide Kollektive<br />

zusammenzubringen, auch nicht das<br />

Adjektiv „bundesrepublikanisch”, das immer<br />

noch auf den westlichen Teil, auf die BRD vor<br />

der Wiedervereinigung hinweist. Ein Beispiel<br />

zu dieser heiklen Bedeutung der Ortsnamen<br />

gibt der Text „Der Pass” von Anne Zielke:<br />

„Hier sagt man Bundesrepublik. Und innerhalb<br />

dieser Republik gab es Münchner,<br />

Hamburger, Bremer, eingeschworen auf ein<br />

Grundgesetzt, verkörpert in der Unschuld<br />

des grünen Passes. Innerhalb der BRD gab<br />

es Deutschland nicht. “(Zielke, 2001: 111)<br />

Diese eher negative Bilanz der Bilder in „Zonenkinder”<br />

und „Das war die BRD” ähnelt<br />

der des am Anfang analysierten Gedichtes.<br />

Sie zeigt uns eine kollektive Vorstellung,<br />

die immer noch stark von der Teilung Deutschlands<br />

geprägt wird. Diese Bilder haben<br />

also eine ideologisierende Funktion. Sie<br />

bewahren die vierzig Jahre andauernde<br />

Teilung Deutschlands. Man könnte auch sagen,<br />

dass diese Bilder die geteilte Ordnung<br />

sogar verstärken, indem trotz der wichtigen<br />

Selbstkritik, die ausgeübt wird, ein idealisiertes<br />

und unverändertes Selbstbild bestehen<br />

bleibt, während der „Andere” in der Regel nur<br />

unter einer deutlichen Hervorhebung aller<br />

kritisierbaren und negativen Eigenschaften<br />

<strong>AGPA</strong> - Chile<br />

dargestellt wird, so dass letzten Endes „der<br />

Andere” von der Ich-Gruppe, d.h., von der eigenen<br />

Sphäre, ausgeschlossen wird. Er wird<br />

im Allgemeinen als ein „Alter” (Mourá, 1992)<br />

beschrieben, d.h., als ein photographisches<br />

Negativ von dem Selbstbild, oder als Gegenmodell<br />

des eigenen „Ich”. Diese Bilder haben<br />

das Fortbestehen des „Ich”, seine Werte und<br />

Kultur zum Ziel. Dieses sich Durchsetzen der<br />

getrennten Ordnung erfüllt somit die Funktion<br />

der Bewahrung des alten Tatbestandes. Der<br />

französische Philosoph Paul Ricoeur beschreibt<br />

solche „Images“ als ideologisch<br />

und er versteht die Ideologie als eine Art<br />

des Fortbewahrens der existierenden gesellschaftlichen<br />

Ordnung. Wenn wir uns aber auf<br />

die oben genannten Schatten konzentrieren,<br />

die die Bilder des „Ich” und des „Anderen”<br />

und deswegen des „Wir” beeinflussen, und<br />

wenn wir von einem globalen Gesichtspunkt<br />

aus diese ständig fast unablässig nuancierte<br />

Darstellung des „Anderen” interpretieren,<br />

können wir interessante thematische Färbungen<br />

erkennen, die den Aufbau der Identitäts- und<br />

Alteritätsparadigmen anders gestalten. Dies<br />

ist der Fall, wenn man sich eingesteht, dass<br />

auch die alte BRD zu Ende ist: „[...]gerade<br />

weil das Zwischenland BRD mit dem Ende<br />

der DDR untergegangen ist, bleibt das widerprüchliche<br />

Fazit: Wie wir damals waren, sind<br />

wir noch heute” (Diez, 2001: 13). Im Gegensatz<br />

zu dem von Ricoeur formulierten Begriff<br />

der Ideologie ist die Utopie die radikalste<br />

Antwort auf die oben genannte integrierende<br />

Aufgabe der Ideologie. Die Utopie schlägt ein<br />

mögliches Anders-Sein vor, das noch nicht<br />

gründlich definiert ist, das nichtsdestotrotz<br />

eine Alternative ist (Ricoeur, 2002: 211). Die<br />

reine Existenz eines möglichen und erdachten<br />

Raumes wie die Zone des Titels, also ein abstraktes<br />

Zuhause für das „Ich” des Ostens,<br />

ermöglicht eine künftige Änderung.<br />

Auch wenn diese Zone auf den Werten aus der<br />

Zeit der Teilung beruht, erlaubt sie die Entstehung<br />

einer Utopie: ein Ort, der offen für neue<br />

Schemata bleibt. Es ist genau an diesem abstrakten<br />

Ort, wo die schon oben im Gedicht genannten<br />

„unversöhnlichen” Gegensätze und<br />

Missverständnisse eine geringe Lockerung<br />

schaffen. Gegen Ende des Textes behauptet<br />

Hensel, dass die Hoffnung bleibt, dass sich<br />

diese alte Ordnung eines Tages ändern wird,<br />

selbst wenn es uns bewusst ist, dass auch<br />

kein Westdeutscher, wenn er heute seinen<br />

Heimatort betritt, dort alles wie vor dreißig<br />

Jahren vorfindet. Unsere Kindheit war erst<br />

gestern.” (2002: 160)<br />

D a f B r u c k e D a F B r u c k e<br />

31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!