sondern Mehrsprachigkeit! - AGPA
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Deutschlands<br />
dass die Wendeliteratur im Vergleich zu der<br />
Nachkriegsliteratur von niedriger Qualität ist.<br />
Sie wird häufig als einfache, therapeutische<br />
Literatur bezeichnet (Grub, 2003: 675). Dadurch<br />
entsteht die Abwertung dieser Literatur<br />
zugunsten anderer literarischer Strömungen,<br />
mit der Folge: Man behauptet sogar, dass<br />
die Wende als literarisches Thema schon<br />
obsolet ist, weil sich „seit dem Wendejahr<br />
1989, mit dem die Fundierung des nationalen<br />
Selbstverständnisses auf dem Ost-West-<br />
Konflikt historisch obsolet wurde, der Holocaust<br />
als neues Paradigma der deutschen<br />
Identität etabliert hat.”(Egyptien, 2003: 20).<br />
Diese Diskrepanz zwischen der Literaturkritik<br />
und der ständig wachsenden Anzahl von<br />
Wendebüchern gepaart mit meiner Neugier<br />
hinsichtlich der eigentlichen Bedeutung des<br />
„Wir” und des „Ich” bewegte mich dazu, die<br />
Frage zu stellen, ob es wirklich stimmt, dass<br />
die Wendeliteratur nur „ostalgisch” ist. Im<br />
Rahmen meiner Magisterarbeit in vergleichender<br />
Literaturwissenschaft habe ich zwei<br />
Werke miteinander verglichen, eins aus dem<br />
Osten und eins aus dem Westen, die aus<br />
einer Post-Wende Perspektive die Zeit vor,<br />
während und nach der Wiedervereinigung<br />
Deutschlands thematisieren.<br />
So ein Anfangspunkt stellt sich als hoch interessant<br />
in diesem Bereich heraus, denn in<br />
der Regel lässt man in der literarischen Forschung<br />
Werke aus dem Osten mit denen aus<br />
dem Westen nicht ins Gespräch kommen,<br />
<strong>sondern</strong> man fokussiert sich als Forscher<br />
auf die zahlreiche Literatur über die deutsche<br />
Einheit aus dem Osten.<br />
Mit dem Ziel die Begriffe „Wir” und „Ich” zu<br />
entschlüsseln habe ich mir zwei literarische<br />
Werke ausgesucht, die sich mit der Wende<br />
beschäftigen: „Zonenkinder” (2002) von<br />
Jana Hensel aus Leipzig, und „Das war die<br />
BRD. Fast vergessene Geschichten” (2001),<br />
eine Sammlung von kurzen Texten verschiedener<br />
Autoren aus dem Westen.<br />
„Zonenkinder”, ein Bestseller des Jahres<br />
2002, gliedert sich in acht Kapitel. Jedes<br />
Kapitel thematisiert einen Aspekt der untergegangenen<br />
DDR: die Kindheit, die Heimat,<br />
den Geschmack, die Liebe, die Erziehung,<br />
das Wir-Gefühl, den Sport. Die Geschichtensammlung<br />
wird in einem Vorwort des<br />
Kolumnisten der „Zeit”, Georg Diez, präsentiert.<br />
Sie besteht aus vierunddreißig kurzen<br />
Texten von Autoren, die zur Zeit der deutschen<br />
Teilung in der BRD lebten und die<br />
sich in jedem Text an verschiedene Facetten<br />
des Lebens in Westdeutschland erinnern.<br />
Die Verwendung des „Wir “ in „Zonenkinder”<br />
und in „Das war die BRD” scheint auch<br />
mit den oben genanten Gegensätzen des<br />
Einheitsbegriffs in Deutschland verbunden<br />
zu sein. Der thematische Schwerpunkt beider<br />
Texte liegt auf der Zeit der Teilung und<br />
diese verhältnismäßig junge Vergangenheit<br />
wird aus der Perspektive der immer noch<br />
andauernden Übergangsphase, die auf die<br />
Wiedervereinigung folgte, evaluiert. Die Kollektivvorstellungen,<br />
d.h. die verschiedenen<br />
„Images” des Lebens sowohl zur Zeit der<br />
Trennung als auch danach, sind konfliktiv,<br />
denn sie sind tief geprägt von den Gegensätzen,<br />
die in beiden gesellschaftlichen und<br />
wirtschaftlichen Systemen, sowohl in der<br />
DDR als auch in der BRD 40 Jahre lang<br />
existierten. Das materialistische und individualistische<br />
Bild des „Ich” in „Das war die<br />
BRD” steht im Gegensatz zu einem idealisierten<br />
Bild des „Ich” in „Zonenkinder”, das<br />
weniger weltlich und hedonistisch ist. Zum<br />
Beispiel, in „Das war die BRD” schreibt der<br />
Autor Adrian Kreye: „Sicher, es gab großes<br />
Unrecht auf der Welt, aber das beschränkte<br />
sich auf Vietnam, Afrika, die DDR und vor<br />
allem auf die immer fernere Vergangenheit.<br />
<strong>AGPA</strong> - Chile<br />
Wir lebten eine Musterdemokratie, der Welt<br />
zum Vorbild. Nichts könnte schief gehen,<br />
schließlich hatte die BRD mit der sozialen<br />
Marktwirtschaft den genialen Kompromiss<br />
gefunden. Freiheit, Wohlstand und Altersversorgung<br />
schien auf den Markmünzen zu<br />
stehen.„Ein ganzes Land als fürsorglicher<br />
Kokon” (Kreye, 2001:100). Als die Autorin<br />
von „Zonenkinder” über ihre eigene Generation<br />
und die ihrer Eltern spricht, sagt sie:<br />
„Wir wurden in einem materialistischen Staat<br />
geboren, obwohl heute oft das Gegenteil behauptet<br />
wird. Mit einfachen Statussymbolen<br />
baute jeder seine kleine Welt, und bereits als<br />
Kinder konnten wir Käfer- und Boxer-Jeans<br />
von solchen aus den Westen unterscheiden”<br />
(Hensel, 2002: 51).<br />
Je nachdem wie die Texte sich der heutigen<br />
Zeit annähern, ermöglichen sie eine Flexibilisierung<br />
dieses Kontrastes. Die Schattenseiten<br />
beider Systeme werden jedoch zu<br />
einer schweren Last, die man nur mit Mühe<br />
abwerfen kann. Beide Bücher unterscheiden<br />
sich dennoch von der Mehrheit der Wendeliteratur,<br />
insofern als sie die Selbstkritik in<br />
den Mittelpunkt stellen. So eine ausführliche<br />
Auseinandersetzung mit dem Tun von jedem<br />
„Ich” beider Texte ist ein Zeichen dafür, dass<br />
die gesellschaftliche Ordnung, in der man<br />
aufgewachsen ist, in Frage gestellt wird.<br />
In „Das war die BRD” tritt die identitätsstiftende<br />
Funktion der Objekte besonders in den<br />
Vordergrund, mehr als ihre Nützlichkeit, gibt<br />
die Beschreibung der Gegenstände Auskunft<br />
über die Zugehörigkeit zu den gesellschaftlichen<br />
Gruppen. Oder anders ausgedrückt,<br />
der Konsum zeigt die Art und den Grad des<br />
politischen und gesellschaftlichen Bewusstseins<br />
des „Ich” im Westen. So ein Vorgehen<br />
bildet einen Raum für eine tiefgreifende<br />
Selbstkritik. Daraus folgt, dass die literarische<br />
Darstellung des „Ich” im Text einen internen<br />
D a f B r u c k e D a F B r u c k e<br />
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