Stahlmarkt 07-08/2020
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International<br />
Handel & Service<br />
in New York und anderen der zu Anfang am schwersten<br />
betroffenen Regionen im Nordwesten des Landes die<br />
Auswirkungen des Coronavirus abklangen, stieg im Juni<br />
im südlichen und westlichen »Sun belt« die Zahl der infizierten<br />
Personen dramatisch. In dieser Situation sind in<br />
einflussreichen Wirtschaftskreisen die Sorgen über eine<br />
neue Welle von Corona-Ansteckungen und einer erneuten,<br />
drastischen Stilllegung der Wirtschaft gewachsen, die<br />
bereits in einer tiefen Rezession steckt. Das erschwert<br />
wichtige Entscheidungen – auch in der Stahlindustrie.<br />
Als die US Steel Corporation einen der stillgelegten<br />
Hochöfen im Werk Mon Valley in der Nähe von Pittsburgh<br />
in der zweiten Juniwoche wieder hochfuhr, wurde die<br />
Entscheidung von einigen Marktkennern infrage gestellt.<br />
Zu diesem Zeitpunkt lag die Kapazitätsnutzung<br />
der US-Stahlindustrie bei 53,3 Prozent, ein<br />
Rückgang von 36 Prozent zum Vergleichsmonat<br />
im vergangenen Jahr.<br />
Für das laufende Jahr betrug die<br />
Kapazitätsnutzung 68,6 Prozent<br />
gegenüber 81,4 Prozent für den<br />
gleichen Zeitraum des Vorjahres.<br />
Marktexperten sahen darin<br />
nicht gerade günstige Bedingungen<br />
für eine Erhöhung der<br />
Produktionskapazität. Gleichzeitig<br />
beschlossen die Manager von<br />
US Steel angesichts der anhaltenden,<br />
weltweiten Ölschwemme die<br />
Schließung von Werken, die Produkte<br />
für die einheimische Erdöl- und Erdgasindustrie<br />
herstellten. In Ohio legte US Steel das<br />
Werk Lorain still, das Stahlrohre produzierte und 200<br />
Arbeiter beschäftigte. Das Gleiche galt für zwei US-Steel-<br />
Werke in Texas, Lone Star Tubular Operations und Weld<br />
Mills, wo insgesamt 600 Arbeiter ihre Jobs verloren. Mitte<br />
Juni warnte die Unternehmensleitung von US Steel vor<br />
einem Verlust im zweiten Jahresquartal aufgrund der<br />
Covid-19-Probleme. Zwei Wochen vor Ende des zweiten<br />
Quartals wurde einen Verlust von umgerechnet knapp 267<br />
Millionen Euro oder 2,58 Euro pro Aktie erwartet, die zu<br />
diesem Zeitpunkt unter zehn US-Dollar (8,46 Euro) gehandelt<br />
wurde. Unter dem finanziellen Stress dieser Wirtschaftskrise<br />
kündigte das Unternehmen den Verkauf von<br />
50 Millionen zusätzlichen Aktien an – etwa ein Drittel der<br />
derzeit ausstehenden Aktien.<br />
Hoffnungsschimmer Infrastrukturinitiative<br />
Schon bevor Covid-19 der Stahlindustrie empfindliche<br />
Probleme bereitete, zeigte die Branche nach einem vorübergehenden<br />
Aufschwung infolge der trumpschen Strafzölle<br />
Schwächen in puncto Nachfrage und Preisniveau.<br />
Einen Hoffnungsschimmer sahen manche in der Branche,<br />
als Trump zum Sommeranfang eine Infrastrukturinitiative<br />
als wichtigen Teil für die Wiederbelegung der Wirtschaft<br />
und die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Aussicht stellte.<br />
Während Trump im März dieses Jahres von einem Infrastrukturplan<br />
in Höhe von zwei Billionen US-Dollar (rund<br />
1,7 Billionen Euro) sprach, halbierte er diese Summe für<br />
die jüngste Initiative. Das Gros der von Trump avisierten<br />
Ausgaben soll in die Verbesserung der traditionellen Infrastruktur<br />
– Straßen, Brücken, Tunnel – gesteckt werden.<br />
»Schon bevor<br />
Versprechen ohne Einlösung<br />
Covid-19 der Stahlindustrie<br />
empfindliche Probleme bereitete,<br />
zeigte die Branche nach<br />
einem vorübergehenden Aufschwung<br />
infolge der trumpschen<br />
Strafzölle Schwächen in<br />
puncto Nachfrage und<br />
Preisniveau.«<br />
Für einen kleineren Teil der Ausgaben versprach<br />
der US-Präsident den Bau drahtloser<br />
Breitband- und 5G-Netze in<br />
landwirtschaftlichen Gegenden.<br />
Wie kein anderer Industriezweig<br />
redete die amerikanische<br />
Stahlindustrie seit Jahren einer<br />
starken Ausweitung und Erneuerung<br />
der Infrastruktur<br />
des Landes das Wort. Aber die<br />
plötzliche Eile des US-Präsidenten<br />
bezüglich dieses Plans<br />
hat wohl nicht nur mit dem<br />
Einfluss der Stahl-Lobby und der<br />
derzeitigen Rezession zu tun.<br />
Trump, der im Wahlkampf eine Wiedergeburt<br />
der US-Stahlindustrie und die<br />
Verbesserung der amerikanischen Infrastruktur<br />
versprach und die Unterstützung vieler Stahlarbeiter<br />
gewann, hat diese Versprechen bislang nicht eingelöst.<br />
In Meinungsumfragen lag er zu Beginn des Sommers<br />
in einigen Bundesstaaten im Rostgürtel hinter dem demokratischen<br />
Kandidaten, Ex-Vize-Präsident Joe Biden, unter<br />
anderem in den einstigen Stahlhochburgen Pennsylvania<br />
und Ohio. In diesen beiden Bundesstaaten besiegte Trump<br />
vor vier Jahren Hillary Clinton. Offenbar hofft er wenige<br />
Monate vor dem Wahltag im November, dass er mit einem<br />
handfesten Infrastrukturplan die Siege von damals wiederholen<br />
kann. Denn die Stahlindustrie gehört zu den<br />
Industriezweigen, die sich von einer fundamentalen Überholung<br />
der Infrastruktur eine starke Absatzerhöhung<br />
versprechen. Gleichzeitig würde der Ausbau der Breitband-<br />
und 5G-Infrastruktur auch jenen Farmern im Mittleren<br />
Westen zugute kommen, deren Exporte nach China im<br />
trumpschen Handelskrieg mit Beijing stark zurückgingen<br />
und zu hohen Verlusten führten.<br />
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