Teil 1: Einführung und Überblick über das Rechtssystem der ...
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In vino veritas est<br />
1. <strong>Teil</strong>: Bezahlung des Weines<br />
L muss den Wein bezahlen, wenn zwischen ihm <strong>und</strong> dem Weinhaus ein Kaufvertrag<br />
<strong>über</strong> den Wein (§ 433 BGB) zustande gekommen ist. Das setzt voraus, <strong>das</strong>s die Vertragsparteien<br />
sich geeinigt haben, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Weinhaus L den Wein liefern soll. Eine Einigung<br />
setzt die inhaltlich <strong>über</strong>einstimmenden Willenserklärungen <strong>der</strong> Vertragsparteien<br />
voraus (Angebot <strong>und</strong> Annahme). Angebot <strong>und</strong> Annahme sind empfangsbedürftige Willenserklärungen;<br />
d.h. sie müssen nach <strong>der</strong> Abgabe <strong>der</strong> Erklärung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />
auch zugehen.<br />
Ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages <strong>über</strong> den Wein könnte in <strong>der</strong> Zusendung<br />
des Bestellformulars liegen, <strong>das</strong> L durch <strong>das</strong> Ausfüllen angenommen hat. Ob hierin<br />
bereits ein Angebot zum Abschluss eines Vertrages liegt, könnt jedoch problematisch<br />
sein, da ein solches „Angebot“ sicherlich einer Vielzahl von K<strong>und</strong>en des Weinhauses<br />
gegen<strong>über</strong> zugesandt wird, <strong>das</strong> Weinhaus sich aber nur insoweit zur Lieferung verpflichten<br />
will als <strong>der</strong> Wein auch tatsächlich lieferbar ist. Insofern ist davon auszugehen, <strong>das</strong>s<br />
ein „Angebot“ durch Zusendung eines Bestellscheines in diesem Fall – nach Auslegung<br />
<strong>der</strong> Erklärung – kein „Angebot“ im Sinne eines rechtsverbindlichen Antrages zum Abschluss<br />
eines Vertrages darstellt, son<strong>der</strong>n lediglich die Einladung zur Abgabe eines Angebotes<br />
an den Empfänger des Bestellscheines.<br />
Ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages könnte jedoch in dem Ausfüllen des<br />
Bestellscheins zu sehen sein. Als L den Schein ausfüllte, wollte er die bestellte Ware<br />
käuflich erwerben. Insofern sind in dem Ausfüllen des Bestellscheins alle Merkmale einer<br />
Willenserklärung zum Abschluss eines Kaufvertrages enthalten. Da es sich bei einer solchen<br />
Willenserklärung jedoch um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt,<br />
muss diese in Richtung auf den Empfänger willentlich entäußert werden <strong>und</strong> in dessen<br />
Machtbereich gelangen. Hier fehlt es jedoch an <strong>der</strong> willentlichen Entäußerung (in Richtung<br />
auf den Empfänger), so <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Ausfüllen des Bestellscheins kein Angebot darstellt.<br />
Ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages liegt daher in <strong>der</strong> telefonischen Benachrichtigung<br />
des Weinhauses, <strong>das</strong>s die Lieferung am kommenden Samstag erfolgen<br />
werde.<br />
Dieses Angebot hat L nicht angenommen. Vielmehr hat L sogar gegen<strong>über</strong> <strong>der</strong> Putzfrau<br />
erklärt, <strong>das</strong>s es sich um ein Missverständnis handele. Dieses Erklärung ist jedoch nicht<br />
bei dem Besitzer des Weinhauses angekommen. Insofern hat L aus dessen Perspektive<br />
auf <strong>das</strong> telefonische Angebot geschwiegen. Im Normalfall kann ein solches Schweigen<br />
nicht als Willenserklärung (we<strong>der</strong> als Zustimmung noch als Ablehnung) gewertet werden.<br />
Hier kommt jedoch in Betracht, <strong>das</strong>s L nach Treu <strong>und</strong> Glauben dazu verpflichtet gewesen<br />
sein könnte, den Irrtum des Weinhauses <strong>über</strong> <strong>das</strong> Bestehen einer Weinbestellung<br />
aufzuklären, so <strong>das</strong>s sein Schweigen gegen<strong>über</strong> dem Besitzer des Weinhauses ausnahmsweise<br />
als Annahme des Kaufangebotes zu werten ist. In dem zu beurteilenden<br />
Sachverhalt ist L <strong>der</strong> Einzige, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Lage war die Ursachen des Missverständnisses<br />
aufzuklären. Er konnte sich denken, <strong>das</strong>s offenbar seine „Bestellung“ ungewollt zum<br />
Weinhaus gelangt ist. Insofern war L nach Treu <strong>und</strong> Glauben verpflichtet aktiv die Ablehnung<br />
des Angebotes gegen<strong>über</strong> dem Besitzer des Weinhauses zu erklären. Entscheidend<br />
ist daher, ob L <strong>das</strong> Risiko zu verantworten hat, <strong>das</strong>s seine Ablehnung des Angebo-