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Teil 1: Einführung und Überblick über das Rechtssystem der ...

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World Trade Center post mortem<br />

P kann die Erfüllung <strong>der</strong> Verpflichtung zur Durchführung <strong>der</strong> Dreharbeiten auf Gr<strong>und</strong>lage von<br />

§ 275 Abs. 1 BGB verweigern, sofern diese Leistung unmöglich geworden ist. Die Beantwortung<br />

<strong>der</strong> Frage hängt entscheidend von <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Leistungspflicht des P in dem<br />

Vertrag mit A ab. Sollte hier ausdrücklich nur bestimmt sein, <strong>das</strong>s P an einem bestimmten<br />

Tag bestimmte Aufnahmen von <strong>der</strong> Außenfassade des World Trade Centers fertigen soll, so<br />

wäre unproblematisch seine Leistung unmöglich. In Produktionsverträgen <strong>über</strong> die Herstellung<br />

eines ganzen Filmes wird aber regelmäßig nur <strong>der</strong> Film als solches auf Gr<strong>und</strong>lage eines<br />

Drehbuches als Leistungsgegenstand qualifiziert. Es ist gerade Sache des Produzenten (<strong>und</strong><br />

des Regisseurs), zu entscheiden, welche Art von Aufnahmen zur Umsetzung des Projekts<br />

möglich, nötig <strong>und</strong> finanzierbar sind. Gerade <strong>der</strong> stets beschränkte Finanzierungsrahmen<br />

erfor<strong>der</strong>t häufig Kompromisse bei <strong>der</strong> Umsetzung. Dies bedeutet, <strong>das</strong>s es P auch nach dem<br />

Einsturz des World Trade Centers gr<strong>und</strong>sätzlich möglich wäre, Aufnahmen abzuliefern, die<br />

jedenfalls so aussehen, als würden sie die Außenfassade des World Trade Centers darstellen.<br />

Es stellt sich jedoch die Frage, ob es so etwas wie eine wirtschaftliche Unmöglichkeit gibt,<br />

wenn Umstände eintreten, die bei Vertragsschluss für den Schuldner nicht erkennbar waren<br />

(<strong>und</strong> er insofern auch kein Risiko <strong>über</strong>nehmen wollte) <strong>und</strong> die für ihn bedeuten würden, <strong>das</strong>s<br />

die Leistungserbringung einen wirtschaftlichen Ruin bedeuten würden. Der Gr<strong>und</strong>satz „pacta<br />

sunt servanda“ wird von <strong>der</strong> Rechtsprechung jedoch sehr ernst genommen. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

sind die wirtschaftlichen Risiken, die mit <strong>der</strong> Erfüllung einer Leistungsverpflichtung verb<strong>und</strong>en<br />

sind, von dem Schuldner zu tragen. So hat die Rechtsprechung beispielsweise selbst<br />

dann keine Unmöglichkeit <strong>der</strong> Leistung angenommen, wenn eine Wertmin<strong>der</strong>ung von 80.000<br />

DM nur mit einem Reparaturaufwand von 160.000 DM zu beseitigen ist. Überträgt man diese<br />

Überlegung auf die Mehrkosten des vorliegenden Falles, so ist die Grenze des praktisch<br />

Möglichen noch nicht verlassen.<br />

Vielmehr handelt es sich nur um einen Fall <strong>der</strong> Störung des Äquivalenzverhältnisses von<br />

Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung. Dieser Fall ist mit <strong>der</strong> Neuformulierung des Schuldrechts im<br />

Jahr 2002 in <strong>das</strong> BGB aufgenommen. Es handelt sich dabei um <strong>das</strong> von Rechtsprechung<br />

<strong>und</strong> Lehre schon vor fast 100 Jahren entwickelte Rechtsinstitut des Wegfalls (besser: <strong>der</strong><br />

Störung) <strong>der</strong> Geschäftsgr<strong>und</strong>lage (§ 313 BGB). Dieses Rechtsinstitut wurde geschaffen, um<br />

extreme Härtefälle, in den Griff zu bekommen, die sich nach dem 1. Weltkrieg <strong>und</strong> <strong>der</strong> Inflation<br />

in <strong>der</strong> Wirtschaft häuften. § 313 BGB stellt auf Umstände ab, die zur Gr<strong>und</strong>lage des Vertrages<br />

geworden sind, sich nach Vertragsschluss aber so verän<strong>der</strong>t haben, <strong>das</strong>s die Parteien<br />

den Vertrag so nicht geschlossen hätten, wenn sie an diese Verän<strong>der</strong>ung gedacht hätten.<br />

Wenn in einer solchen Situation unter Berücksichtigung <strong>der</strong> konkreten Risikoverteilung einer<br />

Vertragspartei <strong>das</strong> Festhalten an einem unverän<strong>der</strong>ten Vertrag nicht zugemutet werden<br />

kann, so kann diese Partei eine entsprechende Anpassung verlangen o<strong>der</strong> – wenn diese<br />

wie<strong>der</strong>um für die an<strong>der</strong>e Partei nicht zumutbar ist – vom Vertrag zurücktreten.<br />

A <strong>und</strong> P sind davon ausgegangen, <strong>das</strong>s es gr<strong>und</strong>sätzlich möglich ist, <strong>das</strong> World Trade Center<br />

von außen zu filmen. Soweit es hierzu einer Genehmigung bedurft hätte, ist davon auszugehen,<br />

<strong>das</strong>s dieses Risiko von P zu tragen wäre. Als Produzent muss er diesbezüglich<br />

Erfahrungen haben. Vor dem 11. September 2001 hingegen konnte man <strong>das</strong> Vorhersehen<br />

<strong>der</strong> Zerstörung des Bauwerks von niemanden verlangen. Auch wenn jetzt noch die Filmaufnahmen<br />

durch technische Tricks möglich bleiben, so kann bei einem Mehraufwand von <strong>über</strong><br />

70 % <strong>der</strong> Gesamtproduktionskosten (auch wenn es sich um eine Schlüsselszene handelt)<br />

nicht davon ausgegangen werden, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> von P eingegangene Produktionsrisiko ihm ein<br />

solches Mehrkostenrisiko aufbürdet. Die Existenz des World Trade Centers ist somit eine<br />

Geschäftsgr<strong>und</strong>lage des Vertrages zwischen P <strong>und</strong> A. Da diese weggefallen ist, kann P Anpassung<br />

des Vertrages verlangen. A muss daher die Mehrkosten für die ungeplanten Trickaufnahmen<br />

tragen. Sofern A hierzu nicht bereit ist, kann P vom Vertrag zurücktreten.

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