"bruno." (2020)
Das Jahresmagazin der Giordano-Bruno-Stiftung (Ausgabe 2020)
Das Jahresmagazin der Giordano-Bruno-Stiftung (Ausgabe 2020)
- Keine Tags gefunden...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
PROFILE
der säkularen und linkslibertären Szene kaum
kannte. Ich hatte zuvor natürlich versucht, das
Buch bei den Großen der Branche unterzubringen.
Doch der einhellige Tenor der Lek toren war:
„Was? 150 Tabellen? Das kauft doch niemand!“
Glück licherweise haben sie sich geirrt.
2002/2003 hast du zahlreiche Vorträge zu den
Kirchen finanzen gehalten. Im Herbst 2003 kam
es dabei zu einer Veranstaltung im Haus von
Herbert Steffen, die insofern bemerkenswert
war, weil sie letztlich zur Gründung der
Giordano- Bruno-Stiftung führte. Herbert
Steffen und Michael Schmidt-Salomon haben
die Geschichte bereits in der vorangegangenen
Ausgabe des bruno.-Jahresmagazins erzählt.
Wie war dein damaliger Eindruck? Hast du geahnt,
dass das erste Treffen eurer „Dreierbande“,
wie Herbert Steffen das einmal nannte,
solch nachhaltige Folgen haben würde?
Das habe ich nicht geahnt. Die kirchenkritischen
Organisationen, die es damals in Deutschland
gab, wirkten auf mich reichlich „verschnarcht“
– im Sinne von Woody Allens Sicht der Atheisten:
„Gottes loyale Opposition“. Herbert Steffen und
Michael Schmidt-Salomon entwickelten die gbs
zum Motor eines „Neuen Atheismus“ oder besser:
eines „Neuen Humanismus“ in Deutschland. Damit
lagen sie ungefähr auf der Linie der Publikationen
der „Four Horsemen“ Richard Dawkins, Sam Harris,
Christopher Hitchens und Daniel Dennett, die drei
Jahre nach Gründung der gbs internationale Verbreitung
fanden. Die Verleihung des Deschnerpreises
an Dawkins, den ich im Oktober 2007 in der
Alten Universität in Frankfurt/Main moderieren
durfte, war die konsequente Fortsetzung dieses
Weges, der auch von den Medien positiv registriert
wurde.
Es war diese Kombination von Unternehmergeist
und eloquenter, freundlicher, philosophischer
Kompetenz, die neu war und viele bis dahin bestehenden
Barrieren gegenüber einer „gottlosen“
Säkularität durchbrach. Als ich in Hamburg mit
einer „Grande Dame“ der Freireligiösen über die gbs
sprach, sagte sie: „Mein Mann hat sich jahrzehntelang
erfolglos bemüht, ein kirchenkritisches
Denken zu befördern. Wenn er jetzt sehen könnte,
welchen Erfolg Sie haben, er wäre begeistert.“
Dank fowid
kann niemand
mehr
bestreiten,
dass es in
Deutschland
mehr
konfessionsfreie
Menschen
als Katholiken
oder
Protestanten
gibt.
2005, ein Jahr nach der Gründung der gbs, hast
du ein zweites wichtiges Werk vorgelegt, nämlich
„Caritas und Diakonie in Deutschland“.
Auf über 360 Seiten zeigst du darin auf, wie die
christlichen Sozial konzerne nahezu jede Nische
des lukrativen Wohlfahrtspflege-Marktes
be setzt haben und wie rigoros sie diese Marktmacht
mitunter ausspielen. Dass die „Wa(h)re
Nächstenliebe“ so hohe Umsätze erzeugt, hat
viele Leserinnen und Leser erstaunt. Dich
auch?
Das Erstaunen habe ich spätestens bei dieser
Recherche verloren. Der Widerspruch zwischen
dem kirchlichen Anspruch und der Realität war mir
bekannt. Ich wusste schon lange, dass die Rede von
der „christlichen Wohltätigkeit“ eine Legende ist.
Aber es macht eben einen gewaltigen Unterschied
aus, ob man dieses Wissen auch mit harten Zahlen
belegen kann. Fakt ist: Viele sogenannte „christliche
Institutionen“ sind bloße Fassade. Krankenhäuser
oder Altersheime beispielswiese sind zu 100 Prozent
vom Staat bzw. von den Beiträgen der Bürgerinnen
und Bürger finanziert. Die Kirchen geben keinen
einzigen Cent dazu, verlangen von ihren Angestellten
aber absolute Loyalität, was bedeutet, dass sie
ihre Arbeitsstelle bereits verlieren können, wenn sie
von ihrem Recht auf Religionsfreiheit Gebrauch
machen oder sich dazu bekennen, in einer homosexuellen
Partnerschaft zu leben.
Das Empörende ist: Das kirchliche Arbeitsrecht
verstößt diametral gegen die Vorgaben des Grundgesetzes,
was die regierenden Politiker aber kaum
zu stören scheint. Ein Journalist eines bekannten
TV-Politik-Magazins sagte mir einmal: „Herr Frerk,
da tun sich ja Abgründe auf!“ Womit er recht hatte.
Noch im selben Jahr, 2005, hast du ein Forschungsprojekt
vorgeschlagen, das untersuchen
sollte, welche weltanschaulichen, ethischen
und politischen Positionen die Menschen
in Deutschland vertreten. Aus dieser Idee ist
die Forschungsgruppe Weltanschauungen
in Deutschland (fowid) entstanden, die im
November 2005 in Berlin vorgestellt wurde.
Durch fowid wurde es erstmals möglich,
evidenz basiert über die weltanschauliche
Verfasstheit unserer Gesellschaft zu sprechen.
So wissen wir nur dank fowid, wie hoch der
Anteil der konfessionsfreien Menschen in der
deutschen Bevölkerung ist. Schon allein dies
hat viel verändert, oder?
Ich hoffe, ja. Dafür sprechen auch die vielen
Anfragen, die wir von Journalisten, Studenten und
sogar Schülern erhalten. Dank fowid kann heute
niemand mehr bestreiten, dass es in Deutschland
mehr konfessionsfreie Menschen als Katholiken
oder Protestanten gibt. Dies hat sicherlich eine bewusstseinsbildende
Wirkung. Ohnehin meine ich,
dass sich unsere konsequente Orientierung an sauber
recherchierten und ausgewerteten Daten sehr
gelohnt hat. Denn: Harte Fakten sind überzeugender
als bloße Meinungen – insbesondere, wenn man
(wie wir) das Ziel einer evidenzbasierten Weltsicht
2020 17