"bruno." (2020)
Das Jahresmagazin der Giordano-Bruno-Stiftung (Ausgabe 2020)
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PROJEKTE
MSS: Nein. Selbstverständlich finden wir in der
chemischen Evolution ganz andere Wirkmechanismen
vor als etwa in der biologischen oder der kulturellen
Evo lution. Wir können daher nicht einfach die Mechanis
men der biologischen Evolution auf andere Evolutionsprozesse
übertragen. Dennoch müssen natürlich
einige Mindestkriterien gegeben sein, um vernünfti -
ger weise von „Evolution“ sprechen und evolutionäre
von nicht-evolutionären Systemen unterscheiden zu
können.
Um welche Mindestkriterien handelt es sich dabei?
MSS: In meinem Abschlussvortrag zu den Evokids-Wochen
habe ich drei Merkmale herausgearbeitet,
die meines Erachtens für evolutionäre Prozesse auf allen
Ebenen charakteristisch sind, nämlich „Qualitativer
Wandel“, „Veränderungen durch Variation und Selektion,
Zufall und Notwendigkeit“ sowie „Weitgehende Unumkehrbarkeit
der Selektionsergebnisse“ [zur Erläuterung
dieser Merkmale siehe den Infokasten zu diesem
Artikel]. Das klingt jetzt wahrscheinlich fürchterlich
abstrakt! [lacht] Aber diese vereinheitlichte Betrachtungsweise
der Welt „im Lichte der Evolution“ hat den
großen Vorteil, dass sie uns zu einer äußerst eleganten
Sicht des Universums verhilft. Zudem ist sie wissenschaftstheoretisch
fruchtbar, weil sie dazu beitragen
kann, die tiefen Gräben zu überbrücken, die zwischen
den Natur- und Ingenieurwissenschaften einerseits
und den Geistes- und Sozialwissenschaften andererseits
entstanden sind. Schließlich sind die unterschiedlichen
Phänomene, die wir auf physikalischer, chemischer,
biologischer und kultureller Ebene beobachten
können, Ausdruck ein und desselben, wenn auch ungeheuer
komplexen evolutionären Geschehens.
DG: Hierin sehe ich ebenfalls einen großen Vorteil
einer erweiterten evolutionären Perspektive. Es sollte
klar sein, dass kein biologischer Organismus Eigenschaften
aufweisen kann, die physikalisch unmöglich
sind. Ebenso wenig können Menschen im kulturellen
Bereich Leistungen erbringen, die biologisch ausgeschlossen
sind. Ich möchte in diesem Zusammenhang
allerdings noch einen weiteren Punkt herausstellen:
Ein ganz entscheidender Vorteil des evolutionären
Denkens besteht meines Erachtens darin, dass wir es
als eine Art „Lackmustest“ nutzen können, um die
Quali tät von Aussagen zu beurteilen.
Du hast dies in deinem Eröffnungsvortrag zu den
Evokids-Wochen an einigen Beispielen erläutert.
So bist du u. a. auf die in letzter Zeit öfter vorgetragene
Behauptung eingegangen, Bäume hätten
eine Art „versteckte Intelligenz“, die uns in der
Forschung bislang entgangen sei.
DG: Richtig. Diese Auffassung ist aus evolutionärer
Sicht völlig abwegig, obwohl sie durchaus auf biologische
Fakten zurückgreift. In der Tat können Pflanzenzellen
– Nervenzellen vergleichbar – Informationen
weiterleiten. Und im Falle von Bäumen sind sie sogar
über Wurzelsysteme und Mykorrhiza-Pilze miteinander
verbunden. Wenn man es unbedingt will, kann man
einen Wald also als eine Art „Bäume-Gesellschaft“
betrach ten. Allerdings sollte man solche Metaphern
keineswegs überinterpretieren! Denn welchen Nutzen
hätte ein im Boden festgewachsener Organismus, für
den es keine großen Entscheidungsoptionen gibt, von
der Fähigkeit zum intelligenten Abwägen? Gar keinen!
Intelligenz mit dem damit verbundenen hohen Energieverbrauch
wäre bei Organismen, die ein komplexes
Entscheidungssystem – also ein Gehirn – nicht benötigen,
eine aberwitzige Verschwendung, die sich evolutionär
niemals hätte durchsetzen können. Ich meine:
Wenn eine behauptete Aussage robust belegten evolutionären
Prinzipien derart zuwiderläuft, sind schon sehr
gute Argumente und Belege notwendig, bevor man sich
ernsthaft damit auseinandersetzen sollte.
Ihr hattet euch für die Evokids-Wochen in Düsseldorf
inhaltlich viel vorgenommen. Habt ihr den
Eindruck, dass eure Botschaft beim Publikum
angekommen ist?
RH: Ja, ich denke schon. Immerhin waren unsere
Vorträge gut besucht. Natürlich war der Publikumsandrang
bei Ralf Königs Comiclesung zum „Stehaufmännchen“
Homo erectus größer als bei den etwas
komplexeren Vorträgen zur „Abiogenese“ oder zur
„Evolution der Elemente“, aber auch da entwickelten
sich spannende Diskussionen. Außerdem hatten wir
eine sehr positive Presseresonanz, was uns zahlreiche
Ausstellungsbesucher bescherte. Hinzu kamen noch die
vielen Schulklassen, die wir im Stundentakt am Vormittag
empfingen. Für die Betreuung hatten wir ein wunderbares
Team vor Ort: Der Pädagoge Olaf Zuber war
eigens aus Freiburg angereist und der Evolutionsweg-
Das Evokids-Urmel vor dem
Düsseldorfer Aquazoo
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