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"bruno." (2020)

Das Jahresmagazin der Giordano-Bruno-Stiftung (Ausgabe 2020)

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Was waren deine eindrücklichsten Erfahrungen?

Als wir mit unserer „Gottlos glücklich“-Buskampagne

in München ankamen und sagten, wir würden

den nächsten Tag übers Land fahren, wurden

wir gewarnt: „Die Leute werden den Bus, im günstigsten

Fall, mit Kuhscheiße bewerfen, oder aber

mit Steinen!“ Unser mulmiges Gefühl löste sich

aber schnell auf. Denn in allen großen Biergärten,

an denen wir vorüberkamen, winkten uns die

Menschen fröhlich zu, hoben die Hände mit dem

Daumen nach oben und riefen: „Weitermachen!“

Ich erinnere mich auch an etwas skurrile Situationen

in Augsburg und Chemnitz, als sich an unserem

Ankunftsort engagierte Christen mit Klampfen

versammelten und laut und inbrünstig sangen:

„Eine feste Burg ist unser Gott!“ Seltsame Dinge

passierten auch in Dresden: Zunächst sprang ein

Mann vor den Bus und schrie: „Das hätte Honecker

nicht erlaubt!“ Dann fragte mich eine Frau: „Sündigen

Sie?“ Als ich „Nein“ antwortete, schnaufte sie:

„Oh, ich sündige täglich! Ich werde Sie in meine

Gebete einschließen.“ Den „gottlosen Osten“ hatte

ich mir anders vorgestellt.

Am meisten beeindruckt hat mich eine ältere

Dame in Münster. Sie blieb mit ihren kleinen weißen

Ringel löckchen und ihrer feinen Halskrause

am Kleid am Bus stehen und las sich den ziemlich

langen Leitspruch „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender

Wahrscheinlichkeit) keinen Gott“ zweimal

ruhig durch. Dann klem mte sie ihren Karton mit

bunten Garten blumen fest unter ihren Arm, schritt

beherzt zur Fahrertür und sagte zu Björn, unserem

Fahrer, mit klarer Stimme: „Das wird ja nun auch

endlich mal Zeit, dass Sie in diese Stadt kommen!

Dieses elende, schwarze Kaff!“ Flugs drehte sie sich

um und ging ihres Weges. Ich war verblüfft und

begeistert zugleich.

Eure Wohnung in Berlin-Mitte, in der heute

noch das fowid-Büro beheimatet ist, war stets

ein Ort, an dem viele Menschen zusammenkamen

und an dem auch spektakuläre Aktionen

geplant wurden. 2010 trafen sich bei euch

beispielsweise die Organisatoren des großen

Heimkinderprotestes („Jetzt reden wir!“).

Und 2011 wurde u. a. in eurem Wohnzimmer

die große Anti-Papst-Demo „Keine Macht den

Dogmen“ geplant, der am Ende 15.000 Menschen

folgen sollten. Da war wohl einiges los

in der Leipziger Straße …

Wir können nicht darüber klagen, dass es bei

uns zu ruhig wäre. Als wir 2009 von Hamburg nach

Berlin zogen, meinte Herbert Steffen, dass wir nicht

zwei Objekte anmieten sollten, also Wohnung plus

Büro, sondern eine größere Einheit zum Wohnen

Die große Anti-Papst-Demo 2011 in Berlin, u. a. geplant in der „guten Stube“ von Carsten und Evelin Frerk

Die Sterbehilfe-

Debatte zeigte,

dass die

Kirchen

noch immer

politische

Mehrheiten

organisieren

können –

selbst gegen

das eindeutige

Votum der

Bevölkerung

und Arbeiten. Und so hat unser Homeoffice 145 m 2

(inkl. Gästezimmer) und liegt in der Mitte von

Berlin-Mitte. Da sich hier die Nord-Süd-Linie und

die West-Ost-Linie der Berliner U-Bahn kreuzen,

sind wir leicht zu erreichen. Außerdem ist man von

hier auch schnell zu Fuß an den Orten, an denen in

der Vergangenheit wichtige Aktionen und Events

der gbs stattgefunden haben, etwa am Brandenburger

Tor, dem Potsdamer Platz oder dem Reichstagsgebäude.

Bei manchen Gelegenheiten, etwa bei der

ersten Sitzung zur Planung der Anti-Papst-Demo

2011, haben wir hier an unserem großen runden

Tisch, der sich fünffach ausziehen lässt, rund

30 Gäste empfangen – und niemand hat sich

beschwert.

2010 hast du mit dem „Violettbuch Kirchenfinanzen“

ein weiteres wichtiges Werk vorgelegt,

das von der gbs im Rahmen der KORSO-

Kampagne zur Ablösung der Staatsleistungen

an die Kirchen an mehr als 1.000 politische Entscheidungsträger

und Journalisten verschickt

wurde. So richtig in die Schlagzeilen geriet das

Buch allerdings erst drei Jahre später – dank

der Schützenhilfe eines gewissen Limburger

Bischofs …

Im Oktober 2013 stand das Telefon nicht mehr

still. Alle Medien in Deutschland – von der FAZ bis

zur BILD – hatten sich auf den „Protz-Bischof“ eingeschossen.

Wer etwas Tiefgründigeres schreiben

wollte, als dass Herr Tebartz van Elst offenkundig

einen Hang zu exklusiveren Badewanne-Modellen

hat, brauchte solide Informationen zu Kirchenfinanzen.

Meine Recherchen und das Buch waren

da die einzige Oase in der Wüste. So kam es, dass ich

an einem Abend nacheinander sowohl in der Tagesschau

als auch im heute-journal zu sehen war.

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