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"bruno." (2020)

Das Jahresmagazin der Giordano-Bruno-Stiftung (Ausgabe 2020)

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PROFILE

Nach dem Ende deiner Arbeit für den Humanistischen

Pressedienst hast du dich intensiv mit den

Strategien christlicher Lobbyisten beschäftigt.

Zentrale Aussagen deiner rund 1.500-seitigen (!)

Lobbyismus-Studie hast du 2015 in dem Buch

„Kirchenrepublik Deutschland“ ver öf fentlicht.

Im gleichen Jahr hat der Deutsche Bundestag das

sogenannte „Sterbehilfeverhinderungsgesetz“

§ 217 StGB verabschiedet. Du hast damals mit Blick

auf dieses Gesetz von einem „Musterbeispiel für

christlichen Lobby ismus“ gesprochen. Könntest

du das erläutern?

Dies im Detail zu erläutern, würde den Rahmen

dieses Interviews sprengen. Daher in aller Kürze: Die

Macht der Kirchen, vor allem der katholischen Kirche,

beruht nicht nur auf ihren staatlichen Privilegien, sondern

vor allem auch auf ihrer Deutungs hoheit gegenüber

ihren Gläubigen über Leben und Tod, d. h. über

Sexualität und Geburt sowie über das Sterben. Doch mit

der real existierenden Fristen lösung zum Schwangerschaftsabbruch

haben die Kirchen ihren Einfluss auf

Sexualität und Zeugung weitgehend verloren – auch

wenn die aktuellen Bestrebungen zum Verbot der sog.

„Werbung für den Schwangerschaftsabbruch“ noch

eine andere Sprache sprechen.

Im Zuge der Diskussionen über das „Recht auf Letzte

Hilfe“ drohte ihnen 2015, auch noch die Macht und

damit die Angst der Menschen vor Sterben und Tod zu

entgleiten. Entsprechend energisch haben sie reagiert.

Mit allen Winkelzügen des christlichen Lobbyismus –

der Zusammenarbeit von Politikern mit dem Klerus,

den kirchlichen Lobby- Büros und weiteren religiös geprägten

Organi sa tionen wie der „Deutschen Stiftung

Patientenschutz“ – ist es ihnen gelungen, eine Mehr heit

für die Strafbarkeit der „geschäftsmäßigen“ Freitodbegleitung

im Bundestag zu bekommen. Die Sterbehilfe-Debatte

zeigte, dass die Kirchen im parlamentarischen

Raum noch immer politische Mehrheiten organisieren

können – selbst gegen das eindeutige Votum

der Bevölkerung.

In „Kirchenrepublik Deutschland“ hast du den

Begriff „Gottesfraktion“ geprägt, um jene Gruppe

von Bundestagsabgeordneten zu charakterisieren,

die parteiübergreifend im Sinne von Kircheninteres

sen agieren. 2015, als du das Buch vorgelegt

hast, war es sehr deutlich, dass die Kirchennähe

der Abgeordneten keineswegs die Haltungen der

Menschen widerspiegelt, welche die Abgeordneten

im Parlament ver treten sollen. Hat sich der Anteil

der Gottes fraktion seither verändert? Repräsentiert

der Bundestag heute eher die Pluralität der

Wertehaltungen in der deutschen Bevölkerung?

Mit Verlaub, der Begriff „Gottesfraktion“ stammt

nicht von mir, sondern von der Journalistin Claudia

Keller, aber der Sachverhalt ist damit richtig beschrieben.

Leider liegen mir zu diesem Thema keine neueren

Untersuchungen vor. Ich habe zwar den Eindruck, dass

jüngere Parlamentarier eher dem säkularen Trend innerhalb

der Bevölkerung folgen, aber das stützt sich nur

auf einzelne, anekdotische Beo bachtungen. Insgesamt

hoffe ich jedoch darauf, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

zur Sterbehilfe, das in seiner Eindeutigkeit

nicht zu übertreffen ist und die uneingeschränkte

Selbst bestimmung des Einzelnen zur Basis seiner

Menschenwürde erklärt hat, einige Abgeordnete zum

Nachdenken gebracht hat.

Eine letzte Frage: Vor wenigen Wochen hast du auf

fowid.de eine ungewöhnlich ausführliche Analyse

des islamischen Lobbyismus veröffentlicht. Ist

dies ein Thema, mit dem du dich – nach den vielen

Veröffentlichungen zu den christ lichen Kirchen in

den letzten Jahren – in Zukunft intensiver beschäftigen

willst?

Das kann ich noch nicht sagen. Aktuell investiere

ich ziemlich viel Zeit in diese Thematik, aber die nächsten

Monate werden zeigen, was sich daraus entwickelt.

Angedacht ist zum Beispiel ein Internetportal unter der

Domain politischer-islam.de.

Aber wenn man in meinem Alter – ich werde in diesem

Jahr ja immerhin 75! – ein neues Projekt beginnt, muss

man sich fragen, ob und wie es später weitergeführt

werden kann. Dies ist nicht allein meine Entscheidung.

Erfreulicherweise gab es dazu vonseiten der gbs bereits

positive Rückmeldungen. Vielleicht sprechen wir in

fünf Jahren noch einmal darüber. Dann wissen wir

Genaueres.

Lieber Carsten, herzlichen Dank für das Gespräch!

ZUM WEITERLESEN:

Carsten Frerk

Kirchenrepublik

Deutschland

Christlicher Lobbyismus.

Eine Annäherung

Alibri 2015

Violettbuch

Kirchenfinanzen

Wie der Staat

die Kirchen finanziert

Alibri 2010

Caritas und

Diakonie in

Deutschland

Alibri 2005

Website:

carstenfrerk.de

fowid.de

2020 21

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