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fernglas – Das Wissenschaftsmagazin der FernUniversität

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Seuchen verstärkten<br />

langfristige Entwicklungen<br />

Epidemien gibt es, seit die Menschen eng mit ihren Tieren zusammenleben. Für PD<br />

Dr. Eva-Maria Butz, Lehrgebiet Geschichte und Gegenwart Alteuropas an <strong>der</strong> Fern­<br />

Universität in Hagen, wirkten Seuchen in <strong>der</strong> Geschichte eher schleichend und bereits<br />

bestehende Entwicklungen verstärkend denn als Revolutionen. Und sie konnten<br />

sogar positive Folgen für die Überlebenden haben.<br />

Die erste dokumentierte Seuche, ein hochansteckendes<br />

Fieber, tötete während des Peloponnesischen Krieges (431<br />

bis 404 v. Chr.) 30 bis 40 Prozent <strong>der</strong> 300.000 Athenerinnen<br />

und Athener. Dem führenden Politiker Perikles wurden<br />

schwere Versäumnisse vorgeworfen, auch <strong>–</strong> aber nicht nur <strong>–</strong><br />

im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Krankheit. Er wurde gestürzt,<br />

die demokratische Staatsform und die attische Kunst und<br />

Kultur erlebten ihren Nie<strong>der</strong>gang, Oligarchen übernahmen<br />

die Herrschaft. „Dies war aber ein längerer Prozess, <strong>der</strong><br />

jedoch offensichtlich durch die Seuche beför<strong>der</strong>t wurde“,<br />

so die Historikerin. „Grundsätzlich kann gesagt werden,<br />

dass eine Seuche bestimmte Prozesse verstärken kann,<br />

wenn eine Gesellschaft schon in <strong>der</strong> Krise ist.“<br />

In gewisser Weise verstärkte 1918 auch die Spanische Grippe<br />

lediglich längerfristige Entwicklungen: „In Deutschland hatte<br />

sie nur sehr geringen Einfluss auf die November-Revolution<br />

und das Ende des Kaiserreichs“, so Butz. Die Deutschen<br />

betrachteten sie damals als Teil <strong>der</strong> allgemeinen Verschlechterung<br />

<strong>der</strong> Volksgesundheit, die aber schon ab 1916 wahrgenommen<br />

wurde.<br />

Jüdische Menschen<br />

auch aus Habgier verfolgt<br />

Geschätzt 25 Millionen Menschen for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> „Schwarze<br />

Tod“, die Beulenpest, zwischen 1346 und 1353 in Europa.<br />

Wirksame Medikamente hatten die vermummten Pestärzte<br />

nicht, auch kein Wissen um die Übertragung. Viele Infizierte<br />

starben in <strong>der</strong> Familie <strong>–</strong> und steckten diese an. An<strong>der</strong>e<br />

warteten von allen verlassen auf den Tod. Die letzte Ölung<br />

gaben Priester manchmal auf Distanz mit langen Stangen.<br />

Im Zusammenhang mit dem Schwarzen Tod kam es in<br />

Kastilien, Frankreich, den Nie<strong>der</strong>landen und in Deutschland<br />

„relativ verbreitet“ zu Judenverfolgungen, so Eva-<br />

Maria Butz, in <strong>der</strong>en Folge viele Überlebende ihre bisherige<br />

Heimat verließen <strong>–</strong> in Polen waren sie willkommen. Doch<br />

gab es auch vorher schon verschiedentlich Pogrome, <strong>der</strong>en<br />

Ursachen aber regionaler o<strong>der</strong> lokaler Art waren: „Es ging<br />

eigentlich immer darum, dass man einen Sündenbock<br />

brauchte. Und es ging um Geld.“ Viele christliche Menschen<br />

konnten so ihre Schulden bei Juden loswerden.<br />

PD Eva-Maria Butz

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