Taxi Times Berlin - 3. Quartal 2020
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CORONA-KRISE<br />
Hayrettin, Gökay, Cansu und Gül Şimşek<br />
<strong>Taxi</strong>-<strong>Times</strong>-Redakteur<br />
Simi alias<br />
Hayrettin Şimşek<br />
nutzte die Wartezeit<br />
in seinem <strong>Taxi</strong><br />
für diesen Text und<br />
dieses Selfie.<br />
KLEINER FAMILIENBETRIEB,<br />
KLEINERE PROBLEME<br />
<strong>Taxi</strong>-<strong>Times</strong>-Redakteur Simi, Unternehmer mit zwei Taxen, berichtet aus<br />
seiner persönlichen Sicht, wie die Corona-Krise über die Zeit des<br />
Lockdowns hinaus kleine <strong>Taxi</strong>betriebe in Atem hielt und verändert hat.<br />
Die ganze Wirtschaft ächzt unter<br />
den Folgen der Corona-Krise.<br />
Ohne die staatlichen Corona-Hilfen<br />
hätten die meisten Unternehmen schließen<br />
müssen, so auch mein <strong>Taxi</strong>betrieb mit<br />
zwei Konzessionen.<br />
Um die Corona-Pandemie einzudämmen,<br />
wurde das öffentliche Leben Mitte<br />
März heruntergefahren. Schulen mussten<br />
geschlossen werden. Meine Frau Gül,<br />
die bei mir als Angestellte arbeitet, war<br />
gezwungen, zu Hause zu bleiben und auf<br />
unseren Sohn Gökay (11) und Tochter Cansu<br />
(8) aufzupassen. Somit fiel sie ebenfalls<br />
aus, so dass ich jeden Tag ein bis<br />
zwei Stunden länger arbeiten musste.<br />
Wenigstens konnte mein Freund und<br />
Angestellter Kenan (53) mit meinem<br />
zweiten <strong>Taxi</strong> weiterhin arbeiten. Mir<br />
blieb als begeisterter Flughafenfahrer<br />
nichts anderes übrig, als woanders in<br />
der Stadt für meine Einnahmen zu sorgen.<br />
Leicht ist mir diese Veränderung nicht<br />
gefallen.<br />
Kleinunternehmer, die Soforthilfe bei<br />
der Investitionsbank <strong>Berlin</strong> (IBB) beantragt<br />
hatten, konnten sich wenige Tage später<br />
schon über Geld freuen. Immerhin konnten<br />
die Möglichkeiten mit Stundungen für Kreditraten,<br />
Sozialversicherungsbeiträge und<br />
Steuererleichterungen voll ausgeschöpft<br />
werden. Aufgeschoben heißt aber leider<br />
nicht aufgehoben.<br />
Um meine zwei Angestellten nicht<br />
entlassen zu müssen, war ich im April<br />
gezwungen, Kurzarbeitergeld zu beantragen,<br />
weil die Umsätze um mehr als 70<br />
Prozent zurückgegangen waren, obwohl<br />
immer mehr <strong>Taxi</strong>konzessionen vorübergehend<br />
stillgelegt worden waren – was wiederum<br />
dazu führte, dass für die aktiven<br />
Konzessionen ein bis zwei Touren mehr<br />
übrig blieben.<br />
Ein-Wagen-Betriebe ohne Kreditraten<br />
haben es deutlich einfacher als Betriebe<br />
mit Angestellten, aber trotz der staatlichen<br />
Unterstützung mit dem Kurzarbeitergeld<br />
wären Unternehmer nicht in der Lage, ihre<br />
Fahrer zu beschäftigen.<br />
«Wir sind immer noch<br />
weit vom Umsatz vor<br />
Corona entfernt.»<br />
Simi<br />
Das Leben stand still: Messen, Konferenzen<br />
und Veranstaltungen mussten<br />
abgesagt werden. Am Flughafen Tegel<br />
fielen mehr als 95 Prozent der Flüge aus.<br />
An den Bahnhöfen war es genauso leer,<br />
keine Touristen und Geschäftsleute. Doch<br />
auch, wenn nichts los ist: <strong>Taxi</strong>s sind systemrelevant<br />
und fahren trotzdem weiter.<br />
Als Teil des ÖPNV sind sie in Deutschland<br />
verpflichtet, Fahrgäste zu befördern, sofern<br />
nicht anders angeordnet. Um die Fahrer<br />
wie auch die Fahrgäste bestmöglich zu<br />
schützen, haben viele <strong>Taxi</strong>unternehmer,<br />
so auch ich, in ihre <strong>Taxi</strong>s Trennwände eingebaut.<br />
Die aktuell günstigsten Ausführungen<br />
sind aus Folie oder Acrylglas und<br />
kosten rund 20 bis 30 Euro. Die preisliche<br />
Obergrenze bilden feste Trennwände, die<br />
dann auch über den Segen der technischen<br />
Prüfstellen verfügen. Sie sind ab etwa 650<br />
Euro zu bekommen.<br />
Durch die Lockerungen bei den Corona-<br />
Auflagen ist es zwar seit Anfang Mai<br />
spürbar besser geworden, aber der massive<br />
Umsatzrückgang bleibt weiterhin das<br />
Hauptproblem dabei, die laufenden fixen<br />
Betriebskosten zu decken. Das einzige,<br />
was ich von den Lockerungen merke, ist,<br />
dass es mehr Verkehr gibt. Zwar gibt es<br />
mittlerweile mehr zu tun als noch vor<br />
ein paar Wochen, aber es ist weit vom<br />
den Zustand vor Corona entfernt. Statt<br />
fünf Fahrten haben wir jetzt vielleicht<br />
zwei Fahrten pro Schicht. Mein Umsatz<br />
von 25.000 Euro im ersten <strong>Quartal</strong> ist<br />
im zweiten <strong>Quartal</strong> um 17.000 Euro auf<br />
8.000 Euro zurückgegangen.<br />
Seit dem 1. Juli sind die Stundungen<br />
nicht mehr wirksam, und die Zahlungsverpflichtungen<br />
müssen wieder eingefahren<br />
und beglichen werden. Die Finanzierung<br />
für die Autos, die Versicherung,<br />
die Mieten fürs Büro, Steuern, Nebenkosten,<br />
Autoreparatur und -service, das<br />
alles muss bezahlt werden. Wenn sich die<br />
Lage in den nächsten Wochen nicht verbessert,<br />
dann könnte eine Insolvenzwelle<br />
unausweichlich sein. Ohnehin kämpft das<br />
<strong>Taxi</strong>gewerbe gegen eine Konkurrenz, die<br />
mit geltendem Recht und Gerichtsurteilen<br />
nichts am Hut hat. <br />
hs<br />
FOTOS: privat<br />
16 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI