279.TIROL - November 2021
Ausgabe 2, November 2020
Ausgabe 2, November 2020
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47<br />
3.<br />
ALPENGRENZGANG<br />
ALPEN-<br />
GRENZGANG<br />
„Hey du! Wo rennst du denn<br />
hin?!“, rief mir ein junger Kerl<br />
auf dem Weg von Les Houches<br />
Richtung Col de Voza im Schatten<br />
des Mont Blancs zu. Er und<br />
sein Kumpan waren mir zuvor<br />
wegen des riesigen Rucksacks<br />
aufgefallen. „Ich laufe nach Nizza,<br />
und ihr zwei?“, antwortete ich<br />
den beiden. „Wir auch! Aber du<br />
hast doch nichts dabei?!“, war<br />
der andere erstaunt. Ich grinste<br />
und meinte, dass die beiden wohl<br />
viel zu viel dabeihaben.<br />
„IN DEN<br />
LETZTEN VIER<br />
JAHREN SEIT DEM<br />
ERSTEN<br />
VERSUCH, NACH<br />
NIZZA ZU LAUFEN,<br />
LERNTE ICH<br />
VIEL DAZU. AUCH<br />
WIE MAN PLANT,<br />
LÄUFT, ISST.“<br />
INNSBRUCK<br />
BIS NIZZA<br />
1.000 KILOMETER – 27.000 HÖHENMETER<br />
Immer wieder begegnete ich<br />
Wanderern und fragte mich,<br />
was sie wohl alles in ihren<br />
High-Tech-Rucksäcken mittrugen.<br />
Mir ging es schon nach<br />
dem zweiten Tag so, dass ich<br />
die Hälfte der Dinge, die ich<br />
für meinen mittlerweile dritten<br />
Alpengrenzgang-Versuch<br />
mitgenommen hatte, auspackte<br />
und auf den Weg nach Hause<br />
schickte. Der persönliche<br />
Komfort litt etwas darunter,<br />
aber jedes Gramm zählt. Das<br />
Mini-Charles-Bukowski-Buch<br />
musste leider auch den Nachhauseweg<br />
antreten, obwohl es<br />
für die Aufheiterung am Abend<br />
gedacht war, doch es stellte<br />
sich heraus, dass Parkbank,<br />
Schlafsack und Sternenhimmel<br />
vollkommen zum<br />
Aufheitern reichten. Parkbank<br />
zugegebenermaßen<br />
aus der Not heraus, da ich<br />
mich auch von meiner<br />
200-Gramm-Isomatte<br />
trennte – auch 200<br />
Gramm können zu viel<br />
Ballast sein.<br />
Tag zwei sollte jedoch<br />
schon der erste Moment<br />
sein, an dem die Ankunft<br />
in Nizza in weite Ferne<br />
rückte. Morgens an der<br />
Muttekopfhütte gestartet,<br />
ging es zum Höhenweg,<br />
wo ich mir an den Felsplatten<br />
den Fuß stieß. Mit<br />
BILD: Nicht nur<br />
schlechtes Wetter,<br />
auch Schmerzen<br />
begleiteten Adrian<br />
auf seiner Strecke.<br />
(© Adrian Niski)<br />
ziemlichen Schmerzen stieg ich ins Tal ab<br />
und tüftelte bereits an einer Plan-B-Route<br />
für diesen Tag. Dieser endete in Lech,<br />
und ich hoffte beim Sonnenuntergang auf<br />
Besserung für die kommenden Etappen.<br />
Leider war das nicht der Fall. So hieß es<br />
für mich, jeden Tag erneut eine Plan-B-<br />
Route zu planen, da sich der Zustand meines<br />
Fußes nicht besserte. Entweder es<br />
war eine starke Prellung, oder, was mich<br />
bei jedem Schritt verunsicherte, eventuell<br />
sogar ein Bruch. Also fand ich nach ein<br />
paar Kilometern eine Lauftechnik, die zwar<br />
mehr nach Humpeln aussah, das aber<br />
zumindest halbwegs schmerzfrei war.<br />
In den letzten vier Jahren seit dem ersten<br />
Versuch, nach Nizza zu laufen, lernte ich<br />
viel dazu. Nicht nur die Sicht auf die Dinge,<br />
die unvorhergesehen kommen, wie eine