Leseprobe
Jakob Prandtauer 1660–1726 Baumeister des Barock
Jakob Prandtauer 1660–1726
Baumeister des Barock
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DAS AUGUSTINER-CHORHERRENSTIFT
ST. ANDRÄ AN DER TRAISEN
Einleitung
Das Augustiner-Chorherrenstift St. Andrä an der Traisen
(Abb. 52 und 53) liegt nordwestlich von St. Pölten, nur
wenige Kilometer von Herzogenburg entfernt. Im Unterschied
zu den Stiftsanlagen von Melk, St. Florian, Dürnstein
oder auch Herzogenburg besitzt der St. Andräer
Stiftskomplex ganz schlichte Fassaden (Abb. 54). Auch
das Innere ist karg: Bedingt durch die Aufhebung des Stiftes
1783 und die daran anschließende Umnutzung haben
sich nur wenige Reste der barocken Ausstattung erhalten.
Der Blickfang des Komplexes ist die ab 1726 im Zuge der
durchgreifenden Neugestaltung um 180 Grad gedrehte
und folglich gewestete Kirche mit ihrer repräsentativen
Fassade (Abb. 62) sowie dem im Kern aus dem Mittelalter
stammenden Turm.
Der obere Abschluss des Kirchturms, der im 19. Jahrhundert
durch einen Brand zerstört wurde, in verschiedenen
alten Ansichten aber bildlich überliefert ist
(Abb. 61), bildet den einzigen Bauteil, der bislang eindeutig
Jakob Prandtauer zugewiesen werden konnte.
Die Grundlage dafür ist ein undatierter Kostenvoranschlag
für die Neugestaltung des Turmabschlusses, der
mit den Worten Thurn Project, von Prandtauer bezeichnet
ist und eindeutig die Handschrift des Baumeisters trägt
(Abb. 60). Hermann Göhler, dem wir den ersten umfassenden
Aufsatz zur Baugeschichte von St. Andrä verdanken,
hat den Kostenvoranschlag erstmals im Wortlaut
publiziert und ausgewertet. 1 Göhler konnte nicht nur
erstmals belegen, dass Prandtauer tatsächlich in St. Andrä
tätig war, er hat auch mit Recht vermutet, dass die
Idee zur Drehung der Kirche um 180 Grad auf Prandtauer
zurückgeht. Dieser These hat sich in der Folge Alexander
Wahl in seiner 1945 verfassten Dissertation über die
Geschichte von St. Andrä angeschlossen. 2 In den 1990er
Jahren hat sich schließlich noch Ilse Schütz in zwei Aufsätzen
mit der Stiftskirche von St. Andrä befasst und dabei
betont, dass die Umorientierung der Kirche auf
Prandtauer zurückgeht, die Gestalt des heute bestehenden
Baus, vor allem die Fassade, aber nichts mit ihm zu
tun hat. 3
Wie bei den meisten am Ende des 18. Jahrhunderts
aufgehobenen Klöstern ist auch im Falle von St. Andrä
die Quellenlage nicht allzu gut. Die wichtigste schriftliche
Quelle sind die Annalen des Propstes Augustin Erath (amt.
1698–1719; Abb. 56), die Rückschlüsse auf das Baugeschehen
und das einstige Aussehen des Klosters zulassen,
Abb. 52 Stift St. Andrä an der Traisen, Luftbild
1
GÖHLER 1936, 138–139, 145–146. Vor Göhler haben sich lediglich
zwei Autoren kurz mit St. Andrä und der Prandtauer-Frage befasst:
Ludwig Koller hat die Stiftskirche 1918 aufgrund der „Nähe
der Stadt St. Pölten“ sowie aus „zeitlichen Gründen“ Prandtauer
zugeschrieben (KOLLER 1918, 63). In seiner 1926 erschienenen
Prandtauer-Monografie vertrat Hugo Hantsch die Meinung, die
Stiftskirche habe nichts mit Prandtauer zu tun, sondern sei am
ehesten Joseph Munggenast oder einem Wiener Architekten zuzuweisen
(HANTSCH 1926, 93; siehe auch HANTSCH 1933, 348).
2
WAHL 1945, 155. In dem auf der Grundlage der Vorarbeiten
von Ernst Klebel erstellten Werkverzeichnis, das anlässlich des
Prandtauer-Jubiläums 1960 erschienen ist, wurde St. Andrä unter
jene Bauten eingereiht, für die sich keine konkreten stilistischen
Anhaltspunkte finden (AUSST.-KAT., PRANDTAUER 1960,
35 [Werkverzeichnis nach ERNST KLEBEL]).
3
SCHÜTZ 1992, 2, 4 und SCHÜTZ 1994, 112–114, 118.
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