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Später jedoch wäre das Ganze wahrscheinlich<br />
radikaler geworden, wenn wir<br />
vorher nicht alle verhaftet worden wären.<br />
Obwohl, wie das da in den Bergen hätte<br />
zugehen sollen, das wussten wir alle<br />
nicht, wir waren ja nicht zum Partisanenkrieg<br />
ausgebildet. Die Pusterer-Buam<br />
hatten großes Glück, dass man sie nicht<br />
erwischt hat, als sie später zu Fuß über<br />
die Berge kamen, um weitere Anschläge<br />
zu verüben. Auch in der Rudl oben sollen<br />
sie ein Versteck gehabt haben. Die<br />
Carabinieri kannten sich in den Bergen<br />
nicht aus, das war der große Vorteil der<br />
Pusterer-Buam.<br />
Wir, die verhaftet worden sind, haben<br />
unsere Strafe abgesessen und sind dann<br />
wieder nach Hause zurückgekommen<br />
und hatten dann mehr oder weniger<br />
unsere Ruhe: Wir sind zwar noch jahrelang<br />
bewacht worden. Meine Frau<br />
hatte einen Pacht etwas außerhalb von<br />
Bozen, die Haselburg. Dort waren ein<br />
Gasthaus und eine Landwirtschaft, und<br />
da war Tag und Nacht jemand im Berg<br />
oben der uns beobachtet hat. Wenn ich in<br />
die Stadt zum Einkaufen bin, da fuhren<br />
im Auto immer die gleichen Gesichter<br />
hinter mir her, natürlich kannte ich die<br />
mit der Zeit.<br />
In der Haft sind drei gestorben, der<br />
Hofler Franz und der Gostner Toni,<br />
die haben zu viel Schläge gekriegt. Der<br />
Kerschbaumer Sepp wird wohl einen<br />
Herzinfarkt gehabt haben. Den Gostner<br />
Toni haben sie nach dem Urteil wieder<br />
vom Gefängnis herausgeholt und geschlagen,<br />
das war gesetzeswidrig. Durch<br />
die Schläge auf den Rücken und auf die<br />
Beine können sich Blutgerinnsel bilden,<br />
wenn die zum Herz kommen, dann ist<br />
es vorbei. Natürlich heißt es dann „eines<br />
natürlichen Todes“ gestorben, aber da<br />
gehen die Meinungen auseinander. Aus<br />
politischen Gründen passieren heute<br />
Misshandlungen wie früher, vielleicht mit<br />
noch schlimmeren Methoden, so dass man<br />
gar keine Wunden sieht. Uns haben sie<br />
noch mit brennenden Zigaretten verletzt.<br />
Und vor allem mit Quarzlampen: In die<br />
musste man stundenlang hineinschauen,<br />
währenddessen die Hände ständig hoch<br />
halten. Wenn die Hände langsam nach<br />
unten sanken, hast du eine mit dem Ge-<br />
inso blattl | aktuelle dorfsplitter - bildung und kultur<br />
wehrkolben gekriegt. Die Quarzlampen<br />
waren so stark, da hast du nichts gesehen,<br />
tagelang nicht mehr, einige haben ihr Augenlicht<br />
dadurch für immer geschädigt.<br />
Dazu war es warm, und so musste man<br />
stundenlang stehen. Und immer nackt!<br />
In dem Moment, wo du nackt bist, hast<br />
du nur noch die halbe Kraft. Sie können<br />
dich ja befragen, tagelang befragen, aber<br />
sie können dich nicht ohne Essen, ohne<br />
Trinken, ohne Schlaf und sc<strong>hon</strong> gar nicht<br />
ohne Kleidung lassen. Die Carabinieri<br />
sagten, für die Verhöre hätten sie „carta<br />
bianca“. Sie konnten mit uns also tun was<br />
sie wollten. Vom Innenminister Scelba ging<br />
das aus. Das steht auch in den Büchern<br />
drein. In Eppan in der Kaserne waren die<br />
Misshandlungen am Brutalsten. Verhöre<br />
gab es in Neumarkt, Meran und Bozen,<br />
und wenn sie da nicht zufrieden waren,<br />
kam man zur Spezialbehandlung nach<br />
Eppan, dort ist es richtig aufgegangen. Die<br />
hatten dort bestimmte Leute, du brauchst<br />
da nämlich die gewissen Leute, alle können<br />
das nicht. Nach einigen Tagen kannst du<br />
nicht mehr! Die Carabinieri wechselten<br />
sich ja laufend ab, du aber hattest keine<br />
Pause. Da willst du nur noch sterben! Das<br />
kann man nicht beschreiben, nur noch<br />
tot sein willst du da. Du sagst alles, was<br />
sie hören wollen. Auch das was du nicht<br />
getan hast, gibst du noch zu.<br />
Dann war ich drei Jahre im Gefängnis<br />
und am 19. Juli vor 47 Jahren bin ich<br />
nach Hause gekommen. Sc<strong>hon</strong> am 18.<br />
Juli gegen 10 Uhr sind wir in Mailand<br />
mit dem Bus abgeholt worden. Als wir zu<br />
Hause ankamen, war es der 19. Juli, weil<br />
der Bus eine von der Polizei angegebene<br />
Route fahren musste. Sie befürchteten, es<br />
seien viele Leute da, um uns zu empfangen,<br />
zum Teil war es dann auch so. Die<br />
Bevölkerung stand hinter uns - einzelne<br />
Gegner wird es immer geben - aber der<br />
Großteil war auf unserer Seite. Das hat<br />
man auch bei den Beerdigungen gemerkt.<br />
Beim Kerschbaumer waren 25 bis 30<br />
tausend Leute, von Frangart bis Pauls<br />
standen die Leute wie bei einem Festumzug<br />
am Straßenrand. Auch meine Frau - wir<br />
kannten uns damals sc<strong>hon</strong>- hat immer<br />
zu mir gehalten. Das gab Kraft.<br />
Die Menschen waren sehr überrascht<br />
von der Heftigkeit der Anschläge. Beim<br />
Mailänder Prozess wurde vielen bekannt,<br />
wogegen wir uns mit den Anschlägen<br />
gewehrt hatten. Ohne diesen Prozess<br />
hätten wir im Autonomiebestreben nicht<br />
viel Erfolg gehabt.<br />
Bis dahin wusste ich nichts vom Art.<br />
241. Ein Verstoß gegen diesen Artikel<br />
hatte lebenslängliche Haft zur Folge gehabt<br />
und dies war der Fall, wenn jemand<br />
offen die Selbstbestimmung befürwortete.<br />
Deswegen bezeichnete der Altlandeshauptmann<br />
Magnago auf Sigmundskron sein<br />
Streben als „Los von Trient“ und nicht<br />
„Los von Rom“. Beim Prozess war es<br />
für uns wichtig auszusagen, dass man<br />
die Autonomie wollte, jedoch nicht die<br />
Selbstbestimmung.<br />
Die Verhandlungen der Außenminister<br />
mit Bruno Kreisky sind im Sand verlaufen,<br />
die haben nichts gebracht. Der italienische<br />
Innenminister hat abgewinkt, es sei eine<br />
innerpolitische Angelegenheit, Südtirol<br />
habe seine Autonomie erhalten, da sei<br />
nichts weiter zu machen. Nach den Sprengungen<br />
aber kam es zur 19er Kommission,<br />
dann brachten die Verhandlungen auf<br />
einmal etwas.<br />
Die Frage an Franz Riegler, ob er noch<br />
Kontakt zu den früheren Kameraden<br />
habe, bejahte er. Einmal im Jahr treffen<br />
sie sich noch. Nicht mehr alle können<br />
kommen. Sie nehmen ihre Frauen mit,<br />
kochen Polenta, essen eine Wurst dazu<br />
und ratschen ein bisschen. Über die<br />
alten Zeiten wird kaum mehr geredet.<br />
Bereuen? Nein, er bereue nichts, das hat<br />
so sein müssen. Wie zufrieden er mit der<br />
Gemeindepolitik und mit dem Dorfleben in<br />
Welsberg allgemein sei, wollten wir auch<br />
noch wissen. Er meinte, wirtschaftlich<br />
sei es wohl eine starke Gemeinde, aber<br />
vom Volkspolitischen und Religiösen<br />
her gesehen, da wünschte er sich Vieles<br />
anders. Und immer wieder unterstrich<br />
er, dass sich die Leute für die Geschichte<br />
interessieren sollten.<br />
Danke, Herr Riegler, für das beeindruckende<br />
Gespräch und alles Gute!<br />
›Verena Messner<br />
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