gab Mai / Juni 2021
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GESELLSCHAFT<br />
KAROL<br />
„Hier in Polen scheinen die Kirche und die LGBTIQ*-<br />
Community das Gegenteil voneinander zu sein<br />
und klar getrennt. Wir als queere Christ*innen wollen<br />
zeigen, dass es möglich ist, diese beiden Identitäten<br />
miteinander zu verbinden.“<br />
Westens dar, die bekämpft werden müsse.<br />
Was der Erzbischof sagt, hat Gewicht:<br />
Etwa neunzig Prozent der polnischen<br />
Bevölkerung sind katholisch.<br />
„Meine Kirche hasst mich.“ So fasst Karol<br />
Szymonik die aktuelle Situation zusammen.<br />
Der 26-Jährige ist gläubiger Christ<br />
– und schwul. „Ich habe zu Gott gebetet,<br />
dass er das von mir nimmt“, sagt er, wenn<br />
er an seine Schulzeit zurückdenkt. Karol<br />
stammt aus der kleinen Stadt Oświęcim.<br />
Dort kannte er keinen anderen schwulen<br />
Mann. Sich zuzugestehen, homosexuell<br />
zu sein, fiel ihm schwer. „Erst als ich für<br />
mein Studium nach Krakau kam, habe<br />
ich mich freier gefühlt.“ Dort hörte er das<br />
erste Mal von anderen schwulen Männern<br />
und vertraute sich seinen engsten<br />
Freund*innen an. Nach und nach erzählte<br />
er es mehr Kommiliton*innen, ehe er sich<br />
schließlich outete. Am schwersten war<br />
es für Karol, gegenüber seinen streng<br />
katholischen Eltern offen zu sein: „Sie<br />
waren sehr überrascht, sie haben nicht<br />
einmal in Erwägung gezogen, dass so<br />
etwas möglich ist.“ An das Gespräch<br />
mit seiner Mutter kann er sich noch gut<br />
erinnern, obwohl es inzwischen vier Jahre<br />
her ist: „Als ich mich geoutet habe, hat<br />
meine Mutter heftig geweint. Das war<br />
eine schwierige Unterhaltung zwischen<br />
uns. Danach wusste ich nicht, ob das für<br />
sie in Ordnung ist oder nicht.“ Seit dem<br />
Gespräch wird über Karols Sexualität in<br />
der Familie geschwiegen.<br />
Karol arbeitet inzwischen in Krakau als<br />
Tierarzt. „Während meines Studiums<br />
habe ich darüber nachgedacht, aufs<br />
Land zu ziehen und Kühe zu behandeln.<br />
Aber dann habe ich mir gedacht: Ich<br />
bin schwul – so kann ich nicht leben.<br />
Auf dem Land ist es viel gefährlicher für<br />
mich.“ In Krakau fühlt sich Karol wohl,<br />
zumindest bis zu einem gewissen Grad:<br />
„Es gibt Orte, an denen wir uns gemeinsam<br />
treffen können, es gibt Kirchen, in<br />
die wir gehen können, wo wir akzeptiert<br />
sind – es ist sehr viel angenehmer als<br />
in den Dörfern. Aber trotzdem gibt es<br />
überall Zeichen von Homophobie.“ Es<br />
fällt Karol schwer, diese Ambivalenz in<br />
Worte zu fassen. Auf der einen Seite eine<br />
Freiheit, von der er in seinem Heimatdorf<br />
nicht einmal träumen konnte, auf der<br />
anderen Seite die ständige Angst, doch<br />
auf die falschen Leute zu treffen. „Wenn<br />
ich nachts mit meinen Freunden unterwegs<br />
bin, habe ich diesen Gedanken im<br />
Kopf, dass die Leute erkennen, dass wir<br />
schwul sind, und uns deswegen zusammenschlagen<br />
werden.“ Vieles könnte<br />
besser sein in Krakau, „aber es ist gerade<br />
nun einmal, was es ist“, sagt Karol..<br />
ABLENKEN VOM MISS-<br />
BRAUCHSSKANDAL<br />
Karol redet ruhig und konzentriert, nur<br />
wenn er über die Ungerechtigkeiten in<br />
seinem Land spricht, wird er merklich<br />
aufgebrachter, seine Stimme wird<br />
schneller, er fängt an zu gestikulieren.<br />
„Hier in Polen scheinen die Kirche und<br />
die LGBTIQ*-Community das Gegenteil<br />
voneinander zu sein und klar getrennt.“<br />
Um das zu ändern, engagiert sich Karol in<br />
der Initiative „Glaube und Regenbogen“.<br />
„Wir als queere Christ*innen wollen<br />
zeigen, dass es möglich ist, diese beiden<br />
Identitäten miteinander zu verbinden.“<br />
Mit der aktuellen Kirchenführung fällt das<br />
nicht immer leicht, aber Karol hat einen<br />
Weg für sich gefunden: „Die Bischöfe in<br />
Polen sind die eine Sache, mein Glaube ist<br />
etwas anderes. Ich höre nicht so genau hin,<br />
worüber die Priester in ihrer Predigt reden<br />
– denn das tut mir manchmal weh.“<br />
Dass sich die Rhetorik der katholischen<br />
Kirche in den vergangenen Monaten noch<br />
einmal verschärft hat, ist für Karol kein<br />
Zufall. Ähnlich wie in Deutschland erschütterte<br />
auch in Polen ein Missbrauchsskandal