höh enzollerische heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
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OSCAR HECK<br />
HÖH ENZOLLERISCHE<br />
HEIMAT<br />
20. Jahrgang 1970 Nr. t<br />
Die Denkmalpflege in Hohenzollern im Jahre 1969<br />
Bericht des Landeskonservators der Kunstdenkmäler in Hohenzollern<br />
Still und ohne großen Lärm haben eine Reihe hoh<strong>enzollerische</strong>r<br />
Bau- und Kunstdenkmäler im vergangenen<br />
Jahr wieder eine Auffrischung erfahren. Hiervon sei<br />
folgendes berichtet, wobei der Berichterstatter zu entschuldigen<br />
bittet, wenn das eine oder andere Beispiel<br />
schon im Jahresbericht 1968 erwähnt sein sollte.<br />
Den meisten Besuchern der Weilerkapelle in Owingen ist<br />
auch das Steinkreuz bekannt, das auf der bisher freigebliebenen<br />
Fläche südlich der Kirche stand. Daß es dem<br />
Bildhauer Johann Georg Weckenmann zugeschrieben ist,<br />
war durch den allseits aufgetretenen Moosbelag kaum<br />
mehr zu beweisen. Noch weniger waren sich die Einwohner<br />
des Ortes darüber im klaren, ob und wieviele<br />
Risse den Stein des Kunstwerkes gefährdeten. Auf den<br />
Rat des Denkmalpflegers wurde die störende Moosschicht<br />
vorsichtig abgenommen. Darunter zeigte sich eine barocke<br />
Plastik von ausgezeichneter Form und blendender Oberfläche.<br />
Doch die aus rotem Sandstein bestehende Skulptur<br />
war an allen Teilen von starken Rissen aufgespalten,<br />
und niemand konnte einem sagen, wieviele Winter sie<br />
noch halten würde. Eines hatte jedoch die Abnahme des<br />
Mooses erwiesen, daß es nämlich unmöglich ist, die Originalplastik<br />
im Freien zu bewahren. Jetzt blieb nur noch<br />
übrig, eine genaue Kopie machen zu lassen und das Original<br />
in einem geschlossenen Kirchenraum aufzustellen, wo<br />
weder Nässe noch Frost der Figur etwas anhaben konnte.<br />
Die Figur wurde im Laufe des Jahres von den Bildhauern<br />
Gerhard Halbritter und Alfred Vees geschaffen. Es ist<br />
geplant, für die Kopie noch einen neuen Sockel nach einem<br />
Weckenmann'schen Original zu schaffen. Sobald dieser<br />
neue Sockel fertig sein wird, kann das Kreuz an der Südwand<br />
der Kirche aufgestellt werden.<br />
Die schon im Vorjahr begonnenen Arbe ; ~.en an der Burgruine<br />
in Dießen konnten 1969 zu einem vorläufigen Abschluß<br />
gebracht werden. Zwei fotografische Aufnahmen<br />
vor und nach der Instandsetzung zeigen, was gemacht<br />
werden konnte: aus einer im Wildwachs schier erstickten<br />
Ruine wurde wieder eine in sich gefestigte Burg, die zu<br />
besuchen sich ,etzt schon lohnt.<br />
In Glatt s d d Instandsetzungsarbeiten in der Pfarrkirche<br />
beendet worden. Das Gerüst steht jetzt am Äußeren<br />
des Bauwerks, das im kommenden Frühjahr neu verputzt<br />
werden soll.<br />
Das Pfarrhaus in Heiligenzimmern wurde wiederhergestellt.<br />
Aber auch die Baudenkmale in Haigerloch kommen<br />
noch nicht zur Ruhe: während die Dächer der Schloßkirche<br />
mit roten Biberschwänzen neu gedeckt wurden, ist<br />
beim Pfarrhaus St. Anna außen und innen eine Erneuerung<br />
im Gange.<br />
Herauegegeben oom<br />
4P 3828 F<br />
Hohenzollerilchen Gelchichteoerein<br />
in Verbinöung mit öen<br />
Staatlichen Schulämtern Hechingen<br />
unö Sigmaringen<br />
Christuskopf vom Steinkreuz bei der Weilerkirche in Owingen von<br />
Johann Georg Weckenmann, nach der .Restaurierung.<br />
Foto: Keidcl-Daiker<br />
Gruol besitzt rings um die mittelalterliche Friedhofskirche<br />
einen sehr schön gelegenen Friedhof, für dessen Erweiterung<br />
im vergangenen Jahr ein guter Plan aufgestellt worden<br />
ist.<br />
Grosselfingen bemühte sich um die Erneuerung der Kapelle<br />
zur Schmerzhaften Muttergottes, die in der Hauptsache<br />
von Mitgliedern der Narrengilde instandgesetzt<br />
wurde.<br />
Während die schwierigen Besprechungen über die Finanzierung<br />
der bevorstehenden Bauarbeiten in der K .che<br />
St. Luzen in Hechingen noch nicht zu einem glücklichen<br />
Ende geführt werden konnten wurde der Außenputz der<br />
Spittelkirche und des Spitteis in Hediingen fast vollständig<br />
ausgeführt.
Burgruine Dießen, nach der Restaurierung. Foto: Feist<br />
In der Kirche zu Stein, wo der Kunstmaler Josef Lorch<br />
aus Füssen ein großes Deckenbild in neuzeitlicher Manier<br />
geschaffen hat, gingen die Wiederherstellungsarbeiten zu<br />
Ende.<br />
Dagegen ist die Gemeinde Weilheim immer noch bemüht,<br />
das Innere der Urbanskapelle in Ordnung zu bringen.<br />
Im Hochsommer konnte die St.-Anna-Kapelle auf dem<br />
Kornbühl bei Salmendingen eingeweiht werden. Dank<br />
der Tatkraft des Landratsamts und der Pfarrgemeinde ist<br />
es gelungen, den kirchlichen Innenraum zu bereinigen,<br />
einen neuen Sandsteinboden zu verlegen, den Altar zu<br />
vereinfachen und eine Anzahl Binsenstühle in den Raum<br />
zu stellen. D - e Kapelle macht jetzt wieder einen guten,<br />
geordneten Eindruck.<br />
Auch im benachbarten Melchingen wurde jetzt das Äußere<br />
der Pfarrkirche renoviert. Eine solche Gelegenheit wird<br />
gern dazu benützt, unvorteilhafte Bauglieder durch bessere<br />
zu ersetzen. Dies ist auch hier geschehen.<br />
In]ungingen ist ein Fachwerkgiebel neu gefärbelt worden;<br />
im übrigen beschrankte man sich darauf, gute Ortsbaupläne<br />
zu schaffen.<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hohen zoller! seilen Ge-<br />
schichtsverein in Verbindung mit den Staat-<br />
lichen Schulämtern Hechingen und Sigmarin-<br />
gen. Verlag- Hoh<strong>enzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />
748 Sigmaringen, Karlstraße 3. Drude: M.Lieh-<br />
ners Hofbuchdruckerei KG, 748 Sigmaringen,<br />
Karlstraße 10.<br />
Die Zeitschrift „Hohenzolleriscke Heimat" ist<br />
eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will be-<br />
sonders die Bevölkerung in Hohenzoliern mit<br />
der Geschichte ihrer Heimat vertraut machen.<br />
Sie bringt neben fachhistorischen auch populär<br />
gehaltene Beiträge aus der Gesdiichte unseres<br />
Landes. Sie enthält daneben einen besonderen<br />
Teil für die Schule und den Lehrer.<br />
Bezugspreis: halbjährlich 1.40 DM<br />
Bestellung der Zeitschrift kann erfolgen bei<br />
jedem Postamt oder beim Sdiriftleiter.<br />
Die Mitarbeiter dieser Nummer:<br />
Oscar Heck, Landeskonservator<br />
745 Hechingen, Hölderlinweg 8<br />
Telefon 07471/5142<br />
Johann Jerg, Studiendirektor a. D.<br />
748 Sigmaringen, Roystraße 2<br />
Telefon 07571/9422<br />
Frof. Dr Franz Kircbheimer<br />
Präsident des Geologischen Landesamts<br />
78 Fre.burg i. Br., Albertstraße 5<br />
Johann Adam Kraus<br />
Pfarrer und Erzb. Archivar i. R.<br />
78 Freiburg-Littenweiler, Badstraße 2<br />
Walter Sauter, Schriftleiter a. D. "<br />
745 Hechingen, Prager Straße 16<br />
Telefon 07471/5787<br />
Ernst Schnitze, Fürstl. Oberforstrat<br />
745 Hechingen, Zollerstraße 9<br />
Telefon 07471/2391<br />
Johannes Wannenmacher, Schulrat a. D.<br />
7487 Gammertingen<br />
Die Wallfahrtskirche Maria Zell bei Boll wurde außen<br />
neu verputzt; Pläne zur Instandsetzung des Inneren liegen<br />
vor.<br />
Ein wesentlicher Bestandteil der Burg Hohenzollern ist<br />
erneuert worden: der Burghof erhielt eine neue Pflasterung.<br />
Bisher war der Hof wegen seiner Unebenheit schwer<br />
zu begehen; nun hat man ihn geebnet und entwässert.<br />
Eine solche Arbeit verlangt sehr eingehende Vorarbeiten<br />
und Planungen. Um den Maßstab des Großen Hofes an<br />
die kleinmaßstäbliche Architektur der Wände anzupassen,<br />
wurde die Hoffläche durch gepflasterte Streifen und geteerte<br />
Zwischenfelder im Viereckjmuster gegliedert.<br />
Die Vereinigung der ehemaligen preußischen und sächsischen<br />
Kadetten hielt im September 1969 auf der Burg<br />
Hohenzollern einen Bundeskadettentag ab. Bei dieser<br />
Gelegenheit wurde eine Gedenktafel für alle Kadetten<br />
eingeweiht.<br />
Durch ein Erdbeben im Frühjahr 1969 wurde der in halber<br />
Höhe des Zollerberges stehende Wasserturm an seinem<br />
Turmhelm beschädigt; der steinerne Helm ist wieder in<br />
Ordnung gebracht worden.<br />
Auf dem Friedhof in Steinhofen errichtete die Gemeinde<br />
Bisingen eine Leichenhalle mit Aussegnungsraum.<br />
Dem Denkmalpfleger fiel ein Stein vom Herzen, als er<br />
erfuhr, daß das Kloster in Beuron vorerst davon absehen<br />
wolle, das Innere des Chores der Klosterkirche umzugestalten.<br />
Die hierfür vorgesehenen Mittel werden für die<br />
Neugestaltung der Heizungsanlage im Kloster und für<br />
sonstige Veränderungen benötigt. Damit ist für den Kirchenraum<br />
noch ein kleiner Aufschub gewonnen worden,<br />
was nur begrüßt werden kann.<br />
Im Rathaus zu Gammertingen wurde das schöne Treppenhaus<br />
neu gestrichen. Damit erhielt dieser Raum das ihm<br />
gemäße klassizistische Aussehen wieder.<br />
Die Pfarrkirche in Gammertingen konnte nach gründlicher<br />
Instandsetzung, die rund 400 000 DM kostete, fertiggestellt<br />
werden. Hier wurde viel geleistet, und dem Raum,<br />
der aus klassizistischer Zeit stammt, sieht man die vollzogenen<br />
Änderungen wohl an. Insbesondere der Chor<br />
wurde durch vielfache plastische Ausstattungsstücke (Bildhauer<br />
Steidle in Schwenningen) und durch gute abstrakt<br />
detaillierte, .n Grautönen gehaltene Fenster (Emil Wächter,<br />
Karlsruhe) neu gestaltet. Für die Neuordnung des<br />
Chores hat sich das katholische Stadtpfarramt im Smne<br />
des zweiten Vatikanischen Konzils stark eingesetzt.<br />
Die Pfarrkirche in Sigmo, mgendorf erfährt z. Zt. eine<br />
Wiederherstellung des Äußeren. Hierbei wurde vor allem<br />
die Dachlösung des Turmes bereinigt. Zwei aus dem<br />
Schriftleiter:<br />
N. N.<br />
Redaktionsausschuß:<br />
Hubert Deck, Konrektor<br />
745 Hechingen, Tübinger Straße 28<br />
Telefon 07 T/1/2937<br />
Helmut Lieb, Hauptlehrer<br />
748 Sigmaringen, Hohkreuz la<br />
Telefon 07571/9564<br />
Die mit Namen versehenen ArtiKel geben die<br />
persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />
diese zeichnen für den Inhalt der Beitrage verantwortlich.<br />
Mitteilungen der Schriftleitung<br />
sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare werden<br />
an die Adresse des Schriftleiters oder Redaktionsaussdiusses<br />
erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die „Hohenzolierische<br />
Heimat" weiter zu empfehlen.
Martyrium des hl. Erasmus 1<br />
Fresko in der renovierten<br />
Kirche von Veringendorf<br />
Foto: Hell<br />
19. Jahrhundert stammende Türmchen konnten zugunsten<br />
der Treppengiebel wieder entfernt werden.<br />
Im Kloster zu Wald wurde die alte, barocke Kapelle<br />
instandgesetzt. Deren schwere Stuckdecke, die herabzustürzen<br />
drohte, mußte zunächst hintergossen und damit<br />
befestigt werden. An der Eingangsseite wurde der Kachelofen<br />
vorsichtig abgebrochen und in einem Raum des Erdgeschosses<br />
wiederaufgestellt. Die Kapelle selbst erhielt<br />
als Erweiterung zw: • kleinere Nebenräume an der Eingangsseite.<br />
Im Kloster Habsthal erfreut man sich seit einigen Jahren<br />
einer mit Energie durchgeführten Erneuerung. Nachdem<br />
das Äußere des Klosters in mehreren Jahresetappen wiederhergestellt<br />
worder ist, legte man :m vergangenen Jahr<br />
Hand an den Innenhof, der sich mit seiner quadratischen<br />
Form nach dem Neuverputz der Wände und nach erfolgter<br />
Rekonstruktion der drei Sonnenuhren im besten Lichte<br />
bietet. Der Klostergarten erhielt eine neue Ummauerung;<br />
die ölbergkapelle wurde erneuert. Den Kapuelsaal hat<br />
ein Restaurator farbiidi neu gefaßt.<br />
Und nun beginnt die Instandsetzung des Kircheninneren.<br />
Zunächst wird der Raum über der Empore eingerüstet.<br />
Dort hat sich das von dem Maler Gottfried Bernhard<br />
Götz geschaffene barocke Deckenbild vom Putzträger gelöst.<br />
Es stürzte teilweise ab und muß nun schnellstens<br />
wieder an die Lattung gebunden werden. Der Kirchenraum<br />
ist verknüpft mit bekannten Namen: des Baumeisters<br />
Jodokus Beer, des Malers Matthäus Zehenter, der<br />
die Altarblätter malte, und mit Franz Joseph Spiegier,<br />
dem Maler eines Bildwerks mit der hl. Katharina. Außer<br />
den genannten Künstlern ist aber wahrscheinlich auch der<br />
berühmte Stukkator Joseph Anton Feuchtmaier in der<br />
Kirche tätig gewesen. D'e beginnende Gesamtrestaurierung<br />
wird also mannigfache Probleme ergeben.<br />
Im Schloß Hohenfels, Gde. Kalkofen, einem ehemaligen<br />
Deutschordenssitz, der jetzt der Schule Salem u.ent, befindet<br />
sich eine Kapelle, deren Hochaltar in schlechtem<br />
Zustand war. Dieser Altar wurde im Laufe des Jahres<br />
instandgesetzt.<br />
Die Wiederherstellung der Kirche in Einhart konnte im<br />
Inneren nahezu beendet werden. Da in den Netzgewölben<br />
des Chores spätmittelalterliche Deckenmalereien gefunden<br />
worden sind, ist der Chor zu einem sehr schönen<br />
und wirkungsvollen Teil der Kirche geworden.<br />
Vor einigen Jahren wurde die Pfarrkirche zu Veringendorf<br />
außen und innen instandgesetzt. Dabei konnten eine<br />
Reihe interessanter Wand- und Gewölbemalereien aus der<br />
Zeit um 1330 freigelegt und restauriert werden. Die weiteren<br />
Aufdeckungsarbeiten mußte man damals unterbrechen.<br />
Im Laufe des vergangenen Jahres konnten sie aber<br />
beendet werden. Dabei kamen weitere wertvolle Wandmalereien<br />
zutage, deren Deutung jedoch noch nicht vollzogen<br />
ist. Veringendorf ist mit dieser malerischen Ausstattung<br />
in die erste Reihe der hoh<strong>enzollerische</strong>n Baudenkmäler<br />
gerückt. Zur Zeit wird das Pfarrhaus in Veringendorf<br />
wiederhergestellt.<br />
Ein sehr vernachlässigtes Fachwerkhaus in Kalkreute<br />
mußte aufgegeben werden, da es an den erforderlichen<br />
hohen M'tteln fehlte, die zur Instandsetzung des Bauwerks<br />
notwendig wären.<br />
Die Instandsetzung des Marstallgebäudes tl Krauchenwies,<br />
letzte Arbeiten an den Kirchen in Liggersdorf, Inzigkofen<br />
und Ostrach, die Planung der Wiederherstellung<br />
des Inneren der Friedhofskirche in Vilsingen, die Instandsetzung<br />
des Fachwerkhauses Storz in Trochtelfingen sowie<br />
weitere Ausbauarbeiten am Schloß in Straßberg wären<br />
zum Abschluß dieses Berichtes zu nennen.<br />
Der Landeskonservator hatte die Möglichst, an der<br />
diesjährigen Tagung der Landeskonservatoren der Bundesrepublik<br />
Deutschland in Ludwigsburg und Nordwürttemberg<br />
und an der Herbsttagung des Verbandes in Mainz<br />
teilzunehmen. Er bete 1, igte sich ferner an den Vierteljahresbesprechungen<br />
der badisch-württembergischen Denkmalpfleger<br />
in Tübingen, Rottweil, Mosbach und Steinhausen,<br />
an den Atzungen des Denkmalrats in Tübingen<br />
und Rottweil und an der jahrestagung des Kunstvereins<br />
der Diözese Rottenburg in Bad Buchau.<br />
3
Der Bericht soll indessen nicht abgeschlossen werden, ohne<br />
allen Restauratoren, Malern, Bildhauern und Kunsthandwerkern<br />
sowie den Architekten für die wertvolle Hilfe<br />
zu danken, die sie geleistet haben. Auch das Erzbischöfliche<br />
Bauamt in Konstanz hat wiederum eine Anzahl<br />
kirchlicher Bauten mit fester Hand umgestaltet. Dies alles<br />
wäre jedoch nicht möglich gewesen, hätten der Landes-<br />
WALTER SAUTER<br />
General Friedrich Wilhelm von Steuben<br />
In einer Gedenkfeier im Rahmen der deutsch-amerikanischen<br />
Freundschaftswoche ist am 11. Mai 1969 im Hechinger<br />
Fürstengarten vor der Villa Eugenia ein Gedenkstein<br />
an den General Friedrich Wilhelm von Steuben in Form<br />
eines Findlings mit Bronzeplatte enthüllt worden. Dies<br />
ist ein Anlaß, das Lebenswerk Steubens zu würdigen, der<br />
darauf Anspruch hat, eine Gestalt der Weltgeschichte genannt<br />
zu werden, eine Schlüsselfigur zwischen Deutschland<br />
und Amerika, der als Hofmarschall im Dienste des<br />
Fürsten Joseph Wilhelm von Hohenzollern-Hechingen<br />
stand und später als Heeresreformer entscheidenden Anteil<br />
an der Erringung der Unabhängigkeit der Vereinigten<br />
Staaten von Nordamerika hatte.<br />
Der Mann, dessen Laufbahn vom friderizianischen Offizier<br />
und Hechinger Hofbeamten geradezu sensationell<br />
anmutet, entstammte einer Familie mit nicht weniger bewegter<br />
Vergangenhe Ursprünglich bäuerlichen Standes,<br />
hatte sich der Großvater des Generals aus eigener Machtvollkommenheit<br />
das Zauberwörtchen „von" vor seinen<br />
Namen gesetzt, der vorher Steube hieß, und den Namen<br />
der ausgestorbenen adligen Familie Steuben usurpiert. Die<br />
Far Steuben - die Fälschung wurde erst nach ?00 Jahren<br />
entdeckt - war damit in die Oberschicht aufgeruckt,<br />
der allein die Laufbahn als Offiziere und der <strong>höh</strong>eren<br />
Verwaltung vorbehalten war Der Großvater des Generals,<br />
Augus.in Steuben, Sohn eines hessischen Pachtbauern<br />
aus Heldra an der Werra in Hessen und Prediger der<br />
reformierten Kirche, hatte wohlerwogene Gründe zu diesem<br />
angemaßten Standeswechsel, konnte er doch seinen<br />
Kindern in Ermangelung von Geld keine bessere Mitgift<br />
ins Leben mitgeben als das Adelspräaikat. Zudem<br />
stammte seine Frau, eine geborene Gräf. n von Efferen,<br />
aus ei er hochadligen Familie, so daß tatsächlich „blaues<br />
Blut" in den Adern der Steuben floß.<br />
Die Rechnung der Familie Steuben ging auf. Zwei Töchter<br />
heirateten in lie Ai stokr?tie, drei Söhne wurden<br />
Offiziere, von denen einer, Wilhelm Augustin von Steuben,<br />
uns als Vater des Generals besonders interessiert. Der<br />
preuf ^che Major von Steuben war ein ausgezeichneter,<br />
tapferer, aber auch abenteuerlustiger Offizier. Eine Zeitlang<br />
stand er in russischen Kriegsdiensten, kämpfte gegen<br />
die Türken und nahm nach seiner Rückkehr an den beiden<br />
schlesischen Kriegen ti I. Daß er beim Königshaus viel<br />
galt, bezeugen zwei ehrenvolle Auszeichnungen: Friedrich<br />
Wihelm II. war einer der Paten des Sohnes Friedrich<br />
Wilhelm, Friedrich der Große verlieh ihm den Orden<br />
Pour ie merite.<br />
Das Patenkind des Soldatenkönigs wurde durch militärische<br />
Umgebung und aie krieger ; -chen Zeiten von Jugend<br />
an zum Soldaten geformt. Seine vorzügliche Bildung,<br />
namentlich in der Mathema r k und Literatur, verdankte<br />
er der jesuitenschule in Breslau, für das Soldatenhandwerk<br />
selbst hatte er d: beste Schule, die es damals gab,<br />
das streng geschulte Heer des alten Fritz und den Sieben-<br />
4<br />
kommunalverband Hohenzollern und das Staatliche Amt<br />
für Denkmalpflege Tübingen nicht wesentliche Hilfe geboten:<br />
Von den beiden Stellen kamen und wurden als<br />
Beihilfen für instandsetzungsbedürftige Baudenkmale verwendet:<br />
20 000 DM und 256 900 DM.<br />
(Die Klischees zu den Abbildungen stellten uns freundlicherweise die<br />
Gemeinden Dießen, Owingen und Veringendorf zur Verfügung.)<br />
jährigen Krieg, in dem er sich durch glänzende Leistungen<br />
auszeichnete. Infanterie-Leutnant, Adjutant eines<br />
Freikorpsführers, Generalstabsoffizier, diplomatischer<br />
Unterhändler in Petersburg und Moskau bi-lm Friedensschluß<br />
mit Rußland und zuletzt Adjutant des Königs<br />
waren Etappen einer militärischen Laufbahn, die zu großen<br />
Hoffnungen berechtigte. Und doch sah sich Steuben<br />
nach K legsende vom Glück verlassen. Vom König vergessen<br />
und in einer Zeit des auf größte Sparsamkeit angewiesenen<br />
verarmten preußischen Staates, der seine<br />
Streitkräfte rücksichtslos demobilisierte, ohne Aussicht auf<br />
Beförderung, quittierte Steuben als Hauptmann den<br />
Dienst im preußischen Heer und konnte von Glück sagen,<br />
als er durch Vermittlung einer hohen Gönnerin, der mit<br />
dem württembergischen Thronfolger vermählten I :b<br />
lingsnichte Friedrichs des Großen, bei einer Zusammenkunft<br />
in Bad Wildbad als Hofmarschall in die Dienste<br />
des Fürsten Joseph Wilhelm von Hohenzollern-Hechingen<br />
treten konnte.<br />
Seinem neuen Amt in Hechingen stand Steuben, wl: ein<br />
Zeitgenosse bei tatet, „mit Anstand und Geschäftigkeit"<br />
vor und erwarb sich das vollkommene Vertrauen und die<br />
Zufriedenheit seines Herrn, in dessen Dienst er von 1764<br />
bis 1777 verblieb. So unwichtig die Hechinger Episode in<br />
diesem unruhigen Leben erscheinen mag, so war sie doch<br />
keineswegs unnütz vertan. In Hechingen gewann Steuben<br />
Einblick in die Verwaltung und Ökonomie. Der Fürst<br />
war zwar nicht reich und sein Ländchen klein, doch gehörte<br />
er tiner der ersten Familien Europas an. In seiner<br />
Gesellschaft, namentlich auf tiner aus Ersparnisgründen<br />
unternommenen mehrjährigen Re
Dem französischen Kriegsminister Graf de St Germain,<br />
der mit dem amerikanischen Vertreter in Paris, dem berühmten<br />
Erfinder des Blitzableiters Benjamin Franklin,<br />
auf der Suche nach einem tüchtigen Offizier war, kam<br />
es deshalb sehr gelegen, als Steuben, n alter Bekannter<br />
von ihm, ihn in Paris aufsuchte und den Wunsch äußerte,<br />
seine Dienste der amerikanischen Freiheitsbewegung zur<br />
Verfügung zu stellen. Die Angelegenheit hatte aber einen<br />
Haken. Steuben war wohl ein kriegserprobter Soldat von<br />
bester Schulung, stand aber nur im Hauptmannsrang. Um<br />
auf den Kongreß der amerikanischen Staaten Eindruck<br />
zu machen, mußte er mit einem <strong>höh</strong>eren militärischen<br />
Rang in Erscheinung treten. St. Germain, Franklin und<br />
der Dramatiker Beaumarchais, der dritte in dieser französisch-amerikanischen<br />
Politiker-Gruppe, gaben Steuben<br />
deshalb schlankweg als Generalleutnant aus und steckten<br />
ihn in eine glänzende Uniform. Mit einem Adjutanten<br />
und einem Ordonnanzoffizier schiffte sich Steuben im<br />
Herbst 177/ in Marseille ein.<br />
Die Lage, die er in Amerika antraf, war äußerst kritisch.<br />
Nach dreijährigem wechselvollem Ringen hatte das im<br />
vorhergegangenen Jahr geschlagene und auf wenige tausend<br />
Mann zusammengeschrumpfte Freiheitsheer in dem<br />
wilden Felsentai Valley Forge Winterquartier bezogen.<br />
Halb verhungert, in Lumpen gekleidet, schlecht bewaffnet,<br />
kaum ausgebildet und undisziplin .rt, sch :
ERNST SCHULTZE<br />
Das Jagdschloß Lindich<br />
Erinnerungen an die höfische Zeit im Fürstentum Hohenzollern-Hechingen<br />
In einer knappen Stunde wandert man von der Zollernstadt<br />
Hechingen hinaus zum Lindich. Früher war die<br />
Straße von zwei dichten Reihen alter Linden eingesäumt.<br />
Heute stehen nur noch ein Dutzend der mächtigen<br />
Bäume, unter deren Schatten einst die fürstliche Jagdgesellschaft<br />
des Hechinger Hofes hinausfuhr zur Jagd<br />
in den weiten Wäldern rund um das Jagd- und Lustschloß<br />
Lindich. Noch heute erinnern die Waldnamen an die<br />
Bedeutung des höfischen Jagdbetriebes. Da ist nahe bei<br />
Hechingen der „Fasanengarten", ein geschlossenes Waldgebiet,<br />
in dem heute kein Fasan mehr vorkommt, und<br />
westlich des Lindich beim „Staufenburger Hof" liegt der<br />
große Wald „Tiergarten". Bis zur Revolution 1848 war<br />
dieses Waldgebiet durch kilometerlange Holzgatter eingesäumt.<br />
Hirsche und Wildschweine lebten in diesem weiträumigen<br />
Gatterrevier wie in freier Wildbahn und dienten<br />
dem Fürsten und ihren Kavalieren zu jagdlicher Ergötzung<br />
nach dem Brauch der damaligen Zeit.<br />
Einer der alten Hechinger Fürsten war mit Leib und<br />
Seele Soldat und Jäger. Sein Name war Friedrich Ludwig<br />
von Hohenzollern-Hechingen. Im Jahre 1688 geboren,<br />
übernahm er 1727 von seinem Vater die Regierung.<br />
Ludwig war als Soldat im Range eines kaiserlichen Generalfeldmarschalls<br />
und Oberkommandierenden der österreichischen<br />
Truppen am Oberrhein viel von seinem Fürstentum<br />
abwesend. Er hat als Reiterführer in den Kriegen<br />
des Kaisers gegen Franzosen, Türken und aufständische<br />
Ungarn unter der Fahne des Prinzen Eugen gekämpft.<br />
Erst nach Übernahme der Regierung von seinem Vater<br />
widmete sich Ludwig von Hohenzollern-Hechingen den<br />
Regierungsgeschäften und der Jagd. Welche Rolle die<br />
Jagd damals spielte, können wir uns heute kaum vorstellen.<br />
Die Bauern mußten nicht nur ständige Verwüstungen<br />
ihrer Felder durch die Unmengen von Wild<br />
in Kauf nehmen, sie mußten auch bei den großen Hofjagden<br />
als Treiber Dienste tun.<br />
Die Wilderei wurde für unsere heutigen Beg ffe sehr<br />
hart bestraft. In einer Hechinger Chronik fand ich folgenden<br />
Bericht aus dem Jahre 1744, also aus der Regierungszeit<br />
des Fürsten Ludwig: „Der fürstliche Hofjäger<br />
Phi 1 pp Keppler aus Hechingen, der überführt wurde,<br />
in seinem Revier während zwei Jahren über 200 Fasanen<br />
gewildert und mit Hilfe von Josef und Anton Saile<br />
aus Hemmendorf veräußert zu haben, wurde zum Tod<br />
durch den Strang verurteilt, dann aber durch die Gnade<br />
des Fürsten zu l4jähnger, die b^.den Hehler zu vierjähriger<br />
Galeerenstrafe verurteilt und alle drei zur Strafverbüßung<br />
als Ruderknechte in Lisen von einem dazu<br />
kommandierten Gefreiten nach Venedig abgeführt."<br />
Bei einem seiner Jagdausflüge rastete der Fürst oberhalb<br />
des Staufenburger Hofes auf einem Plateau, von dem<br />
der Blick weit nach Süden zu den Bergen der Alb mit<br />
dem Hohenzollern und nach Norden über die großen<br />
Wälder zu beiden Seiten des Starzeltales schweift. Hier<br />
mag ihm der Gedanke gekommen sein, an diesem bevorzugten<br />
Platz ein Jagd- und Lustschloß zu erbauen, wie<br />
es damals bei vielen Fürstenhöfen Mode war. Man wollte<br />
in bequemer Entfernung von der Residenz draußen in<br />
der Natur, ungestört von lastigen Regierungsgeschäften,<br />
die Sommermonate verbringen. D • großen, reichen Fürsten<br />
bauten sich Versailles, Schönbrunn, Sanssouci, Solitude<br />
oder Nymphenburg, die kleineren Fürsten bescheidenere<br />
Schlösser, bei denen auch Parkanlagen nach fran-<br />
6<br />
zösischem Stil nicht fehlen durften. Und so entstand das<br />
Schloß Lindich. Mit dem Bau wurde im Jahre 1739 begonnen,<br />
1741 war das Schloß vollendet. Der Baumeister,<br />
der den Plan gefertigt hat, ist seltsamerweise in den<br />
vielen Abrechnungen und Schriftstücken, die sich im Archiv<br />
befinden, nirgends erwähnt. Man vermutet, daß der fürstliche<br />
Bauinspektor Philipp Hermann Schöpf den Plan<br />
entworfen hat, wahrscheinlich nach einem italienischen<br />
Vorbild. Schöpf wurde im Jahre 1688 als das 7. Kind<br />
eines Hechinger Maurermeisters geboren. Er war also genau<br />
so alt wie sein fürstlicher Herr. Der Schloßbau kostete<br />
etwa 30 000 Gulden. Das Wasser wurde in einer Holzrohrleitung<br />
von Mariazell am Fuß der Alb kilometerweit<br />
hergeleitet. Auch heute liefert diese Quelle noch<br />
das Wasser für die fürstlichen Gebäude in Hechingen.<br />
Das Schloß hat einen quadratischen Grundriß; zwei Reihen<br />
von je 7 Fenstern gliedern die 4 Fronten auf. Das<br />
Gebäude hat 3 Stockwerke, von denen das oberste ein<br />
Mansardengeschoß ist. Das Schloß wird von einer achteckigen<br />
Rotunde mit großen Fenstern gekrönt. Von hier<br />
oben hat man einen wundervollen Ausblick nach allen<br />
Himmelsrichtungen. Im obersten Stockwerk unter der<br />
Rotunde liegt eine achteckige große Halle, in der acht<br />
Säulen im Kreis stehen. Im Erdgeschoß führt ein breiter<br />
Flur vom Hauptportal im Süden quer durch das Schloß<br />
zum nördlichen Eingang. Der Gang erweitert sich in der<br />
Mitte zu einer Halle. Links ist die Schloßkapelle, rechts<br />
der breite Treppenaufgang. Ein großer Balkon im ersten<br />
Stock, der auf zwei Säulen ruht, überdacht den Platz<br />
vor dem Hauptportal. Grüne Schlagläden an allen Fenstern<br />
geben dem Schloß einen behaglich ländlichen Anblick.<br />
Kommt man von Hechingen auf der schnurgeraden<br />
Zufahrtsallee auf das Schloß zu, so fällt der Blick zuerst<br />
auf die sechs reizenden Kavaliershäuschen, die im Halbkreis<br />
südlich vor dem Schloß liegen. Dazwischen schließen<br />
hohe Taxushecken den Park von der Außenwelt ab. Der<br />
Park wurde beim Bau des Schlosses dem damaligen Zeitgeschmack<br />
entsprechend im französischen Stil angelegt.<br />
Der neutige Park mit seinen mächugen aiten Bäumen ist<br />
nicht mehr so groß wie der ursprüngliche. Auch fehlen<br />
die zahlreichen Statuen, die farbigen Zierkugeln, die<br />
Springbrunnen und Wasserspiele, die dereinst den prächtig<br />
geklei eten Kavalieren und schön geputzten Hofdamen<br />
als passende Umgebung dienten.<br />
Die sechs Kavaliershäuser, von denen eines heute eine<br />
behagliche Gaststätte ist, dienten einst als Wirtschaftsräume,<br />
Unterkunft für die Bediensteten und als Stallungen.<br />
Die Inneneinrichtung des Schlosses hat im Laufe<br />
der Jahrhunderte natürlich öfters gewechselt. In Berichten<br />
aus der Bauzeit sind folgende Räume erwähnt: ein gemalter<br />
Saal, ein Tafelzimmer, des Fürsten Schlafzimmer,<br />
ein Porzellanzimmer und ein Billardzimmer. Einige Zimmer<br />
haben heute noch prächtige Parkettböden und bunte<br />
Deckenmalereien. Im ehemaligen Salon der Fürstin ziert<br />
den Boden ein kreisförmiges Mäandermotiv. Strahlenförmig<br />
munden darin helle und dunkle Streifen aus verschiedenen<br />
Hölzern.<br />
So lange Fürst Ludwig, der Erbauer des Schlosses, während<br />
der Sommer- und Her'ostmonate hier draußen residierte,<br />
waren die Tage von jagdlichen Unternehmungen<br />
beherrscht. Schon früh am Morgen erklang das ungeduldige<br />
Bellen der Hunde im Zwinger und das Rufen der<br />
Reitknechte, die die Pferde sattelten. Trat dann der Fürst
aus dem Portal, erklang von der fürstlichen Jägere- geblasen<br />
der „Fürstengruß". Der Fürst und seine Kavaliere<br />
schwangen sich auf die Pferde und ab ging es in leichtem<br />
Trab hinaus in den frischen Herbstmorgen. Es folgten<br />
inen die Oberjäger mit den Jagdgehilfen, die Büchsenspanner<br />
und Reitknechte, die Hundeführer mit der kläffenden<br />
Meute. Es muß ein farbenfrohes und prächtiges<br />
Bild gewesen sein, eine Hofjagd zu damaliger Zeit. Zu<br />
Mittag hatten die Lakaien im Wald die Tafel gerichtet.<br />
Fröhlich riefen die Hörner zum Essen. So verging der<br />
Tag mit Hörnerklang, Büchsenknall und Hundegebell.<br />
Am Abend wurde vor dem Schloß bei Fackelschein die<br />
Strecke gelegt, und die alten Jagdsignale verkündeten das<br />
Ende der Jagd, während die Fürstin mit ihren Hofdamen<br />
vom Balkon aus dem fröhlichen Treiben zuschaute.<br />
Fürst Ludwig konnte sich nicht lange an seinem Jagdschloß<br />
Lindich erfreuen. Er starb am 4. Juni 1750 im<br />
Alter von 62 Jahren, 9 Jahre nach der Erbauung des<br />
Schlosses.<br />
Für Schloß Lindich kamen jetzt ruhigere Zeiten. Der neue<br />
Fürst Josef Wilhelm, ein Vetter des Verstorbenen, hatte<br />
nicht soviel Freude an der Jagd wie sein Vorgänger.<br />
Zwar feierte er seine Hochzeit am 25. Juni 1750 mit der<br />
18jährigen spanischen Prinzessin Maria Theresia von<br />
Cordona prunkvoll im Schloß Lindich. Aber seine junge<br />
Frau erkrankte und starb bereits drei Monate nach der<br />
Hochzeit. So war dem jungen Fürsten das Wohnen in<br />
der Waldeinsamkeit des Lindich verleidet, und das Schloß<br />
wurde nur noch gelegentlich während kurzer Sommerwochen<br />
von Fürst Josef Wilhelm, der sich in zweiter Ehe<br />
mit einer Gräfin von Waldburg-Zeil vermählt hatte, bewohnt.<br />
Erst im Jahre 1826 begann ei le neue Blütezeit für das<br />
fürstliche Jagd- und Lustschloß Lindich. In diesem Jahr<br />
heiratete der damalige Erbprinz Friedrich Wilhelm Konstantin<br />
die Prinzessin Eugenie von Leuchtenberg. Ihr Vater<br />
Eugen Beauharnais, Herzog von Leuchtenberg, war ein<br />
Stiefsohn Napoleons I. Das i inge Paar wählte Schloß<br />
Lindich zum ständigen Wohnsitz. Damals wurde das<br />
Schloß von Grund auf renoviert, in einzelnan Teilen umgebaut<br />
und vö'lig neu eingerichtet Eine genußfrohe und<br />
heitere Hofgesellschaft belebte Schloß Linaich und seine<br />
Umgebung. Auch als der Erbprinz nach dem Tod seines<br />
Vaters im Jahre 1838 als Fürst Konstanun o'e Regierung<br />
se les Landes ubernahm, blieb er dem Lindich treu und<br />
verbrachte hier gerne die Sommermonate.<br />
In niesen Jahren hat der Linaich viele bekannte Persönlichkeiten<br />
als Gäste beherbergt. Durch uie verwandtschaftlichen<br />
Beziehungen der Fürstin Eugenie zu vielen europäischen<br />
Fürstenhäusern ging es aus und ein wie in einem<br />
Taubenschlag.<br />
Herzog Max von Bayern, die Herzogin und di; Prinzen<br />
August und Max von Leuchtenberg, Louis Napoleon, der<br />
spätere Kaiser Napoleon III», Graf Alexander von Württemberg,<br />
der D ;, :hterfreund von Uhland, Lenau und Justinus<br />
Kerner, und manche andere Persönlichkeiten von<br />
Rang und Namen waren damals gern zu Gast an dem<br />
fröhlichen Fürstenhof im Lustschloß Lindich. Das Fürstenpaar<br />
war sehr musiKÜebend und hatte eine ausgezeichnete<br />
Hofkapelle. Franz Liszt und Hector Berlioz kamen wiederholt<br />
nach Hechingen und haben bei Hofkonzerten im<br />
Schloß Lindich gespielt. Kab' lettssekretär des Fürsten<br />
war damals ein Grat Friedrii I von ZeppeJ'u. In dem<br />
gleichen Jahr 1838, in dem Fürst Konstantin zur Regierung<br />
kam, wurde dem Grafen ein Sohn namens Ferdinand<br />
geboren. Der später als Luftschiff-Erfinder weltberühmt<br />
gewordene Graf Zeppel n hat öfters als K'.id im Park<br />
des Lindich gespielt.<br />
Aus dem Jahre 1843 habe ich eine alte Zeitung entdeckt:<br />
„Der landwirtschaftliche Bote für das Fürstentum Hohen-<br />
zollern Hechingen". Hier ist ausführlich das große Landwirtschaftsfest<br />
beschrieben, das am 28. September 1843<br />
vor dem Schloß Lindich abgehalten wurde. Einen großen<br />
Teil des Berichtes nimmt die Aufzählung der zahlreichen<br />
Preisträger ein. Da gab es Preise für Förderung der übstbaumzucht,<br />
für ausgezeichnete Waldkulturen, für Düngerbereitung<br />
(zu deutsch für den besten Mist!), für den schönsten<br />
Hengst, die sieben schönsten Kühe und so weiter.<br />
Ich will Sie nicht mit weiteren Aufzählungen langweilen,<br />
zumal dieses Landwirtschaftsfest ja nicht gerade wichtig<br />
für die Geschichte des Schlosses Lindich ist. Aber einen<br />
Absatz aus diesem Bericht will ich doch noch zum Besten<br />
geben, weil er so schön den biedermeierlichen Stil der<br />
damaligen Zeit zeigt:<br />
„Um 2V2 Uhr zogen sich die Höchsten Herrschaften mit<br />
einer großen Anzahl eingeladener Herren und Damen<br />
in die Gemächer des Lustschlosses Lindich zurück, um<br />
dort Mittagstafel zu halten, wobei Seine Hochfürstliche<br />
Durchlaucht, der gnädigste Landesvater, einen lebhaft erwiderten<br />
Trinkspruch auf das Wohl des landwirtschaftlichen<br />
Vereins ausbrachte. Mittlerweile hatten die übrigen<br />
Festteilnehmer Gelegenheit, in der Lindichwirtschaft und<br />
bi den im Freien aufgeschlagenen sieben Wirtschaftsbuden<br />
mit Speisen und Getränken sich gütlich zu thun.<br />
Während dessen spielte die Musikbande, und die Singvereine<br />
von Owingen und Stetten gaben durch den Vortrag<br />
mehrerer Lieder erfreuliche Proben, wie weit man es,<br />
bei beharrlichem gutem Willen, auch auf dem Lande in<br />
dem, die Sitten veredelnden und freundliche Geselligkeit<br />
so sehr befördernden Gesänge bringen könne.<br />
'Wo man singt, da lasst euch fröhlich nieder;<br />
Böse Menschen haben keine Lieder!' "<br />
Die fröhlichen Zeiten auf Schloß Lindich nahmen ein<br />
jähes Ende. Die junge Fürstin Eugenie erkrankte an der<br />
Schwindsucht, und ernste Sorge lastete nicht nur auf dem<br />
Fürstenhaus, sondern auf dem ganzen Land. Die Fürstin<br />
war wegen ihrer Mildtätigkeit und zahlreichen Stiftungen<br />
außerordentlich beliebt. Sie suchte in Badenweiler und<br />
Baden-Baden vergeblich Genesung von hrer Krankheit.<br />
Am 30. August 1847 trat die todkranke Fürstin uie Heimreise<br />
von Baden-Baden nach Hechingen an. Sie wollte in<br />
'nrem geliebten Schloß Lindich sterben. Dieser Wunsch<br />
wurde .nr nicht erfüllt. Sie kam noch Hs Freudenstadt,<br />
wo sie am 1. September starb. Sie war 39 Jahre ait. Sie<br />
wird heute noch als Wohltäterin des Landes gf lebt und<br />
verehrt. (Vgl. hierzu HH 3/1969, S. 33-37).<br />
Ein Jahr nach dem Tod der Fürstin Eugene bringt cue<br />
Revolution von 1848 neue Aufregungen für das Land<br />
und das Fürstenhaus. Fürst Konstantin 2 iht sich auf seine<br />
schlesischen Besitzungen zurück. Im Jahre 1850 verachten<br />
die Fürsten von Hohenzollern-Sigma-' igen und Hohenzollern-Hechingen<br />
auf die Souverä ität und treten ihre<br />
Lande an das Königreich Preußen ab. Fürst Konstantin<br />
stirbt kinderlos in Schlesien, nachdem er den gesamten<br />
Besitz des Hechinger Fürstenhauses im Jahre 1850 gegen<br />
eine lebenslängi' Jie Rente von 40 000 Gulden Jährlich an<br />
seinen Sigmaringer Vetter abgetreten hat. Das Fürstentum<br />
Hohenzollern-Hechingen und die Hechinger Hofverwaltung<br />
existieren nicht mehr. Das Jagd- und Lustschloß<br />
Linaich versinkt in einen Dornröscnenscnlaf.<br />
Das Revolutionsjahr 1848 hatte außer den politischen<br />
Umwälzungen auch entsendende Eingriffe in die agdchen<br />
Verhältnisse gebracht. Jeaermann, der e\.e Flinte<br />
besaß und Lust zum Jagen hatte, durfte auf die Jagd<br />
gehen und schießen, wo und was er wollte. Das führte<br />
zum Ruin aller fürstlichen Jagdreviere und im ganzen<br />
Land zu e nem fast vo*. gen Aussterben vieler Wildarten.<br />
Der große Wildpark im Lin-iichwald wurde aufgelöst<br />
und der kjiometeriange Holzzaun ais Brennholz verkauft.<br />
Dai^'t hatte die ho "sehe Jagdzei im Revier Lindich end-<br />
7
gültig ein Ende gefunden. Das Schloß blieb eingerichtet,<br />
ein Kastellan sorgte für Ordnung und führte gelegentlich<br />
Besucher durch die verwaisten Räume.<br />
Im Oktober 1856 hatte der Lindich einen großen Tag.<br />
König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und Königin<br />
Elisabeth besuchten die neu zu Preußen gekommenen<br />
Hoh<strong>enzollerische</strong>n Lande. Sie -wohnten im Schloß Lindich.<br />
Der König von Württemberg kam von Stuttgart, um den<br />
Preußenkönig zu begrüßen, Am Abend wurden die bei-<br />
• den Herrscher durch einen großen Fackelzug geehrt,, der<br />
von Hechingen mit Musik hinaus zum Lindich zog und<br />
ein prächtiges Schauspiel gewesen sein muß.<br />
Gelegentlich kamen auch die neuen Herren des Schlosses<br />
aus Sigmaringen einmal zu Besuch. So berichtet zum Beispiel<br />
die Chronik aus dem Jahre 1857: „Am 22. Oktober<br />
traf die Fürstliche Familie von Hohenzollern-Sigmaringen,<br />
Fürst Karl Anton und Fürstin Josefine, Prinzessin Stefanie,<br />
der Erbprinz Leopold, die Prinzen Karl und Anton<br />
in Hechingen ein und nahmen Nachtquartier im Lindich,"<br />
Im .Jahre 1862 gab es wieder einen großen Tag für Hechingen,<br />
Der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm,<br />
del - spatere Kaiser Friedrich, besuchte, die neu erbaute<br />
Burg Hohenzollern. In der Chronik heißt es: „Am 8.<br />
Oktober war feierlicher Einzug des Kronprinzenpaares<br />
in Hechingen, Kronprinz Friedrich Wilhelm und Kronprinzessin<br />
Viktoria stiegen im Schloß Lindidi ab. Zur<br />
Begrüßung hatten Sigmaringen und Haigerloch Abordnungen<br />
entsandt. Die Feuerwehr und die Turner brachten<br />
den Herrschaften im IJ.ndich einen Fackelzug."<br />
Auch Kaiser Wilhelm I., damals noch König von. Preußen,<br />
hat mit Gefolge im Schloß Lindich gewohnt, als er im<br />
Oktober 1867 die neue Burg besuchte. So war das Schloß<br />
durdi Jahrzehnte nur noch gelegentlich Gästehaus für<br />
hohen Besudi, Das Jagdrevier rund um das Schloß wurde<br />
an Hechinger Jäger verpaditet, und vom' Glanz der Hofjagden<br />
war nichts mehr zu spüren.<br />
Erst der Zweite Weltkrieg brachte neues Leben für Schloß<br />
Lindich, Ein Baradcenlager vor dem Park beherbergte<br />
einen. Luftwaffenstab. Die Kuppel des Schlosses mit dem<br />
weiten Rundblick diente als Beobaditungsstand für die<br />
Luftabwehr, Nach dem Krieg bewohnte eine Tochter des<br />
Fürsten Friedrich Von Hohenzollern vorübergehend das<br />
Schloß,, während das Baradtenlager vor dem Park zur<br />
Aufnahme von Ausländern diente, die infolge der politischen<br />
Umwälzungen nicht mehr- in ihr Heimatland zurückkehren<br />
konnten. Im Jähre 1953 wurde ein Aufnahmelager<br />
für Flüchtlinge aus der Sowjetzone eingerichtet, und<br />
seit 1962 ist im Lager Lindich eine Schule der Bereit-<br />
FR.ANZ KIRCHHEIMER '<br />
Bergmarken aus Hohenzollern*<br />
In den hohenzollerisdien Fürstentümern war der Bergbau<br />
unbedeutend und hat den Rang eines wichtigen Wirtschaftszweiges<br />
nicht erreidit. Mit einfacher Grabarbeit sowie<br />
aus flachen Haspelschäditen erfolgte bis in die zweite<br />
Hälfte des 19. Jahrhunderts die Gewinnung von Bohnerz,<br />
insbesondere für den Bedarf des seit 1708 bei Sigmaringen<br />
betriebenen Eisenschmelzwerks Laucherthal. Ein in<br />
größerer Tiefe verborgener Bodenschatz ist erst nach der<br />
1850 erfolgten Übernahme der Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen<br />
und Hohenzollern-Sigmaringen in das<br />
Königreich Preußen erschlossen worden.<br />
Der neue Landesherr, König Friedrich Wilhelm IV. (1840<br />
bis 1861), begünstigte die von seiner Bergbehörde angeregte<br />
Suche nach Steinsalz, dessen Vorkommen im Untergrund<br />
schaftspolizei untergebracht. Das Sdiloß selbst fand 1948<br />
eine völlig neue Verwendung, Anfangs nur in wenigen<br />
Räumen untergebracht, bewohnt heute das „Fürstin-<br />
Eugenie-Institut für Heilpflanzenforschung" mit umfangreichen<br />
Sammlungen, 'Laboratorien, Tagungsräumen und<br />
Wohnungen das ganze Schloß. Der große Heilkräuter-<br />
Garten vor dem Park ist eine Sehenswürdigkeit für jeden<br />
Botaniker.<br />
Im Sdiloß finden laufend Kurse für Pharmaziestudenten<br />
der Universität Tübingen statt. Die „Gesellschaft für naturwissensdiaftlidie<br />
und christliche Bildung" halt ihre<br />
Tagungen im Schloß, Lindich ab, Aber auch ein schwacher<br />
Abglanz des höfischen Jagdbetriebes, der vor 200 Jahren<br />
das Leben im Schloß beherrsdite, kehrte nach dem Krieg<br />
zurück. Der im Jahr 1964 verstorbene Prinz Franz Josef<br />
von Hohenzollern zog nach dem Krieg nach Hechingen.<br />
Nach hundertjähriger Pause war damit die alte Zollerstadt<br />
zum ersten Mal wieder zum ständigen Wohnsitz<br />
eines Prinzen aus dem Hause Hohenzollern geworden.<br />
Nach Freigabe der Jagden durdi die französische Besatzungsmacht<br />
im Jahre 1950 wurde der Lindich Hofjagdrevier.<br />
Durdi Anpachtung von benachbarten Gemeindejagden<br />
wurde ein großes Revier geschaffen, das<br />
nidit nur aus Wald, sondern audi aus weiten Feldfluren<br />
bestand. Im Anfang der Fünfzigerjahre gab es noch viel.<br />
Sdiwarzwild, und die Erlebnisse bei den Saujagden, im<br />
Lindichwald sind allen, die sie mitgemacht haben, unvergeßlich.<br />
Die Hauptwildart sind die Rehe, und mancher<br />
kapitale Bock ist von dem Jagdherrn erlegt worden. Hasen<br />
und Rebhühner sorgen für gute Niederwildjagden, und<br />
auf der Starzel, einem kleinen Nebenfluß des Neckars,<br />
unterhalb vom Schloß, ist Gelegenheit, auf Wildenten zu<br />
jagen. Wenn der Prinz audi nicht im Schloß Lindich<br />
wohnte, so wurde doch bei den großen. Treibjagden, die<br />
alljährlich abgehalten wurden, der Hubertusjagd am 3.<br />
November und der Weihnaditsjagd in der Woche vor<br />
Weihnachten, das Schloß wieder Mittelpunkt des jagdlichen<br />
Geschehens, Am Morgen zogen die Jäger von hier<br />
mit Hörnerklang hinaus ins Revier, und am Abend wurde<br />
vor dem Portal bei Fadtelsdiein die Stredte nach alter<br />
Tradition gelegt. Wenn dann der Jagdleiter dem Jagdherrn<br />
die Strecke meldete, wenn die Mauern des Sdilosses<br />
im Licht der Fadseln aufleuchteten, dann glaubte man sich<br />
zurückversetzt in die alten Zeiten, als Fürst Ludwig, der<br />
Erbauer des Schlosses, hier noch lebte und jagte,<br />
Feierlich erklangen im nächtlichen Park die Signale:<br />
„Jagd vorbei und Halali".<br />
benachbarter Gebiete seit langer Zeit einträgliche Verwertung<br />
fand, 1853 erbohrte man bei Stetten unweit Haigerloch<br />
im ehemaligen sigmaringischen Oberam.t gleichen<br />
Namens das dort etwa 10 m mächtige Steinsalzlager des<br />
Mittleren Muschelkalks und begann bereits im Folgejahr<br />
mit dem Abteufen eines Schadits. Das auf der „grünen<br />
Wiese" angelegte einzige Bergwerk in den Hoh<strong>enzollerische</strong>n<br />
Landen ist nach längeren Aus- und -Vorrichtungsärbeiten<br />
1858 aus etwa IQQ'm Tiefe in Förderung getreten,<br />
Seine Entwicklung vom fiskalischen Unternehmen<br />
zu dem noch heute bestehenden Salzwerk, Stetten hat<br />
G. Schulz geschildert<br />
Zu J dsfä Bergwerk gehörte eine von 1858 bis 1923 betriebene<br />
Saline, die insbesondere im 19. Jahrhundert den
Teilansicht des Salzwerks Stetten bei Haigerloch<br />
Das vor etwa 50 Jahren entstandene Lichtbild zeigt die auch heute vorhandenen Schachtgebäude mit dem eisernen Förderturm<br />
und Anlagen der 1924 aufgelassenen, in der Folgezeit bis auf Reste abgebrochenen Saline<br />
größten Teil seines Förderguts zu Siedesalz verarbeitete.<br />
Damals war die vom „Kgl. Preußischen Rheinischen<br />
Ober-Berg-Amt" in Bonn beaufsichtigte „Kgl. Berg- und<br />
Salinen-Inspektion Stetten" dem Montanfiskus für die<br />
Nutzung der Anlagen verantwortlich. 1924 hat der Staat<br />
das Werk Stetten in die Preußische Bergwerks- und Hiitten-AG<br />
eingebracht. Dieses als PREUSSAG AG bekannte<br />
Unternehmen verpachtete im gleichen Jahr den Betrieb an<br />
die Dr. A. Wacker-Gesellschaft für elektrochemische Industrie<br />
GmbH (München). Im Oktober 1960 ist das Salzwerk<br />
Stetten von der heutigen Wacker-Chemie GmbH<br />
käuflich erworben worden.<br />
Während der staatlichen Betriebszeit des Steinsalzbergwerks<br />
und der Saline Stetten feierten die Belegschaften<br />
alljährlich im Sommer ein Bergfest. Der allgemeine Verlauf<br />
dieser im Geschäftsbereich des preußischen Montanfiskus<br />
üblich gewesenen Veranstaltung ist aus zeitgenössischen<br />
Berichten bekannt, und zwar auch die Tatsache,<br />
daß die Inspektion ausgegebenes Freibier über Messingmarken<br />
verrechnete. So erhielten die 32 Berg- und Salinenarbeiter<br />
für die am 24. März 1904 begangene 50-<br />
Jahrfeier des Werks Stetten außer der Bewirtung mit<br />
Frühstück und Mittagessen neben Zigarren ebenfalls je<br />
10 Biermarken. Damals verdiente ein Bergmann in der<br />
achtstündigen Schicht etwa 2,30 Mark, den Gegenwert<br />
von fast 10 Liter Bier!<br />
Nach dem Jahr 1924 verblaßte in Stetten die Erinnerung<br />
an die Bergfeste, zumal andere Formen der Gemeinschaftspflege<br />
und schließlich Betriebsausflüge die von<br />
bergmännischer Tradition bestimmten^ in strenger Disziplin<br />
geh'J cenen früheren Veranstaltungen ersetzten.<br />
1963 entdeckte man im Bürogebäude des Salzwerks etwa<br />
300 geprägte Messingmarken ohne Jahreszahl. Sie fielen<br />
dem iinder durch das Bergbau-Symbol „Schlägel und<br />
Eisen" sowie die Umschrift „Bergfest Stetten" auf. Aus<br />
der Beschaffenheit der Rückseite ergibt sich die Identität<br />
dieser Gepräge mit den bis 1924 für die Bergfeste verwendeten<br />
und nahezu vier Jahrzehnte verschollen gewesenen<br />
Biermarken. Seit 1964 werden sie bei Betriebsausflügen<br />
an die Belegschaft ausgegeben und m ; l einer Deutschen<br />
Mark bewertet, obwohl ihre Bestimmung nur auf<br />
„ein Glas Bier" lautet.<br />
Das Vorhandensein dieser Bergmarken ist mir erst 1968<br />
durch einen Zufall zur Kenntnis gelangt. 286 Exemplare<br />
konnten eingehend untersucht werden. Sie sind glattrandig,<br />
mit gleichge' jhteten Stempeln geprägt und besitzen<br />
beiderseits vor dem Rand ein mit Perlen verZ'ertes Stäbchen;<br />
der mittlere Durchmesser der SchröHinge beträgt<br />
22,1 mm. Ihre gleiche Vorderseite zeigt „Schlägel und<br />
Eisen" innerhalb eines Perlkreises und BERGFEST STET-<br />
TEN als von fünfstrahligen Sternchen geteilte Umschrift.<br />
Auf der Rückseite befindet sich über einem größeren Stern<br />
das Abbild eines überschäumenden genarbten Biergiases<br />
mit rechts gerichtetem dünnem Henkel. Nach Einzelheiten<br />
in der gleichlautenden Umschrift sind zwei Varianten<br />
vorhanden, die sich auch im Gewicht des aus gelbem<br />
Messing mit ungefähr 15°/o Zn hergestellten Schrötlinge<br />
geringfügig unterscheiden:<br />
a) Abb. 1 (211 Exemplare; Durchschnittsgewicht 2,632 g)<br />
GUT FÜR 1 GLAS BIER<br />
Bad. Münzkb. Karlsruhe (2,6214 g); Württ. Münzkb.<br />
Stuttgart (2,8082 g); Slg, F. Kirchheimer (2.7430 g).<br />
b) Abb. 2 (75 Exemplare; Durchschnittsgewicht 2,556 g)<br />
GUT FÜR 1 GLAS BIER<br />
Bad. Münzkb. Karlsruhe (2,6613 g); Württ. Münzkb.<br />
Stuttgart (2,5991 g); Slg. F. Kirchheimer (2,6872 g).<br />
Die im Bestand häufigere a-Variante ist von dem zweiten<br />
Gepräge nicht nur durch die fehlerhafte Ziffer verschieden.<br />
Bei ihr stehen in GLAS das L. A und S genähert; der<br />
linke Schenkel der Buchstaben U und Ü erscheint schwächer<br />
als innerhalb der Umschrift der b-Variante. Da auch<br />
9
Abb. 1: a-Variante der Bergmarken des Salzwerks Stetten bei Haigerloch (etwa 2mal vergrößert; Slg. F. Kirchheimer)<br />
Abb. 2: b-Variante der Bergmarken des Salzwerks Stetten bei Haigerloch (etwa 2mal vergrößert; Slg. F. Kirchheimer)<br />
andere Buchstaben geringfügig verschieden sind, bietet die<br />
rückseitige Beschriftung der Marken kein übereinstimmendes<br />
Bild. Sie beginnt bei der b-Variante unmittelbar am<br />
Bierglas, im anderen Gepräge aber etwas von seinem Fuß<br />
entfernt.<br />
In den Werksakten fanden sich bislang keine Unterlagen<br />
über den Zeitpunkt der Beschaffung der Biermarken für<br />
die bis 1924 gefei rten Bergfeste. Nach der stärkeren Abnutzung<br />
sind die in größerer Zahl vorhandenen, durchschnittlich<br />
etwas schwereren Stücke der a-Variante ältere<br />
Gepräge. Sie dürften aus dem 19. Jahrhundert stammen;<br />
1904 müssen mindestens 320 Stück vorhanden gewesen<br />
sein. Die besser erhaltenen Marken der b-Variante, zu<br />
deren Rückseite ein zweiter und hinsichtlich der Ziffer<br />
berichtigter Stempel diente, sind in der gleichen Prägeanstalt<br />
entstanden, und zwar wahrscheinl ch unmittelbar<br />
vor dem ersten Weltkrieg. Während seiner Dauer und bis<br />
in die Zeit der letzten Bergfeste behinderte die Metallnot<br />
eine Verwendung von Messing für geringwertige Marken<br />
staatl'dier Betriebe. Nach der Machart gehören sie vermutlich<br />
zu den Erzeugnissen der seit dem 18. Jahrhundert<br />
bestehenden Gravier- und Prägeanstalt L. Christian Lauer<br />
(Nürnberg), die viele Biermarken geliefert hat. Eine Anfrage<br />
bei dem bekannten Unternehmen erbrachte keine<br />
Gewißheit, da die Unterlagen über seine Gepräge und die<br />
Gesamtheit der alten Werkzeuge durch Kriegseinwirkungen<br />
verloren gingen.<br />
Von der stempelgleichen Vorderseite der Marken ist zu<br />
berichten, daß „Schlägel und Eisen" fehlerhaft wiedergegeben<br />
sind. Der Helm (Suel) durchragt nämiich nicht nur<br />
das geschärfte Eisen, sondern auch den zutreffend auf<br />
ihm liegenden fäustelartigen Schlägel. Übrigens zeigt das<br />
im vergangenen Jahrhundert benutzte Dienstsiegel des<br />
Oberbergamts Bonn, also der damals für die Aufsicht über<br />
die Berg- und Saiinen-Inspektion Stetten zuständigen Behörde,<br />
ebenfalls diese der Verwendung des Gezähes nicht<br />
gemäße Darstellung; ferner findet sie sich in älteren<br />
10<br />
Druckschriften über das Salzwerk, z. B. aus den Jahren<br />
1904 und 1912. Der Hinweis auf den auch seinem Dienstsiegel<br />
eigenen Fehler soll aber die Bedeutung der noch<br />
heute gebräuchlichen Marken als einzige derzeitig bekannte,<br />
mit dem Bergbau in den Hoh<strong>enzollerische</strong>n Landen<br />
verbundene Gepräge nicht schmälern. Da die letzte<br />
Emission von Kursmünzen für Hohenzollern 1852 erfolgte,<br />
ist ihr fiskalischer Charakter hervorzuheben.<br />
Bislang fanden sich keine Montan-Marken des bereits<br />
1708 erbauten und audi heute betriebenen Bergwirtshauses<br />
„Zum Eisenhammer" im Hüttenwerk Laucherthal bei Sigmaringen.<br />
An I.rem einstigen Vorhandensein ' : meines<br />
Erachtens nicht zu zwt - ein 2 . Das nach dem ersten Weltkrieg<br />
im südlichen Baden entstandene Kali, lizbergwerk<br />
Buggingen verwendete bis ..i die letzten Jahre bei besonderen<br />
Veranstaltungen mit „Schlägel und Eisen" verzierte<br />
Aiuminium-Konsummarken- Die in seiner Kantine<br />
gebraucht :h gewesene ältere Emission aus Messing ist<br />
1959 restlos verschrottet worden und selbst mir als langjährigem<br />
Mitglied des Crubenvorstands unbekannt geblieben!<br />
Ein ähnliches Schicksal könnten Marken sowohl<br />
von Laucherthal als auch anderer Berg- oder Hüttenwerke<br />
unseres Landes Baden-Württemberg erlitten haben.<br />
Anmerkungen:<br />
1 „Die Geschichte des Salzwerks Stetten bei Haigerloch" (Arb. z.<br />
Landeskde. Hohenz. H. 7, Sigmaringen 1967). Sowohl dem Verfasser<br />
als audi Herrn Betriebsleiter Dipl.-Bergingenieur W. Demel<br />
vom Salzwerk Stetten der Wacker-Chemie GmbH bin ich für<br />
mancherlei Auskünfte zu aufrichtigem Dank verpflichtet.<br />
2 Vgl. auch „Berichte" 8. Jahrg., Nr. 46 (1968), S. 492. - Die von<br />
J. Maier verfaßte „Geschichte des Fürstlich Hoh<strong>enzollerische</strong>n Hüttenwerks<br />
Laucherthal" (Hohenz. Jh. Bd. 18, 1958) enthält keinen<br />
Hinweis auf Bergmarken oder Schankzeichen.<br />
* Der Abdruck wurde freundlicherweise vom Verfasser und vom<br />
Krichelaorf-Verlag aus „Der Münzen- und Medaillensammler. Berichte<br />
aus allen Gebieten der Geld-, Münzen- und Medaillenkunde",<br />
8. Jg. (1968) Nr. 47 S. 540-542, gestattet Auch die Klischees wurden<br />
vom Verlag zur Verfügung gestellt, wofür wir aufrichtig danken.
WALTER SAUTER<br />
Die Hechinger Straßennamen<br />
„Name ist Schall und Rauch", läßt Coethe seinen Faust<br />
in Marthens Garten sagen. Hat es damit seine Richtigkeit?<br />
Keineswegs. Namen sind mehr als i.vie Aneinanderreihung<br />
von toten Buchstaben. An ihnen hängt Traktion,<br />
sie haben Atmosphäre. Ob es sich um Ortsnamen, Flurnamen,<br />
Vor- und Familiennamen handelt, alle sagen<br />
etwas aus. Aufschlußreich ist auch eine Betrachtung der<br />
Straßennamen, die man mit einiger Übertreibung die gedrängte<br />
Chronik eines Ortes nennen könnte. Ihre Deutung<br />
führt mitten hinein in die Geschichte, auch in die<br />
Kultur- und Wirtschaftsgeschichte.<br />
Von der Seite der praktischen Zweckbest lmung aus gesehen,<br />
sind die Straßennamen eine nüchtern-sachliche Angelegenhe<br />
,r . Sie dienen dem Zurechtfinden in dem Häusergevirr<br />
der Städte und größeren Landgemeinden. Ohne<br />
sie wäre eine Orientierung kaum möglich. An und für sich<br />
würden Zahlen den gleichen Dienst tun. Tatsächlich hat<br />
man diese Praxis häufig in Arne' Jta angewendet. Dort<br />
sind viele Städte in derart rasendem Tempo gewachsen,<br />
daß sich die Stadtverwaltungen oft die Mühe sparten, den<br />
neuen Straßen Namen zu geben. Sie begnügten sich damit,<br />
sie einfach zu numerieren. In Manhattan, dem vom<br />
Hudson, East- und Harlem-River umflossenen Stadtteil<br />
von New York, verlaufen zum Beispiel die Straßen<br />
schachbrettartig und sind fortlaufend numeriert. Von Süden<br />
nach Norden heißen sie Avenues, während die westöstlich<br />
verlaufenden Verkehrsadern Streets genannt werden.<br />
Nur in einer einzigen deutschen Stadt, in Mannheim, ist<br />
man ähnlich verfahren. Mannheim ist bekanntlich eine<br />
fürstliche Gründung aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts.<br />
Die zw" ien Rhein und Neckar schachbrettartig in Rechtecken<br />
regelmäßig angelegten Häuserblocks sind mit Buchstaben<br />
und Zahlen bezeichnet und mit. zusätzlicher Numerierung<br />
der e uzelnen FLluser. E ae AnschrLt lautet<br />
z. B. A 1/7.<br />
Zum Giück ist eine solche seelenlose Numerierung von<br />
Ortsstraßen in Deutschland auf Mannheim beschränkt geblieben.<br />
Viel anschaulicher und auch einprägsamer als<br />
Zahlen sind Namen. Ein Beispiel dafür bietet die Stadt<br />
Hechingen. Die Namen ihrer Straßen sind Wortdenkmale<br />
'irer Geschichte in Vergangenheit und Gegenwart.<br />
Straßennamen treten . doch in Hechingen erst in einer<br />
späten Periode der städtischen Entwicklung in Erscheinung.<br />
Um Im stad '.sehen Grundsteuerbuch den Standort<br />
eines Hauses zu fixieren, verwendete man die Eigentumernamen<br />
der angrenzenden Grundstücke. Meist begnügte<br />
sich aber der Stadtschreiber mit Angaben über die<br />
ungefähre Lage in der Stadt. Da heißt es in den Einträgen,<br />
ein Haus liege „in der oberen Vorstadt", „vor dem<br />
oberen Tor", „beim Häusei der Armbrustschützen", „bei<br />
der Kirche", „an der Stadtmauer", „nächst dem Rathaus",<br />
„beim Pfarrhof", „bei aem Bräuhaus", „bei des Gloggers<br />
Brunnen", „beim unteren Tor", „in der Altstadt", „im<br />
Schadenweiler"P,auf der Schütte", „hinter der Runkellen"<br />
(Quelle am Maiweg), „beim Reichenbach", „am Muhlgraben",<br />
„hinter dem Ochsen".<br />
In der Hauptsache waren also Stadtteile und markante<br />
Gebäude Anhaltspunkte für die Lagebez ichnung von<br />
Hausern, wie es heute noch
selbst, ihre Geschichte, ihre Fluren und öffentlichen Einrichtungen<br />
Bezug nehmen. Die Zahl der benannten Straßen<br />
in Hechingen betrug damals 56. Die starke Bautätigkeit<br />
in den seither verflossenen nahezu 60 Jahren hat<br />
diese Zahl mehr als verdoppelt und auf nahezu 150 anschwellen<br />
lassen, die Wohnplätze nicht mitgerechnet.<br />
Diese neuen Straßen erhielten ihre Namen von den für<br />
Beschlüsse zuständigen Organen der Stadt. Heute ist es<br />
der Gemeinderat. Bevor eine Straße gebaut wird, wenn<br />
sie erst auf dem Reißbrett des Stadtbauamts eingezeichnet<br />
ist, wird ihr schon der Name gegeben.<br />
Die alten Hechinger Straßennamen weisen alle eine <strong>heimat</strong>liche<br />
Färbung auf. Heute ist diese Regel durchbrochen.<br />
Der Bedarf an Straßennamen wurde so groß, daß man<br />
auch in Hechingen nicht ohne beziehungslose und daher<br />
künstliche Erfindungen auskommen zu können glaubte.<br />
Beispiele dafür sind Mörikeweg, Hölderhnweg u.a.m. Zu<br />
solchen Verlegenheitslösungen sollte man möglichst wenig<br />
greifen, am besten gar nicht.<br />
Langweil^, und phantasielos, sprachlich unschön und in<br />
einigen Fällen auch inhaltlich falsch ist es, als Grundwort<br />
allzuhäufig „Straße" zu verwenden. Diesem Fehler ist<br />
man früher auch in Hec 'ngen verfallen, obwohl der<br />
R, chtum der deutschen Sprache auch andere Möglichkeiten<br />
in Fülle anbietet. Es muß anerkannt werden, daß man<br />
in Hechingen in den letzten Jahren erfreulicherweise davon<br />
Gebrauch gemacht hat. Als gute Beispiele seien angeführt:<br />
Am Meisenbächle, Am Ettenbach, Im Eierle,<br />
Stettener Halde.<br />
Mehr Rücksicht auf das Sprachgefühl<br />
So gut n allgemeinen in Hechingen die Straßennamen<br />
gewählt sind, verstoßen doch einige gegen das Sprachgefühl.<br />
Es ist überflüssig, ja geradezu sprachlich widersinnig,<br />
dem Herrenacker und dem Schadenweiler das<br />
Grundwort „Straße" anzuhängen. Weder der Herrenacker<br />
als früheres Gewann noch der Schadenweiler, eine<br />
alte Siedlung und heute Stadtteil, benötigen ein Grundwort;<br />
„Auf dem Herrenacker" und „Schadenweiler" würden<br />
genügen. Jedenfalls sollte das Grundwort „Straße"<br />
weggelassen werden. Es verträgt sich auch nicht mit dem<br />
Sprachgefühl, jedem hintersten Winkel im Stadtberexh<br />
den für 'hn kaum passenden Namen „Straße" zu geben<br />
Wenn e le Gasse keinen Fahrverkehr zuläßt und nur als<br />
Fußweg benützt werden kann, spricht man im Volksmund<br />
von einem „Gäßle", so in Hechingen vom Lindengäßle.<br />
Ganz unmotiviert hat man im amtlichen Straßenverzeichnis<br />
daraus e'ne Lindengasse gemacht, m Straßenverzeichnii<br />
der 30er Jahre sogar eine Lindenstraße, was<br />
völlig unsinnig war. In seiner Residenzzeit hatte Stuttgart<br />
ein Kön'gsgäßle I emand nahm Anstoß daran. Erst in<br />
der heutigen Zeit tut man so geschwollen.<br />
Die Deutung der Namen<br />
Beim Bemühen, die Hechinger Straßennamen zu deuten,<br />
wird zunächst ihre Einteuung in zusammengehörende<br />
Gruppen erkennbar. In einigen Namen hat die Siediungsgeschichte<br />
der Stadt ihren Niederschlag gefunden, andere<br />
beziehen sich auf kirchliche Gebäude und Einrichtungen.<br />
D : Namen vieler überbauter Fluren leben fort in Straßennamen.<br />
Namengebend waren auch die topographische<br />
Lage, andere Besonderheiten, die belebte und unbelebte<br />
Natur, Gebäude und öffentliche I inricntungen, Sport,<br />
Gewerbe und Beruf, Personen, die an der betreffenden<br />
Straße Eigentum besaßen, oder solche, deren Andenken<br />
man ehren wollte, poTitiserie und gemeindegeschichtliche<br />
Ereignisse Viele Namen erinnern an die frühere Bedeutung<br />
der Stadt als Res\enz. Ortsnamen geben die B i htung<br />
der so benannten Straßen an. Nur zwei Straßennamen<br />
entziehen sich der Ei ireihung in diese Gruppen.<br />
12<br />
Die Siedlungsgeschichte in Straßennamen<br />
Die Endung „ . . . ingen" läßt darauf schließen, daß Heck'ngen<br />
in seinen Siedlungsanfängen auf die Zeit der<br />
Landnahme durch die Alemannen zurückgeht. Namengebend<br />
waren die „Hachingen". Wir dürfen uns darunter<br />
einen durch Verwandtschaft und Abhängigkeit verbundenen<br />
Personenverband vorstellen, dessen gebietende und<br />
führende Persönlichkeit Hacho geheißen haben könnte<br />
oder Nachkomme eines Hacho war. Wir haben Grund zur<br />
Annahme, daß die ersten alemannischen Siedler sich im<br />
Talgrund der Starzel am Fuß des Martinsbergs niederließen.<br />
Die dortige Siedlung ist längst vom Erdboden<br />
verschwunden. In den alten Urkunden wird sie als „Niederhechingen"<br />
bezeichnet. Der bei der Straßenbezeichnung<br />
im Jahre 1906 angeführte Name „Niederhechinger<br />
Straße" für die links der Starzel von der Stadt zum Vorort<br />
Friedrichstraße führende Straße ist damit sehr sinnvoll.<br />
In den Jahrhunderten nachher nahmen die Hechinger<br />
weitere Flurteile starzelaufwärts unter den Pflug. Zunächst<br />
entstand eine Siedlung am Fuße des Killbergs und<br />
des Schrofens. In einer späteren Siedlungsperiode kam<br />
eine Weilersiedlung an den Ufern der Starzel und des<br />
Reichenbachs hinzu. Ihr Name „Schadenweiler" hat sich<br />
bis heute im Straßennamen erhalten.<br />
Eine völlige Änderung erfuhr das Siedlungsbild in der<br />
Mitte des 13. Jahrhunderts, als ein Zollergraf auf dem<br />
vordem unbebauten Gelände der heutigen Oberstadt eine<br />
neue Siedlung anlegte. Von den bisherigen ländlichen<br />
Siedlungen auf Hechinger Boden unterschied sie sich<br />
grundlegend. Sie sollte - dies war ihre Zweckbestimmung<br />
- eine Marktsiedlung sein m Handwerkern und<br />
Händlern als Bewohnern, die meist auch Landwirtschaft<br />
betrieben und bei denen die Bauern der Umgebung ihren<br />
Bedarf an Erzeugnissen des Handwerks und an Handelswaren<br />
decken konnten. Diese neue Siedlungstatsache ist in<br />
der Straßenbenennung von „Marktplatz" und „Marktstraße"<br />
festgehalten.<br />
In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg herrschte eine<br />
große Wohnungsnot. Jahrelang hatte die Bautätigkeit geruht.<br />
Hunderte von Wohnungen fehlten. Eine gemeinsame<br />
Anstrengung war notwendig. Eir.2 Baugenossenschaft<br />
wurde gegründet, und auch die Stadt schaltete sich<br />
in den Wohnungsneubau ein. Beide bauten auf dem Gelände<br />
von der Hofgartenstraße stadtauswärts in Lichtung<br />
Friedrichstraße. Der Gedanke dieses Zusammenstehens<br />
und des Einsatzes der Stadt als Vollzugsorgan dieses Gemeinschaftswillens<br />
prägte sich tief ins Bewußtsein und bekam<br />
seinen Ausdruck in der von der Einwohnerschaft<br />
gebrauchten Bezeichnung „Siedlung" für das neu geschaffene<br />
Wohnviertel. Bei der Straßenbenennung übernahm<br />
( "e Stadt diese Bezeichnung und gab den neuen<br />
Straßen die Namen „Obere-" und „Untere Siedlungsstraße"<br />
und „Siedlungspiatz". Die beiden ersten Straßen<br />
erhielten später andere Namen, während der Name<br />
„Siedlungspiatz" als eine dauernde Erinnerung an den<br />
Siedlungsgedanken nach dem Krieg 1914/18 bestehen bleiben<br />
sollte. So wollten es die Stadtverordneten in den 20er<br />
Jahren, aber ihre Nachfahren auf dem Rathaus achteten<br />
diesen Willen nicht und benannten vor einigen Jahren<br />
den Platz in „Steubenplatz" um.<br />
Ungleich heftiger brannte nach dem zweiten Weltkrieg<br />
die Wohnungsnot auf den Nägeln. Schon bei den Einheimischen<br />
bestand nach der langen Pause l Bauen ein<br />
großer Nachholbedarf. Dazu kamen allein in Hechingen<br />
Tausende von Heimatvertriebenen, die untergebracht werden<br />
mußten. Die in den Jahren nach der Währungsreform<br />
mit Macht einsetzende und in der GeschiJite der Stadt<br />
einmalig dastehende Bau- und Siedlungstätigke t fand
auch in Straßenbezeichnungen ihren Niederschlag, die<br />
einige Herkunftsländer der Flüchtlinge und Vertriebenen<br />
und bedeutende Städte in ihnen festhalten: Königsberger<br />
Weg (Ostpreußen), Breslauer Weg (Schlesien), Banater<br />
Weg und Batschkaweg (Donauländer), Sudetenstraße,<br />
Prager Straße (Böhmen und Mähren - heute Tschechoslowak<br />
i). Bei diesen Wohngebieten am Stadtrand liegt<br />
zwar keine geschlossene Ansiedlung von Heimatvertriebenen<br />
vor, doch rekru'. ert sich - mit Ausnahme der Prager-<br />
und der Sudetenstraße - aus il fien d e Mehrzahl hrfer<br />
Bewohner.<br />
Eine 5 sdlungstatsache liegt auch dem Straßennamen<br />
„Max-Eyth-Straße" zugrunde. In jahrzehntelangen Bemühungen<br />
gelang es der Stadt, Grundstücke ZT : sehen der<br />
Ermelesstraße und der Haigerlocher Straße anzukaufen,<br />
um sie als Industriegelände abzugeben. Dort ist inzwischen<br />
ein neues Industrie- und Gewerbeviertel entstanden. Die<br />
Querstraße erhielt die Bezeichnung „Max-Eyth-Straße"<br />
im Gedenken an den schwäbischen Industriepionier Max<br />
von Eyth (1836-1906), der als Ingenieur in vier Weltteilen<br />
arbeitete und sich auch als Schriftsteller einen<br />
Namen schuf. Seile der älteren Generation noch gut bekannten<br />
Hauptwerke sind: „H. iter Pflug und Schraubstock",<br />
„Der Kampf um die Cheopspyramide" und „Der<br />
Schneider von Ulm".<br />
Als Erweiterung dieses Gewerbe- und Industrieviertels<br />
erschloß die Stadt ein anschließendes Neubaugebiet und<br />
bestimmte es teilweise für Gewerbe- und Industrieansiedlung.<br />
Sinngemäß wurden die Straßennamen gewählt:<br />
Daimlerstraße (Gottlieb Da.mler, 1834-1900, Ingen" ?ur,<br />
Pionier des Kraftfahrzeugbaus, Konstrukteur des Verbrennungsmotors<br />
für Motorräder und Kraftwagen, Gründer<br />
der später mit der Firma Benz-Motoren ve. ugten<br />
Daimler-Motoren-Gesellschaft, deren Erzeugni s das Mercedes-Auto,<br />
weltbekannt 'st), Fri"drich-List-Straße (Friedrich<br />
List, 1789-1846, Na 'onalökonorn, Politiker, Vorkämpfer<br />
der deutschen Zolle^ iheit) und Steinbeisstraße<br />
(Ferdinand Steinbeis, 1807-1897, Präsident der württemberr.ischen<br />
Zentrale für Gewerbe und Handel, setzte s" i<br />
verdienstvoll für die wirtschaftliche Entwicklung des<br />
Königreichs Württemberg vornehmlich auf dem Gebiet<br />
der Industrie ein).<br />
Namensgebung nach kirchlichen Gebäuden<br />
und Einrichtungen<br />
Die Entwicklung der katholischen Pfarrgemeinde verläuft<br />
parallel zur Geschichte der poi tischen Gemein de. Im ersten<br />
Schwerpunkt der Siedlung wu r de vermut ich die<br />
erste christliche Kirche errichtet, irf Ni'derhechingen nahe<br />
bei der heutigen Friedrichstraße. Diese erste Hec 1 nger<br />
Ki rche war dem Frankenheiligen Marl i geweiht, was auf<br />
Missionierung durch die Franken hinweist. Neben dem<br />
Namen Martinsberg erinnert die Straßenbezeichnung<br />
„Martinstraße" an diese nahe dem Fuße des Martinsbergs<br />
gelegene, längst schon abgegangene Kirche, die auch in<br />
einem Flurnamen fortlebt. Als sich später der Siediungsschwerpunkt<br />
nach der Siedlung unterhalb des Killbergs<br />
verlegte, wurde dort eine neue K 'che gebaut. Man weihte<br />
sie dem hl. Lucias, einem frühchristlichen Bischof von<br />
Chur. Die St.-Luzen-Kirche wurde später zur Pfarrkirche<br />
erhoben. Nach Ar und dem Kloster ist der „St.-Luzen-<br />
Weg" benannt. Die Benennung der beim ehemaligen<br />
Kloster St. Luzen ste" 1 aufwärts zum Schrofen führenden<br />
Straße wurde wegen der Gabelung der Straße geteilt in<br />
„Am Schrofen" und „Klostersteige" nach dem früheren<br />
Franziskanerkloster St. Luzen, das 1589 gegründet wurde<br />
und bis zur Aufhebung im Jahre 1808 bestand. Nach der<br />
Gründung der Stadt auf dem Hügel über der Starzel kam<br />
es erneut zu t ler Verlegung des Siediungsschwerpunktes,<br />
und auch hier folgte der Kirchenbau. Es war die Kirche<br />
zu Unserer Lieben Frau und St. Jakob. Daher der Name<br />
„Kirchplatz". Diese Kirche wurde bald zur Stiftskirche<br />
erhoben, zum gottesdienstiiehen Raum für das Kollegiatstift<br />
zu St. Jakob, eine Stiftung mit umfangreichem Grundbesitz<br />
zum Unterhalt eines Kollegiums von Weitgeistlichen,<br />
deren Zusammenleben nach einer festgelegten Regel<br />
geordnet war und die bestimmte gottesdienstliche Handlungen<br />
vorzunehmen hatten. Diese Kollegiatstifte waren<br />
ein Gegenstück zu den Klöstern, doch wohnten die Stiftsherren<br />
nicht zusammen in einem Kloster, sondern einzeln<br />
in Pfründehäusern. An dieses einstige Hechinger Kolieg<br />
tstift erinnert der Name „S, 'tsgasse", die „Katharinengasse"<br />
daneben an die Katharinenkapelle, die auf<br />
dem einstigen Friedhof hinter der Stiftskirche stand und<br />
vor dem Bau der jetzigen Stiftskirche abgebrochen wurde.<br />
Die „St. Jakobsgasse" ist nach dem Kirchenpatron, dem<br />
heiligen Apostel Jakobus dem Älteren, benannt.<br />
Wenn der Name „Heiligkreuz" genannt wird, denken<br />
wir an diesen Ort als Friedhof, als Ruheplatz der Toten.<br />
Diese Zweckbestimmung hat He-'-gkreuz erst seit dem<br />
Jahre 1814. Die dortige Friedhofskapelle war früher ein<br />
Wallfahrtsort, eine Gedenkstätte an die in der Sage vom<br />
höllischen Schuß verewigte Freveltat. Nach Heiligkreuz<br />
ist die dorthin führende „Heiligkreuzstraße" benannt.<br />
Flurnamen werden zu Straßennamen<br />
Weit über den ursprünglichen Siedlungskern haben sich<br />
die Städte und auch die Landgemeinden ausgeweitet. Sie<br />
überwuchern immer mehr die Fluren. Die Namen der Gewanne<br />
drohen unterzugehen und nur noch in Archiven<br />
ein papierenes Leben zu fristen. Es ist daher sinnvoll,<br />
neuen Straßen J ie Namen der Fluren zu geben, auf denen<br />
sie angelegt sind. Solche Namen atmen den Erdgeruch der<br />
Heimat. Die überbauten Fluren ieben in den Namen der<br />
Straßen fort. In Hecl -igen wird dies seit eher praktiziert.<br />
Als die beziehungsreichsten Straßennamen, die auf<br />
Flurnamen zurückgehen, verdienen „An der Breite" und<br />
„Im Maierhof" Beachtung. Sie sind Namensdenkmale der<br />
alten Ortsverfassung und erinnern an frühere Herrschaftsrechte.<br />
Die „Breite" ist wie der „Brühl" altes Herrschaftsgut<br />
in Siedlungsnähe, „Breite" ein ausgedehntes<br />
Ackerfeld guter Bonität, „Brühl" eine feuchte und daher<br />
im Grasertrag er 'ebige Wiesenfläche. Beide wurden einst<br />
vom Maierhof aus bewirtschaftet. Dort saß der Maier<br />
(vom lateinischen Wort maicr = der Größere) als Verwalter,<br />
später auch Lehensinhaber des Herrschaftsgutes<br />
und zugleich auftragsweise Inhaber einiger örtlicher Herrschaftsrechte<br />
und der damit verbundenen Pflichten. Der<br />
alte Hecluüger Maierhof steht seit Jahrhunderten r.iit<br />
mehr, gebl: Sen . t aber die Flurbezeichnung und heute<br />
der Straßenname. Der Flurname „Eierle", von dem der<br />
Straßenname „Im 1 jrle" abgeleitet ist, lautete früher<br />
„Erlach" und bedeutet eine Anhäufung von Erlen, ähnlich<br />
wie Stockoch - die namengebende Flur des „Stockochweges"<br />
- eine Anhäufung von Wurzelstöcken. An der<br />
Stelle der Flur dürfte einstmals ein Gehölz gerodet worden<br />
sein, von dem die Wurzelstöcke noch lange im Boden<br />
stecken b :ben. Die „Firststraße" hat ihren Namen vom<br />
First, dem langgestreckten Geländerücken zwischen der<br />
Hechinger Oberstadt und Stetten. First : st eine Bezeichnung<br />
für Menschen, eine Geiänderorm und einen Hausteil.<br />
Sie kennzeichnet das Hervorragende, den Fürsten, den<br />
First und den Dachr -st. In der Lichtnau, der einstigen<br />
großen Wiesenfläche, in der der gleichnamige frühere<br />
städtische Spiel- und Sportplatz frei gelassen worden ist,<br />
darf man an eine baumfreie, gehuitete Aue denken. Von<br />
ihr hat die Straße „Auf der Lichtnau" den Namen. „Tobel"<br />
bedeutet Schlucht, und tatsächlich zieht sich die He<br />
chinger „Tobelstraße" durch eine Schlucht hinter dem<br />
Schloßberg aufwärts. Der Hech'iger Straßenname<br />
13
„Scbüttestraße" -- besser hieße es „Auf der Schütte" - ist<br />
wohi als Aufschüttung zu erklären. I i Bach schwemmt<br />
Land auf, schüttet es auf. Di : Straße „In den Schelmenäckern"<br />
hat ihren Namen vom früheren Schelmenwasen.<br />
„Schelm" ist das- alte Wort für gefallenes Vieh, das nach<br />
den früheren gesundheitspolizeilichen Vorschriften vom<br />
Wasenmeister, auch Schinder, zuletzt Kleemeister genannt<br />
(er war zugleich Nachrichter, d. h. Vollzugsorgan von<br />
harten Gerichtsbeschlüssen;, auf dem Schelmenwasen „verlocht",<br />
d. h. in den Boden vergraben werden mußte.<br />
Heute besorgen die Tierkörperbes " tigungsanstalten diese<br />
Aufgabe. Steil zieht sich die Straße „Am Schrofen" den<br />
Hang der gl(" hnamigen An<strong>höh</strong>e hinauf. Das Wort<br />
„Schrofen" hängt mit dem Eigenschaftswort schroff zusammen.<br />
Es bedeutet zerklüfteter Felsen, felsige Höhe.<br />
Vor Niederhechingen in Richtung Hechingen lag früher<br />
etwa am Ende des heutigen Sportstadl ins der große, der<br />
Fischzucht dienende Niederhechinger Weiher. Nach ihm<br />
ist die Siedlung und Straße „Im Weiher" benannt. Wenn<br />
eine Straße „In den Bronnwiesen" heißt, so deutet dies<br />
auf das Vorhandensein einer Quelle hin. Auch die Fluren,<br />
die dem „Kohlbrunnenweg" und der Straße „Im Prinzling"<br />
den Namen gegeben haben, sind offensichtlich nach<br />
kleinen Quellen und fließenden Wässerlein benannt. Die<br />
Äcker an der Stelle der „Steinäckersiedlung" und der<br />
„Steinäckerstraße'' hatten s eher c'nen steinigen Untergrund.<br />
Seit der Umbenennung sind die Straßen „Im Maierhof"<br />
und „Prinz igstraße" unter der Bezeichnung „Im Maierhof"<br />
zusammengefaßt. Die Ma : erhofstraße erhielt nach<br />
dem Gewannamen die Bezeichnung „Im Keßler", Keßleräcker<br />
werden schon 1600 genannt. Vermutlich stehen sie<br />
in Beziehung zu den Keßlern, Kesselmachern und Kesselflickern.<br />
Der Grund für die Umbenennung war die bisherige<br />
zweima^ge Verwendung des Best nmungswortes<br />
Maierhof, was in diesem Stadtteil, in dem eine ganze Anzahl<br />
Familien des Namens Maier und Mayer wohnen, zu<br />
Schwierigkeiten in der Postzustellung geführt hatte.<br />
JOHANNES WANNENMACHER<br />
Ein Gang durch die heimische Mundart -<br />
Bezeichnung der Verwandtschaftsgrade in Rangendingen<br />
Jeder Volksstamm hat neben dem Hochdeutschen noch<br />
seine eigene Sprache, d" Mundart, d ; e viele Abwandlungen<br />
zeigt und oft sogar noch von Ort zu Ort besondere<br />
Verschiedenheiten aufweist. In d^sem alten Kulturgut<br />
liegt die ganze sprachschöpferische Kraft unserer Vorfahren.<br />
Die Mundart ist zuglt. ch ein Spiegel der Volksseele<br />
und in ihrer Art urwüchsig und urgründig. In unserer Zeit<br />
aber ist sie lautend einem Wandel unterworfen. Bevölkerungsumschichtung,<br />
Veränderungen in der Arbeite-, Lebens-<br />
und Denkweise bilden hierbei d e Hauptursache.<br />
Zwischen der jungen und der älteren Generation klaffen<br />
heute schon im mundartlichen Wortschatz und auch in der<br />
Art der Aussprache deutliche Lücken und Abweichungen<br />
vom Althergebrachten.<br />
Betrachten Wir nur einmal die Namen für die verschiedenen<br />
Verwandtschaftsgrade von einst und jetzt. Noch vor<br />
dem 1. Weltkrieg (1914-1918) gab es in der hiesigen<br />
Mundart keinen Großvater und keine Großmutter, keinen<br />
Opa und keine Oma, sondern nur einen Ähne und eine<br />
Ahna Diese zwei uralten Worte re : chen mit ihrem Ursprung<br />
bis in die Zeiten der ersten Namensgebung zurück.<br />
Entsprechend hieß der Urgroßvater Urühne und die Urgroßmutter<br />
Urahna. Statt Papa gebrauchte man in der<br />
14<br />
Besonderheiten des Geländes<br />
Staig ist i.ae im schwäbischen Sprachgebrauch häufig vorkommende<br />
Bezeichnung für einen mehr oder weniger steil<br />
aufwärts führenden Fahrweg, was für die Hechinger<br />
„Staig", die steil schräg verlaufende Verbindung der<br />
Oberstadt zur Unterstadt, voll zutrifft. Das Wort Rain<br />
kann eine doppelte Bedeutung haben, Rand oder langgestreckter<br />
schmaler Abhang. Beide Eigenschaften vereinigt<br />
der Gehweg „Am Rain". Er begrenzt den Marktplatz,<br />
ist also sei i Rand. Ein Graben trennt den Geländevorsprung,<br />
auf dem die Oberstadt steht, von dem<br />
F rst. Nach ihm ist der Weg „Am Graben" benannt. Der<br />
Kapf ist eine örtlichkeit, von der man „kapfen" kann,<br />
d. h. eine weite Aussicht genießt, also ein Aussichtsplatz.<br />
Erhalten hat ,; ch das Wort kapfen nur noch in „gaffen".<br />
Von dem Kapf hat die „Kapfgasse" ihren Namen. Viel<br />
bewundert wird dort von der Kriegergedächtnisstätte aus<br />
d'e herrliche Aussicht auf die Albberge.<br />
Die Natur in Straßennamen<br />
Auch andere Gegebenheiten der Natur haben in Hechinger<br />
Straßennamen ihren Niederschlag gefunden. Nach<br />
einer beim Maiweg entspringenden Quelle, der Runkellen<br />
(rinnende Quelle), ist die „Runkellengasse" benannt. Drei<br />
Bäche und Bächlein waren namengebend: der Ettenbach,<br />
der Reichenbach und des letzteren Zufluß, das Meisenbädile.<br />
Die Bach-Straßennamen he !r len: „Am Ettenbach",<br />
„Re.J)enbachgasse" und „Am Meisenbächle". Naturbezogen<br />
sind die für die Wohnsiedlung vor dem Fasanenwald<br />
gewählten Straßennamen. Man dachte dabe' an die<br />
Nähe des einstigen Jagdreviers und Fasanengeheges und<br />
an seine Vogelwelt. Das ist die Erklärung für die Bezeichnung<br />
„Amselweg", „Fasanenweg", „Finkenweg",<br />
„Drosselweg", „Meisenweg• und „Lerchenweg". Zum<br />
Jagdrevier gehört der Jäger, daher der „Jägersteig" in<br />
dieser Siedlung.<br />
(Der Beitrag wird in der näcnsten Nummer fortgesetzt)<br />
Mundart das schöne, alte Wort Ätte und für c_e Mama<br />
das Wort Amm. „Mei Ätte und mei Amm" konnte man<br />
als Elternbezeichnung aus Kindermund so warmherzig<br />
hören, und auch die heranwachsende Jugend verwendete<br />
vielfach noch dieselben Narnen. - Es gab in der Mundart<br />
auch keinen Schwiegervater und keine Schwiegermutter,<br />
sondern einen Schweher und eine Schwieger. Die Schwiegertochter<br />
wiederum war die Söhne oder Söhnere. Der<br />
Schwiegersohn wurde umschrieben und war einfach der<br />
Mann von der Tochter Marie, Anna etc. Nebenbei war für<br />
ihn auch das Wort Tochterma gebrauchlich. - Enkelkinder<br />
wurden nur selten als Enkel oder Enkelin angesprochen.<br />
Bei ihrer Benennung wurden die Namen der eigenen<br />
Söhne und Töchter dazwischen geschoben. So hieß es beispielsweise:<br />
Meim (Sohn) Karle sei Josef — oder meira<br />
(Tochter) Ann ihr Mariele. Diese Art der Namhaftmachung<br />
drückte e ; n besonders inniges Verbundense-- der<br />
Generationen miteinander aus. Schwager und Schwägeii i<br />
wurden in der Mundart ehemals auch umschrieben. Es<br />
hieß dann etwa so: Meim Weib sein Josef, oder me."i<br />
Weib ihre Kathare. Onkel und Tante nannte die Mundart<br />
Vetter und Bas. Die Bas oder 's Bäsle spielte oft wichtige<br />
Rollen im Kinderleben. Aus der Reihe der Vettern und
Basen wurden früher in der Regel auch die Taufpaten genommen,<br />
der Dötte und die Dotta, die ihre Patenkinder<br />
bis zur Schulentlassung an Ostern mit Eiern, an Allerseelen<br />
mit Sailen (Brotgebäck) und an Weihnachten mit Brezeln,<br />
Äpfeln und Nüssen beschenkten. Weitere Zugaben<br />
waren selten. Die Kinder aber hatten an diesem Wenigen<br />
damals oft mehr Freude als an dem vielfach zu üppigen<br />
Aufwand unserer Tage, der den wahren Sinngehalt der<br />
Feste nahezu erdrückt.<br />
Neffen und Nichten kannte man früher mundartlich ebenfalls<br />
nicht. Sie waren einfach die Kinder von Brüdern und<br />
Schwestern, deren Namen jeweils dem Namen des Kindes<br />
vorangesetzt wurden. Neffen und Nichten waren unter<br />
sich „Geschwisterige Kinder" und eine Generation weiter<br />
„Geschwisterige Kindskinder". Bis zu diesem Verwandt-<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Ein »Horb« bei Salmendingen ?<br />
In der Oberamtsbeschreibung Münsingen 1 ist die Rede<br />
von einem Orte Horb, der „in der Gegend von Salmendingen<br />
abgegangen ist". Man bezieht sich dabei auf<br />
Friedr. Eiseies Aufsatz über das Salmendinger Heufeld 2 ,<br />
wo eine Stelle aus dem Fleckenbuch von 1530 3 zitiert<br />
wird: „Von Horb(?) geht ein Weg bis auf Heufeld, genannt<br />
der Alt-Hechinger Weg".<br />
Die Geschichtsforscher sind nämlich in der üblen Lage, die<br />
Heimat einer Adelsfamilie „von Horwan" oder „Horwe"<br />
nicht ausfindig machen zu können, die seit etwa 1100 in<br />
Urkunden sowohl im Breisgau als auch auf der Alb vorkommt,<br />
vermutlich im Gefolge der Zähringer Herzöge.<br />
Die obige Oberamtsbeschreibung möchte nun ein Horb bei<br />
Salmendingen suchen, und darin folgt ihr neuestens Hans<br />
Harter in einem Aufsatz über eine Alpirsbacher Chroniknotiz<br />
4 .<br />
Im Rotulus Sanpetrinus kommt als erster ein nobilis vir<br />
Waltherus de Horwan um 1112 vor, der auch mit dem<br />
Kloster Zwiefalten zu tun hatte. Ein Cuono von Horwe,<br />
wohl Walthers Sohn, f ; ndet sich 1152 in Freir urg und<br />
schon etwas früher, wie Harter nachweist, in Offenburg.<br />
Im Jahr 1161 wird von ihm der Ort Tennenbach zur<br />
Klostergründung gekauft. Im gleichen Jahr ist er Vogt<br />
des Klosters Offenhausen am Lauterursprung. Kuno und<br />
sein Sohn Walther II. de Horwe stehen nach 1163 im<br />
Reichenbacher Schenkungsbuch und auch in Beziehungen<br />
zu Hirsau 5 .<br />
Wie verhalt es sich nun mit diesem angeblichen Horb bei<br />
Salmendingen? Das genannte Fleckenbuch von 1530 enthält<br />
u. a. folgende Einträge: „Ain farweg von bach uf<br />
hewteid hinus. Ain Zunstellin von bach bis uf die vichwaid.<br />
Item von horw (1698 verbessert zu horb) gat ain<br />
weg bis uf hewfeld, genannt der alt hecl' iger weg." Bach<br />
und Horw sind zweifellos Flurnamen. Bach ist identisch<br />
mit dem heutigen Baah-Brunnen an der Ringinger Straße,<br />
etwa 250 m westlich von Salmendingen am Sattel Zwischen<br />
Monk und Kavberg. Von dort ging und geht heute<br />
noch ein Fahrweg nach Westen (inzwischen als neue Straße<br />
nach Ringingen ausgebaut), biegt aber als Feldweg nach<br />
Norden ab, von dieser Straße weg, und führt nördlich des<br />
Kornbühls auf Heufeld bis zum Dreifürstenstein. Von<br />
Bach ging aber auch ein Weidezaun (Zaunstelle) bis auf<br />
die Salmendinger Viehweide, südwestlich des Kornbühls,<br />
wo noch mächtige Linden erhalten sind. Vom obigen<br />
Fahrweg zweigte wenige 100 m westlich vom genannten<br />
Brunnen der Alt-Hechinger Weg ab (so wie heute die<br />
neue Straße verläuft), südlich am Kornbühl vorbei und<br />
schaftsgrad blieben die gegenseitigen Beziehungen meist<br />
bewußt und aufrecht erhalten.<br />
Gänzlich unbekannt jedoch waren in der Mundart die<br />
Fremdwörter Cousin und Cousine für die Kinder von<br />
Onkel und Tante (Vetter und Base). Die Mundart bleibt<br />
in diesem Fall wieder lebensnah. Auch hierbei wurden die<br />
Namen von Vettern und Basen vorausgenannt und dann<br />
die Namen der betreffenden Kinder hinzugefügt. Man<br />
hörte dann etwa: Meim Josefvetter sei Xavere — oder<br />
meira Mariebäs ihre Theres.<br />
Heute sind die neuen Verwandtschaftsbezeichnungen aus<br />
der hochdeutschen Sprache zum großen Teil auch von der<br />
Mundart übernommen worden. Dieser für die Sprachgeschichte<br />
so interessante Vorgang bestätigt auch auf seine<br />
Weise die Dichterworte: „Die Stunde, leise wandelnd,<br />
wandelt alles" (Webers Dreizehnlinden).<br />
über die genannte Viehweide geradeaus über das Heufeld<br />
bis zur heute noch sog. „Hechinger Staig" ob Schlatt. Vielleicht<br />
wurde der Weg bei Anlage des fürstenbergischen<br />
(heute staatlichen) Forstes um 1850 geringfügig verlegt<br />
bzw. aufgegeben. Somit muß die Flur Horw oder Horb<br />
in der Nähe obiger Abzweigung Feldweg-Straße östlich<br />
des Kornbühls angenommen werden, also ein Sumpfgebiet<br />
vom genannten Baah-Brunnen her. Horw bedeutet<br />
nämlich Sumpf. Aus Jakob Frischlins Beschreibung der<br />
Zollerischen Hochzeit 1598 wissen wir, daß die Ulmer<br />
Landstraße von Hechingen aus über der Schlatter Kirche<br />
auf die Hechinger Staig und von da nach Salmendingen<br />
und Meldungen lief. Irrigerweise kam dafür in neuerer<br />
Zeit der Name Schlatter Kirchweg auf. Heute findet man<br />
östlich oder südlich des Kornbühls weder einen Sumpf<br />
noch irgendwelche Spuren einer Siedlung, geschweige<br />
denn einer Burg. Somit bleiot völlig schleierhaft, wie die<br />
Bearbeiter der genannten Oberamtsbeschre'bung aus dem<br />
bloßen Flurnamen Horw von 1530 auf die Heimat eines<br />
Adelsgeschlechts schließen konnten, .n unmittelbarer Nähe<br />
des alten Dorfes Salmendingen mit seiner Burg, die oberhalb<br />
der Kircne auf Kay stand. Die Herren von Horb<br />
müssen m. E. anderswo gesucht werden 8 , entweder in der<br />
Stadt Horb am Neckar oder in Horben bei Freiburg, wie<br />
es z. B. Alb. Krieger im Topographischen Wörterbuch von<br />
Baden tut, oder sonstwo.<br />
Während in Horben bei Freiburg kein Burgplatz bekannt<br />
ist, plaziert Alberti 7 i,n Adelsgeschlecht „von Horben"<br />
(mit 5 weißen Pfeilen in blauem Scl"d) in nie bayerische<br />
Gemeinde Gestraz und bringt vieie Angaben dazu aus<br />
Bayern. Auch setzt der gleiche Verfasser die anfangs von<br />
uns erwähnten Herren mit einleuchtenden Gründen nach<br />
Horb am Neckar. Hier findet sich heute noch wenig über<br />
der Talsohle, die einst sicher sumpfig war, der Name<br />
Burgstall, nämlich unmittelbar neben der Liebtrauenkapelle<br />
und dem zugehörigen Krankenhaus. Die relativ<br />
niedere Lage der ehemaligen Burg und der Name Horb<br />
(Sumpf) scheinen < .n w 'ltiges Zeichen für deren hohes<br />
Alter zu si n, im Gegensatz zur späteren, den Hang<br />
hinaufz! :henden Stadt.<br />
Anmerkungen<br />
1<br />
OAB Münsingen, 1912, S. 664, Anm. 1<br />
2<br />
Mitt. Hohenz. 37 (1903): S. 77<br />
3<br />
Gemeinderegistratur Salmendingen<br />
4<br />
„Die Ortertau" 49 (1969), S. 239<br />
5<br />
Quellenangabe in Anm. 4<br />
6<br />
Vgl. ZWLG 24 (1965), S. 179<br />
7<br />
v. Alberti, Württ. Adels- u. 'Wappenbuch I, S. 351<br />
15
Hinweise auf Neuerscheinungen<br />
Wolfgang Kimmig: Die Heuneburg an der oberen Donau<br />
Selbstverlag der Gesellschaft für Vor- und Frühgeschichte<br />
in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart, Altes<br />
Schloß. 128 Seiten, DM 8.-.<br />
Seit 1950 werden in den Monaten August bis Oktober<br />
Ausgrabungen an der Heuneburg, beim Talhof, Markung<br />
Hundersingen, Kreis Saulgau, durchgeführt, die jedes Jahr<br />
neue Erkenntnisse brachten. Schon lange bestand der<br />
Wunsch nach einem handlichen, allgemein verständlichen,<br />
mit Karten und Bildern gut ausgestatteten „Heuneburgführer".<br />
Vor Jahresfrist erschien nun dieses Buch, herausgegeben<br />
von dem derzeitigen Leiter der Ausgrabungen an<br />
dem keltischen Fürstensitz, Dr. Wolfgang Kimmig, Professor<br />
für Vor- und Frühgeschichte an der Universität<br />
Tübingen. Dieser Heuneburgführer ist allgemein verständlich<br />
und mit Karten, Bildern, Zeichnungen und Rekonstruktionen<br />
hervorragend ausgestattet. Er behandelt<br />
die Forschungsgeschichte, einen Rundgang für die Besucher,<br />
die Ausgrabungen selbst, die Schicksale der Heuneburg,<br />
dabei auch besonders reich bebildert die berühmte Lehmziegelmauer<br />
und die Bastionen der Kelten, sowie die Ge-<br />
schichte der Heuneburg im frühen Mittelalter. Besonders<br />
gut dargestellt sind auch die Funde, die teils einheimisch,<br />
teils griechische Importe sind und eine genaue Datierung<br />
zulassen.<br />
Der Heuneburgführer beschränkt sich nicht nur auf die<br />
Heuneburg. selbst, sondern behandelt auch in gleicher<br />
Weise die gleichzeitigen Grabhügel der Burgherren, den<br />
Hohmichele, die Grabhügel (Fürstenhügel) im Talhau, den<br />
Lehenbühl, die Baumburg, den Bettelbühl und Rauhen<br />
Lehen, und geht auch auf die Bestattungsbräuche der Hallstattzeit<br />
ein. Eine Literaturangabe zur Heuneburg und zu<br />
den dazugehörigen „Fürstenhügeln" beschließen den ausgezeichneten<br />
„Heuneburgführer".<br />
Für alle Wanderer, Heimatfreunde und Lehrer dürfte der<br />
„Heuneburgführer" eine reiche und ergiebige Fundgrube<br />
darstellen und vielerlei Anregungen zu Besichtigungen<br />
und Schulwanderungen geben, die sich leicht mit dem benachbarten<br />
spätmittelalterlichen Zisterzienserinnenkloster<br />
Heiligkreuztal verbinden lassen.<br />
Während der Ausgrabungszeit macht die Ausgrabungsleitung<br />
für Schulen und Gruppen Führungen. Dabei ist<br />
der Heuneburgführer verbilligt erhältlich.<br />
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Hediingen mit dem Hohenzollern. Lithographie von Eb. Emminger nach B. Popp, um 184b<br />
Wie steht es um Hohenzollern ? Die Neuordnung der Kreise bewegt die Gemüter<br />
Die Tageszeitungen in Hohenzollern, die großen Landeszeitungen,<br />
die hier gelesen werden, und die Rundfunkanstalten,<br />
die man in Hohenzollern hört, haben in den<br />
letzten Monaten ausführlich über das Denkmodell der<br />
Landesregierung und über die Alternativ-Vorschläge berichtet.<br />
Das Wesentliche für Hohenzollern besteht bekanntlich<br />
darin, daß der Landeskommunalverband aufgelöst<br />
und die beiden Kreise anderen, neuen und größeren<br />
Verwaltungseinheiten zugeordnet werden sollen. Es ist<br />
an dieser Stelle zunächst unerheblich, ob das die Großkreise<br />
Tübingen, Ebingen oder Tigmj ngen-Saulgau sein<br />
werden oder ob sich andere Begriffe zu Gegebenheiten<br />
kristalli' ieren werden.<br />
Der Kommunallandtag hat in seiner Entschließung vom<br />
25. Mai dieses Jahres mit Recht auf das garantierte Recht<br />
zur Selbstverwaltung hingewiesen. Mit Recht auch darauf,<br />
daß die hoh<strong>enzollerische</strong> Selbstverwaltung seit langem<br />
praktiziert und verwirklicht hat, was die Reform<br />
erst erbringen soll, zum Beispiel die sogenannte „Ein-<br />
raumigkeit" und die Koordination von Planung, Investition<br />
und Verwaltung.<br />
Die Geschichtskundigen - und das sind ja wohl die Leser<br />
der „Hoh<strong>enzollerische</strong>n Heimat" - wissen natürlich, daß<br />
eine Reihe der Vorwürfe,' die man heute den Reformern<br />
macht ihrerseits in vergangenen Jahrhunderten mitgeholfen<br />
haben, Hohenzollern zu formen: Was war nicht alles<br />
Willkür und Zufälligkeit, was nicht gewaltsames Reformieren,<br />
Rücksichtslosigkeit gegenüber den Bedürfnissen<br />
der Bevölkerung, von den Wünschen gar nicht zu reden;<br />
Politik war ja allein eine Sache „derer Potentatum", und<br />
meilenweit von unserer demokratischen Praxis entfernt,<br />
in der jedermann - wie es gegenwärtig zum Giück geschieht<br />
- öffentlich sein Für und Wider einer Reform<br />
der Landkreise dartun kann. Dieselben Vokabeln, die<br />
wir eben gebraucnten, sind auch diejenigen, die in der<br />
Diskussion heute die Rolle spielen.<br />
Dennoch: haben die 170 jähre gemeinsamer hoh<strong>enzollerische</strong>r<br />
Vergangenheit nicht auch ein Zusammengehörig-
keitsgefühl geschaffen? Ist.es nicht ein wenig abwegig<br />
(und Franz Gog hat dieses Argument mehrmals ins Feld<br />
geführt), daß man heute von „unzumutbar weiten" Wegen<br />
spricht, wo man Telefon, Kraftwagen und Linienbus<br />
hat? Wer stieß sich beispielsweise hundert Jahre lang daran,<br />
daß es von Adlberg nach Sigmaringen und umgekehrt<br />
zu kommen, eine abenteuerliche Reise über unglaubliche<br />
Straßen bedeutete? Wer vor genau 15 Jahren die Gelegenheit<br />
hatte, in Gammertingen dem ersten Anhörungstermin<br />
in Sachen Kreisreform, beizuwohnen, im Sommer<br />
1955, konnte erleben, wie Leute, deren Vorfahren nicht<br />
minder willkürlich zusammengetrieben worden waren,<br />
nämlich Badener, auf die Barrikaden stiegen. Mit zornroten<br />
Köpfen und geballter Faust verteidigten Stettener<br />
und Meßkircher ihr Stockach und wollten nichts von<br />
Ebingen oder Sigmaringen hören. Dieses Recht haben wir<br />
doch wohl audi? Diejenigen Diskussionsredner in der Sil<br />
zung des Kommunallandtags vom 25. Mai trafen den<br />
Nagel auf den Kopf, die meinten, man verschließe sidi<br />
einer Reform nicht, aber man müsse wissen, ob wirklich<br />
etwas Besseres als das Bewährte angeboten werde; und<br />
eben diese Frage sei mit den verschiedenen Vorlagen zur<br />
Reform der Kreisgrenzen noch nicht beantwortet. Wir<br />
halten es nidit für eine leere Phrase, wenn beispielsweise<br />
in den Erläuterungen zum Einzelplan 4 des Kommunalverbandes,<br />
Sozial- und Jugendhilfe, dieses Jahr 1 der Satz<br />
steht: „Die Verwaltungsstellen sind von jeher bemüht,<br />
dem ihnen sachlich und örtlidi anvertrauten hilfesudienden<br />
Persönenkreis ein Höchstmaß an sozialer Hilfe unter<br />
Beachtung und Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen<br />
schnell, sachkundig und nachhaltig zu leisten." Es<br />
wird immer Unzufriedene geben, aber diese Bemühung<br />
der Verwaltungsstellen ist doch wohl Tatsache. Und et-,<br />
was Besseres — stehe oben - muß in der Tat erst vorgelegt<br />
werden.<br />
Es gibt freilich einen Unterschied zwisdien den einstigen<br />
Willkürlichkei ten und Zufälligkeiten, unter denen Hohenzollern<br />
— audi — entstand, zu dem, was jetzt auf<br />
uns zukommt: Es ging immer um ein Auf und Ab, nie<br />
aber um ein Verschwinden des Namens Zollern oder Hohenzollern<br />
aus dem lebendigen politischen Bild. Dies aber<br />
steht uns heute - vielleicht -'bevor.; Andererseits aber<br />
wird durch eine etwaige Auflösung Hohenzollerns ja niemand<br />
vertrieben, ausgesiedelt, deportiert. Neufra und<br />
Gauselfingen werden weiterhin Nachbarn sein, Trochtelfingen,<br />
sollte es je einem Reutiinger Kreis zugeteilt werden,<br />
bleibt an der Seckach liegen, am vertrauten Bild<br />
wird sich nidits ändern. Und ändern wird sich auch nichts<br />
am gemeinsamen Erbe, an der Landeskunde und ihrer Erforschung,<br />
an den Orts- und Flurnamen und an allen<br />
übrigen, tausendfältigen Gegenständen der <strong>heimat</strong>lichen<br />
Forschung. Heimat bleibt Heimat, man sollte es nicht so<br />
dramatisieren, wenn in Zukunft die Hechinger Kraftfahrer<br />
vielleicht ein TÜ am Wagen führen, und dafür die von<br />
Meßldrch ein SIG.<br />
Darum wird auch der Gcschiclitsvcrein weiterbestehen,<br />
und wir hoffen, audi recht lange die „Hoh<strong>enzollerische</strong><br />
Heimat".<br />
18<br />
An unsere Leser<br />
Mit der allgemeinen Teuerung sind leider<br />
auch unsere Gestehungskosten gestiegen, obwohl<br />
alle unsere Mitarbeiter ohne Entgelt<br />
an der „Hohenzollerisdien Heimat* mitwirken.<br />
Wir müssen daher vom 1. Juli 1970.<br />
ab den Bezugspreis von halbjährlich 1,40 DM<br />
und 2,00 DM heraufsetzen,.<br />
WALTER SAUTER<br />
Die Hechinger Straßennamen<br />
(Fortsetzung)<br />
Die Residenz<br />
600 Jahre war die Stadt Hediingen Hauptort der Grafschaft<br />
Zollern, und als die Grafen die, Burg Hohenzollern<br />
als Wohnsitz aufgaben .und in ihr. wohnlidieres Schloß in<br />
Hechingen zogen, wurde die Stadt audi Residenz, In zahlreichen<br />
Straßehbezeidinungen hat dieser Charakter der<br />
Stadt als Residenz seinen Niederschlag gefunden. Der<br />
Name „Fürstenstraße" ist die zusammenfassende Aussage<br />
für die Bedeutung Hechingens als Residenz der Grafen<br />
von Zollern und späteren Fürsten von Hohenzollern-Hechingen.<br />
Die Umbenennung in „Hindenburgstraße" im<br />
Jahre 1933 zu Ehren des damaligen Reichspräsidenten<br />
v, Hindenburg war nur kurzlebig. Seit 1945 lautet die<br />
Bezeichnung, wieder Fürstenstraße,<br />
Nach einer Nebenlinie des Zollernhauses, den Grafen von<br />
Hohenberg, ist die „Hohenbergerstraße" benannt. • Die<br />
Hohenberger leiteten ihren Namen von der längst abgegangenen<br />
Burg Oberhohenberg bei Rottweil ab. Sie zählten<br />
zu-den bedeutendsten Adelsgeschlechtern Südwestdeutschlands.<br />
An Größe ihres Besitzes (neben der alten<br />
Grafschaft Hohenberg die Herrsdiaften Haigerloch, Rothenburgs<br />
Horb und Teile des Nagoldgaus), an Ansehen<br />
und an Macht überragten sie ihre Stammesvettern von<br />
der altzollerischen Linie. Eine Gräfin von Hohenberg war<br />
mit König Rudolf von Häbsburg vermählt. An sie als<br />
Stammutter des Hauses Häbsburg erinnerte man sich, als<br />
sich der österreichische Erzherzog Franz Ferdinand mit<br />
einer böhmischen Gräfin in nicht ebenbürtiger Ehe vermählte.<br />
Die Ehe endete tragisch. Das tödliche Attentat<br />
auf das Ehepaar war das Signal zum Ausbrudi des ersten<br />
Weltkrieges, Die von der Thronfolge ausgeschlossenen<br />
Kinder aus dieser Ehe erhielten den Namen und Titel<br />
Herzoge und Herzoginnen von Hohenberg. Die zollerischen<br />
Grafen von Hohenberg waren sdion im 15. Jahrhundert<br />
ausgestorben. Ihren großen Landbesitz hatten sie<br />
schon vorher verkaufen müssen. Die Straße hat ihren heutigen.<br />
Namen erst seit dem Jahre 1934. Früher hieß sie<br />
„Pfarrgasse" oder „Pfarrhofgässe" nach dem alten Hediinger<br />
Pfarrhof. (heute Haus Dehner mit dem Elektrogeschaft<br />
Schweizer) bis zum Verkauf des Hauses im<br />
Jahre 1866. Jahrhundertelang wohnte hier der Stadtpfarrer<br />
mit den Kaplanen. In den 80er Jahren kam als<br />
neue Straßenbezeichnung der Name „Synagogenstraße"<br />
auf; Namengebend war die Synagoge. Ihr gegenüber trifft<br />
die Straße auf die Goldschmiedstraße auf. Die Umbenennung<br />
in Hohenbergerstraße gehörte zu den Maßnahmen<br />
der Arisierung,<br />
Personennamen aus dem Fürstenhaus tragen drei Hechinger<br />
Straßen, als älteste die „Friedrichstraße". Diese Bezeichnung<br />
wird in zweifachem Sinne gebraucht. Fürst<br />
Friedrich Ludwig gab sie der im Anschluß an den Kasernenbau<br />
nach 1730 von ihm geplanten und der bereits<br />
bestehenden Siedlung von Mühlen und Wirtschaften zu<br />
Ehren seines Vaters, des Fürsten Friedrich Wilhelm, Den<br />
gleichen Namen erhielt bei der Straßenbenennung des<br />
Jahres 1906 die den Vorort von der Starzelbrücfce in<br />
Riditung Martinsberg durchquerende frühere Verkehrsstraße.<br />
„Fürstin-Eugenie-Straße" heißt die neue Straße,<br />
die vom Kinderhausgarten stadtauswärts führt. Wie die<br />
von der Fürstin Eugenie gestifteten caritativen Einrichtungen<br />
Kinderhaus, Armenhaus (heute Altersheim) und<br />
Krankenhaus ist dieser Straßenname eine Erinnerung an<br />
die lejzte Landesmutter des Hechinger Fürstentums und<br />
unvergeßliche Wohltäterin von Stadt und Land. Der von
der bisher „Im Hofgarten" benannten Straße abzweigenden<br />
und hinter das Schlachthaus führenden Straße gab<br />
die Stadtvertretung im Jahre 1927 den Namen „Eitelfritzstraße".<br />
Diese Namengebung war wohl gut gemeint<br />
- man dachte dabei an die Lage der Straße in einem früheren<br />
herrschaftlichen Gelände -, aber schlecht überlegt.<br />
Den Namen Eltelfritz in einem Straßennamen festzuhalten<br />
war mehr als berechtigt, für ein solch ehrendes Gedenken<br />
hätte jedoch keine so unbedeutende Straße gewählt<br />
werden sollen. Den Namen Eitelfr :dr n trugen<br />
bedeutende Regentenpersör Haiieit en in der Hechinger<br />
Stadtgeschichte und in der Landesgeschichte: Graf Eitelfriedrich<br />
I., der Erneuerer der Grafschaft Zollern nach<br />
ihrem Niederbruch zu Beg' in des 15. Jahrhunderts, Graf<br />
Eitelfriedrich II., Freund und vertrauter Ratgeber des<br />
Kaisers Maximilian, des „letzten Ritters", Präsident des<br />
Reichskammergerichts, Reichserbkämmerer und Anführer<br />
eines Reichsheeres, Erbauer des alten Hechl ger Rathauses,<br />
dann Eitelfriedrich IV., der seine Residenz zu i 1er<br />
Pflegestätte der Musik machte, der Kloster und Kirche<br />
St. Luzen, das Pfründehospital mit Kirche und den Unteren<br />
Turm erbaute. Bemerkenswert sind auch der nichtregierende<br />
Graf Eitelfriedrich (IIL), kaiserl her Feldhauptmann<br />
in Italien, und der letzte Hechu ger Fürst dieses<br />
Namens, Eitelfriedricii IL, der w.- seih Land unter dem<br />
Dreißigjährigen Krieg schwer zu 1. i den hatte. Neuerdings<br />
ist die Straße „Im Hofgarten" und die oben genannte<br />
Abzweigung unter dem Namen „Eitelfritzstraße" zusammengefaßt.<br />
Die „Lindichstraße* führt zum fürstlichen Jagd- und<br />
Lustschloß Lindich. Nach dem Burgsitz der Stadtherren,<br />
der Burg Hohenzoiiern, ist d** „Zcllerstraße" benannt.<br />
Diese Bezeichnung konnte erst aufkommen, als im Zug des<br />
Wiederaufbaus als neue Zufahrt zur Burg d Straße vom<br />
Brielhof her gebaut war. Der frühere Name war Balingen<br />
Straße oder Bai iger Landstraße. Auf dem Platz des<br />
früheren Filialgebäudes der Hohenzolle- sehen Landesbank<br />
stand bis zum unüberlegten Abbruch In den Jahren<br />
1813 und 1814 das Stadtschloß der Zollern. Dieses stolze<br />
Eitelfriedrichschloß hat der „Schloßsiraße" ihren Namen<br />
gegeben. Seine im Viereck um Innenhöfe angelegte Gebäudemasse<br />
reichte bis über die Mitte des heutigen Straßenkörpers.<br />
Das bald nach dem Abbruch gebaute Neue<br />
Schloß, heute Landesbank, ließ einen weiten Vorplatz<br />
frei, was dazu führte, daß die Fortsetzung der Schloßstraße<br />
den Namen „Schloßplatz" erhielt. Auf der gegenüberliegenden<br />
Seite liegt ein früheres fürstliches Verwaltungsgebäude.<br />
Es war ei stmals Sitz der Kanzlei, der<br />
Schreibstnben für die oberen Verwaltungsbeamten des<br />
Fürstentums. Die Erinnerung daran hält die „Kam eistraße"<br />
fest, die Verbindung zwischen Schloßstraße und<br />
Rain. Aus der Kanzle i wurde spater das Alte Schloß und<br />
das Interimsrathaus. Der Name „Münzgasse" erinnert an<br />
das Münzrecht der Grafen und Fürsten von Hohenzollern,<br />
das ihnen als vom Kaiser verliehenes bedeutsames<br />
Regal, d. h. Privileg, zustand. Die Prägestätte stand in der<br />
heutigen Münzgasse. Sie gehörte zuletzt zum Komplex<br />
der Baruch'schen Fabrikbauten und wurde mit ihnen im<br />
Jahre 1938 abgebrochen. Die „Kasernenstraße" im Vorort<br />
Friedrichstraße ist eine Erinnerung an die Kaserne, die<br />
der damalige Erbprinz und spätere Fürst Friedrich Ludwig<br />
in den 30er Jahren des 18 Jahrhunderts für die fürstlichen<br />
Haustruppen errichten ließ. Nur kurze Zeit lieme<br />
das Gebäude als Kaserne. Es wurde bald anderen Zwecken<br />
zugefunrt und war lange Wohnhaus für arme Judenfamiiien,<br />
bis es 1878 durch Brandstiftung völlig abbrannte,<br />
Die „Stutenhofstraße" führt zum früheren Stutenhof,<br />
d. h. zu dem Rest, der nach einigen Bränden von<br />
dem alten herrschaftli hen Gutshof übrig geblie Jen ist. In<br />
seiner ersten Zei war es das Gestüt für den Grafen. Zu<br />
einer herrschaftlichen Hofhaltung gehörte ein mit Reitund<br />
Kutschpferden gut besetzter Marstall für den Herrn,<br />
sein Gefolge und seine berittenen Dienstmannen. Aufgabe<br />
des Stutenhofs war es, den Nachwuchs an Pferden zu<br />
züchten. In allen Höfen des Hochadels gab es solche Gestüte.<br />
Auf dem Platz eines solchen Gestüts steht die baden-württembergische<br />
Landeshauptstadt, deren Name<br />
Stuttgart auf den früheren Stutengarten h: .lweist.<br />
Zu einer Burg und zu einem Schloß gehört ein Garten.<br />
Der erste Hechinger Burggarten dürfte innerhalb der<br />
Ringmauer beim „Bürgle" angelegt worden sein, bei der<br />
Stadtburg der Zollergrafen. In diesem Garten pflanzten<br />
und pflegten dl^ Gräfinnen mit ihren Mägden Würz- und<br />
Heilkräuter wie auch Blumen. Es war der Frauengarten,<br />
so benannt nach der Frau des Grafen, der allein die Titulatur<br />
Frau zukam. Alle anderen verehelichten weiblichen<br />
Wesen waren nur „Weiber". In späteren Zeiten<br />
erhielt der Frauengarten durch Zukäufe eine große Ausdehnung<br />
und rei 'ite von der nach ihm benannten<br />
„Frauengartenstraße" den Feilbach hinab bis zur Starzel.<br />
Die in der Hechinger Stadtchronik enthaltene Vermutung,<br />
der Frauengarten sei das B« '.tztum der mit dem Fürsten<br />
Friedrich Wilhelm im Jahre 1710 morganatisch vermählten<br />
Freiin Maximiliane v. Lützow gewesen, ist nicht stichhaltig,<br />
da der Frauengarten schon früher in der Forsiordnung<br />
der gefürsteten Grafschaft Zollern vom Jahre<br />
1623 erwähnt wird. Als in der Zeit der Renaissance die<br />
höfische Kultur nach prunkvoller Entfaltung strebte, entstand<br />
in der Nähe des Stutenhofes eine weitläufige prächtige<br />
Gartenanlage, der Hofgarten, auch Lustgarten genannt,<br />
mit hübschem Gartenschlößlein und Pavillons. An<br />
diesen seil. 120 Jahren zu Baugrundstücken und Krautländern<br />
aufgeteilten Hofgarten erinnert die Straßenbezeichnung<br />
„Hofgartenstraße". An der drl :en herrschaftlichen<br />
Gartenanlage erfreuen wir uns noch heute, am Fürstengarten.<br />
Er dürftt n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />
angelegt worden sein, als der Fürst weit draußen<br />
vor der Stadt ein Sommerhaus erstellen ließ, den Mittelbau<br />
der heutigen Villa Eugenia. Von dem später erweiterten<br />
Garten hat die an se' em Rand nach dem letzten<br />
Krieg erbaute Straße „Am Fürstengarten" irren Namen.<br />
Einige Straßennamen deuten auf herrschaft 'che Be^tzverhältnisse.<br />
Die „Herrenackerstraße" zieht sich über die<br />
überbaute Flur Herrenacker, 1590 erwähnt als „unseres<br />
gnädigen Herrnackher". Bei den Bezeichnungen „Am<br />
Schloßberg", „Schloßackerweg" und „Burgackerstraße"<br />
darf man nicht an ein Schloß oder eine Burg denken, die<br />
früher einmal dort gestanden hätten, höchstens viel! iit<br />
beim Burgacker. Die dortigen Grundstücke dürften vielmehr<br />
Zubehör zu einer Burg, zum Schloß gewesen seir.<br />
Im Mittelalter zwang das damals noch herrschende System<br />
der Naturalwirtschaft dazu, alle öffentlichen Einrichtungen<br />
wie Burgen, K'rcnen, Klöster, Spitäler mit Grundstücken<br />
für den Lebensunterhalt auszustatten. Bei den<br />
Burgäckern oder Burgenäckern läßt sich dies allerdings<br />
urkund :h nicht belegen, da sie schon in den alten städtischen<br />
Lagerbüchern als Pr atbesitz beschrieben sind.<br />
Dagegen b)' ,:b der Schloßberg bis zu seiner Überbauung<br />
nach den beiden Weltkriegen im Besitz des Fürstenhauses<br />
Hohenzollern.<br />
Straßen heißen nach Personen<br />
Unseren Vorfahren lag es fern, Persönlichkeiten durch die<br />
Namengebung von Straßen zu ehren. Der Volksmund benannte<br />
Straßen nach Personen le I .glich m seltenen Fällen,<br />
wenn Träger dieses Namens 1 leT wohnten oder Grundbesitz<br />
hatten. Dafür gibt es ' I Rechingen zwei Beispiele.<br />
Jahrhundertealt ist der Name Ermelesgasse, heute „Erme-<br />
19
lessfräße". Sie war bis zur Jahrhundertwende nur ein<br />
Feldweg. Die Bezeichnungen „des Ermelins Garten" und<br />
„des Ermelins Gäßlein" in alten städtischen Grundbüchern<br />
deuten auf ein Besitzverhältnis. Der Personenname Ermelin<br />
ist die Verkleinerungsform von Ermin oder Irmin,<br />
eines altgermanischen Wortstammes, den wir u. a. in dem<br />
latinisierten Namen des Siegers im Teutoburger Wald Arminius<br />
und im heutigen Vornamen Irmgard finden. Die<br />
Ermelesstraße ist also ein Weg, an dem vor Jahrhunderten<br />
ein Hechinger Bürger namens Ermelin einen Garten<br />
besaß. Wenn die Egler-Ehrenberg'sche Chronik der Stadt<br />
Hechingen den Namen „Ärmelesgasse" von den armen<br />
Sündern ableitet, die einst durch diese Gasse zum Galgen<br />
auf der Höhe vor dem Fichtenwäldle geführt worden<br />
seien, so folgte sie damit einer phantasievollen Volksüberlieferung,<br />
die wie viele andere volksetymologische Deutungen<br />
nicht haltbar ist.<br />
Ähnlich ist der Name „Siebergasse" zu erklären. Das heutige<br />
Wohn- und Geschäftshaus von Malermeister Fritz<br />
Müller wurde im Jahre 1846 von dem fürstlichen Baumeister<br />
Sieber gebaut und blieb ein halbes Jahrhundert<br />
im Besitz dieser Familie. Hinter ihm dehnte sich bis zum<br />
früheren, heute überbauten Löwengarten der große Sieber'sche<br />
Garten, von dem ein großer Teil im ersten Jahrzehnt<br />
dieses Jahrhunderts überbaut wurde. Die ihn erschließende<br />
Straße erhielt nach der Besitzerfamilie des<br />
Gartens den Namen Siebergasse.<br />
Erst in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts wurde es<br />
auch in Hechingen Mode, Straßen nach berühmten oder<br />
um die Stadt verdienten Persönlichkeiten zu benennen.<br />
Weltgeschichtliche Bedeutung hatte der General Friedrich<br />
Wilhelm von Steuben, dessen Name zwei Straßen in Hechingen<br />
tragen, die „Steubenstraße" und der „Steubenplatz".<br />
Steuben war der militärische Mitbegründer der<br />
Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Nordamerika.<br />
Als Retter vor der drohenden Niederlage nach Amerika<br />
gerufen, schuf er als Generalinspekteur und Lehrmeister<br />
der Unionsarmee das Instrument, mit dem die<br />
Amerikaner ihren Freiheitskrieg m : '. Erfolg zu Ende führen<br />
konnten. Mit Hechingen verbunden war Steuben<br />
durch seine Berufung als Hofmarschall des Fürsten Joseph<br />
Wilhelm von Hohenzollern-Hechingen, in dessen Diensten<br />
er von 1764-1777 stand.<br />
Die Namengebung „Ludwig-Egler-Straße" ist die verd'ente<br />
Ehrung der bedeutendsten Persönli nkeit der Heiditnger<br />
Bürgerschaft, des Schriftstellers und D' hters Ludwig<br />
Egler (geb. 1828, gest. 1898). Abgesehen von seinem<br />
zeitgebundenen Wirken im P enste vielfältiger öffentlicher<br />
Interessen hat Ludwig Egler ein großes publizistisches<br />
Werk hinterlassen, von dem die erste Fassung der<br />
Chronik der Stadt Hechingen, volkskundliche Schriften<br />
und mundartliche Gedichte von ble uendem Werte sind.<br />
Mit dem Namen „Frankstraße" wollte die Stadt Hechr.igen<br />
den Oberamtmann von 1854-1868 und Parlamentarier<br />
Fn 'nerrn Frank von Fürstenwerth ehren. Wilhelm<br />
von Frank hatte sich hier größter Beliebtheit erfreut, und<br />
fei maiig war nie ihm b"i seinem Abschied zuteil gewordene<br />
Ehrung. Die Stadt Hechingen und sämtliche Landgemeinden<br />
des damaligen Oberamts Hechingen verliehen<br />
ihm das Ehrenbürgerrecht. Der Straßenname ist zugleich<br />
eine Erinnerung an eine hervorragende Hecl iger Beamtenfamilie,<br />
die in vier Generationen die höchsten Regierungs-<br />
und Verwaltungsstellen : n ehemaligen Fürstentum<br />
Hohenzollern-Hechingen und späteren preußischen<br />
Oberamt Hechingen innehatte, angefangen von dem<br />
Kanzler Johann Daniel Marianus Frank bis zu dem<br />
Oberamtmann und späteren Sigmaringer Regierungspräsidenten<br />
Frh. Adolf v. Frank.<br />
Die jSüllfriedstraße* ist nadi einem preußischen Diplomaten<br />
und Geschichtsforscher benannt, den man als gei-<br />
20<br />
stigen Urheber des Wiederaufbaus der Burg Hohenzollern<br />
von 1850-1867 bezeichnen kann. Graf Rudolf Stillfried<br />
von Ratonitz, portugiesischer Grande mit dem Titel eines<br />
Grafen von Alcantara, hat auch sonst in der Geschichte<br />
Hohenzollerns eine Rolle gespielt. Als Berater des Königs<br />
Friedrich Wilhelm IV. war er Fürsprecher der Einverleibung<br />
beider hoh<strong>enzollerische</strong>n Fürstentümer in Preußen.<br />
Die Stadt Hechingen machte ihn zum Ehrenbürger ebenso<br />
wie den Wirkl. Geh. Oberjustizrat und Landgerichtspräsidenten<br />
August Evelt (geb. 1828, gest. 1904), nach dem<br />
die ,,Eveltstraße" benannt ist. Evelt war einer der ersten<br />
von Preußen nach Hechingen entsandten Beamten.<br />
D Aufzählung all seiner Verdienste um Stadt und Land<br />
im Zeitraum eines nahezu 50jährigen öffentlichen Wirkens<br />
würde einen breiten Raum einnehmen. In jahrelangem<br />
Ringen gegen württembergische Widerstände erreichte<br />
er die für Hohenzollern günstige Führung der Eisenbahnlinie<br />
Tübingen-Hechingen-Sigmaringen. An der Errichtung<br />
des Landgerichts Hechingen und der Schaffung eines<br />
eigenen Kommunalverbandes für Hohenzollern hatte er<br />
wesentlichen Anteil.<br />
Die „Gfrörerstraße" ist nach dem seinerzeit hochangesehenen<br />
und beliebten Hechinger praktischen Arzt, Leibarzt<br />
des letzten Fürstenpaares und Oberamtsphysikus<br />
Dr. med. Franz Gfrörer benannt. Sein Ruf als ausgezeichneter<br />
Arzt reichte weit über die Grenzen des Hechinger<br />
Bezirks.<br />
In der neueren Zeit ist man vielerorts dazu übergegangen,<br />
Straßen nach Persönlichkeiten zu benennen, die mit<br />
der betreffenden Gemeinde wenig oder gar nichts zu tun<br />
haben. In den Großstädten darf der Massenbedarf an<br />
Straßennamen als Entschuldigung gelten, meist handelt es<br />
sich aber um Verlegenheitslösungen, da den zuständigen<br />
Bürgermeistern und Gemeinderäten nichts Gescheiteres<br />
einfiel. In etlichen Städten kann man ganze Dichter-,<br />
Musiker-, Gelehrten- und Politikerviertel antreffen. Man<br />
täte jedoch gut daran, solche Ehrungen den großen Städten<br />
zu überlassen. Nicht jede Stadt muß eine Goethestraße<br />
oder eine Richard-Wagner-Straße haben. Auch in Hechingen<br />
nat man in den letzten Janren des in raschem<br />
Tempo vor sich gehenden Wohnungs- und Straßenbaus,<br />
als in jedem Jahr einige Neubenennungen von Straßen<br />
fällig waren, zu solchen beziehungslosen Namengebungen<br />
gegriffen. Seither haben wir in den Neubaugebieten<br />
Schloßberg und Kohibrunnen ein musisches Viertel, wir<br />
haben die „Schillerstraße", den „Uhlandweg", „MünkewegHülderlinweg",<br />
die „Goethestraße", den „Eichendorffweg",<br />
die „Justinus-Kerner-Straße", den „Wieiandweg"<br />
und „Lenauweg".<br />
Eduard Mörike, Dicnter, 1804—1875, Schüler der Kiosterschule in<br />
Urach, ev. Pfarrer in Cleversulzbach, Gymnasiallehrer in Stuttgart<br />
(„Das Stuttgarter Hutzelmännlein", „Mozart auf der Reise nach<br />
Prag", Lyrik).<br />
Friedrich Hölderlin, Dichter, 1770-1843, studierte Theologie, war<br />
Hauslehrer, verfiel in geistige Jmnachtnug, rang in Oden um eine<br />
Verschmelzung von Griechen-, Christen- und Deutschtum (Bildungsroman<br />
Hyperion).<br />
Am ehesten einen <strong>heimat</strong>lichen Bezug hat die in diese Namengruppe<br />
gehörende Bezeichnung »Lenauweg*. Zu den sc jnsten und ; ich bekanntesten<br />
Gedichten Lenajs zählt „Der Postillon" („Lieblich war<br />
die Maiennacht"), ein Gedicht, zu dem Lenau die Anregung auf einer<br />
Fahrt mit dem Postwagen durch Hechingen nadi Balingen anfangs der<br />
30er Jahre des vorigen Jahrhunderts erhielt, als ein Postillon bei<br />
Steinhofen vor dem alten Friedhof bei der Kirche anhielt, um dem<br />
dort ruhenden toten Kameraden sein Leiblied zu blasen. Von den<br />
übrigen, in Hechinger Straßennamen verewigten Dichtern haben Schiller,<br />
Mörike und Eichendorff vermutlich nichts von der Existenz der<br />
Stadt Hechingen gewußt, höchstens Hölderlin, der im Tübinger evangelischen<br />
Stift seine Ausbildung erhielt. Der in Tübingen lebende<br />
Dichter Ludwig Vhland, volkstümlicher Lyriker („Ich hatt' einen<br />
Kameraden", „Schäfers Sonntagslied", „Die Kapeile", „Des Sängers<br />
Fluch"), Schöpfer der deutschen historischen Ballade, z. B. „Bertran<br />
de Born" und „Schwäbische Kunde", einer der Begründer der Ger-
manistik und Haupt der „Schwäbischen Dichtersd.ule", als Politiker<br />
Vertreter des Liberalismus u. a. im Frankfurter Parlament 1848, Dramendichter<br />
und Rechtsanwalt. In der letzteren Eigenschaft hatte er<br />
auch in Hechingen Klienten.<br />
Goethe kam im Sommer 1797 auf einer Schweizer Reise durch Hechingen.<br />
Er erwähnt die Stadt in seinem Reisetagebuch. Gut begründet<br />
ist auch der Name „Silcherweg". Friedrich Silcher, der Erwecker und<br />
Meister des deutschen Volksliedes, wirkte in Tübingen in einer Zeit,<br />
in der am Fürstenhof Hechingen die Musik in Blüte stand, und im<br />
Jahre 1837 kam er mit seiner Liedertafel zu dem großen Musikfest<br />
nach Hechingen. Seinen Namen trägt das Sildier-Doppelquartett des<br />
Hechinger Sängerbundes zu Recht, läßt es doch oft die volkstümlichen<br />
Lieder Silchers erklingen.<br />
Die Justinus-Kerner-Straße wurde nach einem Dichter der schwäbischen<br />
Schule benannt (1786—1864), Verfasser gemütstiefer, oft mystischer<br />
Gedichte, dem Spiritismus zugetan („Die Seherin von Prevorst");<br />
Kerners Großvater stand in Hoeningen im fürstlichen Dienst.<br />
Der von der Schillerstraße abzweigende Wielandweg hat seinen<br />
Namen ebenfalls von einem schwäbischen Dichter, Christoph Martin<br />
Wieland (1733—1813), dem bedeutendsten Autor des deutschen Rokoko<br />
und Begründer der modernen deutschen erzählenden Prosa.<br />
Für das Baugelände „Zwölf jauchert" wurden für die<br />
dortigen drei Straßen als Bezeichnung Personennamen<br />
gewählt, von denen zwe Ertlich bezogen sind. Der Name<br />
Albert-Einstein-Straße" erinnert an die Hechinger Beziehungen<br />
des berühmten Physikers und Nobelpreisträgers<br />
Prof. Dr. Albert Einstein, der u. a. ui s Relativitätstheorie<br />
aufgestellt hat. Eine Fam: e Einstein, nahe Verwandte<br />
des Physikers, war in zwei Generationen Teilhaber<br />
der Hechinger Firma Buntweberei Baruch & Söhne<br />
(heute SBI). Mit der Familie des Hechinger Fabrikanten<br />
Rudolf Einstein bestand eine doppelte Verwandtschaft.<br />
Rudolf Einstein war ein Vetter des Vaters von Albert<br />
Einstein, seine Frau eine Tante des Professors. Von Bedeutung<br />
war es auch, daß der vermögende Rudolf Einstein<br />
das Studium Albert Einsteins finanzierte, der<br />
demnach mit Hechinger Geld studierte. Albert Einst-<br />
n verbrachte häufig seine Ferien in Hechingen im<br />
Hause Einstein in der Schloßstraße, oberhalb des Gasthofes<br />
zum „Mohren". In zweiter Ehe war Albert Einstein<br />
mit seiner Hechinger Cousine Elsa Einstein verheiratet.<br />
Ebenso wie Albert Ei istein hat auch der<br />
Physiker und Nobelpreisträger Professor Max Planck<br />
durch seine Quantentheorie das phy. kar sehe Weltb'ld<br />
verwandelt Nach ihm, dem Präsidenten der s inen Namen<br />
tragenden Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung<br />
der Wissenschaften, der früheren Kaiser-WuheJm-Geseilschaft,<br />
ist die „Max-Planck-Straße" in diesem Baugebiet<br />
benannt. Zwei wissenschaftliche Institute dieser Gesellschaft<br />
hatten nach der Verlagerung aus dem bombenbedrohten<br />
Berliner Stadtteil Dahlen ; n den letzten Kriegsund<br />
in den ersten Nachkr-egs jähren iiiren Sitz in Hech ngen,<br />
das Institut für Phy^'k und das Institut für biologie.<br />
In dieser Zeit war Heesingen eine Stätte wissenschaftlicher<br />
Forschung von Rang, in der weitbekannte Gelehrte<br />
w' r kten, die Nobelpreisträger und Physiker Professor<br />
Dr. Heisenberg und Professor Max von Laue, der Physiker<br />
und Philosoph Prof. Dr. Carl Friedrich von Weizsäcker,<br />
Inhaber des Friedenspreises des deutschen Buchhandels,<br />
der Zoologe Prof. Dr. Alfred Kühn, Ritter der<br />
Friedensklasse des Ordens pour le m£r'
Straße" den Namen, die „Schulstraße" in der Stadtmitte<br />
nach dem 1816 erbauten früheren städtischen Schulhaus,<br />
in dem bis 1929 die katholische Volksschule, zuletzt noch<br />
die Knabenschule und zeitweise auch andere Schulen untergebracht<br />
waren. Seit dem Auszug der Schule in das<br />
neue Schulhaus auf dem Schloßberg dient der Bau als<br />
städtisches Mietwohngebäude. Außer der Schulstraße gibt<br />
es noch den „Schulweg", den vom Kirchplatz zur Neustraße<br />
hinabführenden Fußweg. Um den Schulkindern<br />
Umwege zu ersparen, wurde er bald nach der Erbauung<br />
der Schloßbergschule als kürzeste Verbindung zwischen<br />
der Oberstadt und der neuen Schule geschaffen.<br />
Die „Kaufhausstraße" hieß früher Schrannenstraße und<br />
wurde nach der Schranne benannt, dem heutigen städtischen<br />
Schulgebäude. Mit Schrannen bezeichnete man früher<br />
den Fruchtmarkt, den zentralen Umschlagplatz für das<br />
Getreide. Bei der Straßenbenennung des Jahres 1906<br />
meinte man, der Name Schranne werde nicht mehr verstanden,<br />
und änderte ihn in Kaufhausstraße um. Da man<br />
sich heute unter einem Kaufhaus etwas anderes vorstellt<br />
als einen früheren Fruchtmarkt, wäre es besser gewesen,<br />
den alten treffenden Namen zu belassen. An der „Hospitalstraße"<br />
liegen das Eitelfriedrich-Pfründehospital und<br />
die dazugehörige Kirche. Der „Spittel" ist die älteste erhalten<br />
gebliebene soziale Stiftung in Hechingen. Graf<br />
Eitelfriedrich IV. und seine Gemahlin Johanna geb. Gräfin<br />
von Eberstein errichteten das Hospital kurz nach 1600<br />
als Altersheim für die Grafschaft, vorzugsweise für alte<br />
Diener und Dienerinnen der Herrschaft. In der gleichen<br />
Straße liegt das 1889/91 erbaute, 1935/36 erweiterte und<br />
seither mehrmals umgebaute, modernisierte und durch<br />
Neubauten bereicherte städtische Schlachthaus. Neben ihm<br />
zweigt eine bisher „Schlachthausstraße" genannte Straße<br />
ab. Diese Bezeichnung ist neuerdings weggefallen. Die an<br />
ihr gelegenen Gebäude gehören jetzt zur Hospitalstraße.<br />
Die „Gutleuthausstraße" hat ihren Namen von dem Gutleuthaus<br />
auf dem Platz der heutigen Wirtschaft zum<br />
„Klösterle". Gutleuthäuser, auch Siechenhäuser oder Leprosenhäuser<br />
genannt, hießen im Mittelalter die außerhalb<br />
der Städte errichteten Gebäude, in denen man o ».<br />
an ansteckenden Krankheiten Leidenden, insbesondere<br />
d: i Aussätzigen, . ioiierte. E : heute noch im Orient, in<br />
Afrika und auf Inseln des Pazifischen Ozeans vorkommende<br />
furchtbare Krankheit war früher auch in Europa<br />
Jahrhunderte lang eine WL.I verbre." 5te Volksseuche, gegen<br />
die es nur ein Mittel gab, den Schutz der Gesunden<br />
vor einer Ansteckung durch strenge Absonderung der vom<br />
Aussatz Befallenen und ihren Ausschluß aus der menschlichen<br />
Gesellschaft. In Hütten, später eigens erbauten<br />
Häusern auf freiem Feid, mußten die Unglücklicher ihr<br />
Leben verbringen. Wie die Merian'sche Stadtansicht zeigt,<br />
lag damals das Gutleuthaus mitten in Feldern. Eine ausgebreitete<br />
Wohltätigkek mit zuwehen reichen Stiftungen<br />
sorgte in Hechingen für die armen, die „guten" Leute,<br />
denen man sich, wenn auch äußerlich getrennt, gefühlsmäßig<br />
verbunden fühlte. Man tat vieles, um ihnen ihr<br />
schreckliches Los zu erleichtern. Aus nötiger Entfernung<br />
erteilten ihnen dL: Geis .liehen den Segen. Als es später<br />
gelungen war, durch strengste A'bsperrmaßnanmen der<br />
Seuche Herr zu werden, diente das Gutleuthaus in Hechingen<br />
als Heim für arme alte und gebreck liehe Leute.<br />
In dem aufgebauten oberen Stockwerk f chtete d 1 rSfStinwitwe<br />
Maria Theresia im Jahre 1799 ein Krankenspital<br />
ein. Mehr als sechs Jahrzehnte war das ehemt _ge Gutleuthaus<br />
Pflegeheim für Kranke, bis im Jahre 1863 dank<br />
einer großen testamentarischen Zuwendung der Fürstin<br />
Eugen-; die Spi;alstiftung das bisherige Badgebäude in<br />
der Herrenackerstraße ankaufen und dort das heutige<br />
Hechinger Krankenhaus einrichten konnte. Ein Jahr<br />
wohnten zwei Kapuziner-Patres und zwei Laienbrüder<br />
22<br />
im bisherigen Spital, zogen aber wieder ab, da ihnen die<br />
Räumlichkeiten nicht genügten. Das Gebäude ging dann<br />
in Privatbesitz über und ist seither Wirtschaft.<br />
Die am „Klösterle" beginnende, mehrfach gewundene<br />
Straße endet am Bundesbahnhof und heißt nach ihm<br />
„BahnhofStraße". Dieses auf er<strong>höh</strong>tem Platz vor dem Abhang<br />
des Schrofens liegende Bahnhofsgebäude hat im<br />
Jahre 1869 als Station der damaligen Württembergischen<br />
Staatseisenbahn seinen Dienst angetreten. Die auf dem<br />
Gelände des Bundesbahnhofs stehenden Gebäude haben<br />
die Bezeichnung „Bundesbahnhof". Die Bahnhofstraße<br />
berührt noch einen weiteren Bahnhof, den am Fuße des<br />
Schrofenhanges erbauten Landesbahnhof, der bei der Inbetriebnahme<br />
der Killertalbahn Burladingen-Hechingen<br />
der Hoh<strong>enzollerische</strong>n Landesbahn erstmals im März 1901<br />
seine Schalter öffnete.<br />
Gewerbe und Wirtschaften in Straßennamen<br />
Umschlossen von zwei Wegen, der „Oberen" und „Unteren<br />
Mühlstraße", wird die Stadtmühle. Sie ist das älteste,<br />
heute noch bestehende, gewerbliche Unternehmen<br />
der Stadt. Vor Jahrhunderten wurde an dieser Stelle im<br />
Zusammenhang mit der Anlage des Mühlkanals eine<br />
Mühle erbaut. Das Teilstück der Schlatter Straße jenseits der<br />
Bundesstraße heißt neuerdings Walkenmühleweg nach der<br />
Walkenmühle, zu der er führt. In der früher fürstlichen<br />
Walkenmühle wurde das Tuch „gewalkt". Später ging<br />
die Walkenmühle in Privatei- entum über und wird heute<br />
als Getreidemühle und Sägewerk betrieben. Woher die<br />
„Goldschmiedstraße" an der Ostseite des alten Stadtkerns<br />
ihren Namen hat, ist nicht eindeutig festzustellen. Vermutlich<br />
stand an dieser Straße früher die Werkstätte eines<br />
Goldschmieds. In keinem der alten Handwerkerverzeichnisse<br />
der Stadt fehlt ein Goldschmied, und da Hechingen<br />
lange Zeit Residenz war, dürfte es dem Hechinger Goldschmiedemeister<br />
nicht an Arbeit gefehlt haben. Dagegen<br />
wissen wir die Stelle der früheren Schmiede, mundartlich<br />
„Schmidte" genannt, die der „Schmidtestraße" den Namen<br />
gegeben hat. Auf dem Platz des längst abgebrochenen<br />
Gebäudes steht heute das Haus Schmidtestraße 5. Mit<br />
Recht trägt die „Gutenberggasse* den Namen des Erfinders<br />
des Buchdrucks. Ein später durch ßrand vernichtetes<br />
Gebäude in dieser schmalen Gasse war von 1829 an<br />
Druckort der ersten Hechinger Ze : ing in ihren Anfangsjahren.<br />
Der vor 1400 in Mainz geborene Johannes Gensfleisch,<br />
genannt Gutenberg, erfand den Druck mit beweglichen<br />
Lettern. Als erstes großes Werk der neuen Kunst<br />
druckte er die nach ihm benannte 42ze.üge lateinische<br />
Bibel. Der Name „Lindengäßle" ist wie das Wirtsschild<br />
am Verlagsgebäude der „Hoh<strong>enzollerische</strong>n Zeitung" eine<br />
Erinnerung an die im Jahre 1967 abgebrochene alte Hechinger<br />
Gaststätte, das Hotel „Linde-Post". Nahezu zweieinhalb<br />
Jahrhunderte L s zum zweiten Weltkrieg ist hier<br />
gewirtet worden. Nahe dem Bahnhofhotel „Löwen"<br />
mündet die „Löwenstraße" in die Bahnhof Straße ein.<br />
Dieses einzige Hotel in der Unterstadt ist 1927/28 in dem<br />
früheren großen Garten des Nachbarhauses, des alten<br />
„Löwen", erbaut worden. Das Hotel übernahm den Namen<br />
der alten Wirtschaft, in der seit der Mitte des 18. Jahrhunderts<br />
ausgeschenkt wurde. „Silberburg" I"eßen zwei<br />
frühere Hechinger Wirtschaften, c : heute als Wohnhäuser<br />
dienen. In beiden ist nur wenige Jahrzehnte gewirtet<br />
worden. Nach der jüngeren Silberburgwirtschaft wurde<br />
die „Silberburgstraße" benannt, die ihr gegenüber in die<br />
Zollerstraße einmündet. Nur in den Jahren von 1851-<br />
1876 war ,,s' Carry's Haas" - so genannt nach dem Erbauer<br />
Kaspar Carry - eine Gaststätte. Es gab aber noch<br />
eine ältere „Silberburg". Di zweite und ältere Wirtschaft<br />
dieses Namens stand am Saum des Fürstengartens, der
früher nur bis zum Schattengang reichte. Als in den<br />
40er Jahren des vorigen Jahrhunderts Fürst Friedrich<br />
Wilhelm Constantin seinen Garten stadtauswärts vergrößern<br />
wollte, erwarb er von der Gastwirtsfamilie<br />
Oesterle die Wirtschaft samt dem dazugehörigen großen<br />
Garten und baute das Haus zu einem stattlichen Wohngebäude<br />
um, das später fürstlichen und anderen Beamten<br />
als Wohnung diente. Seitdem im Jahre 1949 Prinz Franz<br />
Joseph von Hohenzollern-Emden mit seiner Familie in<br />
die Villa Silberburg übersiedelte, wohnen erstmals nach<br />
100 Jahren Angehörige des Fürstenhauses Hohenzollern<br />
_n Hechingen. Der „Bierweg" hat seinen Namen vom Bier,<br />
das früher auf ihm gefahren wurde. Am oberen Ende des<br />
Zwi igels zweigt das Sträßchen von der Neustraße ab<br />
und windet sich um das Neue Schloß herum. In seiner<br />
heutigen Form wurde der ü'erweg erst angelegt, als die<br />
St. Luzen-Brauerei den früheren Schloßkeller in Benützung<br />
nahm und ihr nunmehriger Bierkeller einer guten<br />
Zufahrt bedurfte.<br />
Krieg und Politik in Straßennamen<br />
Die an die erste Schloßbergschule locker anschließende,<br />
in den Jahren 1937 und 1938 erbaute Wohnsiedlung war<br />
als Dank an die Kriegsopfer gedacht und für Bewohner<br />
aus diesem Personenkreis bestimmt. Als Namengeber der<br />
beiden, die Siedlung erschließenden Straßen boten sich<br />
die Gegenden von Schlachten des ersten Weltkrieges an,<br />
in denen hoh<strong>enzollerische</strong> Soldaten in besonders großer<br />
Zahl mitgekämpft und hohe Blutopfer gebracht hatten.<br />
Man wählte die jahrelang umkämpfte Landschaft Masuren<br />
in Ostpreußen und das Dorf Fricourt in Frankreich,<br />
Brennpunkt eines verlustreichen Ringens in der Sommeschlacht<br />
des Jahres 1916. Das ist die Erklärung für die<br />
Namen „Masurenweg" und „Fricourtweg".<br />
Der Anschluß Oesterreichs an das Deutsche Reich im Jahre<br />
1938 war ein Ereignis, das die Herzen bewegte. Im Hochgefühl<br />
der Freude gab man damals zwei Straßen auf der<br />
früheren Stetteiier Lichtnau, die im Jahr zuvor zu Heesingen<br />
gekommen war, die Namen „Wiener Straße" und<br />
„Kärntner Straße". Der Anschluß war nur von kurzer<br />
Dauer, und als heutiee Sinngebung dieser Straßenbenennung<br />
ble"-t nur die Verbundenhe von Deutschland und<br />
Oesterreich durch aie gleiche Spracne, die gleiche Kultur<br />
und eine jahrhundertelange gemeinsame Geschichte. Der<br />
Wunsch, einer gleichen Verbundenheit Ausdruck zu verleihen,<br />
war neben der nachbarschaftliciien Lage wohl auch<br />
der Beweggrund für die Namengebung „Bozener Straße",<br />
der Fortsetzung der Silberburgstraße auf der anderen<br />
Seite der Heiligkreuzstraße. Bis zum Jahr 1969 waren<br />
drei Hechin^er Straßen nach der Nachbargemeinde Stetten<br />
benannt, die dorthin führende Stettener Straße und die<br />
in sie einmündende Stettener Halde, die beide ihre Namen<br />
behielten, und der Stettener Weg auf der Höhe des Firstrückens<br />
bei der Heiligkreuzstraße. Dieser Weg liegt auf<br />
dem früher zu Stetten gehörenden Markungsteil „Stettener<br />
Lichtnau", der im Jahre 1937 im Zuge eines Geländeaustausches<br />
zu Hechingen kam. Der Name „Stettener<br />
Weg" sollte die Erinnerung an dieses gemeindepolitisch<br />
bedeutsame Ereignis festhalten. Indes ersenien es dem Gemeinderat<br />
als ungünstig, drei Straßenbezeichnungen nach<br />
Stetten zu belassen. Er taufte den Stettener Weg in Bregenzer<br />
Weg um, in Anlehnung an die unweit gelegenen<br />
Straßen, die nach Wien, Kärnten, dem Sudetenland, Prag<br />
und Bozen benannt sind.<br />
Die GebäudegiUppen an der „Oelser Straße" sind auf dem<br />
Gewann Eseläcker erbaut worden. Die an und für sich<br />
gegebene Übertragung des Flurnamens auf Ce Straße<br />
hätte bei den Bewohnern vermutlich keine freudigen Gefühle<br />
ausgelöst, was wohl der Grund war, daß man davon<br />
absah. Die Straße erhielt ihren Namen nach der heute im<br />
polnischen Machtbereich liegenden niederschlesischen Stadt<br />
Oels, für die Hechingen im Jahre 1953 die Patenschaft<br />
übernahm. In dem stattlichen Renaissance-Schloß in Oels,<br />
einst Besitztum des jeweiligen preußischen Kronprinzen,<br />
wohnte der letzte deutsche Kronprinz Wilhelm, der seine<br />
letzten Lebensjahre in Hechingen verbrachte. Dies war<br />
mit ein Grund für die Patenschaft.<br />
Der Sport in Straßennamen<br />
Der „Kegeltorweg" führt vom Unteren Turm (früher<br />
durch ein kleines Tor hindurch) den steilen Hang schräg<br />
abwärts ins Tal, wo vor Jahrhunderten nahe der Schützenwirtschaft<br />
eine der beiden städtischen Kegelbahnen<br />
stand. Vom Törle an seinem Beginn und der Kegelbahn<br />
an seinem Ende hat der Weg seinen Namen. Das Kegelspiel<br />
war einst das Lieblingsvergnügen der Hechinger<br />
Bürgerschaft und gleich dem Schießen mit Armbrust und<br />
Kugelbüchse ein Volkssport. An eine zeitweilige Schießanlage<br />
erinnert die „Schützenstraße" im Vorort Friedrichstraße.<br />
Sie verläuft in Richtung auf das Gelände, auf dem<br />
die im Jahre 1887 gegründete Schützengilde ihre Schießbahnen<br />
mit dem Schützenhaus errichtete. Die ganze Anlage<br />
mußte nach wenigen Jahrzehnten dem Bau der Hoh<strong>enzollerische</strong>n<br />
Landesbahn und dem Gaswerk weichen.<br />
Neustraße und Rabengasse<br />
Nicht in Gruppen einzureihen sind die Beze: hnungen<br />
Neustraße und Rabengasse. Die „Neustraße" ist heute<br />
keine neue Straße mehr, hat vielmehr schon mehr als<br />
hundert Jahre auf dem Buckel. Bei der Namengebung hat<br />
man sich nicht in geistige Unkosten gestürzt und beließ<br />
es bei der im Bauausschrieb genannten Bezeichnung neue<br />
Straße, was später in Neustraße umgewandelt wurde.<br />
Seither sind ganze Stadtteile neu entstanden, und die<br />
Neustraße zählt schon zu den alten Straßen. Beispiel<br />
ähnlicher Namengebung ist t le Brücke in Paris, der Pont<br />
Neuf = neue Brücke, aie in Wirklichkeit zu den ältesten<br />
Brücken der Seinestadt gehört und ein Alter von mehr<br />
als einem halben Jahrtausend aufweist. Von der Seite der<br />
Zweckbestimmung der Straße aus gesehen, hat der Name<br />
Neustraße auch heute noch seine Berechtigung. Der der<br />
Straße zugrunde liegende Verkehrsgedanke war damals<br />
neu, der Gedanke der Umgehung. Von der Schweizer<br />
Straße abgesehen, ist d Neustraße die erste Umgehungsstraße<br />
in Hechingen. Vor ihrer Erbauung ; ng der Durchgangsverkehr<br />
mitten durch d e Stadt hindurch, über den<br />
Schrofen steil herab über die Bahnhof- und Herrenackerstraße<br />
und die Staig und Schloßstraße herauf, was begreiflicherweise<br />
auf die Dauer untragbar war.<br />
Für die Rabengasse" hat sich im Volksmund heute noch<br />
Sie Bezeichnung Krappengass erhalten, was nahezu gleichbedeutend<br />
ist. „Krapp" ist die mundartliche Bezeichnung<br />
für Vögel, _ e der Familie der Raben angehören. Es frag'<br />
sich nun, aus welchem Grunde die Raben namengebend<br />
für d ; Gasse geworden sind. Es ist eine Frage, die nicht<br />
schlüssig beantwortet werden kann. Rabenvögel, wozu<br />
die Krähen und der heute in Deutschland fast ausgestorbene<br />
Kolkrabe gehören, gab es früher in viel größerer<br />
Zahl als jetzt. Mit Vorliebe nisteten sie im Gemäuer. Da<br />
di; Rabengasse im Zuge der Stadtmauer liegt und es hier<br />
auch nicht an Türmen fehlt, hat vielleicht das stän^'ge<br />
Geflatter der Rabenvögel der Gasse den Namen gegeben.<br />
Straßen beißen nach Gime' den<br />
Im Hechinger Straßenverzeichnis erscheinen auch Namen<br />
von Gemeinden. Die Anlässe der Benennung sind nicht die<br />
gleichen. Nach Städten und Landgemeinden, in denen<br />
23
Richtung sie führen, heißen die „Alte" und „Neue Rottenburger<br />
Straße", die „Tübinger Straße", die „Haigerlocher<br />
Straße", die „Schlutter Straße" und die „Stettener<br />
Straße" sowie die „Weilheimer Straße". Bei der Namengebung<br />
„Sigmaringer Straße" stand daneben noch der<br />
Wunsch Pate, die Verbundenheit mit der hohenzollerisdien<br />
Schwesterstadt zu bezeugen. Für diese schöne Geste<br />
hat sich Sigmaringen bis jetzt nicht revanchiert. Die Straße<br />
„Stettener Halde" liegt in einem Neubaugebiet jüngsten<br />
Datums. Eine Halde senkt sich dort an der Gemarkungsgrenze<br />
Stetten-Hechingen zum Tal des Reichenbachs hinab.<br />
Die Bezeichnung von Ausfallstraßen ist sehr zweckmäßig,<br />
erleichtert sie doch Durchreisenden die Orientierung.<br />
Hechinger Straßen in anderen Gemeinden<br />
Ebenso wie man in Hechingen Straßen nach Gemeinden<br />
benannte, in deren Richtung sie führen, haben es auch<br />
andere Gemeinden gehalten. Hechinger Straßen gibt es in<br />
Tübingen, Rottenburg, Hirrlingen, Bodelshausen, in einem<br />
Stuttgarter Vorort, in Haigerloch, Balingen, Tailfingen,<br />
Gomaringen, Burladingen, Ofterdingen, Hausen i. K.,<br />
Stetten b. Hechingen, Stein, Ste.nhofen und Gammertingen.<br />
Andere untergegangene Straßennamen<br />
In den vorangegangenen Ausführungen sind bereits Straßennamen<br />
genannt worden, die durch andere ersetzt wurden.<br />
Weitere verdienen Erwähnung. In den alten städtischen<br />
Grundbüchern erscheint die Goldschmiedstraße unter<br />
dem Namen Hintere Gasse nach ihrer talabgewandten<br />
Lage auf dem dem Schloß entgegengesetzten Stadthügel.<br />
Später kam für sie der Name Judengasse auf. Im Gegensatz<br />
zu anderen Städten, wie zum Beispiel Haigerloch,<br />
wohnten in Hechingen - mit Ausnahme der Friedrichstraße<br />
- die Juden nicht in ihnen zugewiesenen Stadtteilen<br />
abgesondert von der übrigen Einwohnerschaft.<br />
Einige Stadtteile waren jedoch von ihnen bevorzugt, so<br />
die heutige Goldschmiedstraße, deren Wohnhäuser in ihrer<br />
Mehrzahl jüdische Bewohner hatten. Von der Neustraße<br />
zieht sich eine Straße in die Talsenke des Feilbachs hinab.<br />
Sie hieß früher Feilbachstraße. Neuerdings ist sie in die<br />
Weilheimer Straße einbezogen worden.<br />
Vorschläge für künftige Straßenbenennungen<br />
Berliner Straße<br />
Berlin war die ehemalige Hauptstadt des Königreichs und<br />
späteren Freistaates Preußen, zu dem Hohenzollern und<br />
damit auch die Stadt HecF igen nahezu ein Jahrhundert<br />
gehörte, seit 1871 auch die Hauptstadt des Deutschen<br />
Reiches. Die Stadt hat auch eine eminent poli sehe Bedeutung<br />
im geteilten Deutschland. Ihr Status wird von<br />
der Bundesrepublik Deutschland und von der Sowjetunion<br />
mitsamt der DDR verschieden interpretiert. Berlin verkörpert<br />
heute ein Stück deutsches Sdiicksal. In der freien<br />
Welt gilt die Stadt als ein Symbol des Widerstands gegen<br />
die Pläne des Ostblocks, seine Machtsphäre auszuweiten.<br />
Auch hat der Mauerbau den Namen der Stadt überall in<br />
der Welt bekannt gemacht.<br />
Benennungen nach Angehörigen der früheren<br />
Judengeme de<br />
Im Zuge der „Arisierung" hat die Stadt Hechingen die<br />
BeTden Straßennamen Synagogenstraße und Auerbachstraße<br />
im Jahre 1933 zwangsläufig abgeschafft. Berthoid<br />
Auerbach (Schriftsteller, 1812-72, Vorkämpfer der Judeneman:<br />
ipation, errang Mit- s-inen „Schwarzwälder<br />
24<br />
Dorfgeschichten" und dem gefühlsbetonten Roman „Barfüßele"<br />
großen Erfolg) hatte in Hechingen €ie Talmudschule<br />
besucht. Die 1933 eingeführten neuen Straßenbezeichnungen<br />
leben so sehr im Bewußtsein der Einwohnerschaft,<br />
daß es keinen Sinn hätte, sie wieder zugunsten<br />
der alten Namen zu ersetzen. Indes ist die Stadt Hechingen<br />
der früheren Judengemeinde, d. h. der Israelitischen<br />
Kultusgemeinde Hechingen, eine Restitution schuldig. Die<br />
Hechinger Juden haben im öffentlichen und wirtschaftlichen<br />
Leben der Stadt eine positive Rolle gespielt, die<br />
Industrie in Hechingen eingeführt und zur Blüte gebracht.<br />
Sie gründeten Unternehmen der Weberei, Trikotwarenfabrikation<br />
und Schuhwarenherstellung in einer Zeit, ip<br />
der die übrige Einwohnerschaft in kleinbürgerlichem Denken<br />
verhaftet blieb und die Möglichkeit der neu aufkommenden<br />
Industrie nicht zu nutzen verstand. Auch traten<br />
die Juden in vielfältiger Weise als Aktive und Förderer<br />
des kulturellen Lebens der Stadt wie der Vereine in Erscheinung.<br />
Paul-Levi-Stra ße<br />
Paul Levi, gebürtiger Hechinger, Rechtsanwalt und Politiker,<br />
war einer der führenden deutschen Sozialisten, nach<br />
dem ersten Weltkrieg anfangs Spartakist und Kommunist<br />
und zuletzt leidenschaftlicher Gegner der von Moskau<br />
gesteuerten Kommunistischen Partei Deutschlands, zu seiner<br />
Zeit der bekannteste Hechinger in Deutschland wie<br />
in weiten Teilen der Welt, so in Rußland und Amerika.<br />
Seinen Namen kannte man in vielen Ländern.<br />
Rudolf-Levi-Stra ße<br />
Rudolf Levi, Fabrikant und Teilhaber der Firma<br />
J. Levi & Co., war eine der angesehensten Persönlichkeiten<br />
der Stadt. Er erwarb sich Verdienste durch seinen<br />
Einsatz für öffentliche Interessen als Vorsitzender der<br />
Landesstelle Hohenzollern der Industrie- und Handelskammer<br />
Frankfurt a. M., Vorsitzender des Kaufmännischen<br />
Vereins Hechingen, der einzigen Berufsvertretung<br />
dieser Art in Hohenzollern, als Mitglied der Hechinger<br />
Gemeindevertretung, des Kreistags und des Kreisausschusses.<br />
Sein Auftreten in diesen Gremien war immer<br />
Inbegriff friedlicher Zusammenarbeit in parlamentarischen<br />
Formen. Er war ein Mann des Ausgleichs. Auch die Förderung<br />
de; musikali,' hen Lebens lag ihm am Herzen.<br />
Er gehörte zu den Gründern des Konzertbundes, einer<br />
kleinen Gruppe von Hechingei Musikmäzenen, die Konzerte<br />
hervorragender Solisten und Quartette im Museum<br />
ermöglichten und für diesen Zweck einen Konzertflügel<br />
anschafften. Rudolf Levi wurde ein Opfer der Judenverfolgung.<br />
Der Hochbetagte starb nach der Deportation in<br />
dem berüchtigten Konzentrationslager Theresienstadt.<br />
Römerweg<br />
An der Markungsgrenze gegen Weilheim stand am Rande<br />
des Waldes Säuweiherle ein römischer Gutshof.<br />
Alemannenweg<br />
Hechingen ist c ne aleman: sehe S =dlung.<br />
Kajetan-Koller-Straße<br />
Für die von der Weilheimer Straße 2um Kieiskrankenhaus<br />
abzweigende Straße und ihre pr< ,ektierte Fortsetzung<br />
wäre bei der Benennung der Name eines Mediziners<br />
angebracht. Es i t jedoch nicht notwenr 1 ' 5, dafür<br />
nach einem Me ' : ner zu suchen, der keinerlei Bez. Hungen<br />
zu Hechingen hat. Die Stadt Hechingen hatte einen<br />
Arzt, der die Ehrung durch ei e Straßenbenennung ver-
dient: Dr. Kajetan Koller. Er entdeckte 1835 westlich<br />
der Landstraße nach Tübingen die von ihm „Friedrichsquelle"<br />
und „Konstantinquelle" benannten Schwefelbrunnen<br />
und erbaute zu ihrer Anwendung in der Herrenackerstraße<br />
das Kurheim Schwefelbad, das 1836 eröffnet<br />
wurde. Seither bis auf die heutige Zeit dient das Gebäude<br />
volksgesundheitlichen und sozialen Zwecken, nach der<br />
Schließung des Schwefelbads als Krankenhaus und neuerdings<br />
zusätzlich als Alten- und Alterspflegeheim. Auch<br />
sonst war Medizinalrat Dr. Koller eine der führenden<br />
Persönlichkeiten der Stadt, ein hochangesehener Bürger,<br />
Förderer vieler öffentlicher Bestrebungen, Mitg :d des<br />
Parlaments des Fürstentums. Er starb am 23. Juli 1872.<br />
In dem Nachruf, den die Zeitung ihm widmete, sind seine<br />
vielen Verdienste genannt.<br />
* *<br />
*<br />
Ein Ort Hildingen bei Gauselfingen?<br />
Im Findbuch der johanniterurkunden des Stuttgarter<br />
Hauptstaatsarchivs findet sich in Bd. II, S. 931 eine<br />
schlechte Abschrift einer knappen lateinischen Inhaltsangabe<br />
einer sonst nicht bekannten Urkunde des Rottweiler<br />
Johanniterhauses:<br />
„1306 März 28: Die Meisterin und der Konvent der<br />
Klosterfrauen von »Bassele« übertragen den Platz im<br />
Dorfe Gosselfingen (Gauselfingen), auf dem Wipert, genannt<br />
Cleffere (PKieffer?) sein Haus stehen hat, zusammen<br />
mit einem Wiesenstück am Steg neben (N.) von<br />
Moresbach, an den genannten Wipert, seine Gattin Agnes<br />
und deren Erben als ewiges E^entum gegen einen Geldzins<br />
(Pdenariato) aus einer Wiese, die im Banne Gauselfingen<br />
an dem Orte (loco) liegt, der Hildingen heißt."<br />
Der Zins muß später an die Johanniter von Rottw? 1 gekommen<br />
sein. Ausgehend von den Tatsachen, daß Gosselfingen<br />
zweifelsfrei unser Gausei igen meint, in dem laut<br />
unten folgender Urkunde nie Johanniter Besitzungen hatten,<br />
und daß in Gauselfingen vor allem das benachbarte<br />
Frauenkloster unter einer Meisterin (nach 1300 dann<br />
Priorin) begütert war, das einst Berg, später Marl-berg<br />
hieß möchte man das unbekannte „Bassele" als Lesefehler<br />
des Kopisten ansehen und darunter (Maria) Berg<br />
verstehen. Ein Hildingen im Geoiet von Gauselfingen ist<br />
freilich nicht bekannt, aber auf dem Südrand der Gemarkung<br />
Östlich der Fehla an der Straße nach Neufra bei<br />
einem alten Keller ist ein „Weiler" abgegangen, der von<br />
Ed. Bercker von 1468 bis 1581 ohne Namen urkundlich<br />
nachgewiesen ist \ Es liegt nahe, in ihm ein abgegangenes<br />
Hildingen zu vermuten, falls der Name nicht ebenfalls<br />
verstümmelt ist.<br />
Im gleichen Findbuch II, S. 1074 wird der Inhalt einer<br />
weiteren Urkunde gegeben: „1335 Jun_ 23: E'.e Brüder<br />
Johannes und Heinrich Spät verzichten gegenüber dem<br />
Villinger Johanniterkomtur jerg von L'echtenstein auf<br />
die Ansprüche an drei Schilling Heller Jahreszins aus<br />
einem Hof zu Gosselfingen (Gauselfingen), der zum Hof<br />
und Gotteshaus Jungental gehört."<br />
jungentai st als ehems iger Johanniterbes 1 z westlich von<br />
Starzein im Killertal abgegangen. Der Hof wurde im<br />
Jahre 1605 an den Zollergrafen verkauft'. Hierbei ist<br />
jedoch vom Hof zu Gauselfingen keine Rede mehr.<br />
Joh. Ad. Kraus<br />
Anmerkungen:<br />
1 Hohz. JHeft 1956 S. 110-124 und 1962 S. 61-88.<br />
2 Ed. Bercker, Die Kirchenpatrozinien im Kreis Sigmaringen, 1967.<br />
S. 103.<br />
» Zoller<strong>heimat</strong> 1941, S. 13-16.<br />
"Widerstand im Kloster Stetten gegen Reform<br />
und Klausur<br />
Wenn in der Anmerkung zur Urkunde 545 des Klosters<br />
Gnadental-Stetten 1 gesagt wurde, von Widerstand gegen<br />
die Reform, Observanz und den Beschluß (Klausur) des<br />
Klosters von 1507 lasse sich in Stetten nichts feststellen,<br />
so müssen wir dies aufgrund eines freundlichen Hinweises<br />
des H. H. Univ. Professors Dr. H. Tüchle in München-<br />
Gröbenzell berichtigen. Er fand nämlich unter den Briefen<br />
des Klosters Gnadental an den Basler Bischof Christopherus,<br />
die heute im alten bischöflichen Archiv zu<br />
Porrentruy (Purntrut) aufbewahrt werden, einen Brief<br />
aus unserem hoh<strong>enzollerische</strong>n Gnadental-Stetten folgenden<br />
Inhalts:<br />
1513 Febr. 27. „Hochwürdigster Fürst, gnädiger Herr!<br />
Eure fürstl. Gnade sei mit dem armen Gebet demütiger<br />
Kinder. In unserem Kloster war vor der Observanz [von<br />
1507] die Gewohnneit, wenn eine Person die Profeß<br />
machte, so gab sie dem Kloster 16 Pfund Heller zu einem<br />
Leibding von 1 Pfund, genannt Wil-geld Als sie 3 nun<br />
gewahr wurden, daß man das Kloster beschließen [die<br />
Klausur einführen] wolle, haben sie jeder einzelnen<br />
Schwester einen neuen Leibdingbrief machen lassen, wie<br />
wenn sie anderswo als im Kloster wären. Als dann einige<br />
hinauskamen [austraten], haben unsere Oberen ihnen<br />
zwar ihr Vermögen, aber nicht das Pfund Wilgeld gegeben<br />
und uns verboten, es ihnen zukommen zu lassen.<br />
Wir suchten Recht in Konstanz [beim Bischof], holten<br />
auch Rat ein bei den Gelehrten [der Universität] in Tübingen<br />
und sonst, die uns alle recht gaben. Und trotzdem<br />
ist das Urteil gegen uns ergangen. Nun erhielten wir<br />
den Rat, nach Rom zu appellieren. Somit bitten wir Ew.<br />
fürstliche Gnaden, unsere Beschwerdebriefe nach Rom zu<br />
besorgen, damit sie sicher laufen. Falls dies Ew. fürstliche<br />
Gnaden etwa Kümmernis bereiten sollte, so bitten wir,<br />
Ew. Gnaden wolle dies als ein getreuer Vater um Gottes<br />
^ llen leiden, weswegen wir zu allen Zeiten den allrr<br />
iitigen Gott bitten werden, die uns bewiesene Gnad<br />
in Zeit und Ewigkeit zu vergelten. Gott möge unsern<br />
gnädigen Herrn lang leben lassen bis zu einer seligen<br />
Ewigkeit. Datum auf Oculi im XVC. und XIII. Jahr.<br />
Gnäd r er Herr! Die B
MICHAEL LORCH<br />
Konrad und Ulrich von Jungingen, zwei Hochmeister des Deutschen Ritterordens<br />
Das alte hoh<strong>enzollerische</strong> Volksschullesebuch für die<br />
Oberstufe vom Jahre 1910 enthielt im <strong>heimat</strong>lichen Teil<br />
das Gedicht „Zwei Berge Schwabens". In ihm schildert<br />
der schwäbische Dichter Karl v. Gerok eine nächtliche<br />
Vision aus der Neujahrsnacht 1871: Vom alten schwäbischen<br />
Kaiserberg Hohenstaufen ist ein langer Geisterzug<br />
staufischer Schwabenkaiser aufgebrochen und 7 ; eht, voran<br />
der alte Barbarossa, am „vielgezahnten Albrand" entlang<br />
zur Zollerburg, wo die Geisterfürsten am Berg ihre Kronen<br />
hinlegen; denn das neue Deutsche Kaiserreich mit den<br />
Zollerkaisern war zu diesem Jahresbeginn Wirklichkeit<br />
geworden.<br />
Ganz unscheinbar, gleichsam im Schatten des Zollerberges,<br />
liegt hinter diesem versteckt im Killertal südlich von<br />
Jungingen unter dem mächtigen Himberg ein kleinerer<br />
Bergkegel, genannt „Bürgle unter Himberg". Er trug bis<br />
zum Jahre 1311 die Burg Hohenjungingen, auf vielen<br />
Karten heute fälschlich „Affenschmalz" genannt. (Die<br />
Wasserburg Affenschmalz stand in Killer und war dort<br />
der Stammsitz der Herren von Killer, genannt Affenschmalz.)<br />
Die Burg Hohenjungingen war der Stammsitz<br />
der Herren von Jungingen und ist somit die Stammburg<br />
der beiden Deutschordens-Hochmeisterbrüder Konrad<br />
und Ulrich von Jungingen (1393-1407-1410).<br />
Dresö beiden Hochmeister (ihr Amts tz war die Marienburg<br />
an der Nogat in Westpreußen) haben in ihrem Wirkungskreis<br />
(den ehemaligen Provinzen Ost- und Westpreußen)<br />
den Namen Jungingen mindestens ebenso volkstürr<br />
_ch gemacht, wie es in unserem Schwabenland die<br />
Namen Hohenstaufen und Hohenzollern sind. Der<br />
Schreiber dieser Zeilen hat es des öfteren erlebt, daß ostpreußische<br />
Landsleute, wenn diese anläßlich einer Fei einfahrt<br />
durchs Killertal auf der Ortstafel „Jungingen" gelesen<br />
haben, h r kurzen Aufenthalt einlegten, um sich<br />
in einem Gasthof oder in der Schule zu erkundigen, was<br />
man in der Heirnat der beiden Hochmeister von diesen<br />
noch zu erzählen weiß. Die in der Schule eingerichtete bescheidene<br />
Sammlung von Erinnerungsstücken diente dann<br />
dem Heirnatkundelehrer als willkommene Ergänzung seiner<br />
Erlauterungen.<br />
Die Ordenshochmeister erhielten vom Kaiser und dem<br />
Papste v'ele Vorrechte. Der Kaiser gab dem Hochmeister<br />
das Ehrenrecht, so oft er an den Kaiserhof komme, als<br />
ein Mitglied desselben betrachtet zu werden, gewahrte ihm<br />
den schwarzen Adler für seinen Schild und seine Ordensfahne<br />
und erhob ihn in den Rang eines Reichsfürsten; der<br />
Papst aber schenkte ihm einen kostbaren Ring, der fortan<br />
einen Kochmeister nach dem andern zierte. Das Ordensgewand<br />
war ein we :r, ier Mantel mit schwarzem, silberberandetem<br />
Kreuz. Die Farben „schwarz-weiß" und der<br />
schwarze Adler wurden später vom preußischen Staat<br />
ins Wappen übernommen, das Kreuz auf Mantel und<br />
Fahne ist Vorl >id für den Kriegsdienst-Orden des „Eisernen<br />
Kreuzes" geworden.<br />
Der Deutsche Ritterorden, dessen Ursprung in die Zeit<br />
der Kreuzzüge um 1128 fällt, kam auf Anregung des<br />
Papstes und von einem polnischen Fürsten gerufen um<br />
1226 in das Land östlloi der Weichsel zum Kampf gegen<br />
die hc inischen Preußen. Ais Gegengabe verlieh ihm der<br />
Kaiser das eroberte Land als Reiehsleheti und dem Hochmeister<br />
das Recht eines Re ; chsfürsten.<br />
Auch im Schwabenlande hatte der Deutsche Ritterorden<br />
große Besatzungen. Viele Rittergeschlechter setzten ihre<br />
26<br />
Ehre darein, ihre Söhne dem Orden zuzuführen. So ist<br />
es begreiflich, wenn uns 1393 als Hochmeister des Ordens<br />
ein Sohn des Schwabenlandes in Konrad von Jungingen<br />
entgegentritt, der dem alten Adelsgeschlecht der Herren<br />
von Jungingen in Hohenzollern entstammte. Der Stammsitz<br />
Hohenjungingen wurde schon um 1278 aufgegeben,<br />
denn von da bis 1300 gehörte er dem Johanniterorden,<br />
wurde dann württembergisch und 1311 von den Reutlingern<br />
im Städtekrieg zerstört. Die Herren von jungingen<br />
bauten sich 1316 in Jungnau (Jungingenao) an, und von<br />
1367 finden wir sie bis zum Aussterben 1501 auf Neu-<br />
Hohenfels. Es sei hier darauf hingewiesen, daß die beiden<br />
Hochmeisterbrüder nicht auf der Burg bei Jun£ igen das<br />
Licht der Welt erblickten. Ihre Wiege stand vielmehr vermutlich<br />
in Jungnau im Laucherttal, sei es auf der neuen<br />
Burg „Jungenowe" oder der alten Burg „ScJtowe", wo,<br />
wie bereits erwähnt, die Herren von Jungingen von 1316<br />
an ihren Sitz hatten.<br />
Konrad von Jungingen, 1393-1407<br />
Konrad wurde 1393 Hochmeister. Man muß annehmen,<br />
daß er zu diesem Zeitpunkt wer ^stens 40 Jahre alt war,<br />
da man einen jüngeren Ritter kaum an die Spitze des<br />
Ordens gestellt hätte. Er wird also um das jähr 1350 geboren<br />
sein. Das gleiche g ': vom Bruder UlriJi, der etwas<br />
jünger war als Konrad und um 1365 geboren wurde,<br />
B ; de Brüder mögen aber .hre Jugendze:' auf der Burg<br />
Hohenfels verbracht haben, wo deren Eltern wohnten,<br />
nachdem die Herrschaf-. Jungnau 1367 von ihnen verkauft<br />
worden war. - Nach dem Tode des Hochm isters<br />
Konrad von Wallenrod wurde am 30. November 1393<br />
auf der Marienburg der bisherige Ordenstresler (Schatzmeister,<br />
Finanzminister) Konrad von Jungi gen nstimmig<br />
zum Hochmeister gewählt. Konrad hatte zuerst eine<br />
Zf 'tlang die Stelle des Hauskomturs (Stellvertreter des<br />
Hausherrn) in Osterode bekleidet und war dann von<br />
1391 an oberster Tresler (Finanzminister) gewesen. Es<br />
gab bisher kein Beispiel daß ein Ordensritter, der so<br />
wenig Ämter und nur so kurze Zeit verwaltet hatte, zur<br />
Würde des Hochmeisters erhoben und damiL zum Oberhaupt<br />
des ganzen Ordens und zum Landesfürsten des<br />
Ordensgebietes gemacht wurde. Wir ersehen daraus, daß<br />
die obersten Gebietiger des Ordens eine hohe Meinung<br />
von dem lauteren Charakter und der großen Tüchtigkeit<br />
Konrads von Jungingen hatten. Konrad enttäuschte n ht.<br />
Er war ein hervorragender Hochm ister, und seine Regierung<br />
darf mit Recht die Blütezeit der Ordensherrschaft<br />
genannt werden.<br />
Konrad war ein Mann des Friedens. Viele Spannungen<br />
und Streitigkeiten mit benachbarten Fürsten überwand er<br />
mit seiner VerröhnungspOiliik. Wo es aber notwendig<br />
wurde, griff er auch zum Schwert, v : seine Bemühungen<br />
zur Ausrottung der Seeräuberei von 1395-1398 zeigen.<br />
Damals waren Schiffahrt und Handel auf der Ostsee<br />
vielfach durch Seeräuberi (Vitalienbruder) gefährdet;<br />
manche Schiffe wurden von ihnen weggenommen. Konrad<br />
entschloß sich zu einem Vorstoß gegen Gotland, den<br />
Haupts..z der Piraten. M ,:e März 1396 lief eine stattliche<br />
Ordensflotte mit mehr als 80 Schiffen, auf denen<br />
50 Ordensritter und 5000 Gewappnete sich befanden, vom<br />
Danziger Hafen aus Die Nester der Seeräuber wurden<br />
ausgehoben, die Insel Gotland kam unter die Oberhoheit<br />
des Ritterordens, wobei die Ansprüche des Schweden-
königs durch eine Geldsumme abgelöst wurden. Schwierig<br />
gestalteten sich Konrads Beziehungen zu Litauen und<br />
Polen, zumal der Großfürst Witold von Litauen trotz<br />
aller Friedensversicherungen immer wieder die größten<br />
Treulosigkeiten beging und Polen es nicht verschmerzen<br />
konnte, daß Konrad im Jahre 1403 die Neumark erwarb,<br />
wodurch das Ordensgebiet im Westen sich bis an die Oder<br />
erstreckte und so die Verbindung des Ordensstaates mit<br />
Deutschland hergestellt wurde. Infolge der Feindseligkeiten<br />
mit Polen und Litauen zog sich ein unheimliches Gewitter<br />
über dem Ordensstaat zusammen, dem doch Kon-<br />
Jungnau.<br />
Aquatinta<br />
nach W. Sdicuchzcr,<br />
um 1830<br />
rad während der Zeit seiner Regierung alle Segnungen<br />
des Friedens angedeihen lassen wollte. Im Ordensland<br />
selbst hatte sich ein Ereignis vollzogen, das zunächst kaum<br />
der Beachtung wert zu sein schien, in seinen Folgen aber<br />
eine umwälzende Kraft beweisen sollte: die Gründung<br />
der „Eidechsengesellschaft". Die Vertreter des Landadels<br />
hatten sich zu einem Bund zusammengeschlossen, dessen<br />
ausgesprochener Zweck gegenseitige Unterstützung und<br />
Förderung war, dessen Spitze aber letzten Endes gegen<br />
die Oberhoheit der Ordensherrschaft s' h richtete.<br />
Gerühmt wird die Regierung Konrads im Ordensstaat<br />
Preußen. Er traf verschiedene Anordnungen und Verbesserungen<br />
der Landesverwaltung. So wurde die Gerichtsordnung<br />
fester geregelt. Er ließ ein Salzwerk errichten.<br />
Zur Förderung des Verkehrs wurden Brücken<br />
gebaut und die Wege verbessert und durch Anlegung von<br />
Schleusen und Kanälen die Wasserver indung erleichtert.<br />
Besondere Aufmerksamkeit widmete er dem Handel als<br />
einer Quelle des Wohlstandes. Auch der Landwirtschaft<br />
wandte er seine Sorge zu. Manch öde Landstrecke wurde<br />
fiisch angebaut, die landwirtschaftlichen Betriebe der Or-<br />
denshäuser immer mehr ausgebaut und vervollkommnet.<br />
Zur Verbesserung der Schaf- und Rinderzucht ließ er<br />
Zuchtvieh selbst aus fremden Ländern kommen. Besondere<br />
Pflege fand die Pferdezucht auf den Höfen des Ordens.<br />
Der Pflege des Hopfen-, Wein- und Obstbaues ließ er besondere<br />
Förderung angedeihen. Pfropfreiser für Obstbäume<br />
bezog er aus seiner schwäbischen Heimat und ließ<br />
die veredelten Stämme durch das ganze Land verteilen.<br />
Konrad war Liebhaber des Gesanges und der Musik. Das<br />
Treslerbuch enthält häufig Ausgaben an Schüler, die auf<br />
der Marienburg und an anderen Orten beim Gottesdienst<br />
und sonst den Gesang besorgten, zumal in Gegenwart des<br />
Hochmeisters. Er unterh'elt außerdem eine e'^ene Hofkapelle.<br />
die 1399 32 Mitglieder zanlte. Nicht selten kamen<br />
fahrende Künstler ins ördenshaus Ganz Desonders<br />
förderte unser Hochmeister die Malerei. Er hielt sich einen<br />
eigenen Hofmaler, beschäftigte aber auch noch andere<br />
Maler. Häufig machte er Geschenke gerade mit teuren<br />
Bädern. Bernsteinschne : der fanden bei im ständig Absatz<br />
und Verdienst, ebenso die am Hofe angestellten<br />
Gold- und Silbeiarbeiter. Hoch entwickelt war damals<br />
i n Ordensland die Baukunst. Bedeutende Summen gab<br />
Konrad auch für seine Bib Dthek aus. Er haue e en besonderen<br />
Schreiber für das Abschoben von Büchern. Erwähnt<br />
sei noch die Sorgfalt, mit der er die im Orden übliche<br />
Falkenzucht pflegte; 1396 errichtete er e: ne eigene<br />
Falkenschule. Sehr oft wurden Jagdfalken als Ehrengeschenke<br />
an Fürsten gesandt.<br />
Die Ordensgenossen brachten ihrem Hochmeister Hochachtung<br />
und L be entgegen. Nur ungern nahm Konrad<br />
Änderungen in der Verwaltung der Ordensämter vor, so<br />
daß die meisten Gebieter eine Reine von Jahren ihre<br />
27
Ämter innehatten. Verfehlungen der Ordensangehörigen<br />
wurden streng geahndet; auch da hielt der Meister Gesetz<br />
und Ordnung aufrecht. Er selbst erlaubte sich nie einen<br />
Schritt der Willkür aus persönlichen Gründen.<br />
Ein hervorragender Charakterzug Konrads war seine<br />
Mildtätigkeit und Menschenfreundlichkeit. Wo Not und<br />
Unglück war, war seine milde Hand die nächste, und<br />
keiner schied von ihm unbefriedigt oder unerfreut. Beständig<br />
begleitete ihn, wenn er irgendwohin ging, sein<br />
Kämmerer Thimo, um Spenden unter die Armen zu verteilen.<br />
Doch nicht bloß einzelne, sondern ganze Dorfgemeinden<br />
erfuhren seine Mildtätigkeit, namentlich bei<br />
Unglücksfällen, Hagelschlag, Überschwemmungen oder<br />
wenn er das Land bereiste. Bei diesen Reisen begleitete<br />
ihn der Tresler mit einer hinreichenden Geldsumme. Auch<br />
für kirchliche Zwecke spendete er Gaben, wiederholt sind<br />
solche für Klöster und Ordensleute wie auch für Geistliche<br />
und Kirchen im Treslerbuch verzeichnet. Unter Konrad<br />
von Jungingen besaß der Orden in Preußen 55 Städte,<br />
48 Burgen, 18 368 Dörfer, 640 Pfarrdörfer und 2 000<br />
Freihöfe mit einem jährlichen Einkommen von 800 000<br />
rheinischen Gulden. (Realwert um 1400: 1 Gulden = 6<br />
Schafe, oder 1 Gulden = 36 Goldmark). Allgemein betrauert<br />
starb Konrad am 30. März 1407 auf der Marienburg<br />
und wurde in der St. Annengruft daselbst beigesetzt.<br />
Auf dem Totenbette soll er vor der Wahl seines<br />
hit2 r;en Bruders zum Hochmeister gewarnt haben aus<br />
Furcht, daß dieser zum Krieg mit Polen drängen würde.<br />
Diese Äußerung wird jedoch heute als Fabel bezeichnet.<br />
Sie soll wohl dartun, daß Konrads Sorge um das Wohl<br />
des Ordens ihm über, die Liebe zu seinem Bruder ging.<br />
Ulrich von Jungingen, 1407-1410<br />
Drei Monate nach dem Tode Konrads wurde am 26. Juni<br />
1407 dessen Bruder Ulrich von Jungingen einstimmig<br />
zum Hochmeister gewählt. Ulrich hatte seither verschiedene<br />
Ämter im Orden bekleidet. Seit 1387 war er Gefährte<br />
des Ordensmarschalls Konrad von Wallenrod gewesen<br />
und hatte an sc ler Seite verschiedene Kriegszüge<br />
nach Litauen mitgemacht, 1394 wurde er Vogt des Samlandes,<br />
1396 Komtur von Balga und 1404 Ordensmarschall.<br />
Als solcher hatte er das Kriegswesen unter sich.<br />
Das Verhältnis des Ordens zum Polenkönig war beim<br />
Tode Konrads keineswegs befriedigend. Ulrich war nun,<br />
wie ehedem sein Bruder, zunächst bemüht, den Frieden zu<br />
bewahren, obgleich er bald einsehen mußte, daß ihm kein<br />
Erfolg üesc-iieden war. Um so nötiger erschien ihm bei<br />
dieser Sachlage die Befestigung der Grenzburgen und die<br />
möglichste Sicherung der Grenzgebiete gegen Polen und<br />
Litauen. Eine Anzahl neuer Burgen wurde errichtet und<br />
an der kriegsmäßigen Ausrüstung der bestehenden eifrig<br />
gearbeitet. Uberall erhielten die Komture Befehl, ihre<br />
Häuser zu erfolgreicher Verteidigung bereit zu halten.<br />
Bald kam es wieder zu Streitigkeiten mit dem Polenkönig<br />
Wladislaw und auch mit dem Großfürsten Witold<br />
von Litauen, die bei der einmal bestehenden Lage zum<br />
Kriege führten. Am 6. August 1409 sandten der Hochmeister<br />
und seine Gebietiger ihre Absagebriefe von der<br />
Marienburg aus an den Polenkonig. Von beiden Seiten<br />
wurden Streitkräfte aufgestellt, die Antang Oktober zwischen<br />
Schmetz und Bromberg s^n auf 15 km genähert<br />
hatten, als durch das Bemühen des Königs Wenzel von<br />
Böhmen am 8. Oktober 1409 ein Waffenstillstand zustande<br />
kam mit der Bestimmung, daß spätestens bis<br />
Fastnacht 1410 die strittige Angelegenheit durch Schiedsspruch<br />
des Königs Wenzel entschieden werden sollte.<br />
28<br />
Witold war in den Waffenstillstand nicht eingeschlossen.<br />
Ulrich hoffte auf friedliche Beilegung der Sache. Die Hoffnungen<br />
Ulrichs bezüglich des Waffenstillstandes und des<br />
Schiedsgerichtes erfüllten sich nicht. Die polnischen Abgesandten<br />
nahmen nämlich die Entscheidung Wenzels nicht<br />
an und ver'^ßen Prag. Nun fanden erfolglose Verhandlungen<br />
zwischen dem König Siegmund von Ungarn, dem<br />
Bruder Wenzels, und dem König von Polen wegen des<br />
Friedens statt, die dieser aber absichtlich in die Länge<br />
zog, um seine Rüstungen vollenden zu können. Auch<br />
wurde zu Breslau um Pfingsten ein Verhandlungstag gehalten,<br />
der aber gleichfalls ohne Ergebnis verlief, da der<br />
Polenkönig keinen Bevollmächtigten dazu schickte.<br />
Schließlich sprach Ulrich in einem Schreiben der Gemahlin<br />
des Herzogs von Masowien, der Schwester des Polenkönigs,<br />
seine Bereitwilligkeit zur Erhaltung des Friedens<br />
aus. Doch alles war vergebens. Mit dem 8. Juli lief der<br />
Waffenstillstand ab, und der Krieg begann aufs neue.<br />
Am 15 Juli 1410 kam es zur blutigen Entscheidungsschlacht<br />
bei Tannenberg. Im Lager der Polen und Litauer<br />
standen 163 000 Mann, darunter 40 000 tatarische Hilfsvölker.<br />
Die Macht des Ordens betrug 85 000 Streiter mit<br />
65 Heerbannern, doch waren sie an Feldgeschütz dem<br />
Gegner überlegen. Zwischen Tannenberg und Grünfelde<br />
ordnen sich die Streitkräfte der Deutsch-Herren in langer<br />
gerader Linie, einen Zug von Berges<strong>höh</strong>en besetzend. Die<br />
Aufstellung ist beendet, aber sie warten noch 3 Stunden<br />
mit dem Angriff, damit die slawischen Gegner, denen gegenüber<br />
die Gesetze der Ritterlichkeit gewahrt sein sollen,<br />
Gelegenheit haben, aus dem sumpfigen Waldgelände herauszukommen.<br />
Hätten die Ordensleute dieses Gesetz der<br />
Ritterlichkeit, das auch bei Turnieren üblich war, unbeachtet<br />
gelassen, dann wäre die Schlacht zu ihren Gunsten<br />
ausgefallen. Der Ordensmarschall sandte dem Polenkönig<br />
durch Herolde zwei bloße Schwerter zum Zeichen, daß<br />
der Kampf beginnen solle. Auf der Gegenseite wurde das<br />
als besonderer Übermut ausgelegt, es war aber die übliche<br />
Form der Herausforderung zum ritterlichen Kampf. Dem<br />
an Zahl weit überlegenen Heere der vereinigten Polen,<br />
Litauer, Tataren und Russen gegenüber stritten die<br />
Deutsch-Ordensritter mit bewundernswerter Tapferkeit.<br />
Schon waren die Feinde zum Weichen gebracht, schon erscholl<br />
auf der ganzen Linie der Siegesgesang: „Christ ist<br />
erstanden", als die im Eldechsenbund vereinigten und mit<br />
der Ordensherrschaft unzufriedenen Adeligen des Kulmer<br />
Landes zu den Polen übergingen und ihnen so zum Siege<br />
verhalfen. Der rechte und linke Flügel des Ordensheeres<br />
wurde umfaßt und aufgerieben, die Mitte durchbrochen<br />
und auseinandergesprengt. 200 Ritter lagen am Boden,<br />
auch das Fußvolk war stark zusammengeschmolzen.<br />
Herren und Knechte kämpften mit gleicher Tapferkeit,<br />
aber schließlich gab nicht die Tapferkeit, sondern die<br />
Zahl der Streiter den Ausschlag. Den Feinden stand ein<br />
weit größeres Heer von Ersatzleuten zur Verfügung. Da<br />
das Unglück hereinbrach, rieten die Gebietiger dem Hochmeister<br />
zum Rückzüge, worauf c ser entgegnete: „Das<br />
soll, so Gott will, nicht geschehen, denn wo so mancher<br />
brave Ritter neben mir gefallen ist, will ich nicht aus dem<br />
Felde reiten." Mit Todesverachtung sprengt er dem feindlichen<br />
Haufen entgegen, ein furchtbares Mordgewünl entsteht,<br />
blutiger als je zuvor. Das Ordensvolk kämpft mit<br />
wahrem Löwenmut, allen voran der ritterliche Hochmeister<br />
auf einem weißen Streitroß. So hatte noch nie<br />
einer der Vorgänger ihnen 'm Kampfe vorangeleuchtet.<br />
Immer <strong>höh</strong>er türmen sich die Leichen, immer mehr ermatten<br />
die Kräfte vor der Ubermacht der Gegner. Da<br />
endlich sinkt auch der Meister von zwei tödlichen Geschossen<br />
in Stirn und Brust getroffen zu Boden. Um ihn<br />
lag die Blüte des Ordens, die ersten der Gebietiger, die
tapfersten Brüder, die Leichen von 600 Rittern und<br />
Knechten und 40 000 vom gerne' len Kriegsvolk des Ordens<br />
bedeckten die blutige Walstatt. 15 000 Mann gingen<br />
dem Orden durdi Gefangenschaft verloren, selbst der<br />
kostbare Kriegsmantel des Hochmeisters geriet in die<br />
Hände des Polenkönigs. Auf dessen Befehl wurde der<br />
Leidinam des Hochmeisters aufgesucht, „allem Volke zur<br />
Schmach" vor das Zelt des Königs gelegt, bis er nach<br />
Osterode und von da nach der Marienburg geführt wurde,<br />
wo er dann unter Jammer und Schmerz in der St. Annengruft<br />
beigesetzt wurde. Mit dem Tag von Tannenberg war<br />
das Schicksal des Ordens besiegelt, seine Lebenskraft unwiederbringlich<br />
dahin. Auf den ersten Thorner Frieden<br />
i. J. 1411, der für den Orden verhältnismäßig noch günstig<br />
war, folgte 1466 der zweite Thorner Frieden, bei dem<br />
u. a. Pommerellen und Ermland an Polen abgetreten werden<br />
mußten. 1525 trat der damalige Hochmeister Albrecht<br />
von Brandenburg zur Lehre Luthers über und aus dem<br />
Ordensstaat wurde ein weltliches Herzogtum. Auf dem<br />
Schlachtfelde von Tannenberg trug ein mächtiger Stein die<br />
Rund 6000 Bände<br />
Die Bücherei des Kommunalverbandes - nicht zu verwechseln<br />
mit der Hoh<strong>enzollerische</strong>n Heimatbücherei in Heesingen<br />
- umfaßt jetzt rund 6000 Bände. Der Bestand ist<br />
damit, besonders durch Neuerwerbungen der letzten Zeit,<br />
so angewachsen, daß im Landeshaus ein weiterer Raum<br />
für die Bibliothek eingerichtet werden muß. Freundliche<br />
Mitteilung von Herrn Landesverwaltungsrat Josef Mühlebach.<br />
Die Bibliothek umfaßt nicht nur zahlreiche Arbeiten<br />
über zollerische Geschichte, sondern auch so gut wie<br />
alle Veröffentlichungen, die je auf zollerischem Boden geschrieben<br />
wurden über die verschiedensten Gebiete, einschließlich<br />
Epik und Lyrik. wf<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hoh<strong>enzollerische</strong>n Geichichtsverein<br />
in Verbindung mit den Staatlichen<br />
Schulämtern Hechingen und Sigmaringen.<br />
Verlag: Hoh<strong>enzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />
748 Sigmaringen, Karlstraße 3. Druck: M. Liehners<br />
Hofbuchdruckerel KG, 748 Sigmaringen,<br />
Karlstraße 10.<br />
Die Zeitschrift „Hoh<strong>enzollerische</strong> Heimat" ist<br />
eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will besonders<br />
die Bevölkerung in Hohenzollern mit<br />
der Geschichte ihrer Heimat vertraut machen.<br />
Sie bringt neben fachhistorischen auch populär<br />
gehaltene Beiträge aus der Geschichte unseres<br />
Landes. Sie veröffentlicht bevorzugt Beiträge,<br />
die im Schulunterricht verwendet werden können.<br />
Bezugspreis: 2,00 DM halbjährlich<br />
Inschrift: „Im Kampf für deutsches Wesen und deutsches<br />
Recht starb hier der Hochmeister Ulrich von Jungingen<br />
am 15. Juli 1410 den Heldentod." Der Stein steht heute<br />
noch, doch ist die Inschrift ersetzt durch die Bezeichnung<br />
„Pola Grünwald". Es ist der Name, mit dem Polen die<br />
Schlacht bei Tannenberg bezeichnet.<br />
Auf dem Schlachtfeld von Tannenberg ist 500 Jahre später<br />
der Geist eines Ulrich von Jungingen wieder lebendig, als<br />
es galt, die gegen Deutschland anstürmenden Russen abzuwehren.<br />
Einem Feldmarschall von Hindenburg ist es<br />
1914 gelungen, in glänzender Entscheidungsschlacht das<br />
an Zahl überlegene russische Heer vernichtend zu schlagen<br />
und 80 000 Gefangene zu machen. Ein prunkvolles Bauwerk<br />
erinnerte als zweites Tannenbergdenkmal an diese<br />
zweite Tannenbergschlacht. Einige Jahre waren die sterblichen<br />
Überreste des Feldmarschalls von Hindenburg in<br />
einem der Türme beigesetzt, der so als Mausoleum diente.<br />
Heute ist auch dieses zweite Tannenbergdenkmal wieder<br />
beseitigt.<br />
Zweimal römische Funde<br />
Konten der „Hoh<strong>enzollerische</strong>n Heimat":<br />
802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />
123 63 Postscheckamt Stuttgart<br />
Die Mitarbeiter dieser Nummer:<br />
Michael Lorch, Oberlehrer i. R.<br />
7451 Killer, Bahnhofstraße 194<br />
Johann Adam Kraus<br />
Pfarrer und Erzbisch. Archivar i. R.<br />
78 Freiburg-Littenweiler, Badstraße 2<br />
Walter Sauter f, Schriftleiter a. D.<br />
745 Kechingen<br />
Walther Frick, Journalist<br />
748 Sigmaringen, Hohe Tannen<br />
Schriftleiter:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth<br />
7487 Gammertingen, Eichertstraße<br />
Telefon 07574/329<br />
In diesem Frühjahr sind in Hohenzollern zweimal römische<br />
Funde gemacht worden, einmal beabsichtigt bei Inzigkofen,<br />
einmal ohne Absicht in Ostrach. In Inzigkofen<br />
legt das Landesamt für Denkmalpflege in Tübingen gegenwärtig<br />
Fundamente frei, die vielleicht zu einem römischen<br />
Kastell gehörten. Diese Grabung ist im größeren<br />
Zusammenhang der Erforschung der ersten römischen<br />
Nordgrenze zu sehen. Bekanntlich begann der Vorstoß<br />
der Römer von Süden her um das Jahr 15 v. Chr., vielleicht<br />
von der Reichenau aus, und etwa zu Lebzeiten<br />
Christi soll es eine Donaugrenze gegeben haben. Später<br />
bauten die Römer eine zweite, auf der Alb; das Burla-<br />
Redaktionsausschuß:<br />
Hubert Dedc, Konrektor<br />
745 Heeslingen, Tübinger Straße 28<br />
Telefon 07471/2937<br />
Walther Frick, Journalist<br />
748 Sigmaringen, Hohe Tannen<br />
Telefon 07571/8341<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />
persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />
diese zeichnen für den Inhalt dei Beiträge verantwortlich.<br />
Mitteilungen der Schriftleitung<br />
sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare werden<br />
an die Adresse des Schriftleiters oder Reüaktionsausschusses<br />
erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die „Hohenzollerisaie<br />
Heimat" weiter zu empfehlen.<br />
29
dinger Kastell dürfte ihr zugehören. Im Zug der Erforschung<br />
der Donaugrenze gelang vor weniger Jahren die<br />
Aufdeckung einer römischen „mansio" bei S^maringen,<br />
einer Reise-, Nachschub- und Polizeistation, wie man sie<br />
In Europa so unversehrt noch nicht fand. - Was in Inzigkofen<br />
jetzt herauskommt, steht noch niuit fest, im ungünstigsten<br />
Fall ist es ein Gutshof, eine „villa rustica".<br />
Ungünstig deshalb, weil solche Gebäude bereits mehrfach<br />
bekannt sind, gerade in der nächsten Umgebung von Sigmaringen.<br />
Ein solcher Fund wäre also nicht so wichtig.<br />
Ein gleicher Gutshof ist auch in Ostrach bei den Fundamentierungsarbeiten<br />
für e' n e Schule gefunden worden.<br />
Nach freundlicher Mitteilung von Direktor Jerg handelt<br />
es sich um Z egel eines zusammengebrochenen Daches,<br />
das zu einem landwirtschaftlichen Gebäude gehört. Schon<br />
Dr. Zingeler hat, nach Jerg, vor 70 oder 80 Jahren das<br />
Vorhandensein eines solchen Gutshofes in Ostrach festgestellt.<br />
wf<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Vergessener Adel von Rangendingen<br />
Es müßte merkwürdig erscheinen, wenn in Rangendingen,<br />
einer alten alemannischen Siedlung, nicht ehemals wie in<br />
den meisten alten Orten ein Ortsadel be<strong>heimat</strong>et gewesen<br />
wäre. Ragt doch in 1 km Entfernung nördlich vom Dorf<br />
ein auffallender Berg oder Kapf bis 530 m auf, der ausgerechnet<br />
den Namen „Haoburg" (also „Hohe Burg")<br />
trägt. Nur von Nordosten her ist dieser Kapf mit dem<br />
ebenen Hrndergelände verbunden, jedoch durch drei mächtige<br />
Wallgräben gesichert. Der äußerste Graben 1 ~gt 200<br />
Schritte vom eigentlichen Burgplatz entfernt und ist noch<br />
etwa sieben Meter bi :1t und 1,5 Meter tief und zeigt nach<br />
der Innenseite einen meterhohen Wall. Hundert Meter<br />
weiter nach dem Kapf zu steht man vor dem zweiten<br />
Wallgraben von ungefähr gleicher Breite und Tiefe und<br />
einem inneren Wall von etwa 2 m Höhe. Der dritte, also<br />
innerste, Graben zeigt eine Breite von etwa 15 m, eine<br />
Tiefe von 6 m und die Grabensohle ist heute noch 2 m<br />
breit. Dieser innere Graben umschließt en ien nahezu viereckigen<br />
Burgplatz von rund 30 m Länge und Breite. Der<br />
südwest" che Abhang der Kuppe fällt etwa 60 m fast senkrecht<br />
in die Tiefe. In der Annahme, hier habe einst eine<br />
ke'ti;che Volksburg gestanden, haben Heimatfreunde im<br />
Jahre 1967 einen von Bildhauer Josef Wannenmacher mit<br />
keltischen Symbolen und einer Inschrift versehenen Block<br />
von Muschelkalk aufgerichtet<br />
Daß der relativ kleine Innenraum von 30 zu 30 m auf<br />
dem hohen Kapf geradezu ideal für eine mittelalterliche<br />
Ritterburg mit vorgelagerten Außenwerken für Scheunen<br />
und Ställe und Gärten gei snt haben könne, wurde von<br />
den Einheimischen offenbar i cht bedacht, zuma' die örtliche<br />
Oberi: ferung von einem früheren Ortsaael mens<br />
mehr wußte. Die spätere Benützung einer frühgesch itlichen<br />
Befestigungsanlage zum Bau einer mittelalterlichen<br />
Ritterburg ist gar nicht selten, zumal wenn so eine günstige<br />
Situation vorliegt!<br />
Allerdings ist in Rangend rgen die Erinnerung an einen<br />
ade ' ;en Heinrich erhalten, für den seit angeblich 1466 bis<br />
30<br />
Erste „Kreis-Putzete"<br />
Am 9. Mai hat im Kreis Sigmaringen zum erstenmal eine<br />
„Putzete" stattgefunden, bei der allein dort, wo man<br />
zählte, rund 43 Lastwagenladungen Unrat zusammenkamen.<br />
Etwa 1700 Schulkinder und beschämend wenige<br />
Erwachsene, darunter Landrat Dr. Gögler selber, taten<br />
mit. Vom Standpunkt der He^natpflege aus ergibt sich<br />
daraus folgende Überlegung: Noch ist es leicht, einen<br />
von den Untaten der Zivilisation so gut wie ganz verschonten<br />
Landkreis sauber zu halten. Noch heißt es „Den<br />
Anfängen wehren" und man muß wenigstens hier noch<br />
nicht mit unzureichenden Maßnahmen hinter schon fortgeschrittenen<br />
Zerstörungen und Vergiftungen von Erde<br />
und Wasser herrennen. Der Sigmaringer Landrat läßt<br />
keinen Zweifel daran, daß dieser Auftakt nicht zugleich<br />
schon wieder ein Ende sein soll; er will vielmehr dieses<br />
„Anfängen Wehren" fortsetzen. Zu Be?"in dieses Jahres<br />
erstand auf seine Anregung auch die Kreisstelle für Naturschutz,<br />
samt Beirat, neu. wf<br />
in die Neuzeit ein kirchlicher Jahrtag mit Brotgabe gefeiert<br />
wurde, v» eil er der Gemeinde das schöne und fruchtbare<br />
Feld „I mdach" geschenkt habe, das unterhalb der<br />
Mühle links der Starzel gelegen ist. Bisher gelang es nicht,<br />
diesen angeblichen „Heinrich von Lindach" urkundlich zu<br />
fassen. Auf dem genannten Feld und auf der ganzen Gemarkung<br />
von Rangendingen weist keinerlei Bodenfund<br />
auf eine ehemalige Burg, außer eben dem genannten Kapf<br />
mit dem Namen „Haoburg" 2 .<br />
Eine Notiz in den alten „Mittelungen" des hoh<strong>enzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>s vom Jahre 1874 Seite 70 machte<br />
aufmerksam, daß die Originalurkunde i : ner edlen Mächti'ld<br />
von Rangadingen vom Jahre 1311 noch im Stuttgarter<br />
Staatsarchiv im Bestand „Kloster Kirchberg" erhalten<br />
se'- von der bisher nur ein Regest aus dem im<br />
letzten Krieg verbrannten ersten Band des Kirchberger<br />
Kopialbuchs bekannt war. Eine von Aren vairektor Dr.<br />
Eberhard Gönner großzügig zur Verfügung gestellte<br />
Kopie dieser Urkunde B 462 Nr. 142 ergab einige Überraschungen<br />
:<br />
1311 Juli 7, Horb: „Die edle Mächtild von Rangadingen<br />
überträgt mit Zustimmung ihres Sohnessohnes (Enkels),<br />
des Bruders Cuonrat im Johanniterorden, dem Dominikanerinnenkloster<br />
Kilchberg bei Haigerloch aus Liebe zu<br />
Gott und ihrem Seelenheil alle ihre folgenden Güter als<br />
Eigentum: 1) Ein Gut zu Dettensee, das der Bomer bebaut<br />
und das jährlich 9V2 Malter Roggen (Horber Meß),<br />
3 Tubi iger Schilling (ß), 4 Hühner, 2 Gänse und 100 Eier<br />
'iefert. 2) Ein Gut zu Ahldorf, das der Windemer baut,<br />
und jährlich 11 Mit. Roggen, 3 Mit. Kernen, 2 ß Tübinger,<br />
2 Hühner und 100 Eier gibt. 3) und 4) Zwei Güter<br />
zu Weitingen, Je bauen Arnold und se : -e zwei Söhne<br />
Burchard und Cuonrat. Das eine giltet jährlich 10 Mit.<br />
Roggen und das andere 6 Mit. Roggen, 4 Mit. Haber,<br />
10 ß Tübinger, 1 Gans, 2 Hühner und 100 Eier. M._ diesen<br />
beiden Gütern sollen o'e Frauen von I .irchberg "hre<br />
und ihres Sohnes Jahrzeit begehen. 5) Ein Gut zu Eutin-
gen („Uetingen"), das Berchtold von Hohadorf und sein<br />
Bruder bauen, und gilten jährlich 10 Mit. Roggen, 4 Mit.<br />
Kernen, 4 Mit. Haber, 4 Hühner, 1 Gans und 100 Eier.<br />
6) Ein Gut zu Betra („Betteran"), das Walter von Wiesenstetten<br />
baut und jährlich giltet 7 Mit. Roggen, 2 Mit. Haber,<br />
2 Hühner und 100 Eier. Ferner i rd bestimmt: Das<br />
Gut zu Eutingen sollen nach der Si i r terin Tod die Töchter<br />
ihres verstorbenen Sohnes, namens Kathrin und Mechtild,<br />
die im Kloster F rchberg sind, ihr Leben lang genießen.<br />
Nach beider Tod soll das Gut ans Kloster fallen für das<br />
Siechenhaus daselbst. Mächtild verzichtet für sich und ihre<br />
Erben auf die 6 Bauerngüter zugunsten des Klosters und<br />
bittet die Stadt Horb, die Urkunde zu besiegeln. Zeugen<br />
sind: Die 2 Ritter Cuonrat von Weitingen und Tragebolt<br />
von (Neuneck-)Egolfstal, Cuonrat von Isenburg und<br />
Strube sein Bruder, Johannes von Dettingen, Benz Dankolf,<br />
Matheus der Richter, Walther in dem Hofe der jung.<br />
Geschehen zu Horb im Jahre 1311 am achten Tag (nach)<br />
Peter und Paul."<br />
Aus dieser Urkunde geht hervor: Der Gemahl und Sohn<br />
der Stifterin sind tot, der Enkel Konrad gehört dem Johanniterorden<br />
an und dessen zwei Schwestern Katharina<br />
und Mechtild ieben als Nonnen im Kloster Kirchberg.<br />
Zum Jahrtag für sich und ' iren verstorbenen Sohn stiftet<br />
Mächtild die zwei Güter zu Weitingen. Das Gut zu Eutingen<br />
fällt nach der Stifterin Tod, die es offensichtlich noch<br />
weiterhin nutzen darf, an ihre Enkelinnen und dann ans<br />
Siechenhaus im Kloster. Die Matrone muß sehr angesehen<br />
und reich gewesen sein, wenn sie sechs Bauerngüter verschenkt<br />
und zur feierlichen Übertragung eine ganze Reihe<br />
schwäbischer (vielleicht verwandter) Adeliger zugezogen<br />
hat. Offenbar lebte kein näherer Verwandter der von<br />
Rangendingen mehr. Der Sohn ist tot, der Enkel hat als<br />
Johanniter Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam und Kampf<br />
gegen die Ungläubigen gelobt, se ie Schwestern im Kloster<br />
ebenfalls die drc :rsten Gelübde abgelegt.<br />
Es muß hier näheres über den Johanniterorden 3 gesagt<br />
werden. Er geht auf den Verein italienischer Kaufleute<br />
zurück, die im Jahre 1048 In Jerusalem ein Spiral für<br />
kranke P Iger gegründet hatten und «ich daher „Hospii aibrüder<br />
zum hl. Johannes" nannten. Im Jahre 1113 traten<br />
dem Verein viele Ritter bei und 1120 wurde er in einen<br />
Ritterorden umgewandelt. Der johanm'.erorden hat vitl<br />
Gutes geleistet zum Wohle der Kirche, der Pilger und der<br />
Armen und im Kampf gegen die Ungläubigen. Als Palästina<br />
im Jahre 1291 mit dem Fall von Akkon an die<br />
Sarazenen verloren g ng, zogen die Johanniter nach Rhodos,<br />
weshalb sie später Rhodeserritter hießen. Dort behaupteten<br />
sie sich b.s 1522 gegen die Türken. Kaiser Karl V.<br />
überließ ihnen dann die Felseninsel Malta an der Südostecke<br />
Siziliens. Seitdem nennt man sie Malteserr" ter. In<br />
Schwaben hatte der Orden seit dem 13. Jahrhundert Kommenden<br />
mit einem oder mehreren Kaplänen zu Affaltrach,<br />
DätZ: gen-Rohrdorf, Hemmendorf, Rottweil, Hall, Rexingän,<br />
Vi" ; ngen und ein Priorat zu Jungental-Starzeln<br />
(Dieses ist 1275 bis 1406 erwähnt, dann unterstand es als<br />
Hofgut der Kommende Hemmendorf und wurde 1606 an<br />
den Grafen von Zollern verkauft.) Seit 1266 saß der<br />
Großkommandeur („Großkomtur") für Deutschland in<br />
Heitersheim bei Freiburg im Breisgau. Die Mitglieder<br />
schieden sich seit etwa 1150 in drei Klassen: Ritter (volladelige),<br />
Pr bester und c-.enende Brüder für Spital- und<br />
Waffend" ;nst. Daneben gab es Adelige auch ohne Gelübde.<br />
Die Ordensfahne zeigte das achtspitzige weiße<br />
Malteserkreuz auf rotem Grund. Dieses trugen alle Johanniter<br />
im Frieden auf dem schwarzen Mantel. Sie gelobten<br />
außer den drei Ordensgelübden noch „Dienst an<br />
den Armen und Schutz der Kirche". Eine Erinnerung<br />
daran ist heute der Malteserhilfsdienst.<br />
Doch kehren wir nun zum Rangendinger Adel zurück.<br />
Eine Überraschung ergab sich auch bei der Nachforschung<br />
nach dem Enkel Konrad vom Jahre 1311. Am 6. Mai 1309<br />
erscheinen als Zeugen eines Rottweiler Verkaufs: Die Brüder<br />
des johanniterordens daselbst, nämlich der Komtur<br />
Ulrich Bletz, der Keller und „der von Rangadingen" als<br />
„Spitalherren zu St. Johann in Rottwi.il" 5 . Man denkt<br />
hier, und wohl mit Recht, an obigen Konrad als Enkel der<br />
Mächtild. Im Jahre 1289 (nach dem 23. Sept.) finden wir<br />
einen „Bruder C. (wohl Conrad) von Rangadingen" als<br />
Angehörigen des Johanniterhauses zu Rexingen bei Hort<br />
Dieser wird kaum mit dem Enkel der Mächtild identisch<br />
sein, vielmehr denkt man eher an einen gleichnamigen<br />
Vetter (Onkel) des Johanniters von 1311. Laut einer Urkunde<br />
des gleichen Johanniterhauses Rexingen vom<br />
13. Juli 1310 schlichtete Ulrich Bletz, Komtur zu Rottweil,<br />
zusammen mit Ritter Hugo von Leinstetten und<br />
Heinrich Maier von Horb einen Streit zwischen Johann<br />
von Bedungen einerseits und Conrad von Rangadingen,<br />
gewesenem Komtur zu Rexingen und dem Konvent daselbst<br />
andererseits wegen bestimmter Leute, genannt die<br />
Mühlin 7 . Dieser Konrad lebte also noch 1310.<br />
Zweifellos war die Adelsfamilie „von Rangendingen" und<br />
besonders Mächtild tiefreligiös. Sie hat mit ihrem Gebet<br />
den hochherzigen Entschluß des Enkels Konrad begleitet,<br />
der Welt zu entsagen, um allein Gott, der Kirche und den<br />
Kranken zu dienen. Ja man : versucht, in ihrem verstorbenen<br />
Sohn jenen Heinrich zu vermuten, den die Bewohner<br />
Rangendingens als „von Lindach" bezeichnen. Die<br />
Uberlieferung häit ihn auch für den Stifter des hiesigen<br />
Frauenklösterleins von 1303, dessen Formierung schon<br />
einige Jahre in Anspruch genommen haben w.*d.<br />
Im Jahre 1294 kaufte ein Heinrich der Mezener in Rangendingen<br />
das Gut des Konrad genannt Stölger als Lehen<br />
des hochadeligen Wernher von Zimmern. Dabei sind als<br />
Zeugen angegeben: Herr Heinrich der Leutpriester von<br />
Haigerloch, den man nennt Mile, Herr Berchtold von<br />
Giselingen, der Vogt Heinrich Kretz. Bruder Heinrich<br />
der Vingeier, (der adelige) Rudolf Vinke, Diet(rieh) von<br />
Rangadingen, Herr Rigger Schebeli, Herr Gerung Hagge,<br />
Herr Volmer von Dornh* n usw. Geschehen zu Oberndorf<br />
im Haus des I igger Schebeli 8 . Die Bearbeiter des<br />
Urkundenbuchs vermuten zwar in diesem Diet von Rangadingen<br />
einen Oberndorfer Bürger. Aber in der Urkunde<br />
steht nichts davon, vielmehr ist er unter den Herren eingereiht.<br />
Ich möchte in ihm den Ortsherren von Rangendingen<br />
vermuten, den Gemahl der Mächtild!<br />
Am 1. Februar 1282 ist ein Bur(-kart) von Rangadingen<br />
erwähnt, der früher als Bürger von Horb einen Hof in<br />
dem bei Nordstetten gelegenen Buch (heute Buchhof) als<br />
Lehen des Klosters Reichenau besaß Es dürfte derselbe<br />
sein, der am 24. Februar 1277 zu Horb als „3«r(-kart)<br />
genannt von Rangadingen" Zeuge für das Kloster Kirchberg<br />
betr. Besitz zu Empfingen ist I0 . Vielleicht war er der<br />
Vater des DieW- ich) von Rangendingen. Wir wissen es<br />
nicht sicher. Nebenbei sei erwähnt, daß 1295 auch ein<br />
Angehöriger des schon um 1130 nachweisbaren Hechinger<br />
Adels, nämlich Walther von Hechingen, zur Johanniterkommende<br />
Rottweil gehörte<br />
Schon glfc.ch nach 1200 ersehe- it ein Wernherus de Rangendingen,<br />
der ein St. Galler Lehen hatte (vgl. den Rangendinger<br />
K'rchenheiligen St. Gallus!) und jährlich an das<br />
schweizerische Kloster bzw. dessen ] Jinghof zu Tailfingen<br />
einen Schilling Lehenzins entrichtete 12 . Freilich ist hier<br />
nicht ganz sicher, ob es sich tatsächlich um einen Adeligen<br />
handelte, oder um einen, der ebenvon Rangendingen kam.<br />
31
Die Tonnermühle zu Rangendingen wird 1299 erwähnt,<br />
die Familie Storker hat den Vornamen Konrad und Kraft<br />
im Jahr 1300 mit einem Guitemansgut, wobei Volkart<br />
von Owingen, Berthold von Dettingen und ein Ganusser<br />
von Haigerloch als Zeugen fungierten ls .<br />
Zum Rangendinger Adelsgeschlecht hat Staatsarchivdirektor<br />
Dr. Eberhard Gönner noch weitere Urkunden ausfindig<br />
gemacht, die sehr aufschlußreich sind:<br />
Am 31. Dezember 1312 beurkundete Dietrich, Cunrads<br />
Sohn von Berne, als Vogt der Kinder seiner (namentlich<br />
nicht genannten) Schwester 13 *, nämlich Burkart, Sifrit,<br />
Peter und Mechtild, daß diese auf alle Ansprüche auf die<br />
Güter, welche ihre Urahne, Frau Mächtild selig von Rangadingen,<br />
hinterlassen hat, zu Gunsten des Klosters Kirchberg<br />
gegen Empfang von 35 Pfund Heller verzichten.<br />
Bürgen waren Ritter Cunrad von Wytingen, Cunrad von<br />
der Waltstraße, Hermann Haugg und Friedrich Branthoch,<br />
Bürger zu Rottweil. Es siegelten die Aussteller und<br />
der erste Bürge. Datum Rottweil, am ewich Abend 1312 14 .<br />
Somit war jetzt die äitere Mächtild von Rangenr^ngen<br />
nicht mehr am Leben. Die eben genannte Mechtild, me<br />
junge, finden wir hier mit ihren Brüdern, und wieder<br />
am 24. Oktober 1324. An diesem Tage verkaufte „Mechtild<br />
von Rangendingen genannt von Bern" ans Kloster<br />
Kirchberg ihr Gut zu Ergenzingen um 20 Pfund Heller<br />
und setzte zu Bürgen ihre Brüder Burkart SifrIt und Peter<br />
von Bern. Es siegelte die Stadt Horb 15 . Es handelt si-h<br />
zweifellos um die gleichen Geschwister wif m der Urkunde<br />
von 1312.<br />
Bern hiels ehemals eine Burg am Neckar im Norden der<br />
Gemarkung Rottweil. Der Adel, der sich nach ihr nannte,<br />
führte im geteilten Schild einen mit drei L ; lenhütchen belegten<br />
Schragbalken 18 .<br />
Eine weitere Urkunde aus dem Kloster Kirchberg liegt in<br />
Stuttgart: Am 11. April 1325 verkauften Burkart von<br />
Bern, seine Brüder Syfrid und Peter, sowie seine Schwester<br />
Mechtild ans Kloster Kirchbeig ihren Laienzehnten zu<br />
Ergenzingen mit Einwilligung des Grafen Hein: ich von<br />
Fürstenberg, von dem der Zehnte Lehen ist, um IJO<br />
Pfund Heller und setzten zu Bürgen: Alb recht von Ergenzingen,<br />
Benze den Gemach und Albrecht den Bossinger.<br />
Siegler ist wiederum die Stadt Horb<br />
Die jüngere Mechtild, die 1324 als „von Rangendingen,<br />
genannt von Bern" auftritt, dürfte mit einem Herrn von<br />
Rangendingen, etwa obigem Heinrich („von Lindach")<br />
verehelicht gewesen sein. Oder wohnte sie lediglich auf<br />
der Burg Rangeridingen?<br />
Gemahl und Sehn der älteren Mächtild von Rangendingen<br />
waren vielleicht in dem Treffen bei Lei. stetten-Oberndorf<br />
im April 1298 umgekommen, wo Graf Albrecht von Haigerloch-Hoheiiberg,<br />
der Minnesänger, mit 350 Getreuen<br />
den Tod fand, während 500 Mann l i Gefangenschaft des<br />
Herzogs Otto von Bayern gerieten, der für König Auolf<br />
von Nassau stritt 18<br />
Nebenzweige der Familie von Rangendingen scheinen früh<br />
in die Städte gezogen zu sein. Im Jahre 1330 finden v ir<br />
die Bürger „Engeli und seinen Vater Heinrich die Rangendinger"<br />
zu Balingen 19 Ein Hans Schwager und Aberli<br />
(Albrecht) Rangendinger, Bürger zu Rottenburg, verkauften<br />
1384 ihr Haus daselbst. Von 1430 bis 1453 läßt sich<br />
ein Konrad Rangendinger als angesehenes Ratsmitglied zu<br />
Rottweil feststellenAlberti bildet das Wappen dieses<br />
Konrad von 1446 ab: Im Schild sieht man den Kopf, den<br />
Vorderrumpf und die Vorderbeine eines Widders oder<br />
Rams mit gewundenen Hörnern 21 . Im Jahre 1460 besaß<br />
das Kloster Alpirsbach in Engstlatt den Rangendmgers-<br />
Hof, der wohl auf einen Herrn von Rangend --igen zurückgeht<br />
22 .<br />
32<br />
E' i gleiches Wappenbild führten übrigens auch „die Man<br />
von Hurningen" (dem benachbarten Hin ; ngen) und die<br />
verwandten Hürning 2S . Ein Kunz Hurninger mit dem<br />
Widderwappen findet sich 1356-1363 zusammen mit dem<br />
Edelknecht Wernher dem Boller in der Umgebung des<br />
Grafen von Zollern. Ein Edelmann Hans Hurning war<br />
um 1390 Kirchherr zu Weilheim bei Hechingen und starb<br />
vor 1406. Nach einer Notiz 24 wäre er schon 1334 nachzuweisen,<br />
was Zweifel erregt. Fritz Hurning wird 1344—<br />
1360 im Gefolge der Zollergrafen erwähnt. Irmgard von<br />
Hurningen war 1385 und 1411 Klosterfrau zu Reuthin<br />
bei Wildberg und Jörg von Hurningen 1456 Pfarrer zu<br />
Rottenburg.<br />
Da diese Sippe Rangendinger, Hurninger, Man von Hurn<br />
.rgen das gleiche Wappen wie die Herren von Magenbuch<br />
führten, scheinen sie mit diesen zusammenzugehören,<br />
aber keine direkten Nachkommen der Mächtild von Rangendingen<br />
von 1311 zu sein, vielmehr weitläufige Verwandte.<br />
Oder sie gehörten einer früh abgespaltenen Linie<br />
an. Sie mögen t< "'s auf der Burg Rangendingen, teils in<br />
F 'rrlingen seßhaft gewesen sein. Hierzu möchte ich auch<br />
ijnen Pfarrer Eberhard von Rangendingen rechnen, der<br />
im Jahre 1363 seine wahrscheinlich von anderer Seite best.<br />
ttene Pfarrei Weiidorf bei Haigerioch vom Papste in<br />
Avignon bestätigt erhielt 2S . Allerdings könnte es sich einfach<br />
um einen Geistlichen gehandelt haben, der aus Rangenaingen<br />
kam, also nicht adelig war.<br />
Die Ritterburg Rangendingen auf dem Kapf ist längst<br />
zerfallen und vergessen. Die Steine sind wohl schon vor<br />
Jahrhunderten zum Bau von Weinbergmauern am Berghang<br />
weggeholt. Von den adeiigen Herren wußte niemand<br />
mehr. Aber wie der Gedenkstein auf der „Haoburg"<br />
den Besucher zum Grübeln and Träumen über eine verschwundene<br />
keltische Volksburg an diesem Platz anregen<br />
kann, so mögen auch i"ese Zeilen die Erinnerung an die<br />
einst '.lier wohnhaft gewesenen adeligen Herren von Rangendingen<br />
bewahren und an längstvergangene Zeiten erinnern.<br />
Jok. Adam Kraus<br />
Anmerkungen:<br />
1<br />
f'estschril t des Sängerbundes Rangendingen 1968, S, 88.<br />
2<br />
riol 'nzollerische Heimat 1968, S. 46; Hohenzoll. Zeitung,<br />
Hechingen: 6. 9. 68.<br />
4<br />
i.exikon für Theologie und Kirche von Buchbeiger, 1933 Bd. 5,<br />
544 f; und Johann Wetze!, Geschichte der katholischen Kirche in<br />
Hohenzollem; 1928, S. 59<br />
* Zoller<strong>heimat</strong> 1941, S. 13-16.<br />
s<br />
Kottweiler Urkundenbuch, 1896, S. 655.<br />
8 Wirtembergisdies Urkundenbuch 9, 301<br />
7<br />
Findbuch der Johanniterordens-Urkunden S. 331 („Rexingen") im<br />
Hauptstaatsarchiv Stuttgart.<br />
8 WUB 10, 229.<br />
® WUB 8, 379.<br />
10<br />
WUB 8, 15.<br />
" Rottweiler UB S. 652.<br />
« WUB 5, 397.<br />
« WUB 11, 186 und 395.<br />
ls<br />
a Die Unstimmigkeit, die sich aus dem Wort Schwester ergibt, kann<br />
ich nicht lösen. Meines Ei achtens müßte es hier seines „Bruders"<br />
heißen!<br />
14<br />
Kirchberger Kopialbuch II. S. 24: Hauptstaatsarchiv Stuttgart.<br />
15<br />
Findbudi zu Kloster Kirchberg: Hauptstaatsarchiv Stuttgart.<br />
18<br />
v Alberti, Württ. Adels- und Wappenbuch I, S. 49.<br />
17<br />
Hauptstaatsarchiv Stuttgart B 462, Nr. 181; Fürstt-nbg. UB III,<br />
Nr. 184, 2.<br />
is Hodler, Gesch. d. OAHaigerloch, 1928, S. 72; Karl v. Mareens,<br />
Gesch. d. kriegerischen Ereignisse i. Württbg. 1847, S. 5C-51.<br />
19<br />
Urk. Nr. 81 des Klosters Stetten: Hotz. jHeft 1955 Anhang.<br />
20<br />
Rottweiler UB: Register.<br />
« v Alberti II. S. 613.<br />
22<br />
Kreisbesdireibung Balingen II, 636.<br />
28<br />
Stettener Urkunden: Register (Note 19).<br />
24<br />
OAB Rottenburg, 1900, Bd II, S. 203.<br />
25<br />
K. Rieder, Römische Quellen zur Konstanzei Bistumsgeschichte,<br />
1908, Nr. 437.
JOSEF MÜHLEBACH<br />
WALTHER FRICK<br />
HÖH ENZOLLERISCHE<br />
HEIMAT<br />
20. Jahrgang 1970 Nr. 3<br />
Schloß Achberg. Prospekt des Schlosses. Tuschzeidinung Ende 18. Jh<br />
Die Exklave Achberg gehört seit dem 1. Januar 1969<br />
nicht mehr zu Hohenzollern, der Begriff der „Exklave"<br />
ist damit erloschen. Im Zug der ersten Bereinigung der<br />
Kreisgrenzen wurde dieses kleine Ländchen, wie man es<br />
wohl nennen darf, von dem rund hundert Kilometer entfernt<br />
liegenden Sigmaringen als Kreisstadt abgetrennt und<br />
dem Landkreis Wangen zugeteilt. Der Kommunallandtag<br />
hat Achberg ein fürstliches Abschiedsgeschenk gemacht<br />
und dazu sogar Schulden bei der Hoh<strong>enzollerische</strong>n Landesbank<br />
aufgenommen: Achberg bekam eine ordentliche<br />
Straße gebaut. Der Kuriosität halber sei erwähnt, daß<br />
der liebliche Flecken, nahe bei Lindau, den preußischen<br />
König Friedrich Wilhelm IV. bei se -iem ersten Besuch<br />
(nachdem mit Hohenzollern auch Achberg preußisch geworden<br />
war) so gut gefiei, daß er sich entschloß, dort<br />
ein Sommerschloß zu bauen. Er hatte sich sogar schon ein<br />
Grundstück dazu ausgesucht, aber aus dem Plan ist später<br />
nichts geworden. Eine andere Kuriosität ist die, daß Hohenzollern,<br />
solange Achberg dazu gehörte, unter den hopfenbauenden<br />
Landkreisen Baden-Württembergs aufgezahlt<br />
wurde, neben Ravensburg und Tettnang. Auf Achberger<br />
Äckern sind etliche Hektar mit Hopfen bepflanzt. Außer-<br />
Abschied von Achberg<br />
Herausgegeben com<br />
4P 3828 F<br />
Hohenzollerifchen Gefchichteoerein<br />
in Verbindung mit öen<br />
Staatlichen Schulämtern Hechingen<br />
unö Sigmaringen<br />
dem wurde auch der Sigmaringer Kreistag gelegentlich<br />
gehört, wenn an der Argen, die durch Achberg fließt,<br />
wasserbauliche Veränderungen durchgeführt werden sollten.<br />
Dies war vor kurzen Jahren der Fall, wobei allerdings<br />
das geplante Großkraftwerk zu bauen unterblieb;<br />
es hätte den schönen und unverbauten Fluß verwüstet.<br />
Als Achbergs Abschiedsstunde letztes Jahr geschlagen<br />
hatte, schrieb der damals noch amtierende, inzwischen<br />
pensionierte Landesverwaltungsrat Josef Mühlebach ein<br />
Exzerpt aus der Geschichte und der Lage Achbergs. Die<br />
Redaktion dieses Blattes hielt es für selbstverständlich,<br />
wenn auch mit einiger Verzögerung, Achberg ein Abschiedswort<br />
zu schre; Jen und die Ausführungen Mühlebachs<br />
Iner abzudrucken. Selbstverständlich bleibt die ehema'<br />
ic Deutschordensherrschaft weiterhin als Ausflugsziel<br />
für jedermann erhalten, und wir empfehlen eine<br />
Reise dorthin sehr warm. Wer darüber hinaus mit der<br />
Geschichte des Schlosses Achberg und seinen Kunstschätzen,<br />
auch mit den übrigen Bau- und Kunstdenkmälern<br />
sich näher vertraut machen will, sei auf die „Kunstdenkmäler<br />
Hohenzollerns", Band Sigmaringen, verwiesen.<br />
Achberg iot dort ein bre.'.er Raum gewiamet. Fr ick<br />
33
AUS DER GESCHICHTE DER EHEMALIGEN<br />
HERRSCHAFT UND SPÄTEREN EXKLAVE<br />
ACHBERG<br />
Allgemeines:<br />
Wenn man von der Exklave Achberg spricht, muß man sich<br />
zunächst daran erinnern, daß Achberg - im Gegensatz zu<br />
allen anderen hoh<strong>enzollerische</strong>n Exklaven - den Namen<br />
nicht von einer Gemeinde Achberg, sondern von der ehemaligen<br />
Herrschaft und dem Schloß Achberg herleitet.<br />
Die Exklave Achberg, ein anmutiger, kleiner Fleck Erde<br />
von ca. 1298 Hektar mit 1000 Einwohnern, zwei Wanderstunden<br />
vom Bodensee entfernt und von Württemberg<br />
und Bayern umschlossen, bildet den südlichsten Teil Hohenzollerns<br />
und war bis 1945 der südlichste Teil von<br />
Preußen überhaupt.<br />
Die Gesamtgemeinde besteht aus den Pfarrdörfern<br />
Esseratsweiler und Siberatsweiler - Siberatsweiler wird<br />
seit einiger Zeit von Esseratsweuer aus pastoriert - und<br />
den Weilern und Höfen Achberg, Bahl gs, Bufflings,<br />
Baindt, Doberatsweiler, Duznau, Frauenreute, Siggenreute,<br />
Isigatsweiler, Liebenweiler, Scheibenhof, Pechtensweiler,<br />
Englitz, Regnitz, Storeute.<br />
Aus der Siedlungsgeschichte:<br />
Die Alemannen sind in das südliche Oberschwaben in<br />
größerer Zahl erst eingezogen, als die Hundertschaften<br />
und Sippen bereits ihre Bedeutung im öffentlichen Leben<br />
verloren hatten. Sie haben sich also erst in späterer Zeit<br />
im Bodenseegebiet angesiedelt, als im übrigen Schwaben.<br />
Ihre Wohnstätten waren vor allem Einzelsiedlungen, die<br />
den Namen des Gründers erhielten. Manche dieser Siedlungen<br />
wuchsen dann durch Teilung oder durch Anschluß<br />
neuer Siedler allmählich zu dorfähnlichen Weilern aus.<br />
Auch gab es, neben Siedlungen von bloß wenigen Höfen,<br />
schon von Anfang an eigentlich Dorfsiedlungen. All diese<br />
Siedlungsarten dürften auch in Achberg vorgekommen<br />
sein.<br />
Jetzt noch bestehen Buffliags und Engntz nur aus je einem<br />
Hof. Mehrere Niederlassungen umfassen zwei bis sieben<br />
Höfe. Doberatsweiler, Esseratsweiler, Pechtensweiler und<br />
Sieberatsweiler waren vielleicht schon ursprünglich Dorfsiedlungen<br />
oder vergrößerten sich wenigstens im Laufe<br />
der 2eit zu solchen. Gar häufig finden sich die Orte auf<br />
weiler, die für unser Gebiet charakteristisch sind ähnlich<br />
•wie die ngen-Orte in Schwaben und die im allgemeinen<br />
wohl zu den frühesten Gründungen zu rechnen sind. In<br />
Achberg sind es deren sieben unter 14 alten Siedlungen.<br />
Außerdem haben vier Wohnplätze: Bahlings, Bufflings,<br />
Englitz und Regnitz, das Grundwort weiler oder hofen<br />
verloren und bieten nur noch den Personennamen Genitiv.<br />
Bahlings bedeutet also Weiler oder Hof des Paldine<br />
(Pald), Bufflings: Weiler oder Hof des Buff, Englitz:<br />
Hof des Engelhart und Regnitz: W 1er oder Hof des<br />
Regnolz.<br />
Der am frühesten genannte Ort Achbergs ist Pechtensweiler<br />
Im Jahre 839. Es folgen Sieberatsweiler im Jahr 860,<br />
Esseratsweiler im Jahre 1122 und Regnitz als Regnolz um<br />
1200. Der Name Achberg wird erstmals im Jahre 1194<br />
genannt.<br />
Die Herrschaftsfolge:<br />
Unter der fränkischen Herrschaft - nach 536 - wurde<br />
Alemann :n in Grafschaftsgebiete eingeteilt, die dann<br />
unter den Karolingern eine feste Abgrenzung erhielten.<br />
Bei der Gaueinteilung kam Achberg zum Argengau. Aus<br />
dem Argengau entwickelte i.-h d: a Herrschaft Tettnang.<br />
Die Herrschaft Tettnang steht im 12. Jahrhundert im<br />
Besitz des Bregenzer Grafenhauses und geht Ende des-<br />
34<br />
selben an die Tübinger Pfalzgrafen über, die wenig später<br />
als Zweiglinie das Haus Montfort begründeten. Erster<br />
Besitzer der Burg Achberg mit Zubehör war ein gleichnamiges<br />
niederadliges Geschlecht. Später erscheinen Truchsessen<br />
von Waldburg in deren Besitz und verkaufen sie<br />
1335 an die Herren von Molpertshausen; 1352 trägt Hans<br />
von Molpertshausen die Herrschaft an Österreich zu<br />
Lehen auf. 1366 kommt die Herrschaft im Erbgang an<br />
die Familie Oeder, von dieser durch Heirat einer Erbtochter<br />
1412 an die Herren von Königsegg zu Königseggberg,<br />
von diesen 1530 an die verwandten Herren von Sürgenstein.<br />
Achberg kommt an den Deutschen Orden<br />
1691 verkauft Johann Franz Sürgenstein wegen großer<br />
Schuldenlast Adlberg um 65 000 fl an den Landkomtur<br />
Franz Benedikt Freiherr von Baden zu Altshausen. Die<br />
Huldigung für den neuen Herrschaftsträger erfolgte 1693.<br />
Von da ab gehörte die Herrschaft Achberg zum Gebiet<br />
des Deutschen Ordens, näherhin zur Bailei Elsaß und<br />
Burgund. Landesherr war der jeweilige Landkomtur dieser<br />
Bailei, der seinen Sitz in Altshausen hatte. Von der<br />
Erwerbung der Herrschaft bis zur Auflösung des Ordens<br />
1806 - nach der Säkularisation - regierten über Achberg<br />
neun Landkomture.<br />
Achberg kommt zum Fürstentum Sigmaringen, später<br />
zum Oberamt und Kreis Sigmaringen<br />
Im Jahre 1809 - nach den napoleonischen Kr' ;gen - hob<br />
Napoleon den Deutschen Orden in allen Staaten der<br />
Rheinbunde auf und überwies die Ordensbesitzungen den<br />
Fürsten, in deren Gebieten sie lagen. Zwar nahm 1806<br />
Bayern die Herrschaft Achberg in Besitz, doch wurde<br />
diese im gleichen Jahr durch die Rheinbundakte dem<br />
Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen zugesprochen. Das<br />
Fürstliche und Preußische Obervogteiamt Achberg blieb<br />
bis 1854 bestehen, dann wurde das Gebiet dem Oberamt<br />
und späteren Kreis Sigmaringen zugeteilt.<br />
Durch all diese gescb itlichen Wandlungen hindurch ist<br />
Achberg zu einem, wenn auch kleinen, so doch einheitlichen<br />
und geschlossenen Herrschaftsgebiet gewachsen und<br />
hat seine Eigenart Jahrhunderte hindurch gewanrt.<br />
Das Achberger Schloß<br />
Das Schloß Achberg steht auf der Stelle einer schon 1335<br />
urkundlich erwähnten Burg. Überreste einer mittelalterlichen<br />
Burg treten an den unteren Schloßmauern nach<br />
Osten und Südosten so-»- m Unterbau des Schloß türmchens<br />
zu Tage. Die Erbauungszeit des heutigen Schloßbaues<br />
ist unbekannt. Man kann sie wohl in das 16. Jahrhundert<br />
datieren. Nach Erwerbung der Herrschaft im<br />
Jahre 1693 ließ der Landkomtur Franz Benedikt Freiherr<br />
von Baden das Schloß durch Um- und Ausbau<br />
modernisieren.<br />
Das Achberger Schloß - es gehört dem Fürsten von Hohenzollern<br />
- bietet geschichtlich und kunstgeschichtlich<br />
dem aufmerksamen Besucher beachtenswerte und interessante<br />
Gestaltung und Ausstattung einer ehemaligen<br />
Deutschordenskommende. Hier seien nur erwähnt das<br />
Portal, ein von toskanischen Halbsäulen flankiertes Rundbogentor<br />
mit Wappenaufsatz, die Kapelle, der Rittersaal<br />
mit reich stukkierter Barockdecke und das Glockentürmchen<br />
am Hoftor, aufgesetzt auf einen Brunnenkranz.<br />
Noch eine geschichtliche Erinnerung:<br />
Der Achberger Eroberungszug im Jahre 1866<br />
Mit dem Übergang Hohenzollerns an Preußen im Jahre<br />
1849/50 kam auch Achberg an den preußischen Staat und<br />
bl'-lete, wie oben schon bemerkt, dessen südlichsten Teil.
Am 6. Oktober 1856 besuchte König Friedrich Wilhelm<br />
IV. das neu erworbene Achberg, das ihm so gut gefiel,<br />
daß er willens war, auf dem ihm zu Ehren „Königsbühl"<br />
genannten Berg gegenüber dem Schloß eine Villa zu erbauen.<br />
Der Plan kam aber nicht zur Ausführung. Zehn<br />
Jahre später, 1866, erfolgte ein anderer Besuch in Achberg.<br />
Nach Ausbruch des Krieges traf am 20. Juni unter<br />
Führung des Advokaten Bekh ein Dutzend jüngerer Lindauer,<br />
zum Teil bewaffnet, in Esseratsweiler ein, um Achberg<br />
für Bayern in Besitz zu nehmen. Hierbei wurde u. a.<br />
eine Proklamation verlesen und erklärt, daß Achberg nun<br />
zu Bayern gehöre, das Bild von Bismarck an die Ortstafel<br />
angeheftet und verbrannt; bei der Rückkehr riß die<br />
Schar das preußische Hoheitszeichen an der Grenze um.<br />
Der Magistrat in Lindau und der Bezirksamtmann daselbst<br />
waren über diesen Eroberungszug weniger erfreut,<br />
HUBERT DECK<br />
Hohenzollern erhält Anschluß an das Eisenbahnnetz<br />
A. KLEINE CHRONIK DER<br />
HOHENZOLLERNBAHN<br />
I. Anfänge des Bahnwesens in Württemberg und Hohenzollern<br />
Als am 7. Dezember 1835 die erste Eisenbahn Deutschlands<br />
von Nürnberg nach Fürth eröffnet wurde, lag der<br />
Bau von Eisenbahnen in Württemberg und Hohenzollern<br />
noch in weiter Ferne. Erst am 18. April 1843 wurde ein<br />
Gesetz für den Bau von Eisenbahnen in Württemberg erlassen.<br />
In der ersten Bauperiode von 1844-54 entstand die<br />
Gesamtstrecke Heilbronn - Stuttgart - - Ulm - Biberach - Ravensburg-Friedrichshafen.<br />
Die erste württembergische<br />
Eisenbahn war die Strecke Cannstatt-Untertürkhcm, die<br />
am 22. Oktober 1845 fe rlich ihrer Bestimmung übergeben<br />
wurde<br />
Die zweite Bauperiode der württembergisdlen Eisenbahnen<br />
umfaßt die Zeit von 1857-1886. In dieser Zeit entstanden<br />
fasi alle Bahnen, d- Hohenzollern mit der großen<br />
Welt verbinden 2 .<br />
Bald nachdem die erste Eisenbahn Deutschlands zw .sehen<br />
Nürnberg und Furth verkehrte, hatten sich in Hohenzollern<br />
Bahnkomitees geb idet, die den Bau von Eisenbahnen<br />
planten. Freilich war in unserem kleinen Ländchen der<br />
Bau einer preußischen Staatsbahn ausgeschlossen. - Mehr<br />
als 30 Jahre lang beschäftigten sich die Bewohner Hohenzolierns<br />
mit dem Plan einer württembergischen Staatsbahn<br />
von Hechingen nach Sigmaringen über Burladingen.<br />
Zeitweise scheint d- ser Plan auch Aussicht auf Erfolg gehabt<br />
zu haben. Die württembergische Regierung lehnte<br />
ihn schließlich ab 3 .<br />
Am 7. März 1857 versammelten sich in Hechingen „Kommissionen"<br />
von Barngen, Eomgen, aus dem Steinlachtale<br />
und aus Hechingen, um die „nötigen" Schritte in der<br />
Eisenbahnfrage zu beraten. Die Gremien beschlossen, ihre<br />
Vorschläge an die Königlich Preußische Regierung einerseits<br />
und an der Königlich Württ. Regierung andererseits<br />
zur Prüfung einzureichen 4 .<br />
Ein Eisenbannkomitee in Ebingen und Balingen arbeitete<br />
wenig später zielbewußt darauf hin, eine Bahnlinie von<br />
Reutlingen oder Tübingen über Hechingen zu erlangen<br />
Ihre Vorschläge und Pläne finden sich in der großen<br />
Denkschrift vom Tahre 1863 5 .<br />
Doch der Bau dieser Linie ließ noch einige Zeit auf sich<br />
warten. Schuld daran war in erster Linie die mangelnde<br />
da sie unangenehme Weiterungen befürchteten. Es wurde<br />
gegen die Teilnehmer wegen ungesetzlicher Bewaffnung<br />
gerichtliche Klage erhoben. Sie wurden in erster Instanz<br />
freigesprochen, dagegen verurteilte das Appellgericht fünf<br />
Teilnehmer zu Gefängnisstrafen. Der oberste Gerichtshof<br />
in München hob aber das Urteil auf und erkannte auf<br />
Freisprechung aufgrund des Friedensvertrages vom<br />
22. August, der bestimmte, „daß kein Untertan der Könige<br />
von Preußen und Bayern wegen seines Verhaltens<br />
während des Krieges verfolgt, beunruhigt oder in seiner<br />
Person oder seinem Eigentum beanstandet werden solle".<br />
Damit war die Sache endgültig abgetan.<br />
Die reiche Geschichte Achbergs, die hier nur skizzenhaft<br />
dargestellt werden kann, schließt für Hohenzollern mit<br />
dem Übergang der Exklave Achberg zum 1. Januar 1969<br />
an den Landkreis Wangen. Josef Mühlebach<br />
Verständigung Württembergs mit Preußen. Denn Württemberg<br />
sah wohl, daß die Bahnlinie Tübingen-Hechingen-Balingen-Sigmaringen<br />
die kürzeste Verbindung zur<br />
Schweiz darstellen würde. Für den Verkehr mit c._ :sem<br />
Land waren jedoch von Württemberg die Hauptlandesbahn<br />
und die Oberneckarbahn gebaut worden.<br />
Die sogenannte Hauptlandesbahn, heute die Hauptstrecke<br />
Heilbronn-Stuttgart-Ulm-Friedrichshafen, wurde einst<br />
so gebaut, daß sie die damaligen Haupthandelsplätze des<br />
Königreichs Württemberg miteinander verband 6 .<br />
1. von Stuttgart über Ulm an den Bodensee;<br />
2. von Stuttgart über Urach an den Bodensee;<br />
3. von Stuttgart über Reutlingen an den Bodensee;<br />
4. von Stuttgart über TÜDingen-Hechingen-Balingen-<br />
Tuttlingen-Schaff hausen nach Zünch ersetzte wohl die<br />
drei ersten, nicht aber die letzte. Und gerade diese, im<br />
Volksmund „die Schwt ^erstraße" genannt, war die<br />
bedeutendste und älteste von allen 1 ,<br />
Das württembergische Eisenbahnnetz entwickelte sich weiter.<br />
So entstand das dringende Bedürfnis, dem großen,<br />
bis dahin unberücksichtigten Länderteil an der westlichen<br />
Seite der Hauptlandesbahn eine Eisenbahnlinie zu verschaffen.<br />
ie sollte den lebhaften Handei auf der Scnweizerstraße<br />
ersetzen. So wurde die Oberneckarbahn geplant<br />
und schließlich gebaut.<br />
Die Oberneckarbahn verläßt bei Plochingen die Hauptlaridesbahn,<br />
folgt dem Lauf des Neckars über Nürtingen<br />
- berührt Metzingen und Reutlingen und erreicht schließlich<br />
Tu Di ngen - Rottenbürg und Horb 8 .<br />
Im Jahre 1863 war diese Bahn bis Horb fertiggestellt. Von<br />
hier ab hing der Verlauf der Bahnlinie von den Verhandlungen<br />
mit Preußen ab: Entweder diS Bahnlinie führt<br />
durch hohenzolierisches Gebiet - oder sie umgeht das hoh<strong>enzollerische</strong><br />
Preußen und nimmt große Terrainschwierigkeiten<br />
auf sich, um über Schopflodi die Stadt Sulz zu<br />
erre'iien. Von hier aus sollte der Bahnkörper nach Rottweil<br />
und von dort entweder über Schwenningen nach Villingen<br />
führen oder nach SpaiJiingen und von dort weiter<br />
nach Tuttlingen 15s zum Knotenpunkt Singen 9 .<br />
Dieser Zugrichtung stellten die Verfechter der heutigen<br />
Hohenzollernbahn, das Bahnkomitee von Hechingen und<br />
Balingen, den Weg der altbewährten Schweizerstraße gegenüber.<br />
Nur die Städte Tübingen-Rottweil und Tuttlin-<br />
35
gen sind die Punkte, in denen sich die Oberneckarbahn und<br />
die Schweizerstraße berühren.<br />
Man muß sich fragen, warum Württemberg beim Bau der<br />
Oberneckarbahn nicht der Schweizerstraße folgte.<br />
a) Nach der Meinung Württembergs sollte die Oberneckarbahn<br />
nicht nur den Verkehr zur Schweiz, sondern<br />
daneben noch den Lokalverkehr vermi teln.<br />
b) Die reichen Wasserkräfte des Neckars von Rottenburg<br />
bis Schwenningen mußten berück iitigt werden, da in<br />
ihnen eine „Quelle des blühenden gewerblichen Lebens<br />
verborgen liege." In der Tat war jedoch in jener Zeit<br />
in den westlich von Tübingen gelegenen Gebieten, die<br />
von der Oberneckarbahn berührt wurden, i its zu bemerken.<br />
- Dagegen war für den Oberamtsbezirk Balingen<br />
mit dem industriere hen Ebingen eine Bahn<br />
nicht nur notwendig, sondern „geradezu eine Lebensfrage."<br />
d) Der hauptsächliche Grund, warum man n :ht der alten<br />
Schweizerstraße folgte, war der Wunsch Württembergs,<br />
die Bahn ausschließlich aaf seinem Gebiet zu führen 10 .<br />
Wir sehen, daß damals ein Eisenbahnprojekt immer m :hr<br />
in den Vordergrund trat, das all das befriedigen sollte,<br />
was die Oberneckarbahn nur unbefriedigend gelöst hatte.<br />
Die preußische Regierung setzte sich vergebens .anrelang<br />
für den Bau einer Eisenbahn ein, zunächst von Tübingen<br />
oder Reutlingen nach Hechingtn, sei es teilweise auf ihre<br />
Kosten oder sei es auf Kosten des Württembergischen<br />
Staates. Schließlich setzte Preußen Württemberg unier<br />
Druck. Württemberg sollte, falls es seine Oberneckarbahn<br />
durch preußisches Gebiet führe, eine Zweigbahn nach Hechingen<br />
bauen. Württemberg erklärte sich einverstanden<br />
mit dem Bau einer Bahn von Bieringen oder Reutlingen<br />
bis Hechingen. Diese Zweigbahn sollte 'sdoch ohne Zustimmung<br />
Württembergs in Hohenzollern nicht weiter gebaut<br />
werden dürfen<br />
Auf all diese Bedingungen wäre Preußen unter Umständen<br />
eingegangen, aber nicht auf den Verzicht, im eigenen<br />
Lande auf ewige Zeiten keine Bahn ohne die Zustimmung<br />
Württembergs bauen zu dürfen. Dieser Verzicht wäre nach<br />
Ansicht Preußens mit seiner Staatslehre und Wirtschaftspolitik<br />
nicht zu vereinbaren gewesen. Es würde somit die<br />
Entscheidung über eine der wichtigsten Lalldesinteressen<br />
Hohenzollerns auf ewige Zeiten aus der Hand geben und<br />
in die eines zwar benachbarten aber dennoch fremden<br />
Staates legen 12 .<br />
Es ist inceressant wie das damalige kleinstaatliene Denken<br />
sich auf das Verkehrswesen auswirkte und was für psychologische<br />
Schwierigkeiten zu überwinden waren.-Württemberg<br />
suchte vergeblich seine Bahn aus dem preußischen<br />
Gebiet herauszuhalten. Nach den damaligen Berechnungen<br />
hätten die Anlagekosten der Verlängerung rund 2,5<br />
Millionen Gulden gekostet (Bayern hatte, um mu seiner<br />
Augsburger-Lindauer 12 Millionen Gulden aufgewendet)<br />
13 .<br />
Die Instandhaltung d:' ser Strecke hätte jährlich enorme<br />
Summen verschlungen. Die Bahn hätte sich nicht rentiert.<br />
Nach all dem wird klar, daß das größte Hindernis für den<br />
Bau der Hohenzollernbahn zunächst die mangelnde Verständigungsbereitschaft<br />
Württembergs mit Preußen war.<br />
Schließlich sah man ein, daß beide Teiic 'm gegenseitigen<br />
Einvernehmen den größten Gewinn erzielen würden. Man<br />
setzte sich deshalb an den Verhandlungstisch, kam sich<br />
näher und unterzeichnete am 3. März 1865 den Eisenbahnvertrag<br />
zwischen Berlin und Stuttgart<br />
Er verpL' -htete Württemberg zum Bau der sogenannten<br />
„Hohenzollernbahn" (Linie Tübingen-IIechingen-Balingen-Ebingen-Sigtnaringen).<br />
36<br />
II. Zum Bahnbau<br />
Die Strecke Tübingen-Hechingen wurde von Oberbaurat<br />
v. Gaab, ab Hechingen nach Sigma ngen von Oberbaurat<br />
Schlierholz erbaut (Schlierholz erhielt neben zahlreichen<br />
Ehrungen auch das Ehrenburgerrecht der Stadt Sigmaringen<br />
lä ).<br />
Im Dezember 1866 begannen die Bauarbeiten der Tei. •<br />
strecke Tübingen-Hech 'igen, die am 29. Juni 1869 feierlich<br />
eröffnet wurde. Das Baubüro für diese Strecke, das<br />
während des letzten Krieges leider abbrannte, stand an<br />
der Stelle des heutigen „Dienstwohngebäudes der DB".<br />
Wenige Meter daneben steht noch heute eine ausgediente<br />
Bahnschlosserei aus jener Z_.t 16 .<br />
Vier Jahre war Hechingen ein Sackbahnhof bis die<br />
Fortsetzung Hechingen-Balingen am i. August 1874 dem<br />
Verkehr übergeben wurde 18 . Dieser Bauabschnitt wurde<br />
durch den Deutsch-Französischen Krieg verzögert. Komplikationen<br />
beim Bau dieser Trasse gab es zwischen Bai<br />
ngen und Ebingen. — „Die ungeheuer schwierige und<br />
teure Trasse von Balingen nach Ebingen durch den Untergrund<br />
aus tonigem Material und aus Gehängeschutt des<br />
braunen Jura erforderte größere Bauten" 19 .<br />
Am 4. Juli 1878 war m v der Eröffnung der Te 1 itrecke<br />
Sigmaringen-Balingen die Gesamtstrecke der Hohenzollernbahn<br />
Tübingen-Sigmaringen vollendet 20 .<br />
Nach der damaligen Betriebsvorschrift durften der gesamten<br />
Hohenzollernbahn nur Geschwl__ ' : .gke : ien bis 65 km/h<br />
gefahren werden. Außerdem wurde ein sogenannter<br />
Schiebedienst für Personen- und Güterzüge von Balingen<br />
bis zur Wasserscheide bei Lautlingen angeordnet. Von der<br />
Donauscite her galt diese Vorschrift nur für Güterzüge<br />
zwischen Ebingen und der Wasserscheide .<br />
An Sigmaringen hat die Hohenzollernbahn Anschluß an<br />
die Donaubahn, die 1878 von Ulm über Inzigkofen fertiggestellt<br />
wurde. Bereits seit dem 27. Juli 1873 war Sigmaringen<br />
durch den Ausbau der Strecke Scheer-Sigmaringen<br />
mit Ulm in Verbindung. Die Bürger von Sigmaringen<br />
weihten diese Strecke gebührend ein: Tagwache mit Böllerschüssen,<br />
großer Festzug am Nachmittag, Ansprache des<br />
Bürgerme sters von der Vorhalle des Bahnhofes aus, Festmahl<br />
" n Gasthaus zum „Deutschen Haus" und zum Ab<br />
schluß: Festball im Gasthaus zur „Sonne" 22 .<br />
Am 26. November 1890 war mit der Eröffnung der<br />
Strecke Tuttlingen-Sigmaringen die Donaubahn vollendet<br />
23 . Da sie durch ein Gebiet führt, in dem man im<br />
voraus nur mit geringem Verkehr und dementsprechend<br />
geringer Rentabilität reennete 24 , zeigte Württemberg kein<br />
großes Interesse für diese Bahn, besonders nicht in ihrer<br />
Eigenschaft als Hauptbahn Das Reich plante aber für die<br />
Sicherung der Landesverteidigung eine Eisenbahnverbindung<br />
zwischen dem Oberelsaß und dem süddeutschen Hinterland<br />
durch den Neubau der badischen Bahn Schopf heim<br />
-Walbach- Säckingen -Hintingen, die ihre Fortsetzung<br />
durchs Donautal nehmen sollte 2ä . Aus strategischen Gründen<br />
wurde somit diese Strecke der Donaubahn mit Hilfe<br />
des Re'-hs, Württemberg und Preußens gleichfalls als<br />
Hauptbahn ausgeführt 20 .<br />
Seit dem 25. Juni 1875 besteht die Linie Pfullendorf-AItshausen<br />
mit der Station Ostrach 27<br />
III. Die HectoMger wollten ihren Bahnhof<br />
beim „Deutschen Kaiser"<br />
In der damals 3500 Einwohner zählenden Stadt Hechingen<br />
wurde vor Baubeginn darum gekämpft, den Bahnhof<br />
in die „Stadtmute" zu bekommen. Er sollte in der Nähe<br />
des heutigen Landratsamtes („Deutscher Kaiser") oder an<br />
der Stelle der heutigen Schloßbergschule erstellt werden.<br />
Mit den verschiedensten Argumenten argumentiert. Hier
stehen die meisten Fabriken, hier sei das stärkste Verkehrsleben,<br />
hier befinden sich alle öffentlichen Stellen.<br />
Diese Pläne werden jedoch nur von den Hechinger Wirtschaftsgruppen<br />
vertreten 28 . Die Techniker und Plangestalter<br />
haben sich nie ernsthaft damit befaßt. So wurde der<br />
Bahnhof an der Schrofen Steige erbaut. Zum Bahnhof gehörten<br />
das Postamt mit Stallungen, der Güterschuppen<br />
mit Anbauten für die Verwaltung und e \e Drehscheibe.<br />
/V, Zur Einweihung der Strecke Hcchmgen-TUhingen<br />
Am 29. Juni 1869 wurde die Strecke dem Verkehr übergeben.<br />
Auf Hochglanz poliert, reich mit Girlanden geschmückt<br />
und mit dem preußischen und dem württembergischen<br />
Wappen versehen, schnaubte das Dampfroß<br />
verheißungsvoll von Tübingen nach Hechingen. Auf dem<br />
blanken Messingschild lasen die Neugierigen „Ipf", den<br />
Namen der Lokomotive.<br />
Der 29. Juni war für die Bevölkerung aller anliegenden<br />
Gemeinden der neuen Bahnstrecke ein großer Freudentag.<br />
Überall hatte man Festlichkeiten organisiert. Nur den Hechingern<br />
wurde ein „Wermutstropfen in den Freudenbecher"<br />
geträufelt. In Württemberg hatte man immer noch<br />
nicht vergessen, daß man 1866 beim Abzug der württembergischen<br />
Besatzungsmacht von der Zollerburg aus mit<br />
einer im Wald versteckt gehaltenen „Nürnberger Feldschlange"<br />
hohnvoll zwölf Kanonenschüsse nachgesandt<br />
hatte. Die Württemberger verlegten daher den Schwerpunkt<br />
der Feierlichkeiten nach-Tübingen. Hechingen sollte<br />
leer ausgehen. Kurz entschlossen wurde ein eigenes Fest<br />
arrangiert und man hielt dieses den Württembergern zum<br />
Trotz nachträglich mit großem Souper in der Gastwirtschaft<br />
zum „Löwen" ab<br />
Die Personenwagen der Hohenzollernbahn waren in verschiedene<br />
Klassen eingeteilt. Außerdem trugen die Wagen<br />
der Königlich-Württembergischen Staatseisenbahnen ie<br />
stolz prangende Abkürzung: K. W. St. £.<br />
Ein Trillfinger Bäuerlein, so wird erzählt, sei einmal mit<br />
seiner Frau nach Hechingen gekommen. Am Staatsbahnhof<br />
sollen die beiden, nach einem passenden Wagen suchend,<br />
am Zug entlang gegangen sein. Da habe der Bauer<br />
die auf schwarzem Grund leuchtenden Buchstaben K. W.<br />
St. E. gesehen. Eine Weile schaute er ratlos auf die Buchstaben.<br />
Dann se. es wie ein Schein der Erleuchtung über<br />
sein Geslcffl gegangen. Er habe seine bessere Hälfte am<br />
Arm genommen und voll freudiger Begeisterung gesagt:<br />
D Hohenzollernbahn ischt halt doch vornehm! Guck au do<br />
nauf, Weib, do stohts io ganz groß, wo mer einsteige<br />
müsset: K. W. St. E. = Komm Weib, steige ei.<br />
B. KLEINE CHRONIK DER<br />
HOHENZOLLERISCHEN LANDESBAHN<br />
I. Bau der 4 Stichbahnen<br />
Wenige Jahre nach der Eröffnung der Hohenzollernbahn<br />
erwies es sich jedoch, daß sie nicht ganz di Hoffnungen<br />
erfüllte, welche man s"e gesetzt hatte. Die Linie war<br />
doch hauptsächL l unter dem Ge' chtspunkt gebaut worden,<br />
die württembergischen und badischen Bahnen durch<br />
das preußische Gebiet hindurch zusammenzusch ' ;ßen.<br />
Immer noch waren aber im Laucherttal und im unteren<br />
Eyachtal viele Wünsche offen geblieben. In den 80er Jahren<br />
haben Württemberg jche und hoh<strong>enzollerische</strong> Interessengruppen<br />
eine Nord-Süd-Linie von Reutlingen über<br />
die Alb und das Laucherttal nach Sigmaringen verfochten.<br />
Sie sollte sogar als Hauptzufahrtsiinie zur Gotthardbahn<br />
dienen. Schließlich wurde sie als unwirtschaftlich abgelehnt.<br />
Umsonst hat man auch in Haigerloch auf den Bau<br />
einer Eisenbahn von Eyach nach Balingen gehofft. Es war<br />
auch i ht zu erwarten, daß die preußische Staatsbahn<br />
in dem abgelegenen kleinen Hohenzollern eine eigene<br />
Bahn einrichten würde 30 .<br />
Die Möglichkeit einer Selbsthilfe gab das preußische Kleinbahngesetz<br />
vom 18. Juli 1892. Der Hoh<strong>enzollerische</strong> Landesbaurat<br />
Max Leibbrand setzte am 28. Februar 1896<br />
einen Beschluß des Kommunallandtages durch, nach welchem<br />
der Hohenzollern Kleinbahn-Gesellschaft AG gegründet<br />
wurde 31 . Von dem Grundkapital mit 3V4 Millionen<br />
Goldmark übernahm der preußische Staat die Hälfte,<br />
je ein Viertel der Hoh<strong>enzollerische</strong>n Kommunalverband<br />
und die Westdeutsche Eisenbahngesellschaft. Dieser wurde<br />
der Bau und die Betriebsführung übertragen 32 .<br />
In zwei Abschnitten wurde die Bahn gebaut. Von 1900<br />
bis 1901 wurden vier Stichbahnen eingeweiht:<br />
Sigmar.ugendorf-Bingen<br />
Kleineng?* ngen-Gammertingen<br />
Hechingen-Burladingen<br />
Eyach- Haigerioch 33<br />
Als wich.igste Strecke wurde zuerst die Bahn Sigmaringendorf-Bingen<br />
am 28. März 1900 dem Verkehr übergeben.<br />
Damit erhielt das Fürstliche Hüttenwerk Laucherrhal<br />
den längst gewünschten Bahnanschluß und die Landesbahn<br />
einen guten Kunden 34 .<br />
Mit der Stichbahn Hec lingen- Burladingen, die am<br />
18. März 1901 eröffnet wurde, hatte das Killertal mit<br />
seiner damaligen H (5 Ii-'Kleinindustrie Bahnanschluß.<br />
Beim Bau der Strecke Eyach-Haigerlodi, die am 18. Juni<br />
1901 eingeweiht wurde, gab es „politische" Schwierigkeiten.<br />
Die Schienenstränge verlaufen auf württembergischem<br />
und preußischem Gebiet. Preußen konzessierte seinen<br />
Schienenante- nach dem Kleinbahngesetz von 1892, Württemberg<br />
kannte kein Kleinbahngesetz, und es konzessierte<br />
seine Sch-^nenstrecke als Nebenbahn nach dem Gesetz<br />
vom 18. April 1843 35 .<br />
Mit der Eröffnung der „Eyachbahn (Ilaigerloch-Eyach)<br />
wurden die Personenposten Eyach-Haigerloch und Haigerloch-Dett.<br />
igen aufgehoben. Von jetzt ab verkehrte der<br />
Postwagen nur noch zwischen Haigerloch und Hechingen.<br />
Am 7. November 1901 erhielt die Oberamtsstadt Gammertingen<br />
Anschluß an Kleinengstingen. Vorläufig war<br />
sie noch auf seine Postverbindung mit Sigmaringen und<br />
Burladingen ange^ esen 3e .<br />
Um Kosten zu sparen, wurde für e:""en Teil d eser Strekken<br />
die Schmalspur mit 75 cm und 1 m vorgeschlagen.<br />
L>ieser Plan wurde zum Glück n-'ht ausgeführt. Als die<br />
vier Stichbahnen in Betrieb genommen wurden, erhielt<br />
jede zwei kleine, zweiachsige Lokomotiven, einen Packwagen,<br />
dri Personen- und zwei Güterwagen.<br />
II. Ausbau der Zwischenstrecken<br />
Bald erkannte man, daß mit diesen Stichbahnen nur halbe<br />
Arbeit in wirtschaftlicher F isicht geleistet wurde Die<br />
Stammlinien mußten durch den Ausbau der Zwischenstrecken<br />
zu einem geschlossenen Netz vereinigt werden.<br />
Mehr als das Doppelte des 1 'iherigen Kapitals war für<br />
den Zusammenschluß nötig. 1907 wurde m"t dem Bau der<br />
Strecken Sigmaringen und Bingen nach Gammertingen<br />
und von dort nach Burladingen begonnen Viele italienische<br />
Gastarbeiter bevölkerten die Orte entlang der<br />
Bahnlinie.<br />
Im Dezember 1908 konnte uie Linie von Bingen nach<br />
Gammertingen und von dort nach Burladingen fest ch eröffnet<br />
werden.<br />
Bei dem Bau kam es zu einem seltenen Naturschutzproblem.<br />
Ursprüngliih hatte der Plan bei Bingen die Durchquerung<br />
des Bittelschießer Tälchens vorgesehen. Trotz erheblicher<br />
Kosten mußte diejes landschaftF r tie Kleinod umgangen<br />
werden.<br />
37
Sorgen ben _ete der Einschnitt zwischen dem Laucnerttal<br />
und Sigmaringen. Fast unmöglich schien es, die Böschungen<br />
zu sichern und wieder zur Ruhe zu bringen. Die Bauzeit<br />
für dieses relativ kleine Streckenstück zog sich lange<br />
hin. Noch heute heißt dieser Einschn : t im Volksmund:<br />
„Millionenloch" 38 . Man sagt auch, daß der Gew in der<br />
Baufirma aus allen hoh<strong>enzollerische</strong>n Eisenbahnlinien<br />
durch diesen Einschnitt wieder aufgezehrt worden sein<br />
soll 39 .<br />
Die Verbindung von Hechingen nach Stetten bei Haigerloch<br />
wurde schwierig. Man wollte Stetten bei H? ;erloch<br />
eine L.'nie nach Hechingen und gleichzeitig eine Zweigstelle<br />
durch das Eyachtal nach Balingen bauen. Die Verhandlungen<br />
mit dem Amtsverband Balingen führten zu<br />
keinem Ergebnis. Hechingen drängte auf den Bau der<br />
Strecke nach Haigerloch. Wegen d^ ser Linie hat es einen<br />
Streit zwischen Rangendingen und Grosselfingen gegeben.<br />
Beide Gemeinden wollten die Bahn haben, aber nur eine<br />
konnte zum Zuge kommen 40 .<br />
Endlich entschloß man sich zu dem Pian, den ein Hechinger<br />
Bankkomitee hatte ausarbeiten lassen. Am 24. Dezember<br />
1912 wurde diese Strecke eröffnet. Die Hoh<strong>enzollerische</strong><br />
Landesbahn war damit vollendet"<br />
Nach dem Ausbau der Zw chenstrecken zeigte sich bald,<br />
daß die kleinen Lokomotiven für viele Teile der Trasse<br />
zu schwach waren. So wurden 1912 zwei vierachsige Lokomotiven<br />
beschafft, später kaufte man sich zwei 5/5 gekuppelte<br />
Lokomotiven und ein i U gekuppelte Lokomotive<br />
hinzu. Ende 1934 wurden die ersten Diesel-Triebwagen<br />
in Betrieb genommen 42 .<br />
Vieies hat sich fn den 130 Jahren, seitdem das Eisenbahnkomitee<br />
zusammengetreten isj geändert. Beide Bahnen<br />
haben aber Ihre Aufgabe bestens erfüllt.<br />
Lueraturhinweis kann beim Verfasser erbeten werden.<br />
Anmerkungen:<br />
1<br />
Kurze, Vom Adler zum Tee, in: Die Deutsche Bundesbahn, Frankfurt<br />
1960, S. 1003<br />
- Dr. jur. Supper, Entwicklung des Eisenbahnwesens im Königreich<br />
Württemberg, Stuttgart 1895, S. 216<br />
5<br />
100 Jahre deutsche Eisenbahn, in: Hohenz. Blätter, 10. 12. 1935<br />
4<br />
Eisenbahn oder keine, in: Hohenz Wochenblatt, 8. 3. 1857<br />
5<br />
Die Herstellung einer Eisenbahn von Reutlingen oder Tübingen<br />
über Hechingen, Balingen und Ebingen nach Sigmatingen, Denkschrift,<br />
Ebingen 1863<br />
6<br />
R. Fricker, Die Pässe und Straßen der Schwäbischen Alb. Tübingen<br />
1902, S. 181 — A. Dehlinger, Württembergs Staatswesen, 2 Bd.<br />
1953, S. 703-704<br />
7/8/9/10/11/12 Evelt, Fliegende Blätter zur Beleuchtung des Eisenbahnprojekts,<br />
Tübingen—Hechingen—Balingen—Ebingen—Sigmaringen, in:<br />
Hohenz. Wochenblatt, Hechingen und Sigmaringen. Nr. 89, Nr. 90,<br />
Nr. 91, Nr. 93, Nr. 103, Nr. 106, Nr. 107, Nr. 108, Nr. 109,<br />
Nr. 111.<br />
13 Denkschrift, Ebingen 1863, S. 13<br />
14 B. Reiser, Neunzig Jahre Zollerbahn, in: Schwarzwälder Bote<br />
27. 6. 1959<br />
Dr. jur. Supper, a. a. O. S. 53<br />
Der Name des Augsberg bei Steinhilben hat schon allerlei<br />
Spekulationen ausgelöst. Sogar der römische Kaiser<br />
Augustus wurde schon bemüht. Es gibt jedoch eine recht<br />
einfache Erklärung. In der Umgebung des Augsberges findet<br />
man häufig Flurnamen wie Auchten, Auchert usw.<br />
Das bedeutet (nach Keinath) Nachtweide; das heißt das<br />
Weidevieh wurde üoer Nacht an bestimmten Plätzen, die<br />
wohl auch eingezäunt waren, zusammengeti leben. Der<br />
Augsberg, der erst seit dem 19. Jahrhundert bewaldet ist,<br />
hieß ursprünglich wohl Auchtsbcrg, ein Wort das dann zu<br />
Augsberg abgeschliffen wurde. B.<br />
Gereitherter Veesen. Im Lagerbuch des Klosters Mariaberg<br />
(1727) findet man bei Aufzählung der Abgaben<br />
38<br />
15 Erinnerung an die vor 25 Jahren eröffnete Teilstrecke Scheer—Sigmaringen,<br />
in: Hohenz. Volkszeitung Nr. 164, Sigmaringen 1898<br />
16 Nach mündlichen Angaben der BM — Hediingen<br />
17<br />
Dr. jur. Supper , a. a. O. S. 55, W. Baur, 70 Jahre Eisenbahn Hechingen—Tübingen,<br />
in: Das Bunte Blatt, 17. 6. 1939<br />
18<br />
Verauordierung von Eisenbahn — Arbeiten der Bausektion Balin-<br />
gen, in Hohenz. Blätter, 2. Mai 1872<br />
19 O. Jacob, Die Württembergischen Staatseisenbahnen in Historisdi-<br />
Statistisdier Darstellung, Tübingen 1895, S. 100<br />
20<br />
Programm über die bei der Eröffnung der Eisenbahnlinien Balingen<br />
—Ebingen—Sigmaringen — am 4. Juli 1878 abzuhaltenden Festlichkeiten<br />
in der Stadt Ebingen, Ebingen, 27. Juni 1878 — 60 Jahre<br />
Eisenbahn Balingen—Sigmaringen, in: Hohenz. Volkszeitung,<br />
4. 7. 1938<br />
21<br />
M. Oberreuter, Die Eisenbahnen in Württemberg, Stuttgart 1933,<br />
5. 71<br />
22<br />
Eröffnung der Donauthalbahn, Programm über die abzuhaltenden<br />
Feierlichkeiten, Sigmaringen, 15. 7. 1873<br />
23<br />
Festblatt zur Eröffnung der Bahnlinie Tuttlingen—Sigmaringen, in:<br />
Beilage zur Hohenz. Volkszeitung, Sigmaringen, 26. 11. 1890<br />
Zur Feier der Eröffnung der Bahnlinie Tuttlingen—Sigmaringen, in:<br />
Festblatt des Tuttlinger Gränz-Boten, Tuttlingen, 26. 11. 1890<br />
Die neue Bahnlinie Tuttlingen—Signiaringen, in: Nellenburger Bote,<br />
November 1890<br />
24<br />
Übersichtskarte der Bahnlinie Tuttlingen—Sigmaringen 1:50 000,<br />
Stuttgart 1890<br />
25<br />
A. Hanfing, Die Eisenbahnen in Baden, Stuttgarter geographische<br />
Studien, Reihe A. Heft 16/17, Stuttgart 1929<br />
26<br />
O. Jacob, Die Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen in<br />
Historisch-Statischer Darstellung, Tübingen 1895, S. 117<br />
27<br />
B. Stehle, Eisenbahnen, in: Hohenzollern, ein Heimatbuch, Sigmaringen<br />
1925, S. 311<br />
28<br />
Dr. E, Koller, Die Stellung des Bahnhofes am Fuße der Königsburg<br />
Hohenzollern, Denkschrift, ohne Datum —<br />
Fromlett, die Oberstätter wollten den Bahnhof an der Kaiserburg,<br />
in: Hohenz. Zeitung, 30. 6. 58 —<br />
Situationsplan der Section Balingen — sog. „Hohenzollernbahn"<br />
1:2 500<br />
58<br />
B. Reiser a. a. O.<br />
30<br />
W. ßaur, Kleine Chronik der Hohenz. Landesbahn, in: Unser Zollerländle,<br />
Hechingen, 10. 1. 1958. S. 6<br />
S1<br />
F. Racer, Hohenz. Landesbahn AG, Hechingen 1936, S. 2 —<br />
32<br />
W. Baur, a. a. O, S. 7 -<br />
Die Entstehung der Hohenz. Kleinbahnen, in. Schwäbische ChromK,<br />
23. 11. 1901 -<br />
Garantie Vertrag 1899<br />
Genehmigungsurkunde für die Hohenz. Kleinbahnen, 28. 6. 1899<br />
Statut der Hohenz. Kleinbahn-Gesellschaft, 1899 -<br />
Bau und Betriebsvertrag für die Bahnen der Hohenz. Kleinbahn-<br />
Gesellschaft, 1899<br />
33<br />
F. Racer: a. a. O. S. 3<br />
3" W. Baur: a. a. O. S. 8<br />
• F. Racer: a. a. O. S. 3-4<br />
3" W. Baur: a. a. O. S. 8<br />
® 7 Denkschrift über den Ausbau der Hohenz. Kleinbahnen, 1906<br />
Der Ausbau des Netzes der hohenz. Kleinbahnen, in: Hohenz.<br />
Blätter vom 15. 3. 190'<br />
W. Baur: a. a. O. S. 11/12<br />
39<br />
F. Racer: a. a. O. S. 5<br />
W. Baur, S. 12 -<br />
41<br />
Genehmigungsurkunde für die Preußischen Bahnstrecken der Hoh<strong>enzollerische</strong>n<br />
Landesbahn — Aktien — Gesellschaft in Sigmaringen,<br />
1912<br />
42<br />
F. Racer, S. 8<br />
Öfters den Ausdruck „Gereitherter Veesen" (Veesen -<br />
Dinkei). Einschlägige Wörterbücher geben keine Auskunft.<br />
Einigen älteren Leuten in der Gegend Gammertingen-<br />
Mägerkingen ist der Ausdruck „reitern" noch bekannt. Er<br />
bedeutet soviel wie sieben. Das gedroschene Getreide<br />
wurde durch große Siebe von Abfallen gereinigt. Die<br />
Siebe nannte man Reiter. Im gleichen Lagerbuch findet<br />
man auch den Ausdruck „Veesen als Kaufmannsware".<br />
Vermutlich wurde hier ein noch größerer Reinheitsgrad<br />
des Getreides verlangt. Durch die „Re^er" ging natürlich<br />
alles, was kleiner war als die Veesenkörner, ebenfalls mit.<br />
Durch nochmaliges Sieben mit einem feineren Sieb konnte<br />
man Unkrautsamen, Steinchen und andere Verunreinigungen<br />
entfernen. B.
JOHANN JERG<br />
Römischer Gutshof mit Bad in Ostrach<br />
Die „Hohenzollensche Heimat" berichtete in Nr. 2, Jahrgang<br />
1970 von römischen Funden in Trmgkofdt und )ei<br />
Ostrach. Beim Friedhof in Inzigkofen gräbt das Staatliche<br />
Amt für Denkmalspflege in Tübingen, Ausgrabungsleiter<br />
Dr. Rein, seit zweieinhalb Monaten planmäßig im großen<br />
Umfang einen römischen Gutshof aus. Der größte Teil der<br />
Kalksteinfundamente des Hauptgebäudes liegt bereits<br />
frei. Außer drei sehr schönen Fibeln aus ciaudischer Zeit<br />
(etwa 50 n. Chr.) sind die anderen Funde aus dem 2. und<br />
3. Jahrhundert n Cnr. Die Frage, ob unter oder in der<br />
Nähe des Gucshofes das gesuchte römische Kastell 1 gt,<br />
kann immer noch nicht endgültig entschieden werden. Die<br />
Ausgrabungen gehen bis in den Herbst weiter.<br />
In Ostrach dagegen handelt es sich nicht um planr-'.iiige<br />
Ausgrabungen, sondern um nur kurze Notgrabungen und<br />
Feststellungen während der Baggerarbsiten. Leider konnte<br />
hier nicht planmäßig ausgegraben werden wegen Mangel<br />
an Mitteln, Arbeitskräften und Ausgrabungsleitern, vor<br />
allem aber wegen der Bautermine, die eine Unterbrechung<br />
der Bauarbeiten von vornherein unmöglich machten. Daß<br />
trotz dieser Schwierigkeiten recht interessante Funde und<br />
Feststellungen gemacht werden konnten, danken wir der<br />
beispielhaften Zusammenarbeit und Mithilfe von Bauarbeitern,<br />
Baufirmen, Bauleitung, des Schulleiters und<br />
mehr zuletzt der Mitarbeit von Schülern der dortigen<br />
Hauptschule. Die Lage war ganz ähnlich wie bei der<br />
Bergung der Alemannengräber anläßlich der Straßenbauarbeiten<br />
im Vorjahr in Laiz.<br />
Da wir bei der heute sehr regen Bautätigkeit, insbesondere<br />
beim Ausbaggern immer wieder auf vor- und frühgeschichtliche<br />
Funde stoßen, sei mir gestattet, die Vorgeschichte,<br />
die für die heutigen Funde typisch ist, kurz zu<br />
schildern. Seit fast 100 Jahren ist bekannt, daß 0,5 Kilometer<br />
westlich Ostrach. zv sehen den Straßen nach Pfullendorf<br />
und nach Spöck, starke römische Fundamente im<br />
Boden stecken. Diese Stelle liegt jedoch etwa 300 Meter<br />
nördlich der heutigen Funde.<br />
Zur Zeit baut der Hauptschulverband Ostrach am Hang<br />
hart südlich der Schlößle-Straße die große Haupt- und<br />
Realschule in Fertigbau weise. Die Bauleitung hat die<br />
Firma IMBAU, Neu-Ulm, Beim Setzen einer Baustange<br />
für das Schnurgerüsi stießen Arbeiter der Firma Stocker,<br />
Pfullendorf, in einem Meter Tiefe auf einen Ziegelstein-<br />
Plattenboden. Sie meldeten die Feststellung. Rektor Stork,<br />
Ostracft, verständigte davon den zuständigen Vertrauensmann<br />
für Bodenfunde, Direktor Jerg, Sigmaringen. Dieser<br />
stellte an Hand von zahlreichen typischen Leistendachziegeln<br />
fest, daß es sich offenkundig um ein Nebengebäude<br />
eines römischen Gutshofes handelte. Da eine planmäßige<br />
Ausgrabung unmöglich war, schlug er dem Amt für<br />
Denkmalspflege vor, während der Baggerarbeiten, soweit<br />
als n.Jglich, Funde zu bergen, damit nicht alles verloren<br />
war.<br />
Wie verabredet verständigte die Bauleitung den Vertrauensmann<br />
nach etwa zwei Monaten vom Beginn der<br />
Baggerarbeiten an der fraglichen Stelle. Ein Teil der 1,75<br />
Meter breiten Fundamentgräben war bereits ausgehoben.<br />
Zunächst stieß man auf die 0,80 Meter dicke und 1,65<br />
Meter breite Umfassungsmauer. Sie war aus großen, in<br />
Mörtel vergossenen Kieselsteinen, sogenannten Wacken<br />
gebaut, deren größte 50 Kilogramm wogen. Der Mörtel<br />
hatte etwa die Härte des heutigen Fundamentbetons. In<br />
den vier Fundamentgräben fand man mehrere Zwischenmauern,<br />
und lieben Dachz, igeln teilweise lose, teilweise<br />
geschlossene quadratische Ziegel-Fußbodenpiatten in den<br />
Größen von 17, 20 und 40 Zentimeter. Auffallend waren<br />
in dem Kiesgrund zahlreiche Kalksteinplatten aus Weißjura,<br />
ähnlich den heutigen Solnhofener Platten und auch<br />
typisch römische Heizröhren, tu'buli, die zu einer Heizanlage<br />
(Hypocausta) gehören. E'^ in der Fundamentgrabenwand<br />
sorgfältig herausgeputzter Querschnitt ergab<br />
dann eindeutig, daß es sich um das Kaltwasserbecken<br />
eines römischen Bades handelte.<br />
Das römische Bad<br />
In Hohenzollern ind die Grundrisse römischer Bäder von<br />
Weilheim seit 1914, Gammertingen s t 1929, Sigmaringen<br />
seit dem Bahnbau 1878 bekannt. Sie haben eine Größe<br />
bis zu 11,90/12,25 Meter (Weilheim) und mindestens<br />
vier verschieden große Räume: ein Warmwasserbad, ein<br />
Kaltwasserbad, einen Warmluftraum und einen An- und<br />
Auskleideraum. Wenn man bedenkt, daß diese Bäder zu<br />
inem Gutshof gehörten, so muß man sich wundern, was<br />
die Römer, beziehungsweise die in unserer Heimat damals<br />
lebenden romaiiisierten Kelten, besaßen.<br />
So ähnlich müssen wir uns das römische Bad in Ostrach<br />
vorstellen. Leider konnten wir nicht das ganze Bad mit<br />
den Fundamentmauern fr biegen, aber wenigstens Te :<br />
von drI aimen. Am besten erhalten war das Kaltwasserbad,<br />
dessen solide Konstruktion uns in Erstaunen<br />
setzte, insbesondere auch c J, 'e Abdichtung nach dem Fußboden<br />
und den Se : enwänden. Den Untergrund bildete<br />
ein 14 Zentimeter dicker Möitelboden, hart wie Beton.<br />
Darauf kamen 4 Zentimeter Ziegel-Estrich, darauf ein<br />
Boden aus 6 Zentimeter starken Ziegelplatten 40/40 Zentimeter,<br />
darüber 2 Zentimeter Ziegel-Estrich, und zuoberst<br />
der schon erwähnte Kalkstein-Plattenboaen, ähnlich<br />
den heutigen Sollnhofener Platten. Auch die Seitenwände<br />
waren mindestens bis 25 Zentimeter hoch ähnlich<br />
• soliert und |nüt Kalksteinplatten belegt. Diese Verwendung<br />
von Kalksteinplatten für Fußboden und Wände ist<br />
nach Aussage von Fachleuten in römischen Bädern Südwürttembergs<br />
bis jetzt nirgends bekannt.<br />
Ein ariderer großer Raum hatte ebenfalls einen ähnlichen<br />
Boden aus Kalksteinplatten. Die Wände waren im unteren<br />
Teil ebenfalls geplättelt. Im oberen Teil müssen sie mit<br />
weinrotem und gelbem Putz, mit einfachen Ornamenten,<br />
wie Putzreste beweisen, ausgestattet gewesen sein. Ein<br />
dritter Raum hatte .unen Fußboden aus großen Ziegelplatten,<br />
die in Ziegel-Estrich verlegt waren. Es ist wirklich<br />
schade, daß ö,eses so sorgfältig konstruierte und gut<br />
erhaltene Römerbad, insbesondere auch das Warmwasserbad,<br />
mit den Hypokausten nicht planmäßig ausgegraben<br />
werden konnte.<br />
Der römische Gutshof<br />
Etwa 200 Meter westlich der Baugrube kamen nach Abschieben<br />
des Humus Fundamentmauern zum Vorschein,<br />
die bei Regen immer mehr freigeschwemmt wurden. Nachdem<br />
fünf Hauptschüler etwa 40 Meter davon freigeputzt<br />
hatten wurde klar, daß es um Kreuzungen und Anschlüsse<br />
von Zwi :henmauern des Hauptgebäudes handelte, das<br />
Front nach Osten hatte und wie die übrigen römischen<br />
1 39
Gutshöfe im Kreis Sigmaringen etwa 35/21 Meter messen<br />
dürfte. Ein Teil des Hauptgebäudes muß Fußböden aus<br />
Ziegelplatten gehabt haben, wie die Funde zeigen.<br />
Da das Hauptgebäude nicht überbaut wird, könnte die<br />
genaue Ausdehnung noch festgestellt werden.<br />
Für die Hauptschüler von Ostrach, von denen fünf so<br />
tatkräftig und interessiert beim Ausgraben und Ausmessen<br />
mitgeholfen haben, dürften mit Interesse daran denken,<br />
daß das Gelände ihrer neuen Schule von den Römern<br />
oder den romanisierten Kelten benutzt wurde, und daß<br />
der heutige Werkraum und der ganze Naßraum auf dem<br />
einstigen Badegelände liegt. Der Gutshof dürfte etwa<br />
140 n. Chr. bis zum Alemannen-Einbruch 235, oder zum<br />
zweiten, endgültigen im Jahre 259 n. Chr. bestanden<br />
haben. Die Römer räumten damals ihre Gutshöfe und<br />
brannten sie nieder. Uns heutigen Menschen ist dies als<br />
System der „verbrannten Erde" leider nur zu gut bekannt.<br />
„Alles schon einmal dagewesen", kann man sagen.<br />
Dieses Bauloch war einmal ein Badezimmer, mit gelb und rot gemalten Wänden und einer sehr sorgfältigen Kalkstcin-<br />
Beplattung. Direktor Jerg mit weißem Hut, zusammen mit Bauarbeitern und Helfern.<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hoh<strong>enzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />
in Verbindung mit den Staatlichen<br />
Schulämtern Hechingen und '"•gmaringen.<br />
Verlag: Hoh<strong>enzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />
748 Sigmaringen, Karlstraße 3. Druck: M. Liehners<br />
Hof buchdruckerei KG, 748 Sigmaringen,<br />
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Die Zeitschrift „Hoh<strong>enzollerische</strong> Heimat" ist<br />
eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will besonders<br />
die Bevölkerung in Hohenzollern mit<br />
der Geschichte ihrer Heimat vertraut machen.<br />
Sie bringt neben fachhistorischen auch populär<br />
gehaltene Beiträge aus der Geschichte unseres<br />
Landes. Sie veröffentlicht bevorzugt Beiträge,<br />
die im Schulunterricht verwendet werden können.<br />
Bezugspreis: 2,00 DM halbjährlich<br />
40<br />
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Wir bitten unsere Leser, die „Hoh<strong>enzollerische</strong><br />
Heimat" weiter zu empfehlen.
Der Krieg von 1870<br />
Vor hundert Jahren tobten die Kämpfe in Frankreich<br />
während des sogenannten „Siebzigerkrieges". Obwohl<br />
heute niemand mehr lebt, der jenen Krieg selber erlebte,<br />
ist in der älteren Generation auch in Hohenzollern die Erinnerung<br />
an ihn sehr lebendig, denn ungezählte Großväter<br />
haben ihren heute erwachsenen Enkeln (die auch schon<br />
Großväter sind) aus jener Zeit erzählt. Als der Krieg zu<br />
Ende war, entstand durch Bürgerinitiative in Sigmaringen<br />
auf dem Brenzkofer Berg ein Landeskriegerdenkmal im<br />
Stil der Zeit. Eine überlebensgroße Germania stand auf<br />
einer Säule aus Kalkstein, einen Lorbeerkranz in der<br />
Hand und ihn weit hinausstreckend, der Stadt zu. Obwohl<br />
die Fachleute es besser wußten und abrieten, wurde die<br />
Figur im zweiten Weltkrieg demontiert. Man hielt sie für<br />
massiv oder doch für dickwandig und daher als Metall für<br />
wertvoll. Es stellte sich aber heraus, daß sie lediglich aus<br />
Blech bestand. Sie lag dann lange Zeit in einer Sigmaringer<br />
Bauunternehmung herum und niemand weiß, was mit<br />
ihr geschehen ist. Um den Säulenstumpf, von dem auch<br />
die Broncetafeln mit den Namen abmontiert wurde, ist<br />
ein jahrelanger Kampf geführt worden, ehe die Stadt Sigmaringen<br />
vor wenigen Jahren ihn ganz beseitigte. An seiner<br />
Stelle entwarf und baute der Laizer Bildhauer Prof.<br />
Josef Henselmann das jetzt dort stehende Bauwerk, das<br />
sich der Beschreibung entzieht: für eine Halle ist es zu<br />
klein, ein Denkmal ist es im weitesten Sinn. Es handelt<br />
sich um eine Art riesiges Zelt aus Kalksteinen, an zwei<br />
Der erste Tote des Krieges 1870/71<br />
Der Volksschriftsteller und Schriftleiter des Stuttgarter<br />
Kath. Sonntagsblattes, K. Kümmel, schildert in seinem im<br />
Jahre 1912 veröffentlichten Buche: „Der große Krieg<br />
1870/71" den Heldentod des ersten Gefallenen dieses<br />
Krieges. Es war der Gauselfinger Burgersohn Sebastian<br />
Klaiber, der am 27. 4. 1849 als Sohn des Philipp Klaiber<br />
und der A. Maria geb. Rieber geboren war. Als Erinnerung<br />
steht an der Gauselfinger Kirche auf dem DenKmal:<br />
„Erstes Opfer des Krieges".<br />
Kümmel berichtet über seinen Heldentod: „Der erste<br />
Deutsche, welcher in diesem großen Kriege fiel, ist ein braver<br />
Süddeutscher, ein hoh<strong>enzollerische</strong>r Bauernsohn, gewesen.<br />
Klaiber war sein Name; er diente bei der 4. Schwadron<br />
der 7. Ulanen, die bei Dudweiler stand. Auf seine<br />
d -iigende Bitte, daß er auch t-inmal auf Vorposten komme,<br />
durfte Klaiber mit anderen Ulanen zum erstenmal den gewohnten<br />
Patrouillenritt mitmachen. Kaum eine halbe<br />
Stunde war er fort, als sein Pferd, ein Schimmel, in langem<br />
Galopp zurückkam. Bald erschien auch Klaibers Kamerad<br />
und gab traurigen Bericht. Die beiden Ulanen waren<br />
unangefochten bis zum Heidenhügel gekommen. Da<br />
fallen Schüsse von den f'' ndlichen Vorposten, aber die<br />
Re'~?r achten es nicht, " : .e sind gewohnt, sidi aus dem<br />
Schießen der Franzosen nicht viel zu machen. Plötzlich<br />
stürzt Klaiber, ohne einen Laut von sich zu geben, vom<br />
Pferd; ein Blutstreifen rieselt von der Stirn über das<br />
bleiche Antlitz. Der Ulan Deckelnik sprengt trotz dem<br />
feindlichen Kugelregen auf den regungslos Daliegenden<br />
zu, um zu sehen, ob noch Leben in ihm ist; doch der Gefallene<br />
rührt kein Glied mehr. Eine Zeitlang hindert das heftige<br />
Feuer iie Bergung der Leiche. Schließlich suchen zwei<br />
deutsche Zivilisten, indem sie zum Zeichen ihrer friedlichen<br />
AbsicnJ ihre Taschentücher an Stöcken schwenken,<br />
c : .e Unglücksstatte zu erreIc hen, und es gelingt ihnen auch,<br />
den gefallenen Krieger auf seiner Lanze und seinem Säbel<br />
Seiten offen und zugänglich, sofern die F' ;engitter nicht<br />
verschlossen sind. In der Mitte liegt die steinerne Gestalt<br />
eines Soldaten, nachempfunden den vielen Epithaphien in<br />
unseren Kirchen, auf denen steinerne oder aus Metall gegossene<br />
Ritter liegen. Dieser Soldat ist sozusagen das Sinnbild<br />
aller aus Hohenzollern ausmarschierter Soldaten, von<br />
1866, 1870/71 und aus den beiden Weltkriegen.<br />
Der Krieg von 1870 hat für Hohenzollern aber auch insofern<br />
Bedeutung, als der erste Tote ein Hohenzoller war.<br />
Im ersten Heft der „Hoh<strong>enzollerische</strong>n Heimat" vom Januar<br />
1951 findet sich ein Aufsatz zu diesem Thema. Er ist<br />
nicht mit einem Verfassernamen gekennzeichnet, bezieht<br />
sich aber auf einen Artikel in einem Buch aus dem Jahr<br />
1912. Wir glaubten, diesen Aufsatz in diesem Jubiläumsjahr<br />
wieder einmal abdrucken zu sollen. Er folgt hier weiter<br />
unten.<br />
Schließlich hat der Krieg aber auch die Bedeutung für uns,<br />
daß es ein Prinz von Hohenzollern war, Leopold, der<br />
mittelbar den Anlaß dazu gab. Die Rolle, die Prinz Leopold<br />
in dieser Auseinandersetzung spielte - oder besser:<br />
vorher spielte - ist in allen Geschichtswerken nachzulesen.<br />
Indessen wird vergessen, daß aus dem Prinzen Leopold<br />
später der Fürst von Hohenzollern wurde. Zudem sind<br />
gerade 65 Jahre vergangen seit seinem Tod. Darum sei<br />
ihm das nachfolgende Gedenkblatt gewidmet. Fr.<br />
zurückzubringen. Am nächsten Tage wurde der heldenmütig<br />
gefallene Soldat auf dem Saarbrücker Friedhof beigesetzt,<br />
wo ihm und dem ihm auf der Grenzwacht in den<br />
Tod folgenden Kameraden ein einfaches Denkmal errichtet<br />
worden ist. Auf der Höhe des Heidenhügels aber, an<br />
dem Punkt, wo Ulan Klaiber die tödliche Wunde erhielt,<br />
ist vor kurzem vom Verein ehemaliger 7. Ulanen ein<br />
Denkmal gesetzt worden, das die Stelle bezeichnet, wo der<br />
erste Deutsche 1870 den Heldentod fand."<br />
Eine Neuentdeckung:<br />
Burg Beerstein bei Hausen 'im Killertal. Name der Burgstelle<br />
auf dem Hausener Kapf gefunden.<br />
Nördlich der Wasserscheide Starzel-Fehla findet sich ein<br />
auffallender Bergkegel, das Hausener Kapf. Hier ist Sc t<br />
1931 eine Burgstelle bekannt geworden, von der man jedoch<br />
keinen Namen wußte. Das Rätsei scheint sidi überraschend<br />
zu lösen, wenn man die Beschreibung der Grundstücke<br />
durdigeht, die 1605 anläßlidi des Verkaufes des<br />
Johanniterhofes in Starzel an den Zollergrafen angelegt<br />
wurde 1 . Hier heißt es: „Uf Beerstein am Hauser<br />
Aimand, stösst vorn auf Teckh (auf die Eck!)." Auf Markung<br />
Hausen im Killertal gibt es außer dem genannten<br />
Hausener Kapf nirgends einen Felsen, der den typ'schen<br />
Burgnamen „-stein" tragen könnte. Wir dürfen mit Recht<br />
hier den Standort der ehemaligen Burg Beerstein annehmen.<br />
Das alte Wort Ber bedeutet sowohl Bär, als auch<br />
Beere und sogar Schwein! Bei einer Ritterburg dürfte<br />
wohl am ehesten der Name Bärstein zutreffen. Wilde<br />
Bären gab es ja in unserer Gegend bis 1580. Die Burg<br />
scibst wird wohl m't Übergang des Geländes an das Johanniterhospiz<br />
Jungental vor 1275 als bedeutungslos zer-<br />
I allen sein. Kraus.<br />
1 Zoller<strong>heimat</strong> 1941 14-17.<br />
41
WALTHER FRICK<br />
Leopold von Hohenzollern Zwei runde Daten erinnern 1970 an ihn<br />
Fürst Leopold Stephan Karl Anton Gustav Eduard Thassilo<br />
von Hohenzollern, 1835 bis 1905, war nicht nur der<br />
Prätendent auf den Thron Spaniens, an den die Welt s.ch<br />
gegenwärtig erinnert, er war vor allem auch zwanzig<br />
Jahre lang Fürst von Hohenzollern. Er war es, 1 ie man<br />
sagen darf, in der glanzvollsten Periode der r>igmaringer<br />
Residenz und er hat nie von st_nem Vater Karl Anton<br />
begonnene und wieder stärker gepflegte Freundschaft zum<br />
Haus Preußen geerbt und bewußt weitergepflegt. Alte<br />
Sigmaringer, von denen heute freilich kaum mehr welche<br />
leben, erzählen noch immer mit Begeisterung und Wehmut<br />
von jenen Zeiten um die Jahrhundertwende, als glanzvolle<br />
Feste, Jagden, Hochzeiten auf Schloß Sigmaringen,<br />
in Krauchenwies und Tosefslust die Besucher aus dem ganzen<br />
dynastischen Europa vereinigten.<br />
Eine Frage in diesem Zusammenhang ist offenbar den<br />
Historikern stets entgangen, und auch unseres Wissens hat<br />
in Hohenzollern selbsc niemand ihr Beachtung geschenkt:<br />
Warum hat Leopold eigentlich den spanischen Thron<br />
nicht bestiegen, nachdem Frankreich 1871 geschlagen<br />
war und Napoleon auf Wilhelms<strong>höh</strong>e gefangen saß? Es<br />
war doch niemand mehr da, der ihm seinen Anspruch<br />
streitig gemacht hätte? War sein Vater Karl Anton dagegen,<br />
der ja in dem Hin und Her des Frühsommers 1870<br />
offenbar seinen Sohn stark beeinflußte? Oder wollten Bismarck<br />
und der Kaiser nicht mehr? Das würde verwundern,<br />
weil schließlich Bismarck es war, der im Februar 18/0 den<br />
sehr zögernden König von Preußen dafür erwärmte, daß<br />
42<br />
ein Hohenzoller König von Spanien werden sollte. Nun<br />
wäre, nach dem militärischen Sieg, der politische eigentlich<br />
von selber in den preußischen Schoß gefallen. Jedoch, wie<br />
erwähnt, niemand hat offenbar bisher diese Frage einmal<br />
aufgehellt.<br />
Für Hohenzollern war es indessen viel wichtiger, daß aus<br />
dem Erbprinzen Leopold im Jahre 1885 der Fürst und<br />
Chef des Hauses wurde. Er war fünfzig Jahre alt, als er<br />
sein Amt übernahm, und hatte seine aktive militärische<br />
Laufbahn längst aufgegeben; 1873 war er Generalmajor<br />
geworden, 1885 wurde er Chef des Hoh<strong>enzollerische</strong>n<br />
Füs" ierregiments Nr. 40, jener Einheit, deren Tradition<br />
nach ihm noch sein Sohn Wilhelm und sein Enkel Friedrich<br />
Victor weiterführten. Es ist nach so langer Zeit schwer,<br />
richtig abzuwägen, ob Leopold wirklich der preußische<br />
Militär war, als den ihn sein Biograf Hermann Schroedel<br />
schildert, oder ob er nicht mehr oder weniger der Tradition<br />
folgte, wonach ja auch sein Vater preußischer General<br />
gewesen war. Mit der Pickelhaube über dem gepflegten<br />
Vollbart soll er zwar bestechend gut ausgesehen<br />
haben, aber eigentlich war Leopold zugleich viel zu fromm,<br />
zu demütig als Christ, zu ernsthaft und wohl auch zu<br />
gütig, um wirklich ein solcher Eisenfresser gewesen zu sein,<br />
als den im Kaiserreich mancher panegyrische Schriftsteller<br />
gerne hohe Offiziere darzustellen beliebte, zumal dann,<br />
wenn es sich auch noch um gekrönte Häupter handelte.<br />
Andererseits dürften zugleich seine Interessen nicht so<br />
weitgespannt sein le die seines Vaters, der die fürstlichen<br />
Sammlungen aufbaute. Auch scheint es, wenn man Biografien<br />
vergleicht, so gewesen zu sein, daß das größere allgemeine<br />
Wissen, besonders aber das „gelernte Regieren"<br />
mehr bei seinem Bruder Karl, dem späteren Carol I. von<br />
Rumänien gelegen hat. Hingegen war wiederum Leopold<br />
bestimmt nicht so, wie ihn kürzlich das Fernsehen darstellte<br />
anläßlich des 100-Jahr-Gedächtnis des Kriegsausbruchs:<br />
ein träumerisch-blauäugig in die Welt sehender<br />
junger Mann (er war damals 35), der gar nicht verstehen<br />
konnte, wie uis Dinge ..ich im Sommer 1870 um ihn herum<br />
entwickelten.<br />
Schließlich sei niJit vergessen, daß Fürst Leopold das<br />
Schloß wieder aufbaute, wie wir es kennen. Der Bau von<br />
1893 bis 1910 ist inzwischen oft genug auf Kr\ik gestoßen,<br />
und ganz SJ her würde das Schloß „schwäbischer"<br />
wirken, wäre es so geblieben, wie es vor den Umbauten<br />
Karl Antons und erst recht vor dem Wiederaufbau des<br />
Ostteils war. Dennoch ist es - wie der frühere Landeskonservator<br />
Walther Genzmer einmal sagte - nach so vielen<br />
Jahrzehnten wiederum selber in seiner jetzigen Gestalt<br />
ein Baudenkmal geworden und hat als solches seinen<br />
Platz in der Geschichce.<br />
Am 8. Juni 1905 ist Fürst Leopold in Berlin gestorben,<br />
70 Jahre alt, anläßlich der Hochzeit des Kronprinzen (der<br />
nach dem zweiten Weltkrieg 'n Hechingen lebte und<br />
starb). Als er in Hedingen beigesetzt wurde, folgten sei -<br />
nem Sarg ein Kaiser, eine Königin und drei Könige, viele<br />
Herzöge, Grafen, Prinzen und Prinzessinnen Unter der<br />
Bürgerschaft war die Trauer, wie lange Ze._ später noch<br />
zu hören war, echt und tief. Ein unbekannter Dichter<br />
schrieb in den „Hoh<strong>enzollerische</strong>n Blättern" ein Trauergedicht;<br />
es endete mit den Worten:<br />
Der Baum erzittert - Es war ein edler Zweig<br />
Der niederfiel.
Pater Fidelis Buck Ehrenbürger von Hitzkofen<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
St. Eulogiuskapelle bei Bingen<br />
Kam ich da vor einiger Zeit ins Erzbischöfliche Archiv<br />
Freiburg, um meinen Nachfolger Dr. Hundsnurscher zu<br />
begrüßen. Auf dem Tisch hatte er neben Büchern und<br />
Akten auch ein Schriftstück von Biengen bwl Freiburg<br />
(Dekanat Neuenburg) liegen. Meine Augen flogen über<br />
das Deckblatt und hafteten an dem Namen „Euloghiskapelle"<br />
und dem darunter nachträglich beigefügten<br />
„Dettikofen". Was ist denn das? In dem Pfarrdorf Biengen<br />
bei Freiburg soll es eine Eulogiuskapelle gegeben<br />
haben, wie mir eine von meinem früheren Kaplansposten<br />
Bingen bei Sigmaringen bekannt war? Ich überlas das<br />
Schriftstück, das außer dem späteren Umschlag nur aus<br />
zwei Blattern besteht: Der Pfarrer berichtet : -n Jahr 1737<br />
an den Bischof von Konstanz: In aer ruinösen und vernachlässigten<br />
Kapelle des hl. Eulogius, bei der jährlich die<br />
Prozession mit Pferdesegnung stattfindet, habe ein angeblich<br />
württembergischer Zwetschgenhändler das hölzerne<br />
Bild des hl. Eulogius mit dem Roß vom Altar genommen<br />
und im nahen Wald auf den Ast eines Baumes gesetzt,<br />
wo es Bingener Einwohner gefunden und wieder auf seinen<br />
angestammten Platz zurückgebracht hätten. Der<br />
Name des Pfarrers ist mit Simon Weber angegeben.<br />
Merkwürdig, der Name des Geistlichen kam mir irgendwie<br />
bekannt vor, d- Prozession mit Pferdesegnung in<br />
unserem hoh<strong>enzollerische</strong>n Bingen aus meiner Kaplanszeit<br />
1937 nur zu gut in Erinnerung. Ich äußerte die Meinung,<br />
es handle sich hier wohl um ~ : ne Verwechslung der beiden<br />
Fidelis Buck, Jesuit, Professor für Hebräisch und Alttestamentliche<br />
Exegese, Bachelor of Arts, Lizentiat der<br />
Theologie, Sacrae Scripturae Doctor (Doktor der Theologie),<br />
ist anläßlich seines Urlaubs und seines Silbernen<br />
Priesterjubiläums zum Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde<br />
Hitzkofen ernannt worden, wie auch der Tagespresse<br />
in Hohenzollern zu entnehmen war. Pater Fidelis,<br />
Sigmaringer Abiturient von 1935, dürfte einer der größten<br />
Gelehrten sein, die Hohenzollern derzeit hervorgebracht<br />
hat. Sein Studien- und Lektorenweg führte ihn von<br />
Kanada nach Mexiko, den USA, Indien, Spanien und wieder<br />
nach Kanada, wo er derzeit zwei Lehrstühle innehat.<br />
Auch bereiste er sämtliche wichtige Ausgrabungsstätten<br />
zwischen Indien und Griechenland. Er lehrt außer seinen<br />
Hauptfächern auch Hetittisch, Assyrisch und ägyptische<br />
Hieroglyphen-Schrift.<br />
Sein Doktorvater in Rom, 1953, war sein weiterer Landsmann,<br />
der spätere Kardinal Augustin Bea. Dem ausgezeichneten<br />
Mann, der sich auch als Rundfunksprecher in<br />
Spanisch und Englisch und als Teilnehmer an Fernsehsendungen,<br />
ebenfalls in beiden Sprachen, hervortut, auch<br />
an dieser Stelle unseren Glückwunsch! Fr.<br />
Orte Biengen und Bingen. Der Archivar griff n sein<br />
Bücherregal und holte das gedruckte Personalverzeichnis<br />
des Bistums Konstanz ^on 1745. Und dort steht als<br />
Pfarrer unseres hoh<strong>enzollerische</strong>n Bingens der Name des<br />
Pfarrers Simon Weber! Die Verwechslung passierte dem<br />
früheren Archivar Zell um 1870. Er hat sich eben in<br />
Hohenzollern nicht ausgekannt und in Biengen nicht nachgefragt!<br />
Eine gute Wirkung scheint die Entführung der<br />
Eulogiusstatue damals gehabt zu haben: 1746/47 wurde<br />
die Eulogiuskapelle am Weg von Bingen nach Inneringen<br />
neu und größer erbaut. Ein Kapellchen stand auf dem<br />
Platz schon 1492 „auf Kreuzen", woraus man wohl schließen<br />
darf, daß lange vor dem schlichten Bau dort schon<br />
ein Kreuz gestanden hacte.<br />
Burgname Lägstein bei Gauselfingen. Die kleine Burgruine<br />
westlich des Ortes Gauselfingen hc.'ßr be: den Einheimischen<br />
einfach „Schlössle". Im Zollerischen Lagerbuch<br />
von 1544 1 jedoch Leckstein. Der Name wird später irrig<br />
auch Rechstein geschrieben. Michael Buck berichtet in seinem<br />
Oberdeutschen Flurnamenbuch von einem alten Wort<br />
„Läg", das Haide oder Abhang bedeutet. Leckstein oder<br />
Lägstein bedeutet also „Fels an der Halde".<br />
1 Berthold Hagens Zollerischen Lagerbuch Band ßurladingen im Fürstlichen<br />
Archiv Sigmaringen. Krs.<br />
Die Bezeichnung „Zeig unter Leckstem" findet man auch in Güterbeschreibungen<br />
des Klosters Mariaberg (Anm. d. Red.).<br />
43
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Kulturgeschichtliche Lesefrüchte<br />
Wer sich je mit geschichtlichen Quellen, also Urkunden,<br />
Lagerbüchern oder Berichten aus vergangener Zeit befaßte,<br />
stieß immer wieder auf Worte, Begriffe oder Bezeichnungen,<br />
die heute außer Gebrauch und ohne Wörterbuch<br />
nicht ohne weiteres verständlich sind. Sie können<br />
einem leicht das Lesen vergällen. Den wirklich Interessierten<br />
jedoch spornen sie an, dem Sachverhalt auf den<br />
Grund zu gehen. Als Handreichung für den Leser der<br />
„Hoh<strong>enzollerische</strong>n Heimat" sind folgende gelegentlich<br />
aufgelesenen Ausdrücke und Erläuterungen vergangener<br />
Verhältnisse gedacht, um ihm mühseliges Nachforschen zu<br />
ersparen. Uberflüssig zu betonen, daß es sich nur um<br />
einen kleinen Teil, eine zufällig entstandene Reihe handeln<br />
kann,<br />
ald = oder.<br />
Asem, äsem: In einer Gemeindeordnung von 1530 wird<br />
bestimmt, zu Unrecht gefälltes (gestohlenes) Holz sei polizeilich<br />
„bis uf die äsem zu rügen", das heißt zu verfolgen<br />
und bestrafen. Nach langem Rätselraten fand sich ein<br />
mittelhochdeutsches (mnd) Wort „die Ase", das ein Gestell<br />
oben an der Wand am Ofen bedeutet, und zum Auflegen<br />
des Brennholzes diente. Zur Endung M kann man<br />
das schwäbische Kettem-Kette, oder Besewreis vergleichen.<br />
Anwander, nicht ein bloßer Angrenzer, sondern ein Acker,<br />
auf dessen Breitseite (ein- oder beiderseits) andere Äcker<br />
anstoßen, deren Bebauer auf dem ersteren ihren Pflug<br />
wenden dürfen, also auf ihm ihre Anwand haben (Hohenz.<br />
Heimat 1958, 15).<br />
Arme Leut: Untertanen einer Herrschaft (die sich einbildete,<br />
reich zu sein).<br />
Auffahrt, s. Ehrschatz.<br />
aufsetzen, Aufsatz: nannte man ir Heiligenzimmern im<br />
17. Jahrhundert nach einer Beerdigung das Bereitstellen<br />
von Mehl, Brot etc. als Lohn für den Mesner (Heimatklänge<br />
d. Zoiler 1936, 8). Es handelte sich soinit nicht um<br />
ein althe'i'.isches Totenopfer!<br />
Badstuben gab es früher in vielen Orten Hohenzollerns,<br />
wie Michael Walter im Hohenz. Jahresheft 1951 sehr<br />
interessant berichtete und den Badebetrieb erläuterte. Die<br />
„Geschichte von Inneringen" von Maier-Krezdorn nennt<br />
( S. 71) einen Bader zum Jahr 1554, einen Jakob Ziegler<br />
1595, seinen Nachfolger Jakob Yelin. Im Jahr 1610 heiratete<br />
der Bader Hans Schielm aus Wilflingen bei Riedlingen<br />
nach Inneringen und übernahm die Badstube<br />
(S. 475). Ihm folgte sein Sohn Johann Jakob, dann der<br />
Enkel Joh. Kaspar „der Balbierer". Dessen Sohn Johann,<br />
der 1709 h ratete, nannte sich als Bader auch „Chyrurg".<br />
So hießen im 18. Jahrhundert auch die früheren Bader in<br />
Ringingen, waren also hauptsächlich Heilpraktiker (Hohenz.<br />
JHeft 1961, 154).<br />
Bann, bannen: Man sprach von Zwing und Bann" als Befehlsgewalt<br />
(bzw. „Bott und Verbott") in der Gemarkung,<br />
die selber auch als „Bahn"' erscheint. Bannsteine<br />
waren die Grenzsteine der Gemarkung. Em gebannter<br />
Hau (r ":ht gespannter!) oder Wald war zum Schutz der<br />
jungen Bäump vor dem weiievieh mittels aufgesteckter<br />
Strohwische für unbefugtes .Betreten verboten.<br />
baschgen: Die inncringer betonten 1630: „Der neue Vogt<br />
dürfe nicht daran denken, daß er uns mehr werde baschgen,<br />
w - er wolle", das heißt herumstoßen, herumvoxen.<br />
44<br />
bekören: Wenn einer 1530 den Gatter (oder das Falltor)<br />
im Dorfzaun nicht zumachte und durch hinauslaufen des<br />
Viehes in den Fluren Schaden entstand, mußte der Unterlassende<br />
„bekören" oder „den Schaden wagen", das heißt<br />
Entschädigung leisten.<br />
Bestand, Beständer = Verpachtung, Pächter.<br />
Besthaupt: Von Leibeigenen (im 18. Jahrhundert allen<br />
Einwohnern Ringingens und anderer Orte) mußte nach<br />
dem Tod das beste Haupt (Stück) Vieh, von Frauen das<br />
beste Obergewand (in Geldeswert) an den Leibherrn oder<br />
Dorfherrn abgegeben werden: Erbschaftsteuer. Man<br />
sprach auch von Hauptfall, Leibfall bzw. „jemand verhauptfallen".<br />
Biersieder: Bartlin Traub von Inneringen erhielt als<br />
Bierbräu im Jahre 1581 für ein Fäßlein Bier mit 33 Maß<br />
besten Vorlaufs 1 fl und 1 Bazen. Er hatte das Bier an<br />
die fürstenbergische Herrschaft nach Heiligenberg geliefert.<br />
Chyrurg: siehe Badstube.<br />
-chörig: In Inner.ngen werden im Urbar von 1732 immer<br />
w.vder die Häuser als zwei-, drei-, vier-chörig angegeben,<br />
die meist mit Stroh gedeckt und einstöckig waren. Auch<br />
Scheunen sind so taxiert. Einmal nur ist von Dachplatten<br />
die Rede. Das rätselhafte Wort -chörig scheint noch heute<br />
in „Wiederkehr" zu stecken, einem Hausanbau, der im<br />
rechten W tikel auf den Hauptbau stößt. Eine vierchörige<br />
Scheuer kann jedoch kaum vier Anbauten gehabt<br />
haben! Vielmehr bedeutet das zugrundeliegende Wort<br />
kar, (das nach Michael Buck aus „Quadrat" entstand, wie<br />
Karene aus Quadragene) bei Fachwerkbauten einen<br />
„Fachbund" von einem senkrecht stehenden Balken bis<br />
zum andern (etwa 10 Fuß = 3 Meter breit), in dem bei<br />
Wohnungen gewöhnlich ein Fenster eingesetzt ist. Ein<br />
drei-chöriges Wohnhaus hatte somit drei Fensterkreuze.<br />
dehain = kein.<br />
Eehäftin, ehehaft: Rechtmäßige Wege und Lucken im<br />
Dorfzaun hießen eehaft, das heißt gesetzmäßig (von ewa<br />
= Gesetz, wie in Ehe und Ehehalten). Die Summe solcher<br />
rechtmäßigen Dinge hießen: Ehehäftinen.<br />
Egert: ein öde liegendes Weideland, nicht zum Anbau zu<br />
gebraucnen, wohl abzuleiten von agere = (Vieh) treiben<br />
(Hohenz. Heimat 1966, 32).<br />
Ehrschazz (honorarium 1292), eigentlich Ehrengabe, auch<br />
„Auffahrt" genannt, vom neuaufziehenden Bauern an den<br />
Herrn zu zahlen. Vgl. Handlohn.<br />
Einspenner hießen lt( Ringingen die Kleinbauern und Taglohner,<br />
die nur ein Zugstück hatten. Dagegen hießen so<br />
im 16. Jahrhundert im Zolleriscnen die Landjäger oder<br />
Polizisten.<br />
Einungen nannte man die kleinen Strafen im Dorfbereich.<br />
Elendenkerze: In Gauselfingen, Rin^ngen. Salmendingen<br />
und anderswo bestanden um 1500 besondere Stiftungen<br />
(Grundstöcke) zum Unterhalt der Kerzen für die „Elenden<br />
Seelen" im Fegfeuer.<br />
Espan ^Irrig Eschbach), Aisoen o. ä. 1 inden sich als Flurnamen<br />
von W( ideplätzen in Dorf nahe Da das Anrangs-E<br />
lang ist, muß das mit „ewa-Gesetz" zusammenhängen.<br />
Das vielbesprochene Rätsel hat erst Josef üchnetz gelöst:
„Spannen" nannte man das leichte Fesseln des Weideviehs<br />
an den Vorderbeinen (bzw. Hals und Fuß), um das<br />
Fortlaufen zu verhindern (Fleckenbuch Salmendingen<br />
1530). Der oder das Espan ist der rechtmäßige gemeindliche<br />
Weideplatz, besonders für Zugtiere (J. Schnetz?<br />
Flurnamenkunde 1952 S. 66).<br />
Etter: der das Dorf umschließende Zaun, auch „Zunstellin"<br />
genannt.<br />
Fall, Leibfall: Abgabe der Leibeigenen. Vgl. Besthaupt.<br />
Falltor, Val-, Waltor, Falter: ein eingehängter Gatter im<br />
Dorfzaun, der sich von selbst wieder schloß, um das Hinauslaufen<br />
des Viehes zu verhindern. In Melchingen ist<br />
das Wort als Flurname in Nähe der Kapelle am Ortsrand<br />
erhalten. Hierher gehört auch der Inneringer Torwart<br />
Friedrich Werner von 1581.<br />
Faselvieh: Hagen, Eber, Bock (männliche zur Zucht dienende<br />
Tiere).<br />
Fastnachtsküchlein: Als eine Art Gegengabe für den<br />
Zehnten hatten die Pfarrer ehemals die Pflicht, ihren<br />
Pfarrkindern jeweils auf Fastnacht eine Spende zu geben,<br />
das sogenannte Fastnachtsküchlein (Hohenz. Heimat 1951,<br />
25). In Inneringen gab der Pfarrer zu diesem Behuf jjdem<br />
verheirateten Bürger 2 Maß Wein und i U Brotlaib, jeder<br />
verwitweten Person 1 Maß und ein Achtel Laib. Außerdem<br />
gab er zu dem österlichen „Gesegneten" 26 Pfund<br />
geräuchertes Rindfleisch und 300 gesottene und zerhackte<br />
Eier, die der Mesner austeilte. Auch zum Johannessegen<br />
(27. Dezember) stiftete der Pfarrer gewöhnlich 14 Maß<br />
Wein, auch stellte er den Meßwein und den sogenannten<br />
Kommunikantenwc n. Ehemals hat man nämlich die<br />
„Ausspülete" des Meßkelchs nach dem Meßopfer in Wein<br />
geschüttet und diesen den Gläubigen zu trinken ausgeteilt:<br />
als Kommunikantenwein. Um 1805 wurde das Fastnachtsküchlein<br />
in eine Abgabe an den Schulfond abgeändert.<br />
Feuerspritze: Im Jahr 1743 ist in Inneringen ein Spritzenmeister<br />
nachzuweisen, der seine Spritze gut im Stand zu<br />
halten und zweimal im Jahr schmieren mußte: Gehalt<br />
1 Gulden. In * igingen ist erst 1788 einer Feuerwehr mit<br />
noch erhaltener Dreieckfahne (mit Fürstenbergischem<br />
Wappen) sowie eine Häuseinste der Brandversicherungs-<br />
Beiträge erhalten. In allen fürstenbergischen Orten waren<br />
laut Feuerordnung „Feuerschauer" aufgestellt.<br />
Fischenz: Fischerei-Recht.<br />
Fronhaber, Haberabgabe an den Herrn.<br />
Fronleichnam („Leib des Herrn"): Bei der Prozession<br />
um den Flecken mi: dem Allerhe; Iigsten hatten in Inneringen<br />
1741 acht Schützen mit Unter- und Obergewehr<br />
(wohl Säbel und Flinte) beizuwohnen und erhielten nachher<br />
ein Vesper für 15 Kreuzer, Schultheiß und die Hfffimeltrager<br />
durften auf Gemeindekosten 45 kr verzehren.<br />
Fürspannen: Beim Einzug der Brautleute in ihr Haus<br />
haben bis in unsere Tage Jugend und Ledige mit einem<br />
Seil „fürgespannt", das heißt den Weg versperrt, worauf<br />
jene "oh mit einem kleinen Geldbetrag loskauften. Dieses<br />
Fürspannen ist nicht zu verwechseln mit „Vorspann leisten"<br />
bei steilen Wegen!<br />
Galgen gab es früher in jeder Herrschaft. Mit Missetätern<br />
war man ehedem nicht so zimperlich ve heute, wo man<br />
sie auf Kosten der Steuerzahler lahreiang ein sorgloses<br />
Leben führen läßt. Im Jahr 1576 hat Fürstenberg das<br />
baufällig gewordene „Hochgei ht" für die Herrschaft<br />
Jungnau, nämlich den „Galgen mic drei Säulen" am Galgenbühl<br />
(Gewann Lachen) in Inneringen neu aufrichten<br />
lassen.<br />
Gant: Zwangsversteigerung („man hat einem vergantet",<br />
oder „es ist einer auf die Gant kommen"). Das Wort<br />
kommt von dem Ausruf: „quantum", das heißt wieviel<br />
(bietet ihr)"?<br />
Ganze Bauern waren solche, die eine ganze Mene (Pfluggespann)<br />
mit vier Rossen hatten. Halbe Bauern hatten nur<br />
zwei und Viertelsbauern ein Roß. Daneben hießen die<br />
kleinen Bäuerlein Stümpler oder „Seidner oder Söldner",<br />
als Besitzer einer „Seide". Der Treiber beim Pflug hieß<br />
Mäne- oder Menebue.<br />
Gemeinmerk, alter Ausdruck für Almende. Im 16. Jh. gab<br />
es noch Gemeinmärke, an denen zwei oder mehr Gemeinden<br />
teilhatten. „Wer zuerst mit dem Weidevieh darauf<br />
kam, durfte von den später Kommenden nicht vertrieben<br />
werden."<br />
Gemarschaft, gmaren: Zusammensetzen der Zugtiere<br />
zweier Kleinbauern an einen Pflug. Dieser benötigte<br />
früher teils bis zu vier Zugstücken!<br />
Grad, Gred: Fruchtschranne in Inneringen mit einem<br />
Gredmeister. Nur dort durften Bäcker, Biersieder und<br />
Wirte ihr Getreide kaufen, also nicht in Privathäusern.<br />
Gutemtag: Montag (feria secunda, denn secunda wurde<br />
auch als günstig, „gut" übersetzt!).<br />
Haab hieß einst das (Weide-) Vieh eines Dorfes. Noch erhalten<br />
in dem Spruch „Hab und Gut" = Vieh und Grundstücke.<br />
Haarwurm nannten unsere Eltern auch die „Rufen",<br />
eitrige Schorfbildungen, besonders im Kopfhaar.<br />
Hafengießer: In der Inneringer Ortsgeschichte wird einer<br />
zu Ueberlingen, später Riedlingen, genannt, ohne daß die<br />
Art seiner Erzeugnisse erkennbar wäre.<br />
Hagestolz — Altlediger, dessen Nachlaß der Herrschaft<br />
zufiel.<br />
Handlohn: Gebühr, urspr. Ehrengabe, an den Grundherrn<br />
bei Kauf, Tausch. Erbfall eines Gutes. Aehn ii „Ehrschatz"!<br />
Hauptfall, siehe Besthaupt.<br />
Heimburgen sind niedere Gemeindebeamte gewesen:<br />
Rechner, Ri hter o. ä.<br />
Hennen und Hühner, als Abgabe unterschieden: Aithennen<br />
und Junghühner;<br />
Judenhandel war im Fürstenberc sehen noch um 1800 verboten,<br />
im Gegensatz zur Herrschaft Zollern. Dort duldete<br />
man Juden, weil sie Steuergeld einbrachten!<br />
Kaib und Schelm sind alte Namen für ansteckende Viehkrankheiten<br />
und V'jhkadaver (Klauenseuche u. ä.), später<br />
wurden sie Schimpfnamen für Menschen. Wie Kaib auch<br />
„Aas" bedeutete, so bezeichnet der Scheimenwasen den<br />
Platz, an dem man gefallenes Vieh verscharrte. Er hat<br />
also nichts mit „Schelmen und Dieben" zu tun.<br />
Kairbe: „1455 ein wasen, uf dem des hagen kairbe staut"<br />
(Tailfingen). Korb hieß einst ein mit Flechtwerk eingeriegeltes<br />
kleines Haus eines Seidners, Taglöhners, Tagwerkers,<br />
auch Leibdinghaus oder Speicher. Zum Doppelvokal<br />
vgl. „Kairn = Korn" 1396 in Hohenberger Rechnungen.<br />
Khai, Khoi, Gayh = Gehege, Verhau, Befestigung.<br />
Kommunikantenwein, vgl. Fastnachtsküchlein.<br />
Koppen: In Bisingen gibt es eine Koppenhalde. Der Salmendinger<br />
Pfarrer schrieb im 18. Jahrhundert, die Grundstücke<br />
auf dem Heufeld brächten wenig Ertrag, da sie<br />
voller Koppen seien. Gemeint sind Büsche oder Hecken,<br />
45
deren Beseitigung sich die Gemeinde Salmeni J 'ngen auch<br />
auf Weisen auswärtiger Besitzer vorbehalten hatte.<br />
Kreben, der: In vielen Gemeinden Hohenzollerns und<br />
darüber hinaus fand sich in alter Zeit ein Kreben. Kreb<br />
ist gleich Korb oder Flechtwerk. Gemeint waren Plätze,<br />
oft Gerichtplätze, die mit einem Flechtzaun umgeben waren,<br />
wie z. B. in Dornstetten.<br />
Laachen, Lauchen, Loochen: Einkerbungen in Stein oder<br />
Bäumen als Grenzzeichen. Als Tätigkeit!;Wuns Grenzzeichen<br />
einhauen, Grundstücke vermarken. Davon „Lauchbäume".<br />
Lägel, Legel, die: kleines Fäßchen für Wasser usw. In Lägein<br />
wurden aus Jungnau Fische und Krebse ins Heiligenberger<br />
Schloß geliefert. Das Wort ist abzuleiten von Iat.<br />
lagella, griech. lagynos.<br />
Lugerbuch: Beschreibung von Gütern und I mkünften.<br />
Lannenfuhrwerk: „Im J. 1710 einigte man sich auf der<br />
schwäbischen Kr.'sversammlung, nach und nach auf den<br />
Straßen das weite Geh (br.itere Fahrbahn) einzuführen,<br />
bei dem man zwei Pferde nebene: .ander spannen und<br />
ziehen lassen könne. Zugleich wurde das für c ; e Straße<br />
höchst schädliche Lannen- oder Gabelfuhrwerk abgeschafft.<br />
Das Lannenfuhrwerk war ein Wagen, bei dem die<br />
Rosse an einer Lanne voreinander gespannt waren. 1 ese<br />
Lannen wurden nun durch das Deichselfuhrwerk abgelöst"<br />
(Maier-Krezdorn. Geschichte von Inneringen, 1966,<br />
S. 239). Noch 1763 hat man den Jakob Flöß bestraft, weil<br />
er mit seinem „Landenwagen" und drei Pferden hintereinander<br />
in L i Mühle nach Jungnau fuhr.<br />
Letze. Der fürstenbergische Vogt gab 1596, als er die<br />
Fruchtrechnung in Inneringen abgehalten und im Pfarrhaus<br />
gewohnt hatte, beim Weggehen den Bediensteten als<br />
Letze (Gabe, Erfrischung zum Abschied) zwt Gulden.<br />
Lichtstuben, Kunkelstuben, zu denen LeJige und andere<br />
abends in bestimmte Häuser zusammenkamen, wurden<br />
wegen vorgekommener Exzesse von Fürstenberg mehrfach<br />
verboten.<br />
Maiden = männliches Pferd: Hengst oder Wallach.<br />
Maienstecken war in Inneringen bei der Jugend sehr beliebt.<br />
Sie wurden aber nicht einer „Auserwähhen", sondern<br />
der Geistlichkeit, den Wirten, dem Barbierer, Jäger<br />
und Schultheißen gesteckt. I ine etwaige Geldstrafe wegen<br />
dabe vorgekommenem Unfug traf die Burscnen hart, da<br />
das Geld rar war. Lieber nahmen sie in Jungnau ihre Ochsenz!<br />
mer-Streiche oder Arschböller in Empfang<br />
Meß — Hohlmaß, im Gegensatz zu Maß = Längenmaß.<br />
Noch vor 40 Jahren gab es in Burladingen Meßmacher<br />
oder Hersteller von hölzernen Snnri, Viendel und Meßle.<br />
Mene, Mäne = Pflugge;pann. Der Treiber hieß Mene-Bue.<br />
Narrenhäusle hieß im 18. Jh. der Orisarrest, auch „Gehorsambe"<br />
genannt.<br />
Neujahrskuchen gab die Herrschaft Fürstenberg durch<br />
ren Jungnauer Müller den Inneringer EÜrgern, wobei es<br />
oftmals zu Streitereien kam.<br />
ö(n)ser, der Brotsack, eigentlich Aser (von Essen!). Im<br />
Breisgau nannte man den Schulranzen auch Schulo(n)ser.<br />
Passionssptele waren ehemals nicht nur in Trochtelfingen,<br />
sondern im 18. Jh. auch in Inneringen Brauch. Der Schmied<br />
Eisele von dort gab an: „Als die ehrsame Burgerschaft<br />
sonntagnachm.. tags d" Comöc.. de passione Dom>i probieret,<br />
wobey er Christum vorstelle, seye ihm an dem<br />
Kreuz übel worden, weswegen er zu Xaveri Ott sich be-<br />
46<br />
geben, den entlehnten Mantel ihme widerumb anheimgestellet<br />
und, umb sich zu erholen, für ein paar Kreuzer<br />
brannten Wein getrunken".<br />
Pest wütete in früherer Zeit oft in unserer Gegend. Im<br />
J. 1611 starben in Inneringen 211 Menschen. Beim Schwedeneinfall<br />
kamen laut Kirchenbuch dort sechs Menschen<br />
zu Tode, die erschlagen worden. Das Pestjahr 1635 raffte<br />
dort 133 Erwachsene und 144 Kinder fort und 1636 nochmal<br />
21 Erwachsene. (Im Mittel starben sonst damals in<br />
Inneringen jährlich vier bis fünf!) Im Jahre 1674 sind<br />
wieder 20 und 1676 gar 45 Verstorbene eingetragen. Auch<br />
1710 starben daselbst 25 Kinder und 10 Erwachsene.<br />
Prozessionen: An Christ* Himmelfahrt ging man in Inneringen<br />
zu Fuß (Pfarrer und Honoratioren zu Pferd),<br />
um beide Esche (der dritte war ja brach!), worauf die<br />
Geistlichkeit von der Gemeinde zu einem Ehrentrunk eingeladen<br />
wurde. Dabei waren auch Schultheiß, Unterschultheiß,<br />
die zwei Bürgermeister, Mesner, die Kreuz-, Fahnenund<br />
Laternenträger und die Musikanten. Die Ministranten<br />
durften nicht mittrinken. Ein Essen wurde nicht gereicht.<br />
Eine B ctprozession fand nach Scheer statt mit Pause auf<br />
dem Rückweg i Ii.tzkofen oder Bingen. Zur Beaufsichtigung<br />
der Kinder waren besondere Hüter aufgestellt.<br />
Quitanz: Quittung.<br />
Rai mg, raiten = Rechnung, rechnen.<br />
Rauchhaber: "ne Abgabe von Haber, zu der jeder Rauch,<br />
d. h. Haushalt, verpflichtet war. Aehnliches galt von der<br />
Rauchhenne auf Fastnacht.<br />
„Rauffen": Maier-Krezdorn berichten aus Inneringen von<br />
zwölf Brunnen oder Tränken (wohl Ziehbrunnen) innerhalb<br />
des Dorfes. Bei dreien nennen die Verfasser der<br />
Ortsgesd.ichce „dabeinegende Rauffen", an einem zwei,<br />
an iiiem andern Brunnen war eine „eingefaßte Rauffen",<br />
oder (laut Verfasser) „Trinkraufe". Da eine Raufe sonst<br />
im Stall ein Gitter ist, aus dem das Vieh das Langiutter<br />
rupft, bleibt der Sinn d >er Raufen am Brunnen dunkel.<br />
Waren es etwa Gitter, die das Händeln des Viehes verhindern<br />
sollten? Doch ist den Umständen entsprechend<br />
eher an einen Lesefehler der beiden Autoren zu denken:<br />
Raussen (nicht Rauffen), d. h. Hanfrößen! Vgl. „Roßen"!<br />
richtbar, „Dnchtbar": wurden um 1600 die erwachsenen<br />
Gläubigen (über 14 Jahre) genannt, die man mit Beicht<br />
und Kommunion „herrichten" konnte zum Sterben<br />
J chtung: Vertrag.<br />
Robhaber, Raubhaber war im zollerischen Gebiet eine Abgabe<br />
an Haber. Rob = Knecht, robaten = Frondienst leisten<br />
(vgl. Roboter!). Vermutlich war der Raubhaber eine<br />
Ablösung eines Frondienstes.<br />
Roßen, Röße, Rauße, Raißle: Wasserlöcher in Dorfnähe,<br />
in die man den Hanf legte, damit durch einen Gärungsprozeß<br />
sich die harten Angeln (Aegnen) von den gesuchten<br />
Fasern besser lösten.<br />
Rübteiie finden sich im 18. Jh., als d*e Gemeinden an die<br />
Bürger kleine Grundstücke zum Rübenbau ausgaben. Es<br />
gab 1785 auch Erdäpfelteile.<br />
Rugung, rügen, i gen: Wer sich gegen die festgelegten<br />
Rechte der Dorfgemeinde in Flur und innerhalb Etters<br />
verging, wurde gerügt, d. h. angezeigt und bestraft.<br />
Runs, Rauns, Runz, heißt e ; le Stelle, an der Wasser rinnt<br />
oder rann, daher der Fiurname „Wasserrauns".<br />
Satel, Sautel, Sootel, sind Ackerstreifen in Breite einer<br />
Saatbahn.<br />
Schätzung, Schatzgeld = Steuer.
Schelm, siehe Kaib.<br />
Schießhaus: Schon im 16. Jh. sind in manchen Orten, besonders<br />
im Fürstenbergischen sog. Schützengesellschaften<br />
nachzuweisen, die mit der Armbrust, später mit Zielrohren<br />
auf Scheiben schössen. In Inneringen haben, wie im<br />
Trochtelfinger Amt, die Schützen zu ihrem Feste von der<br />
Herrschaft mehrere Gulden zum Geschenk erhalten. Letztere<br />
hatte auch den Ehrenschuß. Erhalten ist in I. nur der<br />
Flurname „Beim Schießhäusle".<br />
Schule: Es ist ein unbestreitbares Verdienst der Kirche, in<br />
unseren Dörfern die ersten (wenn auch einfachen) Schulen<br />
eingerichtet zu haben! Im J. 1567 bestimmte nämlich der<br />
Konstanzer Bischof Markus Sittich in seinen Diözesanstatuten:<br />
„Wie in den Klöstern, sollen auch in den Pfarreien<br />
tüchtige Erzieher und Lehrer angestellt werden, wobei es<br />
der bürgerlichen Obrigkeit unbenommen bleibt, ehrenhafte<br />
und erfahrene Männer dafür zu bestimmen, welche<br />
den Geistlichen im Unterricht unterstützen. In kleinen Orten,<br />
wo bisher noch kein Lehrer ist, solle ein Helfer (od.<br />
Vikar) den Unterricht erteilen, oder es sollen wenigstens<br />
Mesner angestellt werden, die zugleich das Amt eines<br />
Schulmeisters zu verwalten fähig sind."<br />
Im Visitationsbescheid von Konstanz für das Kapitel<br />
Trochtelfingen vom J. 1695 heißt es: „Da eine neue<br />
Schüssel nur schwer den zuerst angenommenen Geruch<br />
wieder verliert, so soll die zarte Jugend richtig erzogen<br />
und zur Frömmigkeit und guten Sitten angehalten werden.<br />
Daher sollen die Pfarrer mit höchstem Nachdruck<br />
darauf dringen, daß wenigstens zur Winterzeit deutsche<br />
Schule gehalten ^ 'rd. Wo sie schon besteht, mögen geeignete<br />
Männer gottesfürchtige dafür gewonnen werden. Wenigstens<br />
aber sollen, wo zu diesen schlechten Zeiten den<br />
Eltern die Mittel (zur Schuleinrichtung) fehlen, die Kinder<br />
in die benachbarten Orte zur Schule geschickt werden. Die<br />
Pfarrer mögen dieses große Werk der Liebe auf sich nehmen<br />
und die ihr anvertraute Jugend im Deutschlesen und<br />
Schreiben unterr hten, wonach auch die Katechese mit<br />
mehr Nutzen und Gewinn für die Seelen gehalten werden<br />
kann". (Erzb. Archiv Freiburg.) Im J. 1709 heißt es aus<br />
gleichem Anlaß: „Die Seelenhirten sollen darauf achten,<br />
daß, wo keine Schule besteht, sie möglichst bald errichtet<br />
wird, und wo sie schon besteht, sollen sie dieselben öfter<br />
im Jahr visitieren."<br />
Während in Ringingen erst seit 1701 ein Schulmeister bekannt<br />
ist, einige Bürger aber schon 1661 lesen und schreiben<br />
konnten, kennt man in Burladiugcn einen Schulmeister<br />
schon 1612, in Inneringen 1601 einen namens Hans<br />
Rued f. Von Salmendingen heißt es im Visitationsbericht<br />
1685: „Im Sommerf!) hält einer Schule, der sonst<br />
die Rosse hütet". (Man möchte freilich vermuten, daß es<br />
statt Sommer richtiger Winter heißen müßte!)<br />
Schultern als alte Abgaben sind Schinken, Schulterstücke,<br />
„Schaufele".<br />
Schwaighäuser sind 'Wntschaftsgebäude oder Viehhäuser.<br />
Schwaig bedeutet V'h- oder Schafherde. „Schwaig halten"<br />
nannte man aie Schafhaltung.<br />
Seelgeräte sind geistliche Stiftungen für Verstorbene. Das<br />
„Seelbuch" enthielt das Verzeichnis der Meßstiftungen.<br />
Ein „Seelbad" war für Arme gestiftet, gedacht als geistiges<br />
Gutes Werk für Verstorbene.<br />
Siechenhaus: Um 1735 ist ' l Inneringen die Rede von<br />
e ; em Acker der Heligenpflege, auf dem früher das Siechenhaus<br />
stand, und von einem Siechenwasen. Auch n<br />
Ring- igen ist 1695 ein S chenhaus erwähnt. Es stand damals<br />
an der Stelle, an der heute die (t.^fer gelegte) Straße<br />
nach Knler am 5 ichle m den Wald eintritt. Etwas unter-<br />
halb in Saien ist noch das Siechenbrünnele bekannt, an<br />
dem die Sondersiechen, wegen ansteckender Krankheiten<br />
von den übrigen Dorfgenossen Abgesonderten, ihr Wasser<br />
holen konnten. Wann dieses Siechenhaus abging, ist<br />
nicht bekannt. Ein Acker stieß darauf hinaus, der vor einigen<br />
Jahren durch Tieferlegen der neuen Straße in Wegfall<br />
kam.<br />
Söldner, Seidner, vgl. Ganze Bauern.<br />
Spanischer Mantel: Der die Christusrolle im Passionsspiel<br />
zu Inneringen spielende Eisele wurde zur Strafe, daß er<br />
sonntagnachmittags während der Vesper im Wirtshaus<br />
Branntwein getrunken, eine Stunde lang in dem Spanischen<br />
Mantel öffentlich ausgestellt. Dieser bestand in einer<br />
schweren Eichentonne, die umgekehrt dem Delinquenten<br />
aufgestülpt wurde mit einem Loch für den Kopf zum<br />
Durchstrecken. Die Tonne war so niedrig, daß der Mann<br />
deren ganze Last tragen, oder mit gebogenen Knien stehen<br />
mußte.<br />
spannen, s. Espan.<br />
Stelle, Viehstelle: Lagerplatz des Weideviehes. Vgl. Stellflecken<br />
im Ringinger Wald an der Grenze Stetten-Burladingen.<br />
Stieter — Hengst.<br />
Stig, der: Fußweg; im Gegensatz „die Staig" = Fahrweg.<br />
Stigel, das: Im Dorfzaun zu Ringingen gab es 1530 wie<br />
audi anderwärts da, wo ein Fußweg hindurchführte, jeweils<br />
ein Stigel, d. h. ein Steigbrett zum Uebersteigen des<br />
Zauns als Hindernis gegen das Hinauslaufen des Viehes<br />
und der Gänse.<br />
Stöße: Zwiste, Streitigkeiten.<br />
-stund in zweistund, dreistund usw: zweimal, dreimal!<br />
Sturz: Zum Turmdach in Inneringen wurden 1626 in Ulm<br />
einige hundert Platten weißen Sturzes gekauft, d.h. Weißblech!<br />
Im Schloß Burladingcn fanden sich 1512 auch sturzene<br />
Kacheln, also aus Blech.<br />
tädingen, Tädung: Str' tfall schlichten, verhandeln, Abmachung<br />
treffen.<br />
Taugstein, Tugstein, Dauchstein = Tuffstein.<br />
Tä)erin = Schildwirtschaft, lat. taberna.<br />
Tennrairen, Tänrer: Aehren, die auf der Tenne liegen blieben<br />
(Dennrairede).<br />
Torwart in Inneringen im 16. Jh.: vgl. Falltor. Es gab<br />
dort damals n Werdin-tor bei der Flur Werdt.<br />
Triebwachs wurde in der Kirche in Inneringen gestohlen.<br />
Vermutlich war Trief- oder Tropfwachs gerne* t.<br />
turnen oder „bessern" = Felder düngen.<br />
Uchtet, Auchtert: Weideplatz, bes. Morgenweide, alt<br />
„uochta".<br />
Uebelzeit: DL Inneringer mußten 1603 im Schloßhof zu<br />
Jungnau Felsen brechen und „mit großer Uebelzeit" zerschlagen:<br />
d. h. „mit großer Mühe"!<br />
ungefährlich = „ane geferde": ist mit dem heutigen „ungefährlich"<br />
nicht mehr identisch, sondern bedeutete „ohne<br />
Arglist".<br />
Ungeld, Umgelt: Steuer (Gilt) für ausgeschenkten Wein<br />
(oder B er). Lexer erklärt das Wort als „««angebrachte,<br />
ungerechte G.it".<br />
Ungenosse, Ungenossambe: wer nicht zum gleichen Leibeigenschaftsherrn<br />
gehört,<br />
47
Untergang bezeichnete ehemals das Feldgericht. Die Untergänger<br />
hatten die Grenzmarken zu „untergehen", zu<br />
prüfen und zu ergänzen, Grenzstreitigkeiten zu schlichten<br />
usf.<br />
unzher = bisher.<br />
Urbar — Lagerbuch.<br />
Waldhay - Waidhüter. Heger des Waldes.<br />
Wegiösin: eine Abgabe bei Aufgabe eines Gutes durch<br />
Verkauf, Tausch oder Abzug, „Abfahrt".<br />
Weitraiten sind Randge ete der Dorfflur, die nach Bedarf<br />
von dem Grundherrn zur Ausstockung und Bebauung<br />
freigegeben wurden. Sie gaben in Inneringen dem Herrn<br />
jew- 'ls pro Jauchert 2 Viertel (Simri) des Ertrags. Die<br />
erste Silbe „Weit" dürfte zu wi< = Holz gehören (also<br />
Witmark = Holzmark, Withau = Holzschlag), wird aber<br />
auch als „weit entfernt" erklärt. Zu Raite vgl. Hofraite<br />
= Hofraum.<br />
Werthe, die: In Inneringen war 1731 bestimmt: „Wenn<br />
einer den Aufenthalt des Roßhirten nicht kennt, mag er<br />
sein Roß auf die Werthe tun". Oder: „Nach 14 Tagen sind<br />
die Mutterpferde" von der Werthen „weg wieder zur<br />
Herde zu treiben." Vermutlich war die Werde oder<br />
Werthe ein inselartiger Weideplatz in sumpfigem Gelände<br />
in Nähe des Ortsausgangs nach Ve ngenstadt, wo das<br />
Werdin-tor überliefert ist (1536). Diese Werde war der<br />
Bedeutung nach mit einem Espan identisch.<br />
Widdum: Ausstattungsgüter der Pfarrei. Widmaier hieß<br />
der Bebauer des Widdums.<br />
48<br />
G Hechingea<br />
Zollerland ^<br />
zwischen Alb<br />
und<br />
Schwarzwald<br />
Wisat, weisen: Dem Herrn oder der Wöchnerin eine<br />
Ehrengabe bringen.<br />
Wucherrind: Zuchtstier oder Hagen.<br />
wüste Acker: brachliegende Grundstücke.<br />
Wychhag: In Saimendrgen r ,t im Fleckenbucn 1530 die<br />
Rede von einem „Wychhagen" in Nähe des Dorfes, vermutlich<br />
dem Dorfhag (lat. vicus = Dorf). Der Kornbühl<br />
bedeutet sicher nicht Keltenhügel, wie neulich ein Kalender<br />
behauptete. Man denkt an lat. cornu = Horn, oder<br />
deutsches „Ge hörn" und Bühl.<br />
Zugrecht: Im J. 1719 erhielt Johann Kleck in Inneringen<br />
von seinem Vater ein halbes Haus samt dem Zugrecht auf<br />
die andere Hälfte. Also im Falle des Fe'iwerdens des anderen<br />
Hausteils, hatte Johann als naher Verwandter das<br />
Vorkaufsrecht vor allen andern: er durfte den andern Teil<br />
„an sich ziehen".<br />
Zugviehhaber: mußte in Ringingen 1545 je 1 Viertel von<br />
jedem Zugstück an die Herrschaft jährlich abgeliefert werden.<br />
Angeblich war früher eine Fronarbeit in diese Naturalabgabe<br />
umgewandelt worden, weil man annahm, die<br />
Zahl der Zugstücke bleibe ziemlich gleich.<br />
Zügnust: Zeugnis, Bestätigung.<br />
Zunstellin = Zaunstelle, Verlauf des Etters um das Dorf<br />
1530 in F.
HOHENZOLLERISCHE<br />
HEIMAT<br />
£0. Jahrgang 1970 Nr. 4<br />
Herausgegeben DOID<br />
4P 3828 F<br />
Hohenzollerifchcn Gelchichtooerein<br />
in Verbinöung mit Den<br />
Staatlichen Schulämtern Hechingen<br />
unö Sigmaringen<br />
I<br />
Unseren Lesern wünschen wir ein gesegnetes Weihnachten und ein glückliches Neues Jahr 5<br />
Dieses Deckenbild in der St.-Michaels-Kirdie in Gammertingen ist 1886 von dem Gammertinger Maler Constantin Hanner<br />
gemalt worden. Große Kunst ist es nicht, vielleicht stellt es sogar eine Kopie dar. Aber vielleicht ist das Bild gerade deshalb<br />
liebenswert, weil Hanner sich als Handwerker fünlte, nicht als Künstler, und dafür ist seine Leistung beachtlich. Das<br />
Bild hat wohl kaum jemand einmal richtig angesehen; wir bringen es deshalb als Weihnachtsgruß den Lesern der „Hoh<strong>enzollerische</strong>n<br />
Heimat" anstelle der vielen großen Kunstwerke zu Weihnachten, die hier in den letzten zwanzig Jahren gezeigt<br />
wurden. B.
Die Schriftleitung freut sich, ihren Lesern einen Beitrag<br />
unseres Hoh<strong>enzollerische</strong>n Landsmannes Leopold Bausinger<br />
bringen zu können. Herr Landrat i. R. Bausinger<br />
ist am 20. Januar 1899 in Stetten bei Hechingen geboren.<br />
Nach Besuch des Gymnasiums in Hechingen trat er in<br />
die Verwaltungslaufbahn ein. Nach einer Tätigkeit in<br />
Aachen und Sigmaringen, wurde er 1927 Bürgermeister<br />
von Haigerloch, 1932 Bürgermeister von Burladingen.<br />
LEOPOLD BAUSINGER<br />
Heimat im Dorf - im Kreislauf des Jahres<br />
Ganze 800 Einwohner zählte mein Hei natdorf in meiner<br />
Jugend. Die Dörfler waren meistens Kleinbauern, Kleinhandwerker<br />
und doch auch schon Fabrikarbeiter, die allerdings<br />
noch eine kleine Landwirtschaft betrieben. Ein<br />
Bauer mit 20 Morgen war eine Seltenheit. Kein Wunder,<br />
daß der Lebensstandard mehr als bescheiden war. Am<br />
Fuß der Zolleralb liegt mein Heimatdorf, die Zollerburg<br />
und das Zellerhorn überragen es, in weitem Halbkreis<br />
zieht sich der Albtrauf um das Tal, der Dreifürstenstein<br />
bildet den nordöstlichen Eckpfeiler des Traufes.<br />
Die Eisenbahn fährt heute noch am Dorf vorbei, ebenso<br />
die Bundesstraße Stuttgart- Bodensee—Schweiz. So liegt<br />
das Dorf „abseits am Wege", s 11 und friedlich i weiten<br />
Tal inmitten von Obstgärten. Kein Wunder, daß das<br />
Dorf in früheren Zeiten den Beinamen „im Gnadental"<br />
führte, herrührend vom ehemaligen Dominikanerinnenkloster,<br />
einer Gründung der Grafen von Zollern im<br />
frühen Mittelalter, Jahrhunderte hindurch Erbbegräbnisstätte<br />
der Zollerngrafen.<br />
Knapp 2 km entfernt vom Dorf liegt die Kreisstadt, „des<br />
B-.iches älteste Zollernstadt", wie sie sich früher gern<br />
nannte. Das Zollerländchen war bekanntlich von 1850<br />
b:_ zum Zusammenbruch 1945 „preußisch" gewesen. In<br />
der Schule lernten wir preußische Geschichte und sangen:<br />
„Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben, die Fahne<br />
weht mir weiß und schwarz voran!" Und dabei kamen<br />
fast nur uie Wehrpflichtigen Zur Ableistung ihrer aktiven<br />
Dienstzeit ins eigentliche Preußen, solange Hohenzollern<br />
zum VIII. Armeekorps zählte mit Sitz in Koblenz. Aber<br />
die Rheinländer fühlten sich letztlich genauso als „Mußpreußen"<br />
wie wir Hohenzollern.<br />
Die nahe Kreisstadt bedeutete für uns Dörfler schon die<br />
weite Welt. Dort gab es Krämer- und Viehmärkte, viele<br />
Geschäfte mit mancherlei Schaufensterauslagen, nicht nur<br />
eine, sondern gleich mehrere Kirchen, darunter auch eine<br />
evangelische, sogar eine Synagoge, ein Landgericht, das<br />
Oberamt, die Leinkasse, <strong>höh</strong>ere Schulen und eine Vielzahl<br />
von Wirtschaften, von denen in meiner Jugend die<br />
Wirtschaft „Zur Pfanne" die Stammkneipe der Dörfler<br />
war. Aber auch Arbeitsplätze bot die Stadt, auf die<br />
manche Dorfbewohner wegen der kargen Landwirtschaft<br />
angewiesen waren.<br />
Mit den Kindern der Stadt lagen wir Dorfbu'ben in<br />
Fehde. Bei unseren Gängen ins Städtle gab's öfters Streitigkeiten<br />
und Hänseleien. Wir beschimpften die Stadtbuben<br />
mit „Spüllumpenfresser", dem Übernamen der<br />
Städter, sie gaben zurück mit unserem Ubernamen „Hageverschrecker".<br />
Manchmal gab's auch Hiebe.<br />
Ivchts Attraktives bietet das Dorf, von der alten hochgotischen<br />
Klosterkirche abgesehen. Das Kloster selbst fiel<br />
1898 einem Brande zum Opfer.<br />
He mat also wie vielfältig und überall. Aber um u.'ese<br />
Heimat kreisen ü^e Gedanken auch heute noch nach mehr<br />
50<br />
Von 1936 an war er Bürgermeister in Rüdesheim. Herr<br />
Bausinger wurde 1950 Landrat des Rheingaues in Rüdesheim.<br />
Seit 1965 lebt er im Ruhestand in Johannisberg im<br />
Rheingau. Seine Jugenderinnerungen zeigen, wie eng er<br />
seiner Heimat verbunden blieb. (Unser Beitrag ist ein<br />
Nachdruck aus Heft 1/1970 der Zeitschrift „Schwäbische<br />
Heimat").<br />
denn 50jähriger Abwesenheit, von gelegentlichen Besuchen<br />
abgesehen. Immer wieder steigt die Jugend in der<br />
Erinnerung auf, Menschen, Bilder, Ereignisse. Sie wiederzugeben<br />
will ich versuchen.<br />
Im Kreislauf des Jahres<br />
Seltsam: nie hatte ich so recht das Empfinden als Bub,<br />
daß mit dem Glockenschlag nachts 12 Uhr am 31. Dezember<br />
ein Jahr zu Ende gegangen und ein neues angebrochen<br />
sein soll. Es hat sich ja nichts verändert in der Natur<br />
und im Geschehen, wieso dann also ein neuer Anfang?<br />
Nach Lichtmeß dagegen, wenn die Tage schon wieder<br />
länger wurden — „Lichtmeß bei Tag eß", sagte die Mutter,<br />
und wir Kinder wieder länger „auf der Gaß" herumspringen<br />
konnten, wenn der meiste Schnee geschmolzen war,<br />
und die schwarze Ackererde und das Grün der Wiesen<br />
wieder zutage traten, wenn es draußen wieder „äber"<br />
wurde, wenn der Föhnwind lauwarm durch's Tal strich,<br />
wenn die ersten Gänseblümchen sich zeigten, Haselnußsträucher<br />
und Salweiden blühten, dann, ja dann verspürte<br />
man die Veränderung draußen in der Natur, was oich<br />
auch auf uns Buben übertrug, denn von jetzt an hörte<br />
das Stuoenhocken auf. Straßen und Gassen, Feld und<br />
Wald gehörten wieder uns Buben, man konnte wieder<br />
„Fangeries" und „Verschlupferles" spielen, m'. Pfeil und<br />
Bogen schießen, mit einer Schleuder auf die Spatzenjagd<br />
gehen, Kinderhändel austragen Zw-"dien den Oberdorf -<br />
iern und aen Unterdörflern, Starenkasten zusammenbasteln<br />
und zum oberen Bühneladen f'naushängen, aus<br />
Holz vom Holderbaum Schlehbüchsen fertigen und mit<br />
Wergpropfen auf die Mädle sei :ßen. Und schon m<br />
März blühten an gewissen Stellen dl: Schneeglöckchen,<br />
die wir an Sonntagen heimholten und dabei verbotener-<br />
•w Jse zum Teil mit den Wurzelknollen ausgruben und<br />
allerdings in den Hausgarten pflanzten, wo sie dann<br />
jahrelang standen und jedes Jahr auch blünten.<br />
Die Karwoche kam in Sicht und mit ihr der Beöinn der<br />
Osterfe 'en. Am Palmsonntag trugen wir Palmen zur<br />
Weihe in die K'rche, die wir aus Haselnaßzweigen, Palmkätzchen,<br />
Eichenlaubzweigen mit verdorrtem Laub,<br />
„Seng" zu einem Bündel zusammensteckten und mitten<br />
hinein ein aus vier geschälten Holderhölzchen auf einer<br />
Haselnußrute aufgestecktes Kreuzchen stellten. Vier solcher<br />
Palmen mußten wir zu Hause machen, für uns selbst,<br />
für die Lehrerstante, unsere „Dotte" (Patin), die alte<br />
Nacnbarin Zitta und für deren verheiratete Tochter<br />
Frieda. Am Palmsonntag galt es früh aufzustehen, denn<br />
der letzte war der Palmesel. Schon lange vor Beginn des<br />
Gottesaienstes zogen wir mit unseren Palmen zur Kirche,<br />
denn auch dort galt der oder die letzte als Palmesel des<br />
Jahres. Meist traf es immer wieder die gleichen, die auch<br />
sonst überall zu spät kamen. Nach der Kirche lieferten<br />
wir unsere Palmen ab, bei der Lehrerstante una bei den
eiden Nachbarinnen, wobei es jedesmal 10 Pfennige gab,<br />
die wir unserer Sparbüchse einverleibten. Wenn man in<br />
diese ein Geldstück warf, präsentierte der Blechsoldat<br />
daran, und zwar so lange, bis ein erneuter Geldeinwurf<br />
Arme und Gewehr des Soldaten wieder in normale Lage<br />
verbrachte. Stundenlang hätte ich dieses Sj .^1 fortsetzen<br />
können, doch fehlten dafür die Grosdien.<br />
Die Kartage kamen und mit ihnen die abendlichen Metten<br />
in der Dorfkirche, bei denen die alten, schönen Psalmen<br />
im Wechselgebet zwischen Priester und Volk gebetet<br />
wurden. Da stimmten wir Buben aus unseren Mettebüchlein<br />
kräftig mit ein:<br />
. . . Du weidest mich auf reichen Fluren,<br />
Du leitest mich an lauteren Bächen . . .<br />
. . . An Deiner Hand kann ich nicht irren,<br />
Du bist der wahre Weg zum Leben . . .<br />
. . . Barmherzig und von großer Güte<br />
Bist Du mein Heiland und Erlöser . . .<br />
... Es rühmt dies ein Geschlecht dem anderen,<br />
Auch ich erhebe Deinen Namen.<br />
Vor dem Hochaltar der Kirche stand ein dreizehnarmiger<br />
Leuchter, von dem während der Mette nach und nach eine<br />
Kerze um die andere von Ministranten mit einer Zange<br />
gelöscht wurde bis auf die Kerze in der M ; :te, die zu<br />
guter Letzt verlassen in der dunklen Kirche noch brannte.<br />
Christus bedeutete sie, während die anderen zwölf die<br />
Apostel versinnbildlichten, wie sie in der Stunde der Gefahr<br />
einer um den anderen den Herrn und Meister verlassen<br />
hatten. Mittwochs in der Karwoche läuteten noch<br />
die Glocken, Gründonnerstag zum letztenmal beim Gloria<br />
der Messe. Das Ailerheiligste wurde vom Hochaltar i.i<br />
das altehrwürdige gc .iscne Sakramentshäuschen verbracht,<br />
die Glocken schwiegen, statt inrer klapperten die Ratschen.<br />
Ja, die Rätschen! Welcher Dorfbub hätte kein<br />
solches Radauinstrument gehabt! Die Kirche selbst besaß<br />
davon aus alter Zeit eine ganze Garnitur, die große<br />
Scnindelrätsche, die dem gewichtigsten Buben der ältesten<br />
Schulklasse gebührte, mehrklöppelige und einklöppelige<br />
Rätschen, große und kleine, mit denen wir Buben vor<br />
jedem Gottesdienst zweimal laut Krach machend durch's<br />
Dorf rannten, so daß wir schweißtriefend zur Kirche zurückkamen.<br />
Am Karsamstagmorgen beim Gloria der<br />
Messe läuteten wieder die Glocken, und damit wurden<br />
dl i Rätschen für ein Jahr wieder in den Ruhestand versetzt.<br />
Dieser Ostersamstag sah uns Buben schon frühmorgens<br />
bei der Kirche, fand doch da schon um 6 Uhr früh die<br />
„Scheiterweihe" statt. Jeder rechte Dorfbub brachte sein<br />
Scheit mn, ein gewöhnliches Stück ßackholz, wie es die<br />
Mutter beim Heizen des Backofens benutzte. Mil Hammer<br />
und Stemmeisen wurden aus jedem Sehe; drei untereinanderi'Agende<br />
Kreuze herausgestemmt, das obere Ende<br />
wurde mit einem Loch durchbohrt, durch das eine Trageschnur<br />
gezogen wurde. Wiederum mußten wir vier solcher<br />
Scheite fertigen, wie wir ja auch vier Palmen zu machen<br />
hatten. Vor der Kirchentür war ein kleiner Holzstoß<br />
aufgeschichtet, auf den wir unsere Schate legten, immer<br />
kreuzweise übereinander. Der Geistncne trat mit Mesner<br />
und Ministranten aus der Sakrisiei, der Mesner sollte<br />
das Feuer durch Feuersi in und Zundel entfachen, so<br />
gebot es die Vorschrift der Kirche. Aber selten wollte<br />
dies gelingen, doch der Mesner hatte für solche Fälle eine<br />
Streichholzschachtel bei jirh und entzündete mit einem<br />
Streichholz das Feuer, was uns Buben gar n ent eingehen<br />
wollte. Über das brennende Feuer sprach der Geistliche<br />
seine Gebete, derweilen wir Buben darauf achteten, daß<br />
;.jdes Scheit am unteren Ende bis etwa zur Mitte anbrannte.<br />
Kaum war c' ; kirchliche Zeremonie beendet<br />
und der Geistliche in die Kirche zurückgekehrt, langten<br />
wir Buben unsere noch brennenden Scheue aus dem<br />
Feuer, schwangen sie in der Luft und hatten unsere helle<br />
Freude an Feuer, Funken und Quaim. Wieder gab's für<br />
jedes Scheit bei den Verwandten und Nachbarn einen<br />
Groschen, und wiederum konnte der Sparbüchsensoldat<br />
präsentieren. Und nun war durch das geweihte Scheit<br />
das Haus vor Blitz und Feuer geschützt!<br />
Dem Osterhasen machten wir sein Nest im großen Hausgarten.<br />
Schon hatte der Wasserschierling getrieben, daß<br />
wir ihn beim Nestbau mitverwenden konnten. Wohl weil<br />
die Stallhasen dieses erste Frühlingskraut so gern fraßen,<br />
nahmen wir an, daß es auch dem Osterhasen besonders<br />
willkommen sein würde. Da lagen dann am Ostermorgen<br />
buntgefärbte Ostereier im Nest, vielleicht auch mal ein<br />
rotzuckeriges Osterhäschen. Die Freude war groß. Als<br />
das erste Schuljahr anstand, brachte der Osterhase den<br />
Schulranzen und die Griffellade. Das Schöne war, daß<br />
der Osterhase auch bei den Großeltern und Paten für<br />
uns „eingelegt" hatte. Nach dem Osteramt ging's zu<br />
diesen, um deren „Osterhasen" zu holen. So konnten wir<br />
nachmittags nach der Andacht, deren Besuch für alle<br />
Schulkinder selbstverständliche Pflicht war, mit den<br />
anderen Kindern auf die Wiese gehen und Ostereier<br />
„schucken" (werfen), wobei manchem Ei die Schale<br />
sprang. Diese Eier wurden dann gegessen, wobei es manche<br />
auf eine sagenhafte Zahl brachten, ohne Bauchweh<br />
zu bekommen. In den Osterferien hatten wir Buben<br />
noch viel Freizeit, denn die Feldgeschäfte hatten noch<br />
nicht begonnen. Morgens früh fuhren wir mit dem Kuhfuhrwerk<br />
mit ins Brennholz in den über eine Stunde entfernten<br />
Gemeindewald. Denn der Vater war ja Allmandbürger<br />
und hatte als solcher Anspruch auf sein Bürgerholz,<br />
bestehend aus etlichen Raummetern Brennholz und<br />
100 und mehr Reisigbuscheln. Was waren dies bei trockenem<br />
Wetter schöne Fahrten in den frischen Morgenstunden.<br />
Bis hoch hinauf zu den Felsen der Alb mußte man<br />
dabei. Oft saß das Hoiz auf unzugänglichen Hängen und<br />
Halden und mußte von dort an fahrbare Wege „gerückt"<br />
werden. Dabei mußte Scheit um Scheit oder Rolle um<br />
Rolle den Berg so lange hinuntergeworfen werden, bis<br />
man das Holz an einem Weg abfahrbereit wieder aufseezen<br />
konnte. Das machte uns Buben viel Freude, zumal<br />
der Vater versprochen hatte, uns zum Vesperbrot ein<br />
richtiges Holzmacherfeuer anzuzünden, an dem Brot und<br />
Speck fe n duftig, „gebäht" werden konnten, wie es im<br />
Winter c le Holzhauer taten.<br />
Einmal nahm uns der Vater nach getaner Arbeit hinauf<br />
auf den Albtrauf, wir kletterten über Felsen und stiegen<br />
durch das Felsenmeer i.inauf, wo haushohe Felsblöcke und<br />
Klötze aus grauer Vorzeit lagern, mit Moos bewachsen<br />
und teilweise mit Efeu berankt, so daß sie in der düsteren<br />
Stille des Waldes zum Teil wie vorsintflutliche Tiere<br />
aussahen. Dort oben in dem Felsgebirge befand sich auch<br />
eine H'ihle, in die der Vater mit uns einstieg. Ein<br />
„Wilderer" soll in dieser Hohle gehaust haben, in Wirklichkeit<br />
war es ein harmloser Naturmensch und Maler,<br />
der einen langen Vollbart trug und durch sein ungepflegtes<br />
Äußere einst einem jungen Holzfuhrmann Angst und<br />
Schrecken einjagte, so daß er mit einem Hebeisen auf<br />
den „Wiiden" losging, der sich als harmloser Naturmensch<br />
erwies. Sie wurden dann aber bald gute Freunde,<br />
und der „Wilde" wohnte mehrere Wochen beim Holzfuhrmann<br />
im Dorf, bis ihn eines Tages der Freiheitsdrang<br />
übermannte, und er über Nacht still und spurlos<br />
verschwand. — In diesem Felsenmeer hauste in meiner<br />
frühen Jugend noch ein Uhu, der letzte weit und breit<br />
damals in freier Wildbahn, etliche uralte Eichenbäume<br />
hatten sich aus alter Zeit herübergerettet (sie stehen<br />
51
übrigens heute noch als Naturdenkmale geschützt), ehemalige<br />
Fanggruben für Wölfe, die „Wolfsgruben", waren<br />
noch zu sehen, was Wunder, wenn in dieser Umgebung<br />
das junge Bubenherz bangte und zagte, und ich meinte,<br />
jeden Augenblick müßte etwas Außergewöhnliches geschehen,<br />
ein Räuber kommen, ein Wolf vor uns stehen<br />
oder gar das Rotkäppchen begegnen.<br />
Droben auf den Höhen der Berge schauten wir zum<br />
erstenmal in die Weite der Welt und der Heimat. Weit<br />
hinten lagen die Höhenzüge des Schwarzwaldes, dort im<br />
Westen lägen die Vogesen und hier im Süden d e „Schneeberge",<br />
die Alpen also. Zum erstenmal ging mir hier oben<br />
auf den Bergen ins Herz ein, wie einzig schön das Heimatland<br />
war, zugleich wuchs aber auch die Neugier, zu<br />
erfahren, wie die Welt nun wohl hinter dem Schwarzwald<br />
und hinter den Vogesen aussehen möge. Liebe zur<br />
Heimat, Drang in die Ferne!<br />
Der Saft stieg in die Bäume. Aus Bachweiden machten<br />
wir Buben „Hupen". Die Rinde wurde mit einem Taschenmesser<br />
so lange geklopft, bis sie .sich vom saftigen Holz<br />
unversehrt löste. Ein richtiger Bub begnügte sich mit<br />
solch einer einfachen Hupe nicht, er wollte eine „Waldhupe"<br />
haben, für die die Rinde von der Salweide geringelt<br />
und abgeschält und sodann in Trompetenform<br />
wieder zusammengerollt w urde. Oben hinein wurde dann<br />
eine gewöhnliche kleine Hupe gesteckt, und so war das<br />
Blasinstrument fertig. War das ein Konzert an Sonntagen,<br />
wenn eine Bubenschar mit ihren Hupen trompetend<br />
ins Dorf zog!<br />
Der 1. April war damals schon wie heute dazu da, den<br />
oder die „in den April zu schicken". Einmal, ich ging noch<br />
nicht in die Schule, sollte ich das Opfer werden. Der<br />
Kuno, der Enkel des „Nageljörgle", des letzten Nagelschmieds<br />
weit und breit, und mein älterer Bruder gaben<br />
mir 10 Pfennig und schickten mich zur Krämerin, dem<br />
Sinzele, um für das Geld „Ibidum" zu kaufen. Lange<br />
sträubte ich mich, nichts Gutes ahnend. Eis die beiden<br />
mich dann doch überredeten, und ich zum Kramladen<br />
ging. Das Sinzele kam, nachdem ich die Ladenglocke gezogen<br />
hatte, und frug nach me aem Begehr. „Für 10 Pfennig<br />
1 Ibidum", sagte ich und legte den Groschen auf den<br />
Ladenusch. Da mußte die gute Krämerin gar herzhaft<br />
lachen und frug. wer mich geschickt hätte. „Der Kuno",<br />
erwiderte ich. Das Sinzele gab mir den Groschen wieder<br />
zurück und sagte: „Jetzt gehst nur wieder zum Kuno<br />
und sagst inm, er war' dumm." Derweilen konnten der<br />
Kuno und der Bruder sieh vor lauter Lachen nicht genug<br />
tun, daß sie midi hereingelegt und m den April geschickt<br />
hatten.<br />
Bald kam der r. M-n. Als Schulbuben interessierten wir<br />
uns auf dem Schulweg n der Frühe, welchen Dorfschönen<br />
nachts von aen ledigen Burschen buntbebänderte Maien<br />
„gesteckt" waren. Als ich dann später selber im Alter<br />
war, um Maien zu stecken, war ich der H-'mat längst<br />
entronnen. Und w eder einige Jahre später, als ich in<br />
einem schönen, romantisdien Städtdien — der Fliederstadt<br />
im Eyachtai — meine erste Bürgermeisterstelle innehatte<br />
und als Junggeselle einem M tagsstammtisch angehorte,<br />
hatten mir zum 1. Ma. zechfrohe Kumpane auf den Rathaus'balkon<br />
einen mit Bier-, Wein- und Sektflaschen geschmückten<br />
Maien gesteckt, vielleicht um mich zu mahnen,<br />
daß ich ml h langsam unter den Schönen des Landes<br />
umsehen sollte.<br />
Der Mai war auch für uns Dorfjungen damals schon<br />
Wandermonat. Mir machten Maientouren in die Wälder<br />
und Berge der Alb und kehrten ma einem Lied auf den<br />
Lippen noch so zeitig zurück, daß wir den Gottesdienst<br />
nicht versäumten.<br />
52<br />
Die Maiglöckchen blühten in den Buchenwäldern, wir<br />
wußten alle Standorte, mußten aber gewärtig sein, daß<br />
wir mit den Buben des Nachbardorfes nient zusammentrafen,<br />
denn ansonsten hätte es blutige Fehde gegeben.<br />
Christi Himmelfahrt kam. In großer Prozession zog das<br />
ganze Do
noch keine Maschinen, so daß die Arbeit manuell verrichtet<br />
werden mußte. Um vier Uhr und früher ging's<br />
auf die Mahd, die Älteren mähten, die Kinder mußten<br />
„warben". Der ganze Tag war angefüllt mit Handarbeit,<br />
mit Wenden, Schochen, Zusammen„keien a , Laden, Abladen,<br />
so ging es tagaus, tagein bis zum Schluß. Von<br />
einem Kindersdiutzgesetz wußte man auf dem Dorf<br />
nichts, wir sind aber gleichwohl groß geworden, ohne<br />
Schaden zu nehmen.<br />
Ähnlich war es dann später bei der Getr.' deernte und<br />
im öhmdet. Audi hier mußten wir hart zupacken. Es soll<br />
gesagt sein: ich war und bin nicht wenig stolz, einen<br />
großen Heuwagen laden zu können, auch später noch,<br />
als ich dann und wann im Heuet in Ferien nach Hause<br />
kam.<br />
Der Sommer ging unbemerkt ins Land. An Kräuterweihe<br />
(Mariä Himmelfahrt) trugen wir vier „Weihsang" in die<br />
Kirche, zusammengestellt aus Korn- (damals noch DL -<br />
kel), Gerste- und Haferbüscheln, rote Kerzen und Königskerzen,<br />
Weißkraut- und Dickrübenblättern. "derum<br />
belieferten wir die Lehrerstante und die beiden Nachbarinnen,<br />
und wiederum gab's et che Groschen für die<br />
Sparbüchse mit dem präsentierenden Soldaten.<br />
Nach der letzten Fuhre Heu war die „Heukatz" fällig,<br />
und nach dem letzten Garbenwagen die Sichelhenke.<br />
Aber gefeiert wurde nicht, man saß eine Viertelstunde<br />
länger und gemütlicher beim Nachmittagsvesper, die Eltern<br />
erzählten aus ihrer Jugend, wie sie „Theater spielten",<br />
„Maschgera gingen", den und jenen Schabernack<br />
trieben. Der Vater konnte begeh ert aus seiner Soldatenzeit<br />
1886—1888 in Köln erzählen. Dre Kaisern hatte er<br />
in dieser Zeit geschworen: Wilhelm I., Fr idrich III. und<br />
Wilhelm II.<br />
Mariä Geburt zieh'n die Schwalben furt, sagt die Bauernregel.<br />
Es herbstete, die Tage wurden merklich kürzer,<br />
Wiesen und Getreideäcker waren abgeerntet. Eines Tages<br />
zog der Schäfer ins Dorf mit 200 bis 300 Scnafen. Der<br />
Pferchkarren wurde in die Gemarkung gefahren und die<br />
Hürden aufgeschlagen. Da waren wir Buben dann bald<br />
gut Freund mit dem Schäfer, lagen ganze Nachmittage<br />
bei ihm draußen auf dem Feld, gruben nach Mäusen und<br />
Maulwürfen, rauchten verstohlen Pfeife, durften schon<br />
mal beim Schäfer schnupfen. Er konnte so nette Geschichten<br />
erzählen, war ja auch schon weit herumgekommen,<br />
kannte den Schwarzwald und das Badische, hütete<br />
im Winter im Elsaß und im Frühjahr und Sommer auf<br />
dem Truppenübungsplatz Heuberg.<br />
Die Wiesen hatten wieder getrieben. Nachmittags trieben<br />
wir die Kühe auf di- Weide, trieben allerhand Allotria,<br />
br eten Äpfel am Feuer und schmiedeten Pläne für das<br />
Erwachsendem. Abends trieben wir das Vieh wieder zurück<br />
ins Dorf und knallten mit den Peitschen, daß man<br />
meinen konnte, die Hölle wäre losgelassen,<br />
Dann ging's in die Kartoffeln, die man damals noch mit<br />
der Hacke ausmachte. Das Schönste für uns Buben dabei<br />
waren die Kartoffelfeuer, deren Rauch während der Kartoffelernte<br />
siJi über die ganze Gemarkung und darüber<br />
hinaus hinzog und i nen herben Duft verbreitete, wie er<br />
im Herbst vielfältig anzutreffen ist. Köstlich waren dabei<br />
denn der heilige Mann die oder jene Untat doch wissen<br />
könnte. Es ging aber immer besser ab als gedacht, so<br />
daß die Hanselmänner und Lebkuchen und Nüsse und<br />
Äpfel durch keine Bitternis getrübt wurden. So konnte<br />
man an Nikolaustag nach der Schule bei den Großeltern,<br />
bei der Dotte und beim Dötte frohen Mutes die Hanselmänner<br />
abholen, die auch dort für uns vom Nikolaus<br />
„eingelegt" wurden. Wie an der Kirbe trat für uns Buben<br />
um jene Zeit der Brotlaib etwas in den Hintergrund,<br />
soviel Hanselmänner mußten gegessen werden. Bei einem<br />
Gang durch's Dorf waren sie in vielen Häusern, in<br />
denen Buben wohnten, zwischen Vor- und Innenfenster<br />
aufgestellt, manchmal ganze Fenster voll und darunter<br />
wahre Prachtkerle in Größe und Umfang.<br />
Eines Morgens war die Landschaft schneebedeckt, über<br />
Nacht wurde es Winter. Die Schloten, die das Jahr<br />
über in einer Ecke des Schopfes verstaubt lagen, wurden<br />
hervorgeholt und auf ging's zum Schlittenfahren, mal<br />
an den steilen Mühlhof, mal an den Haldenberg. Die<br />
oft selbst verfertigten und von Generation zu Genera uon<br />
vererbten „Bauchschlitten" waren weitaus in der Mehrzahl,<br />
vornehmere Eisen- oder gar Rodelschlitten waren<br />
im Dorf selten. Größere Buben trieben n „Wasserschlittle"<br />
auf, mit dem früher vor dem Bau der Wasserleitung<br />
das Wasser von den Dorfbrunnen in Gölten im<br />
Winter nach Hause gefahren wurde. Ein solcher Schlitten<br />
bot für 8 bis 10 Kinder Platz, wobei sie alle wie die<br />
Heringe übereinander i ngen. Aber weil dabei auch schon<br />
Mädle mitgenommen wurden, war die Platzenge keineswegs<br />
unsympathisch. Die Wasserschi...de waren ansonsten<br />
das Reservatrecht der Ledigen, die abends mit ihren Liebsten<br />
zum Schlittenfahren gingen. Manchmal wurde von<br />
den Ledigen ein Mistschlitten bei einem Bauern aufgetrieben,<br />
mit dem es in großer Besetzung den Berg hinuntergmg.<br />
Schlittschuhlaufen war ebenfalls beliebt, insbesondere<br />
dann, wenn der Dorfbach zugefroren war und eine Eisbahn<br />
bot. Schneemänner machten wir und Backöfen.<br />
Ein altes Ofenrohr diente als Kamin, wir feuerten mit<br />
Stroh, und in die ausgehölten Köpfe der Schneemänner<br />
stellten wir Kerzchen und jagten damit den kleinen<br />
Kindern Angst ein.<br />
Eines Tages hatte der Vater den Metzger bestellt, denn<br />
vor Weihnachten sollte noch geschlachtet werden, auf<br />
daß vorgesorgt war. Drr Zentner und mehr schwer war<br />
die Sau, die unter M thilfe des ganzen Hauses ihr Leben<br />
lassen mußte. Wir Kinder durften schon mithelfen, dem<br />
Säuiein im großen Zuber die Borsten auszureißen, und<br />
bei vorgeschrittenem Alter bekamen wir vom Metzger<br />
ein scharfes Messer in die Hand, um auch beim Schaben<br />
zu helfen. Das Säule wurde dann, wenn es fein säuberlich<br />
auf dem Schrägen lag, an dem großen Rechen aufgehangen,<br />
der Metzger schnitt i h m den Bauch auf, holte<br />
die Eingeweide heraus, schnitt Kopf und Füße ab und<br />
legte alles das zurecht, was zum Verwursten bestimmt<br />
war. Nach dem Re : '.;en der Därme ging es an's Wurstmachen,<br />
Blut- und Leberwürste hauptsächlich, die bald<br />
im Kessel brodelten. Zwischendurch gab's Kesselfleisch,<br />
das auf dem Hackklotz geschnitten und mit etwas Salz<br />
und Brot gegessen wurde. Die Männer tranken vorweg<br />
einen Schnaps und sodann Most. Kirsch- und Zwetschgenwasser<br />
aus eigener Ernte war immer im Haus. In der<br />
Küche wirkten die Frauen, denn zur Metzelsuppe gab<br />
es . ; agangs Fladlesuppe, sodann zu den Würsten und<br />
dem Fle c ch Knöpfle, Sauerkraut und „Grumb.eraschnitz".<br />
Die Verwandtschaft war mit Kind und Kegel<br />
eingeladen, Tische mußten zusammengerückt werden,<br />
um di Gäste alle aufzunehmen, wobei uie Frauen erst<br />
dann zum Essen schritten, wenn die Männer und Kinder<br />
54<br />
fertig waren. Am Kopfende saß der Metzger, er schnitt<br />
Würste und Fleisch an, probierte von allem, um zu zeigen,<br />
daß man seine Ware mit Appetit essen könne. Für uns<br />
Buben war es Ehrensache, uns durch all die Köstlichkeiten<br />
von Würsten und Sied- und Bradleisch hmdurchzuessen,<br />
auch wenn man zum Schluß nicht mehr Papp sagen konnte<br />
und den oberen Hosenknopf aufmachen mußte. Der<br />
Metzger stand früher auf, denn nachi ttags hatte<br />
er schon wieder woanders zu schlachten, „So, nun esset<br />
se g'sund und z'frieda", verabschiedete er sich.<br />
Abends durften wir beim Speckschneiden helfen. Das gab<br />
zwar „schmotzif e" Hände, doch schmeckten die Grieben,<br />
die beim Auslassen des Speckes übrigblieben, um so besser.<br />
Die Vöglein aber bekamen davon auch ihren Teil,<br />
wie ihnen der Vater auch manchen sonstigen Brocken<br />
im Garten hinterließ. Die „Saublase" wurde in der Werkstatt<br />
aufgehangen, manchmal hingen dort 3 solcher Gebilde,<br />
die in früheren Zt "en für mancherlei Zwecke verwendet<br />
wurden, so zum Beispiel, um Flaschen luftdicht<br />
abzusch sßen. Wir Buben benutzten sie aber an Fastnacht,<br />
um als „Hanswurstel" n t ihnen die Mädle zu verdreschen.<br />
Weh tat's ja nicht! In der Werkstatt hing auch<br />
der Saunabel, der zum Schmieren der Sägen und anderer<br />
Werkzeuge benutzt wurde. Und in der Küche am Brett<br />
hing das „Schmeerlaible", das bei eitrigen Geschwüren als<br />
altes, bewährtes Hausmittel unentbehrlich war. Ein<br />
Stückchen Schmeer auf die Wunde gelegt, und Dreck und<br />
Eiter wurden zusammen- und herausgezogen, ja, was so<br />
ein Säule doch für wertvolle Dienste leistet! Ich lasse<br />
nichts über d":se Borstentiere kommen und wäre jederzeit<br />
bereit, einer Einladung zu einer echten, bäuer"chen<br />
Metzelsuppe sofort nachzukommen.<br />
Nun konnte Weihnachten kommen, der Schinken hing im<br />
Rauch, und mancher Braten lag eingesalzen in der Gölte.<br />
Und Weihnachten kam, damals wie heute mit jenem<br />
Zauber des Geheimnisses und des Geheimnisvollen. Der<br />
Vater besorgte am Heiligen Abend den Stall früher als<br />
sonst, wobei er dem Vieh als W< 'inachtsgabe zum Schluß<br />
eine Raufe öhmd gab. „Das Vieh soll auch wissen, daß<br />
Weihnachten ist", pflegte er zu sagen. So kam dann an<br />
jedem Heiligen Abend das liebe Christkind ins Bauernhaus<br />
und brachte einen Weihnachtsbaum und eine Krippe,<br />
die der Urgroßvater in se'nen Mannesjahren schon für<br />
seine Kinder gemacht hatte. Und beschenkt wurden wir<br />
Kinder auch, von zu Hause aber nur mit prakt' chen<br />
Dmgen, Kleidungs- und Wäschestücken, etwas für die<br />
Schule oder was sonst war. Aber Springerle gab's und<br />
Ausstecherle in gar manchen Arten und Formen und nicht<br />
zu vergessen das schmackhafte Hutzelbrot. Am Weihnachtsmorgen<br />
wurden wir in der Frühe für die Christmette<br />
geweckt. In Mantel und Schal — Balledin sagten<br />
wir — gut verhüllt, Fausthandschuhen und „Gaderstützetle"<br />
an den Händen, zwt-i Paar Strumpfen an den<br />
Fußen stampften wir durch den hartgefrorenen Schnee<br />
zur alten Klosterkirche. Aus den meisten Häusern begegneten<br />
uns Mettebesucher, so daß sich bald eine lange<br />
Kette von Kirchgängern bildete. Sie aile wollten teilhaben<br />
am Wunder der Heiligen Nacht.<br />
In der Kirche brannce der mächtige Christbaum aus vielen<br />
Wachskerzen, die Frauen hatten in ihren Kirchenstühlen<br />
Wachsstöcke brennen, Männer vereinzelt ein Kerzlein,<br />
denn die Kirche war damals noch ohne elektrische<br />
Beleuchtung. Die Orgel ' ltonierte Weihnachtslieder, der<br />
Priester zog mit einem Heer von Ministranten, unter<br />
denen auch ich manchmal aushilfsweise zu sehen war, zum<br />
Altar, die Orgel setzte kräftig ein, die schönen, alten<br />
WeiLnachtslieder erfüllten den Raum und gingen manchen<br />
ans Herz. Kein Wunder, daß man in der Christ-
mette den und jenen Besucher sah, der das Jahr über den<br />
Weg zur Kirche nicht oder nur selten fand.<br />
Der Christmette folgte das Hirtenamt, eine zweite Messe<br />
also, in der wiederum nur Weihnachtslieder gesungen<br />
wurden. Danach ging es erfroren aber innerlich beglückt<br />
schnell nach Hause, da und dort brannte in Häusern der<br />
Christbaum, aus den Ställen drang der matte Schein der<br />
Stallaternen. Daheim am großen Kachelofen war man<br />
schnell warm, der heiße Kaffee — allerdi :gs war es nur<br />
gebrannte Gerste und Zichorie — mit kiel Milch half nach,<br />
der große Kranzkuchen und sogar ein Gugelhopf wurden<br />
am Weihnachtsmorgen angeschr ;ten, Weihnachten war<br />
auch im Bauernhaus eingekehrt.<br />
Am zweiten Weihnachtsfeiertag, am Stefanstag, besuchten<br />
wir im nahen Städtlein die Krippchen in der Stadtkirche<br />
und in der alten Klosterkirche St. Lützen, wobei<br />
es uns besonders dieses Krippchen angetan hatte, weil<br />
der dortige Mesner die alten Krippenfiguren in bunter<br />
Tracht angezogen hatte. Jedes Jahr kamen neue Kleidchen<br />
hinzu, mal für den Hirten, mal für einen heiligen<br />
DIT'VÖ g, mal auch für den he !gen Josef. Für jedes<br />
Kirchenfest ergänzte der Mesner seine Krippe und stellte<br />
sie auf den jewr üigen Festtag um. Auf Dreikönigstag<br />
kamen die Heiligen Drei Könige mit ihren Kamelen hinzu<br />
und mit gar mancherlei Geschenken, am Sonntag mit<br />
dem Evangelium von der Hochzeit zu Kanaan waren<br />
Braut und Bräutigam mit Hochzeitsgästen und Weinkrügen<br />
aufgestellt, immer wußte der Mesner etwas Neues. So<br />
gingen wir in der Weihnachtszeit mehrmals zum Kripplein<br />
nach St. Lützen und schenkten dem schwarzen Mohrenbub<br />
einen Kreuzer — einen oder zwei Pfennige —, der<br />
sich bei jedem Einwurf mit einem Kopfnicken bedankte.<br />
Wenn wir „zum Kripple" in die Stadt gingen, erhielten<br />
wir einen Zehner extra von zu Hause, um sich in der<br />
Stadt eine Laugenbrezel oder eine Mutschel zu kaufen.<br />
Für 10 Pfennig gab es damals entweder zwei Brezeln<br />
oder zwei Mutschein.<br />
Daheim in der Dorfkirche gab es lange kein Krippiein,<br />
bis Sich eines Tages ein auswärt jer Wohltäter fand, der<br />
dem Dorf eine künstlerisch wertvolle Krippe mit holzgeschnitzten<br />
Figuren schenkte. Aber für uns Kinder ging<br />
halt nichts über das St.-Lutzen-Kripple mit den in allen<br />
Farben angezogenen simplen Krippenfiguren.<br />
Auf Weihnachten folgten bald Sylvester und Neujahr.<br />
Neujahrsan schießen wurde schon immer groß geschrieben<br />
auf dem Lande, denn für das Feuerwerk und derlei Zinnober<br />
fehlte das Geld. Wir Buben verfertigten unser Schießwerkzeug<br />
so: zu einer leeren Patronenhülse, wie sie durch<br />
die Reservisten oder auch durch Manöversoldaten in<br />
,edes Dorf kamen, wurde ein passender Stöpsel aus äii em<br />
alten Schlüssel oder emem Sparrennagel durch Abfeilen<br />
des Bartes oder der Spitze zurecht gemacht und Patronenhülse<br />
und Stöpsel mit starker Schnur oder Draht versehen.<br />
In die Patronenhülse wurden Knallplättchen gelegt,<br />
das Schächtelchen kostete 3 Pfennig und enthielt gut<br />
und gern 50 und mehr Knallplättchen. Der Stöpsel wurde<br />
in die Hülse eingeführt, daß er mit den Knallplättchen<br />
m Berührung kam. Sodann wurde aas Schießgerät an<br />
Schnur oder Draht mit starkem Schwung gegen einen<br />
Mauerstein oder einen sons gen harten Gegenstand geschlagen,<br />
wobei die Sch'-ßplättchen mehr oder weniger<br />
laut, je nach ihrer Menge, knallten. Verwegene Buben<br />
machten die Ladung so stark, daß entweder die Patronenhülse<br />
zerriß oder wenigstens Schnur oder Draht entzweigingen,<br />
wob=i es vorkommen konnte, daß der Schütze<br />
leichte Verletzungen von s ch trug. Aber er kam sich<br />
gleichwohl als Held vor.<br />
Die Ledigen schössen mit Pistolen, deren Läufe mit Pulver<br />
und Papier gefüllt und mittels eines Zündhütchens ab-<br />
gefeuert wurden, wie dereinst c\e Zündnadelgewehre.<br />
Diese Schießerei war zwar verboten, doch wenn ein<br />
Gendarm ins Dorf kam, wußten die Burschen ihm rechtzeitig<br />
auszurücken. Die Alten waren nur immer besorgt,<br />
daß bei dieser Schießerei kein Unheil passierte, was<br />
leider dann und wann vorkam. D ; e Ledigen schössen<br />
ihren Herzallerliebsten „das neue Jahr an", d.' : Mädchen<br />
fühlten sich geehrt, wenn es um Mitternacht unter 'hren<br />
Schlafkammern tüchtig krachte.<br />
An Sylvesterabend ging der Vater nach dem Nachtessen<br />
ins Wirtshaus, um alter Sitte gemäß einen Hefekranz<br />
auszuwürfeln. Wenn wir an Neujahr erwachten, war<br />
unsere erste Sorge, ob der Vater auch einen Hefekranz<br />
gewonnen habe, öfter als einmal, wenn es mit dem Spiel<br />
nicht klappen wollte, kaufte der Vater einen Kranz, wie<br />
er uns später gestand, um uns Kinder nicht zu enttäuschen.<br />
So war sein gutes Herz!<br />
Am Neujahrsmorgen nach dem Gottesdienst gingen wir<br />
zu den Großeltern und Dötte und Dotte, um ihnen das<br />
Neujahr „anzuwünschen". „Ich wünsch' Euch ein glückseliges<br />
Neues Jahr", lautete überall unser Sprüchlein,<br />
und dafür gab's wiederum einen Groschen für die Sparbüchse.<br />
Am Dreikönigstag, damals noch gesetzlicher Feiertag,<br />
brachten wir eine Tasse oder ein Glas mit Salz, in dem<br />
ein Stück Kreide stak, zur Weihe in die Kirche, doch<br />
diesesmal nur für uns selbst, so daß also die sonst üblichen<br />
Groschen ausfielen. Mit der geweihten Kreide<br />
schrieben wir über c"e Stubentür in großen Buchstaben<br />
K + B + M. Hier standen sie dann, die Namenszeichen<br />
der Heiligen Drei Könige, das Salz aber vermengten wir<br />
mit dem Inhalt des großen Salzhafens in der Küche.<br />
Dann kam der 27. Januar und damit Kaisers Geburtstag.<br />
Der letzte Kaiser Wilhelm II. war am 27. Januar geboren<br />
und an diesem Tage fanden im ganzen Vaterlande Geburtstagsfe..<br />
rn statt. Droben auf der Zollerburg war geflaggt.<br />
Als kleiner ARC-Schütze mußte ich bei der Schulfeier<br />
ein Gedicht vortragen, das mir heute noch im Gedächtnis<br />
ist:<br />
„Bin zwar ein kleiner Knabe noch,<br />
Der wenig nur erst weiß.<br />
Jedoch den Kaiser kenn ich doch,<br />
Und sag . im Lob und Preis."<br />
So lautet die erste Strophe, doch Gedicht und Lieder und<br />
die Rede des Lehrers interessierten uns weniger als vielmehr<br />
die Ansprache des Bürgermeisters, in der er uns eine<br />
Kaiserwurst und einen Kaiserweck ankündigte, die wir<br />
gern in Empfang nahmen, zumal sie für manche Sdiulkinder<br />
die einzige Wurst im Jahr war, d'e sie erhielten.<br />
Einmal an Kaisersgeburtstag, als ich kleiner Sextaner war,<br />
durfte ich bei der abendlichen Feier des dörflichen Militärvereins,<br />
dessen Vorsitzender der Vater war, bei einem<br />
Theaterstück mitwirken. Ich hatte die Rolle eines Wa' c enknaben<br />
zu spielen, der zu guter Letzt in einem Kriegerwaisenheim<br />
gute Aufnahme fand. Als Belohnung für<br />
meine „Schauspielkunst" erhielt ich aus der Kasse des<br />
Vereins eine Schützenwurst und eine Mutschel. Seither<br />
stand ich nie mehr auf jenen Brettern, die die Welt bedeuten.<br />
An Marie Lichtmeß brachten wir Kerzen zur Weihe in<br />
die Kirche, die für das Altärchen beim Feldkreuz an<br />
Christi Himmelfahrt bestimmt waren und für den Fäll<br />
eines Versehganges vorsorglich zu Hause aufbewahrt<br />
wurden. In der Kirche wurde der Biasiussegen gespendet,<br />
der vor Halskrankheiten bewahren sollte.<br />
Nach Dreikönigstag redeten die Lec'.gen vom „Maschgeragau".<br />
Es war ganz selbstverständ 1 ' h, daß vor diesem<br />
Tage keinerlei Fastnachtsveranstaltungen stattfanden,<br />
von Dreikön'gstag an aber die Fastnacht freigegeben war.<br />
55
Zwar fanden auf dem Lande, von Vereinsfeiern abgesehen,<br />
keinerlei Bälle statt, vielmehr wickelte sich die<br />
Fastnacht für die Ledigen hauptsächlich abends durch<br />
Hausbesuche ab. Wie froh waren wir, wenn dann abends<br />
öfters Maskenbesuch ins Haus kam. Da kamen die jungen<br />
Leute als Mausfallen- und Kochlöffelhändler, der eine bot<br />
Schwefelhölzle, ein anderer Besen aus Buchenreisig an,<br />
mal kam eine Zigeuner- mal eine Musikantengruppe. War<br />
das dann ein Umtrieb in den Wohnstuben! Sobald die<br />
Masken weg waren, ging es ans Raten und Fragen, wer<br />
die Masken wohl gewesen sein mögen.<br />
Wir Kinder sind tagsüber verkleidet im Dorf herumgesprungen<br />
und waren Hans im Glück. Einmal hatte ich die<br />
Rolle eines Bären zu übernehmen, wie ja damals öfters<br />
mal Bärentreiber ins Dorf kamen. Mit Saubohnenstroh<br />
banden mir meine Kameraden Füße, Beine, Leib und<br />
Arme ein, der Kopf wurde mit einem braunen Tuch umwickelt,<br />
aus dem durch 2 Augenschlitze gerade noch etwas<br />
Sicht war, in die Hände bekam ich einen" dicken Prügel,<br />
um den Leib eine lange Kette, und so ging's mit dem<br />
Bärenführer und seinem Gefolge, das genauso verlumpt<br />
aussah wie richtige Bärentreiber und Zigeuner, durch's<br />
Dorf. Ich mußte auf den „Hinterfüßen" traben und tanzen<br />
und den Prügel dabei in den „Vorderpranken,, hochhalten,<br />
mal mich wild gebärden und den Kindern Angst<br />
einjagen, vor den Häusern „bitte, b' :e" machen und anschließend<br />
eine Verbeugung für die Gabe. Denn im Betteln<br />
taten wir es den echten Bärentreibern gleich! Kein Wunder,<br />
daß ich zum guten Schluß schwitzte wie im Hochsommer<br />
und die gute Mutter zu Hause schimpfte: „Wie<br />
konntest du nur so dumm sein und dich als Bär hergeben!"<br />
Doch schön war's, ach, so schön!<br />
An Fastnachtsdienstag wurden wir und das ganze Dorf<br />
durch die „Tagwacht" geweckt. In der Morgenfrühe, der-<br />
Die Sage vom Eulengrubenweiblein in Unterschmeien<br />
Oberlehrer i. R. Konstantin Fecker aus Steinhofen war<br />
von 1925 bis 1948 Lehrer in Unterschmeien. In den ersten<br />
Tahren seiner Tätigkeit ging er der Sage vom Eulengrubenweiblein<br />
nach und es gelang ihm auch alles zu erfahren,<br />
was über das Eulengrubenwi ibiein noch bekannt war.<br />
Außerdem konnte er auch ein Gedicht zusammenbringen,<br />
das in Bruchstücken in Unterschmeien noch bekannt war.<br />
Am Weg von Unterschmeien nach Thiergarten im Donautal<br />
liegt die Eulengrube, ein Erdfall, der früher anscheinend<br />
einmal recht groß und _lef war. In dem Loch hauste<br />
ein Geist, das Eulengrubenweiblein. Es war kein schrecklicher<br />
Geist, sondern ein Weiblu 1, klein wie ein Zwerg,<br />
von zarter Gestalt und fein geputzt. Wenn ein Wanderer<br />
ins Donautal ging, so konnte es geschehen, daß das Weiblein<br />
plötzlich am Wege stand. Das oben erwähnte Gedicht<br />
berichtet:<br />
„Und Wanderer, die hinunter ins Tal der Donau geh'n,<br />
Seh'n oft die; UnDekannte am Wege steh'n.<br />
,Wo gehts nach Unterschmeien?' Das selt'ne Weiblein fragt<br />
Und fraget immer wieder, so oft man's ihr gesagt!"<br />
Was das Weiblein eigentlich in Unterschmeien wollte,<br />
wird man nie erfahren, denn es ist niemals hingegangen<br />
Schlimm war es allerdings, wenn ein fremder Wanderer<br />
das Weiblein nach dem Weg fragte. Er bekam mit Sicherheit<br />
eine falsche Richtung gewiesen. Das Weiblein konnte<br />
also auch recht boshaft sein. Deshalb gingen die Leute<br />
früher nur sehr ungern an der Eulengrube vorbei. Wenn<br />
es auch nur ein kleines Weiblein war, vor einem Geist<br />
hatte man eben Angst.<br />
56<br />
weilen die Dörfler noch im Schlaf lagen, zogen die Ledigen<br />
durch's Dorf und machten einen Höllenlärm. Eine<br />
„Putzmühle", wie sie zum Reinigen des Getreides nach<br />
dem Dreschen verwandt wurde, machte Krach, Blechdekkel,<br />
Schellengeläute für Pferdegespanne, Trompeten und<br />
Trommeln und was ansonsten noch an Lärminstrumenten<br />
aufzutreiben war, sorgten für die Begleitmusik. Am liebsten<br />
wären wir Buben gleich mitgezogen, doch jagte man<br />
uns wieder in die Betten. Die Schule war an Fastnachtdienstag<br />
notwendiges Übel, und wir konnten es kaum<br />
erwarten, bis der Lehrer uns entließ. Daheim hatte die<br />
Mutter inzwischen „Hosensacknudeln" und „Fastnachtsküchle"<br />
gebacken, die wir mit einem Heißhunger verschlangen,<br />
uns noch beide Hosensäcke vollstopften und<br />
zurück ins Dorf rannten, um ja nichts zu versäumen.<br />
Dann und wann veranstalteten die Ledigen Umzüge, mal<br />
eine Bauernhochzeit darstellend, mal eine Zigeunerhorde,<br />
mal die nahen Städter verulkend, mal örtliche Begebenheiten<br />
ins Lächerliche ziehend. War das dann ein Treiben<br />
und Frohsinn unter der Jugend, doch nahmen auch die<br />
Erwachsenen an dem fröhlichen Umtrieb teil. Der „Odermatt",<br />
so hieß er, kam mit einem großen „Stiefel" Bier<br />
aus dem „Grünen Baum" heraus, schon nicht mehr ganz<br />
nüchtern, und ließ uns Kinder singen:<br />
Hoorig, hoorig, hoorig ist dia Sau,<br />
Und wenn dia Sau it hoorig ist,<br />
No geit se könne Leaberawischt.<br />
Und dann wieder:<br />
Hoorig, hoo 5, hoorig ist dia Katz,<br />
Und wenn dia Katz it hoorig ist,<br />
No fangt se könne Mäus.<br />
Wir bitten Autor und Leser um Verständnis dafür, daß<br />
wir hier abbrechen müssen. Im nächsten Heft wollen wir<br />
diesen Bericht fortsetzen und abschließen. Die Redaktion.<br />
Heimatliteratur<br />
Geschichtliche Beschreibungen ehemaliger Klöster sind in<br />
letzter Zeit erschienen:<br />
1. Gor heim b. Sigmaringen, 1347—1782, von P. Palmatius<br />
Säger in „Thuringia Franciscana", Fulda, 17. Jg.<br />
1962, Seite 109-135. Ebenda findet sich die (in letzter<br />
Zeit le der umgestaltete und völlig entleerte) „Herz-<br />
Jesu-Kirche _n Gorheim" von P. Theophil Hecht, Seite<br />
101—108, mit mehreren Bildern.<br />
2. Gor heim (Tertiai innen) von Mix Heinrichsperger<br />
.1 „Al?manr'i Franciscana Antiqua", Bind 14, 1969,<br />
Seite 74-110 (Verlag Aug. Spät, Ulm a. D.).<br />
3. Laiz (Tertiarinnen) 1308—1782, von demselben,<br />
ebenda S. 111-123.<br />
4. Inzigkofen (Tert Irinnen, später Augustinerinnen)<br />
1354-1802, von demselben, ebenda Band 14, 19b9, Seite<br />
124-135.<br />
5. St. Luzen b. Heclrngen (Franziskaner-Observanten)<br />
1586-1802, von demselben, ebenda im Band 16, 1970,<br />
Sci:e 139—222 unter tatkräftiger Mithilfe von Fritz Staudacher,<br />
Hechingen (Patreslisten 1586—1857!). Kurzes<br />
Wiederaufleben in Stetten b. Hechingen 1868—75.<br />
6. Bernstein b. Heiligenzimmem-Haigerloch, 1361<br />
bis 1806, ebenfalls von Max Heinrithsperger in „Alemannia<br />
Franciscana Antiqua" Band 16, 1970, Seite 93—138,.<br />
unter Beihilfe von Fritz Staudacher, Hechingen, und Max<br />
Sch tel, l - : gmaringen.
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Veringendorf - Brennpunkt frühmittelalterlicher Geschichte<br />
Die St.-Michaels-Kirche in Veringendorf ist nicht nur<br />
baulich eine der ältesten Kirchen Hohenzollerns, sondern<br />
auch ihrem Ursprung nach. Der nachstehende Bericht von<br />
J. A. Kraus zeigt, wie groß die räumliche Ausdehnung<br />
des Besitzes dieser Kirche noch 1444 war. Die erste Veringendorfer<br />
Pfarrei soll schon zwischen 670 und 730 entstanden<br />
sein (Wetzel, Zoller<strong>heimat</strong> 1936). Der Patron<br />
St. Michael deutet auf eine adelige Eigenkirche hin. Das<br />
Adelsgeschlecht, dem die Kirche gehörte, saß wohl nur<br />
wenige hundert Meter entfernt auf der „Altenburg".<br />
Diese Burg, die nach ihrer Lage keinerlei Ähnlichkeit mit<br />
einer mittelalterlichen Burg hat, dürfte wohl einer der<br />
ältesten Adelssitze im ganzen Umkreis sein. Es ist sehr<br />
fraj _ch, ob sie überhaupt einmal in Stein gebaut war.<br />
Wahrscheinlich standen hier Holzhäuser, die von Palisaden<br />
geschützt waren. Diese frühen Herrensitze waren<br />
eigentlich nur große Bauernhöfe. Erst im 11. Jahrhundert<br />
setzten sich die hochadeligen Herren von ihren Höfen ab<br />
und bauten auf Bergen und Felsen "lre steinernen Burgen.<br />
Eine solche Burg wurde aber iu Veringendorf nicht gebaut.<br />
Die Grafen von Veringen suchten siui einen Platz,<br />
der einige Kilometer entfernt war und bauten dort Burg<br />
und Stadt Veringen. Der uralte Platz Veringen wurde<br />
zu Veringendorf. Die Grafen von Altshausen beginnen<br />
sich im 11. Jahrhundert nach Veringen zu nennen. Über<br />
die Familie der „Ur-Veringer" ist urkundlich nichts bekannt.<br />
Aber der Komplex St.-Michaels-Kirche — Altenburg<br />
zeigt, daß wir es mit einem alten und sehr bedeutenden<br />
Adelssitz zu tun haben. Vielleicht wird die Altenburg<br />
von Veringendorf einmal zu einem bedeutenden<br />
Objekt der mittelalterlichen Archäolgie.<br />
St-Michaels-Pflege zu Veringendorf 1444<br />
Daß auch eine trockene Aufzählung von Einkünften eine<br />
höchst ergieoige Quelle von interessanten Einzelheiten aus<br />
der Gesch'dite unserer Heimat bilden kann, sehen wir<br />
aus e ler Zusammenstellung des Einkommens der St.-<br />
Michaels-Pflege zu Veringendorf vom Donnerstag vor<br />
St. Margarethen (11. Juli) 1444 die im fürstlichen Archiv<br />
zu Sigmaringen liegt (Veringen R 78, Nr. 21). Wir entnehmen<br />
daraus:<br />
In Benzingen wird ( i Hans Berner genannc. In Veringendorf<br />
an der Staig haben Mönche von Rottenburg eine<br />
Hofstatt. Der Lauchertübergang bei der heutigen Brücke<br />
heißt Kirchfurt. Ein Hans Röber besitzt ^'e Badstube,<br />
ein Herr (wohl Geisti : her) Hans Bröhel ein Haus, Meister<br />
Hans Zinnenberg zahlt an den Heiligen 3 ß (Sch ing)<br />
aus seinem Haus unter Altenburg, wo ja in unseren lagen<br />
wohl kein Haus steht, falls nicht die Gegend des späteren<br />
Kaplane. hauses gemeint war. Leider ist nicht zu ersehen,<br />
wieso und worin dieser Zinnenberg Meister war. Konrad<br />
Fuler der jung zahlte 7 ß aus seinem Haus am Markt und<br />
Hans Frowenlop 5 ß aus seinem in der Helgasse. Erwähnt<br />
w rJ ein Acker, der in Stetten an Bettmur liegt,<br />
wobei Bettmur soviel wie Betmauer, GeDetsnische, Kapellchen<br />
bedeutet! Stephan Waih (Waich, Welscher!) besitzt<br />
einen Krutgarten, der alte F "glm gibt 4 ß aus seiner<br />
Wiese in den Lussen (Luß = durch das Los verteilte<br />
Grundstücke;. Genannt sind 4 ß aus den Einkünften, die<br />
den vier Orden gehören (Benediktiner, Cisterzienser,<br />
Franziskaner, Augustiner?) Wir wüßten gerne, warum<br />
das so war! Felder an der Grinzlen, im Affelstetter Brühl<br />
tauchen auf. Der Heilige bezieht 1 ß jährlich aus der<br />
Closen (Klause) zu Veringendorf, und eine Katharina in<br />
der Closen gibt 4 ß aus des Kundigs Hofraite bei dem<br />
Kirchhof (offenbar ihrem Wohnplatz). Wenn aber Katharina<br />
in der Closen nicht mehr da ist, oder daß sie vertrieben<br />
wird und sie hinterläßt Eigengut, so gehört dies<br />
sant Michael, der Heiligenpflege, zu eigen. Erwähnt ist<br />
eine Mühle an der Bruck, eine Wiese an Alenberg, eine<br />
Wiese unter dem Gowenberg. Aberlin Surer (heute Saurer)<br />
hat Abgaben aus seinem Haus zu leisten. Eine obere<br />
Mühle wird genannt, ein Kayertal und Hans Hochspachs<br />
Mühlgasse, der vermutlich der Müller ist. Ein Feld ist<br />
zwischen Segenhalden und Egelswang gegen Veringendorf<br />
genannt, bei Jungnau ein Garten zu Empfingen und<br />
Flur Sindelfingen, zwei ehemalige W-iler. Zu Affelstetten<br />
stand noch ein Hof, die Aecker auf Krummow<br />
ziehen in Richtung Risach (gen Winterlingen). Eine Wiese<br />
an der Velhen (heute Fehla!) stoßt an die Wannen, anderseits<br />
an den Kapellenacker (wohi St.-Ottilien-Kapelle).<br />
Hans Nopp von Gammertingen gab 8 ß auf<br />
1 Mannsmad Wiesen an der Velhen an Eblin Schuchmachers<br />
Wiese. Konrad Uelin gab 1 Pfund Heller aus<br />
drei Wiesen an der Welhan (Fehla) gelegen, stoßen unten<br />
an Baidenstain (d. i. Altes Schloß). Ein Niedlings Espan<br />
taucht auf, eine Wiese an Dieringer und ein Kürsener<br />
(Kürsenner) Kunrad Frank. Sopp Loser aus Hettingen<br />
(Hattingen!) hat 1 Pfund Heller zu zahlen jährlich aus<br />
1 Mm Wiesen auf Husen (abgeg. Dorf in Nähe des Zusammenflusses<br />
Fehla-Lauchert). Genannt ist Barthlome<br />
Frick, des Müilers Sohn, auch 1 Acker der zu den Turren<br />
liegt. Wir finden auch Einkünfte aus entfernteren Orten:<br />
Cunz Sick von Burladingen zahlt jährlich 2 ß aus einem<br />
Gütlein zu Mayingen (abgeg. zw. Gauselfingen u. Burladingen),<br />
heißt „St. Michels Gut"', ebenso Ragor von<br />
Burladingen 9 ß aus St. Michels Gütlein zu May gen,<br />
ebenso Hans Koffmann 1 Pfund und 2 ß aus St. M iiels<br />
Gut, und haben einst (dem adeligen) Kuon von Burladingen<br />
gehört. (Es war wohl der Letzte des Geschlechtes, der<br />
noch 1402 genannt wird.) r ,; etz Brecht zu Gosselfingen<br />
(Gauself.) zahlt jährlich 3 ß aus St. Michels Gütlein<br />
(vgl. Michelsrain zu GauselL igen!). Item Ogkerlay gibt<br />
5 ß aus St. Michels Gütlein, Benz Brecht ebenso auch<br />
3'/ä ß aus St. Michels Gütlein und Cunz Smälzli 7 ß<br />
aus der Musternun Gut (wohl alle zu Gauselfingen). Aus<br />
Inneringen ist Cunz Schüll genannt, ein Anger (Wiese)<br />
zu Ittenhausen, ein Claus Schütz aus Sigmaringen gibt<br />
10 ß aus Langmaden, stoßt an Bulis Furt (ob an der Lauchen<br />
bei Hornstein?). Gen Harthausen a. d. Sch. erscheint<br />
eine Hirendorfer Staig, die auf ein abgegangenes Dorf<br />
weist. Claus Belser wohnt zu Winterlingen, ein Husenberg<br />
wird an Reinstetter Staig erwähnt, ein Acker auf<br />
der unteren Kohen diesseits dem großen Riet, eine Flur<br />
Risenpuch (Risachbuch?), ein Burkart Kriesy zu Blättringen,<br />
ein St. Peters Gut zu Benzingen. Heii'genpfleger<br />
waren damals Hans ( 'nkelier und H; nzlin Müller zu<br />
Veringendorf. Die Urkunde besiegelte die Stadt Veringen.<br />
J. A. Kraus<br />
57
DIE JAHRESVERSAMMLUNG<br />
Keine Stellungnahme zum Hechinger Schloß<br />
Die Jahresversammlung des Hoh<strong>enzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
fand dieses Jahr turnusmäßig in ! .gmaringen statt,<br />
am 17. Oktober im „Bären". Man hatte einen Samstag<br />
gewählt, um zu sehen, ob dadurch mehr von den rund<br />
700 Mitgliedern abkömmlich wären. Es waren etwa 50<br />
Mitglieder gekommen. Nach den üblichen Rückblicken<br />
und dem Kassenbericht entzündete sich die Debatte für<br />
kurze Zeit an dem drohenden Abbruch des Hechinger<br />
Schlosses, wobei sich die Herren Willy Baur und Baron<br />
von Ow dafür einsetzten, daß dieser klassizistische Bau<br />
erhalten bleibe Es gäbe für ihn nur ein einziges Gegenstück,<br />
wie Baur erinnerte, nämlich die Münze von Karlsruhe.<br />
Diese aber sei mit großem Aufwand wieder hergestellt<br />
worden, während man sich in Hohenzollern anscivcke,<br />
das Schloß abzureißen. Landrat Dr. Mauser,<br />
gleichsam als Vertreter der Landesbank, gab zu bedenken,<br />
daß der Erhalt zu kostspielig und unwirtschaftlich<br />
sei. Auch der Hinwcu darauf, daß vor wenigen Jahren<br />
das Hauptgebäude in Sigrnaringen, das einstige Ständehaus<br />
Hohenzollern, bei der Renovierung erhalten blieb,<br />
verpuffte. — Inzwischen haben sich bekannt ich namhafte<br />
Persönlichkeiten n Hechingen an die Öffentlichkeit gewendet<br />
mit eirem Appell, das Schloß zu bewahren.<br />
Sehr ergiebig waren in beiden Kreisen in diesem Jahr die<br />
Bodenfunde, wozu Kreisvertrauensmann Wallishauser für<br />
Hechingen wegen Erkrankung seinen Bericht verlesen ließ.<br />
Schwedengreuel 1633<br />
Professor Dr. Heinz hat 1897 in den Mitteilungen des<br />
Hoh<strong>enzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s Seite 123 unter anderem<br />
berichtet: Am 5. März 1633 erschien der schwedische<br />
General Horn von Hechingen her vor Sigmaringen,<br />
nahm den Obersten d'Espaigne gefangen und Keß das<br />
fürstliche Schloß auf der Sute gegen die Mühle (Elektrizitätswerk)<br />
hin in Brand stecken. Das Schloß wurde bis<br />
zur Küche hinauf in Asche gelegt, alles Wertvolle geraubt,<br />
das Mobiliar zerschlagen oder ins Feuer geworfen. Auch<br />
an den Fruchtkästen sind alle Schlösser zerschlagen, (Sie<br />
Türen zerhauen und 'lie Früchte samt 10 Fuhren Salz<br />
weggenommen worden, zusammen 54 Malter. Ebenso<br />
smd dl: fürstlichen Schlösser und Jagdhäuser zu (Langen-)<br />
Enslingen, Krauchenu es, Verlngenstadt, Sigmaringendorf<br />
(das sog. Schlößchen), zu Gutenstein und 'Thalheim<br />
samt der Sigmaringer Kanzlei, Rüstungskammer, die<br />
gänzlich ausgeplündert worden, und andere fürstliche<br />
Häuser an Dach, Gemach, Täferwerk usw. also ruiniert<br />
und übel zugei'-htet, daß man sie ohne große Unkosten<br />
fürderh'. nicht mehr bewohnen kann (sagt ein alter Bericht;.<br />
Demnach muß im Beieich der Burg Veringenstadt,<br />
die nach W. Baur schon Ende des 15. Jahrhunderts und<br />
nach der Zimmerischen Chronik 1566 „Burgstall" (d. h.<br />
Ruine) genannt wird, wieder »in Jagdschloß oder etwas<br />
58<br />
Der Schwerpunkt lag im Kreis Sigmaringen, für den Vertrauensmann<br />
Jerg berichtete. Hier wurden zwei römische<br />
Gutshöfe aufgedeckt, der eine in Ostrach beim Bau einer<br />
Schule, der andere aufgrund von Luftaufnahmen auf den<br />
„Krummäckern" zwischen Laiz und Inzigkofen. Auch der<br />
Grabungsleiter des staatlichen Amtes für Denkmalspflege,<br />
Di. Hartmann Reim, war bei der Sitzung anwesend.<br />
Dr. Reim versprach der Redaktion des Blattes, für die<br />
kommende Frühlingsausgabe einen Bericht zur Verfügung<br />
zu stellen, der sich mit dem Inzigkofener Vorhaben befaßt<br />
(das 1971 fortgesetzt werden soll).<br />
Von grundsätzlicher Wichtigkeit aber waren die Ausführungen<br />
des Vorsitzenden Dr. Eugen Stemmler. Wenn die<br />
Frage gestellt werde, welche Zukunft der Verein habe, da<br />
das politische Ende Hohenzollerns beschlossen sei könne<br />
die Antwort nur lauten: er hat jetzt erst recht seine Zukunft.<br />
Dr. Stemmler erinnerte an Ge^.lde, die es seit Jahrhunderten<br />
als pol ische Einheiten nicht mehr gibt wie den<br />
Hegau und die Ortenau, dennoch bestehen ihre <strong>Geschichtsverein</strong>e.<br />
Für Hohenzollern komme übert_'.?s hinzu, daß<br />
künftig niemand anders als eben der Verein die Tradition<br />
und die Pflege der Forschung weitertragen müsse. Dazu<br />
sei n breites geistiges wie wirtschaftliches Fundament<br />
vonnötigen, Dr. Stemmler hielt es daher für wünschenswert,<br />
daß der Verein noch mehr Mitglieder haben sollte.<br />
Frick<br />
ähnliches errichtet gewesen sein. Ebenso geht aus dem<br />
Bericht hervor, daß das Schiößlein von Thaiheim nicht<br />
erst unter dem Fürsten Josef Friedrich von S jmaringen<br />
(1715—69) errichtet sein kann. Kr.<br />
Die Gammertinger Schachfiguren und Spielsteine von den<br />
Grabungen beim sog. Alten Schloß Baldenstein an der<br />
Fehla von 1963/64 sind sowohl in „Fundberichte aus<br />
Schwaben" (Neue Folge XVII, Stuttgart 1965, Tafel 45)<br />
als auch im „Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen<br />
in Baden-Württemberg" 1968 S. 237 f. veröffentlicht. Ob<br />
die Spielsteine tatsächlich zum Teil erst aus dem 13. Jahrhundert<br />
stammen, wie angenommen wird, ist durch a.:<br />
Identifizierung des „Alten Schlosses" ml r der Burg emes<br />
vor 1138 ans Kloster Zwiefalten gelangten Dörfleins<br />
Baldenstein zweifelhaft geworden (Hohenz. Heimat 1968,<br />
59 und Blätter des Schwäb. Albvereins 1969, 7). Denn<br />
d:
HERBERT BURKARTH<br />
Der Weiler unter Lichtenstein<br />
Eine abgegangene Siedlung zwischen Neufra und Gauselfingen<br />
Die mündliche Überlieferung in Neufra wußte schon<br />
immer von einem Ort zu berichten, der unterhalb der<br />
Burg Lichtenstein lag. Ja es wird sogar behauptet, daß<br />
das ganze Dorf früher dort gestanden habe. Der Bericht<br />
wird durch die Behauptung gestützt, daß man beim Bahnbau<br />
Spuren von Häusern gefunden habe. Beides, um es<br />
vorwegzunehmen, stimmt nicht. Immerhin war die Obere<br />
Mühle, die 1969 dem Straßenbau weichen mußte, ein<br />
Hinweis auf eine Siedlung in dieser Gegend. Edmund<br />
Bercker (Patrozinien im Kreis Sigmaringen) schreibt<br />
unter Neufra: Abgegangene Siedlung. Weiler: Etwa 2 km<br />
nordwestlich Neufra, rechts der Fehla, wird diese abgegangene<br />
Siedlung zu suchen sein. 1468 wird eine Wiese<br />
„lyt im wyler" genannt. 1547 heißt es von einer Wiese<br />
„im Weyller" und 1581 „am Weiller Rieth under Lichtenstein"<br />
und den „Weilerhalden".<br />
Flurnamen überleben Jahrhunderte<br />
Außer den von Bercker genannten Quellen kommt die<br />
Bezeichnung Weiler in zahlreichen anderen Flurbeschreibungen<br />
und Lagerbüchern vor. Befragung von Einwohnern<br />
aus Neufra ergab, daß die Bezeichnung Weiler, wenn<br />
auch nicht mehr geläufig, so doch noch bekannt ist, auch<br />
in verschiedenen Formen: Im Weiler, Weilerwiesen, Weilertäle<br />
und Weilerschachen. Damit ist auch die Lage klar.<br />
Die Siedlung muß sich östlich der Fehla, unmittelbar an<br />
der Markungsgrenze zu Gauselfingen befunden haben.<br />
Obwohl der Neubau der Bundesstraße 32 Ende 1969<br />
direkt durch das bezeichnete Gelände ging, wurden keinerlei<br />
Siedlungsspuren gefunden.<br />
Burgsiedlung der Lichtensteiner?<br />
Man beobachtet immer wieder, daß sich in unmittelbarer<br />
Nähe bedeutenderer Burgen und eine solche dürfte Lichtenstein<br />
wohl gewesen sein, eine Siedlung befand. Meistens<br />
gehörte zu der Siedlung auch eine Mühle. Urkundlich<br />
läßt sich über das Alter der Oberen Mühle bisher<br />
nichts nachweisen. Im abgebrochenen Keller fand sich<br />
eine Inschrift mit der Jahreszahl 1710. Für das Fehlen<br />
urkundlicher Nachrichten gibt es übrigens eine einfache<br />
Erklärung. Die Mühle war Eigentum der Herrschaft und<br />
deshalb nicht abgabepflichtig. Sie wird daher in Lagerbüchern<br />
auch nicht erwähnt. Es läßt sich nur vermuten,<br />
daß die Mühle letztes Überbleibsel des Weilers unter Lichtenstein<br />
war.<br />
War es die Siedlung Krissenbuch?<br />
Als Stammväter der Lichtensteiner möchte ich die Brüder<br />
Milo und Heinrich ansehen, die vor 1140 vom Zwiefalter<br />
Chronisten Berthold genannt werden. Sie waren adelige<br />
Dienstleute des Grafen Ulrich von Gammertingen und<br />
hatten Besitz in Neufra, Mägerkingen und einem abgegangenen<br />
Ort Krissenbuch. Der Ort wurde bisher (Oberamtsbeschreibung<br />
Münsingen) im nördlichsten Teil des<br />
Kreises Münsingen vermutet, wo ein Flurname Kreisbuch<br />
vorkommt. Viel wahrscheinlicher ist aber doch, daß sich<br />
der Ort irgendwo im Umkreis von Neufra — Gammertingen<br />
— Mägerkingen befand. Es ist allerdings zweifelhaft,<br />
ob Krissenbuch und der Weiler unter Lichtenstein<br />
59
identisch sind, denn es fehlt jeder Hinweis in Flurnamen<br />
usw. Andererseits heißt es ausdrücklich, daß die Brüder<br />
Heinrich und Milo dem Kloster Zwiefalten zwei Huben<br />
in Kassenbuch schenkten, durch die Hand ihres Herren,<br />
des Grafen Ulrich von Gammertingen. Die Gegend um<br />
Gammertingen ist also höchst „verdächtig".<br />
Das Lichtensteiner Lehen<br />
Nach Aussterben der Grafen von Gammertingen befand<br />
sich das Gebiet nördlich von Gammertingen (Mägerkingen,<br />
Hausen a. L., damals noch Zeidelhausen genannt,<br />
halb Bronnen und halb Neufra) in Besitz der Grafen von<br />
Württemberg. Zu dem „halben Dorf Neufra" gehörten<br />
auch die Burgen Lichtenstein. Vermutlich wurde der<br />
Weiler unter Lichtenstein im 14. Jahrhundert aufgegeben<br />
und die Bewohner zogen nach Neufra. Wahrscheinlich<br />
ließen sie sich geschlossen im Oberdorf nieder. Man findet<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hoh<strong>enzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />
in Verbindung mit den Staatlichen<br />
Schulämtern Hechingen und Sigmaringen.<br />
Verlag: Hoh<strong>enzollerische</strong>r<strong>Geschichtsverein</strong><br />
748 Sigmaringen, Karlstraße3. Drude: M. Liehners<br />
Hof buchdruckerei KG, 748 Sigmaringen,<br />
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Die Zeitschrift ,Hoh<strong>enzollerische</strong> Heimat" ist<br />
eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will besonders<br />
die Bevölkerung in Hohenzollern mit<br />
der Geschichte ihrer Heimat vertraut machen.<br />
Sie bringt neben fachhistorischen auch populär<br />
gehaltene Beiträge aus der Geschichte unseres<br />
Landes. Sie veröffentlicht bevorzugt Beiträge,<br />
die im Schulunterricht verwendet werden können.<br />
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Die Mitarbeiter dieser Nummer:<br />
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Landrat a. D.<br />
Johannisberg im Rheingau<br />
Dr. med. Herbert Burkarth<br />
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tyf'ther Frick, Journalist<br />
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Schriftleiter:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth<br />
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heute noch im Oberdorf die typisch württembergische<br />
Hausform, wie sie in Hausen und Mägerkingen vorkommt.<br />
Nach 1400 verfielen die Burgen Lichtenstein. Das<br />
Gebiet um die Burgen und die Markung des ehemaligen<br />
Weilers bildeten das sogenannte Lichtensteiner Lehen, um<br />
das die jeweiligen Inhaber der Herrschaft Gammertingen<br />
in Stuttgart bitten mußten. Es wurde „nach altem Herkommen"<br />
auch immer wieder verliehen. Nur bestimmte<br />
Forst- und Jagdrechte behielt sich Württemberg vor. Zu<br />
Anfang des 19. Jahrhunderts verkauften die Herren von<br />
Speth-Gammertingen die Obere Mühle an den Urgroßvater<br />
des letzten Müllers. Im Herbst 1969 wurde die<br />
Mühle, die mehr und mehr zum Verkehrshindernis geworden<br />
war, angezündet. Der Abbruch des soliden Eichenfachwerkes<br />
wäre zu teuer gewesen. So ging ein Stück<br />
Geschichte, das letzte Gebäude eines vergessenen Ortes,<br />
in Rauch und Flammen auf.<br />
Redaktionsausschuß:<br />
Hubert Deck, Konrektor<br />
745 Hechingen, Tübinger Straße 28<br />
Telefon 07471/2937<br />
Walther Frick, Journalist<br />
748 Sigmaringen, Hohe Tannen<br />
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Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />
persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />
diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge verantwortlich.<br />
Mitteilungen der Schriftleitung<br />
sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare werden<br />
an die Adresse des Schriftleiters oder Redaktionsausschusses<br />
erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die „Hoh<strong>enzollerische</strong><br />
Heimat" weiter zu empfehlen.
WALTHER FRICK<br />
Sankt Nikolaus im Schwabenland<br />
Er nnerung an den Archivar Eugen Schnell<br />
Der heilige Nikolaus als Vorbote von Weihnachten hält<br />
sich immer noch; er ist in Hohenzollern nur in den Auslagen<br />
der Schaufenster zum nichtssagenden Weihnachtsmann<br />
degradiert worden, aber das ist schon seit den<br />
zwanziger Jahren so. Weniger bekannt ist, daß ein Mann<br />
aus Hohenzollern, der damalige Leiter des Fürstlich Hohenzollern'schen<br />
Haus- und Domänenarchivs, Eugen<br />
Schnell, als Nikolausforscher tätig war. Schnell war übrigens<br />
auch ein Dichter, der in dem Buch „Dichterstimmen<br />
aus Hohenzollern" von Ludwig Egler vertreten ist.<br />
„Sankt Nikolaus, der heilige Bischof und Kinderfreund,<br />
sein Fest und seine Gaben", nannte Eugen Schnell seine<br />
Arbeit, die in mehreren Heften nacheinander in den 80er<br />
Jahren herauskam. Die Hefte sind enthalten (wie übrigens<br />
auch die eben erwähnte Anthologie hoh<strong>enzollerische</strong>r Dichter)<br />
in der Bibliothek des Kommunalverbands in Sigmaringen.<br />
Der Schreiber dieser Zeilen hat sich von Dr. Rudolf<br />
Seigel, einem der Nachfolger Schnells auf seinem<br />
Platz im Archiv sagen lassen, daß noch heute in dem kleinen<br />
Kreis europäischer Nikolausforscher jedermann über<br />
Schnell Bescheid weiß und seine Arbeit benutzt.<br />
Eugen Schnell, nach dem in Sigmaringen eine kurze<br />
Straße benannt ist, sammelte alles, was er über den Heiligen<br />
erfahren konnte. Ihm kam zustatten, daß gerade<br />
erst, 1866, ein Prinz aus Sigmaringen Fürst (später König)<br />
von Rumänien wurde. Damit begannen enge Fäden<br />
gewoben zu werden, und Schnell erwähnt an einer Stelle<br />
geradezu die Unterstützung des Hauses Hohenzollern-<br />
Rumänien in seinen Arbeiten zur Frage der Verehrung<br />
des Heiligen im Bereich des Balkan und der Ostkirchen.<br />
Dieser Teil seiner Arbeit fiel denn auch besonders reichhaltig<br />
aus.<br />
Der Sammler hat mit einem bewundernswerten Fleiß<br />
alles zusammengetragen, was nur irgendwo zu wissen<br />
stand über Nikolaus. Hymnen aus östlichen Kirchen,<br />
selbst aus Armenien, hat er zum Teil in ganzer Länge<br />
wiedergegeben. Er berichtet über aje hohe Bedeutung des<br />
Heiligen in Rußland, wo selbst Zaren NikSlai hießen.<br />
Brauchtum in Polen, Wettersprüche zu seinem Tag, Legenden,<br />
ganze Meßtexte zu seinen Ehren zählt er auf. Er<br />
erwähnt auch den Widerspruch zwischen Italienern, dio<br />
behaupten, der Heilige läge in Bari begraben, und den<br />
Russen, die ihn von dort in den 1830er Jahren entwendet<br />
haben wollten. Sogar der reichste Mann zu Schnells Zeiten,<br />
angeblich ein argentinischer Landbesitzer, wird erwähnt,<br />
nur weil er Nikolaus heißt. Die Orte, die den<br />
Namen des Heiligen tragen, fehlen niJit, auch nicht die<br />
skandinavische Niels, Nielson und Niellsen in allen<br />
Schreibarten; Schnell weiß auch, daß der „Nick", dänischer<br />
Name für den Bischof der Seemannsmission. Das<br />
erinnert daran, daß Nikolaus aufgrund seiner zahlreichen<br />
Sepfahrt-Legenden ein Patron der Schiffer ist.<br />
Wenn Schnell seine Arbeit eine „kirchen- und kulturgeschichtliche<br />
Abhandlung und Beitrag zur Klärung der<br />
christlichen und heidnischen Mythologie .. ." bezeichnet,<br />
so übertreibt er keineswegs. Sicherlich wäre selbst in der<br />
Erinnerung vieles von dem verloren gegangen, was auf<br />
dem breiten Landgürtel vom Baltikum bis zum Schwarzen<br />
Meer von Schnell zusammengetragen wurde Tatsächlich<br />
dürfte das Meiste durch die russische Revolution<br />
verlorengegangen sein. Aber in Sigmaringen saß ein stiller<br />
Gelehrter in seinen Mußestunden über seinen Nikolaus-<br />
Notizen und hinterließ so ein kulturgeschichtliches Erbe,<br />
das sonst verloren wäre.<br />
Zwei B:lder hat Schnell seinem Heft beigefügt, Darstellungen<br />
aus der Nikolaus-Verehrung der Ostkirchen, von<br />
denen wir hier eines widergeben. Es unterscheidet sich<br />
wesentlich von „unserem" westlichen Nikolaus. Der Heilige<br />
ist hier an Attributen nicht kenntlich, denn eine Kirche<br />
tragen viele Heilige auf der Hand, Es fehlen Mitra<br />
und Krummstab, es fehlen vor allem die drei goldenen<br />
Kugeln auf dem Buch, das Nikolaus bei uns in der Hand<br />
h;":. Dafür ist er kenntlich an der griechischen Umschiift,<br />
die zu deutsch iautet „Der heilige Nikolaus".<br />
„Hausen am Andelsbach"<br />
N'KÜAAC<br />
Nach längerer Zeit ist wieder einmal ein ganzes Buch über<br />
eine hoh<strong>enzollerische</strong> Gemeinde erschienen, verfaßt von<br />
inem Laien: Josef Mühlebach hat seiner Heimatgemeinde<br />
Hausen am Andelsbach ein Werk gewidmet, an dem er,<br />
wie er be der 7b0-Jahr-Feier der Gemeinde sagte, rund<br />
dreißig Jahre gearbeitet hat, unter tätiger Mithilfe seiner<br />
Frau Mailanne. Dieses Buch, rechtzeitig fertig zu dem<br />
genannten Fest im soeben vergangenen Herbst, hat Mühlebach<br />
die Ehrenbürgerwürde Hausens eingetragen. Das<br />
Werk selber haben wir vor, in der nächsten Nummer der<br />
„Hoh<strong>enzollerische</strong>n Heimat" im April zu würdigen.<br />
61
HERBERT BURKARTH<br />
Der Besitz des ehemaligen Frauenklosters Mariaberg<br />
in hoh<strong>enzollerische</strong>n Ortschaften<br />
Das Frauenkloster Mariaberg kam 1802 an Württemberg<br />
mit der Begründung, daß es „gänzlich von Zwiefalten abhängig"<br />
sei. Das stimmt aber nicht, denn Mariaberg<br />
unterstand nur der geistlichen Aufsicht von Zwiefalten.<br />
Das Kloster war aus seiner Umgebung heraus entstanden<br />
und lebte mit ihr. Bis 1700 waren die jeweiligen Inhaber<br />
der Herrschaft Gammertingen Schirmvögte. Danach war<br />
das Kloster völlig selbständig. Es bestand nur eine lose<br />
Verbindung zur Reichsritterschaft in Ehingen. Die Gründungsgesrhichte<br />
von Mariaberg ist bis heute nicht aufgeklärt.<br />
Es entstand aus dem Rittergut Berg, dessen Inhaber<br />
nach der Gründungsaussage die Grafen von Montfort<br />
waren. Die spätere Tradition bezeichnet neben den Grafen<br />
von Montfort die Grafen von Württemberg und die Grafen<br />
von Veringen als Klosterstifter. Nur der Anteil der<br />
Grafen von Württemberg (Grf. Ulrich der Stifter) läßt<br />
sich noch abgrenzen. Von dieser Seite stammte ein Teil<br />
des Dorfes Bronnen und 4 Höfe in Mägerkingen; vielleicht<br />
auch Besitz in Neufra. Neben dem eigentlichen Klostergebiet<br />
hatte Mariaberg weit verstreuten Besitz in der<br />
Umgebung, der von Sigmaringen im Süden, bis Reutlingen<br />
im Norden reichte. Der Streubesitz konzentrierte sich<br />
aber hauptsächlich in der Herrschaft Gammertingen.<br />
Erwerb und Arten des Besitzes<br />
Im Anfang einer Klostergründung stand immer eine<br />
größere Schenkung als Grundstock, um das Kloster überhaupt<br />
lebensfähig zu machen. Wie schon erwähnt, läßt<br />
sich dies in unserem Fall geschichtlich nicht mehr erfassen.<br />
Erst ab 1300 unterrichten die Urkunden über Erwerb und<br />
Verlust von Besitz. In der Frühzeit standen Stiftungen<br />
und Schenkungen im Vordergrund Im 14. und 15. Jahrhundert<br />
wurde der Besitz hauptsächlich durch Käufe von<br />
Grundstücken und Rechten erweitert Hinzu kam die Mitgift<br />
von Klosterfrauen, Stiftungen von Zinsen für Seelenmessen<br />
und Einkäufen von Pfrüdnern.<br />
Dit Höfe des Klosters in der Umgebung werden als Erblehen<br />
bezeichnet. Da alle Höfe gleichzeitig der jeweiligen<br />
Grundherrschaft erblehenspflichtig waren, dürfte die Bezeichnung<br />
Erblehen nicht ganz korrekt sein. Wahrscheinlich<br />
handelte es sich meistens nur um Teile eines Erblehens<br />
oder Vogtrechte. So mußten z. B. alle Höfe in<br />
Neufra eine Abgabe von Vogthaber leisten. Weglösin<br />
(Abgabe be-'m Tode des Inhabers) ist selten. Nur in Mägerkingen<br />
mußten die Höfe Weglösin und Handlohn<br />
geben (Handlohn bei der Übernahme durch einen neuen<br />
Inhaber). Auch die Hohe der Abgaben ist sehr unterschiedlich.<br />
Sie bestanden aus Geld, Veesen, Haber,<br />
Schweineschultern, Hühnern und Eiern. Die Abgabe von<br />
Hühnern erfolgte teilweise als Herbst oder Fastnachtshennen,<br />
was die Anerkennung einer Leibeigenschaft bedeutet.<br />
Die Rechtsverhältnisse sind also sehr kompliziert<br />
und kaum mehr zu entwirren. Grundlage vorliegender<br />
Untersuchung ist das Lagerbuch von 1727, das um 1750<br />
abgeschlossen wurde. Der Teil des Lagerbuches, welcher<br />
die Orte des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen betrifft,<br />
kam nach der Säkularisation nach Sigmaringen. Er<br />
befindet sich jetzt im Fürstlichen Ärch v. Der andere Teil<br />
kam in das Kammeralamt Pfullingen. Es befindet sich<br />
jetzt mit dem ehemaligen Klosterarchiv im Hauptstaatsarchiv<br />
Stuttgart. Es sind auch noch ältere Lagerbücher<br />
62<br />
vorhanden, die jedoch nicht so ausführlich sind. Der Erwerb<br />
des Klosterbesitzes nach 1300 ist teilweise noch aus<br />
den Urkunden des Klosterarchives zu ermitteln. Die Urkunden<br />
aus der Zeit vor 1300 sind Fälschungen und deshalb<br />
nicht verwertbar.<br />
Sigmaringen<br />
Der Besitz des Klosters in Sigmaringen bestand aus zwei<br />
Wiesen, der Hedinger Wies und der Käppeleswies am<br />
Laizer Fußweg. Der Besitz umfaßte 4 Mannsmahd, dürfte<br />
also nur einen Teil der genannten Fluren darstellen.<br />
Hettingen<br />
Die Einkünfte aus Hettingen waren klein. Das Kloster<br />
hatte hier ein Haus „am Brunnen" (unterhalb des „Ochsen")<br />
und einen Garten bei der Kapelle. Das Haus war<br />
auf einer Wiese erbaut, die 1410 der Gammertinger Bürger<br />
Heinz Schipfer seiner Tochter Othilia im Kloster zu<br />
Berg vermacht hatte. 1364 vermachte Konrad der Mälchinger,<br />
gesessen zu Hustnegg (bei Gammertingen) dem<br />
Kloster seine Wiese in der Braite zu Hettingen, des Mälchingers<br />
Acker genannt. Das Grundstück wurde später<br />
verkauft. 1474 hatte das Kloster in Hettingen noch 5<br />
Grundstücke.<br />
Kettenacker<br />
Mit dem Besitz in Kettenacker hatte das Kloster viel<br />
Ärger. 1445 erwarb Mariaberg von Heinz Späglin, Bürger<br />
zu Gammertingen, einen Hof in Kettenacker. In einer<br />
Urkunde von 1447 machte der Grundherr Hans von Rechberg<br />
„um seines Seelenheiles willen" den Hof lehensfrei.<br />
Das bedeutete, daß das Kloster den Hof als Fallehen<br />
ansah und ihn nur für eine beträchtliche Summe (Ehrschatz)<br />
verlieh. Außerdem wurden Abgaben an die weltliche<br />
Herrschaft (Speth zu Hettingen) verweigert. Von<br />
dieser wurde clie Rech'bergsche Urkunde nie anerkannt.<br />
Vermutlich ist sie tatsächlich eine Fälschung, denn sie<br />
unterscheidet sich in der Schrift deutlich von den anderen<br />
Rechbcrgcr Urkunden. Auch entsprach es durchaus nicht<br />
dem Charakter des „Tollen Rechbergers", sich für sein<br />
Seelenheil in Unkosten zu stürzen. Die Folge war ein<br />
Prozeß, der sich über mehr als zweihundert Jahre hinzog.<br />
Erst am Ende des 18. Jahrhunderts kam es zu einer gütlichen<br />
Einigung. Zahlreiche Briefe und Rechtsgutachten<br />
über diesen Streit be: Inden sich im Fürstlichen Archiv<br />
Sigmaringen und im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Außer<br />
diesem Lehenshof hatte das Kloster in Kettenacker noch<br />
ein kleineres Gut, aus dem es eine Abgabe an Getreide<br />
bezog.<br />
Gammertingen<br />
In Gammertingen hatte das Kloster seinen größten auswärtigen<br />
Besitz. Mindestens ein Drittel der Markung war<br />
in irgendeiner Form nach Mariaberg zinspflichtig. Der<br />
Besitz war teilweise sehr alt. Schon 1299 verzichtete Graf<br />
Heinrich von Veringen auf seine Gefälle, die er von Leuten<br />
bezog, die dem Kloster zu Berg und dem St.-Michaels-<br />
Altar zu Gammertingen zinsbar waren. In der gleichen<br />
Urkunde wird ein Grundstück des Klosters erwähnt, gelegen<br />
an dem Weiher zu Gammertingen. Dieser Weiher<br />
lag in der Gegend des heutigen Hotel „Kreuz". Später
wurde das Grundstück als „Kiverlinswies" bezeichnet,<br />
nach dem Ritter Kiverli (aus der Familie der Lichtensteiner)<br />
aus Gammertingen. Das Mariaberger Lagerbuch<br />
nennt noch die uralten Gammertinger Hofnamen, die sich<br />
nur noch teilweise erklären lassen: Des Herrlins Hof, des<br />
Wachingers Hof, des Würthes Hof, des Gommeringers<br />
Hof, des Gärtlens Hof und der Mayerhof. Der Herrlins<br />
Hof stammt von dem Niederadeligen Klaus von Pflummern.<br />
1327 und 1330 erwarb Mariaberg Güter von Klaus<br />
von Pflummern. Da seine Frau Gertrud zustimmen<br />
mußte, ist anzunehmen, daß sie aus Gammertingen<br />
stammte. U. a. wurde das Gut Birkisberg verkauft, das<br />
an der Markungsgrenze nach Feldhausen liegt. Der<br />
Wachinger Hof geht auf einen Uoz von Wachingen zurück,<br />
der ebenfalls in Mariaberger Urkunden vorkommt.<br />
Der Mayerhof lag in der Nähe der Unteren Mühle. Aus<br />
diesem Hof bezog das Kloster nur 2 Pfd. Hlr. 1396 hatte<br />
das Kloster auf seine Rechte an der Kiverlinswies (s. o.)<br />
verzichtet und dafür 2 Pfd. Hlr. aus dem Mayerhof bekommen.<br />
1344 verkaufte Schultheiß Ulrich Nelle von<br />
Gammertingen dem Kloster die Hälfte der Mühle vor<br />
dem Tor (Untere Mühle) zu Gammertingen. 1438 heißt<br />
es aber, daß die Mühle seit 80 Jahren vergangen und wüst<br />
gelegen. Sie wurde jetzt neu erstellt. Später wurde der<br />
Zins, den die Mühle bringen sollte, auf eine Taverne in<br />
Harthausen b. F. gelegt. Es würde hier zu weit führen,<br />
alle Verkäufe und Stiftungen Gammertinger Adeliger und<br />
Bürger aufzuführen. Erwähnt sei nur noch, daß die<br />
Blaizeäcker (heute aufgeforstet) freies Eigentum des Klosters<br />
waren und daß Mariaberg aus der Badstube zu Gammertingen<br />
einen Zins bezog. Außerdem hatte es eine Anzahl<br />
Wiesen, Hanfgärten usw., die frei verliehen wurden.<br />
Die Gammertinger brachten ihre Abgaben durch das Kruchental<br />
in die Mühle nach Mariaberg. Dort haben sich bis<br />
heute die Flurnamen Mühlhalde und Mühlweg erhalten.<br />
Neufra<br />
Der Mariaberger Besitz in Neufra war ursprünglich sehr<br />
umfangreich. Im 16. Jahrhundert waren es noch 11 Hofe,<br />
Güter und Lehen, die alle einen Zins an Geld, Vogthaber,<br />
E'trn und Herbsthühner entrichteten. Aus den Urkunden<br />
geht über den Erwerb der Güter in Neufra nichts hervor.<br />
Es ist daher anzunehmen, daß der Besitz sehr alt ist. Möglich<br />
wäre, daß er aus einer Württembergischen Stiftung<br />
stammt (LiChtensti mer Lehen). Auch die Einzeigrundstücke<br />
liegen unterhalb der Burgen Lichtenstein. So heißt<br />
es: „3V2 Mannsmahd" Wiesen im Weiler (abgegangene<br />
Siedlung im Fehlatal), 10 Mannsmahd Wiesen im Weiler<br />
zwischen Briel und Fehlen gelegen, 1 Mannsmahd Wiesen<br />
am Lichtensteiner Weiher an der Fehlan und dem Wald<br />
gelegen" (der Weiher war ein Fischweiher unterhalb Lichtenstein).<br />
Ganz eigenartig ist, daß das Kloster fast seinen<br />
ganzen Besitz in Neufra schon im 16. Jahrhundert aufgegeben<br />
hat. Die Inhaber der Güter lösten Zinsen und<br />
Abgaben durch Zahlung einer Geldsumme ab. Da dies in<br />
Neufra innerhalb einer kurzen Zeit vor sich ging, muß ein<br />
besonderer Grund vorgelegen haben, über den aber leider<br />
bisher nichts bekannt ist. Im Lagerbuch ist nur die Tatsache<br />
der Ablösung vermerkt.<br />
Feldhausen<br />
Die Feldhauser Klosterguter wurden größtenteils im 14.<br />
und 15. Jahrhundert gekauft. Verkäufer waren die Herren<br />
von Lichtenstein, Bürger aus Gammertingen und<br />
Trochtelfingen. I in Gut stammte von der Heiligenpflege<br />
Meldungen. Im 18 Jahrhundert hatte das Kloster in Feldhausen<br />
5 Güter: Des Hoppen Gut, des Bücken Hof (der<br />
Name Buck kommt heute in Feldhausen noch vor), des<br />
Starkhen Gut und zwei Erblehen ohne Hofnamen. Außer-<br />
dem mußten zwei Häuser einen Zins bezahlen. Eines war<br />
am Höllenlöchle gelegen. Freies Eigentum des Klosters<br />
waren zwe- Hanfgärten und drei Äcker. Im Lagerbuch<br />
des Klosters werden übrigens immer noch Holzwiesen<br />
verzeichnet, eine Wirtschaftsform, die es im 18. Jahrhundert<br />
längst nicht mehr gab. Holzwiesen kommt auf<br />
Markung Feldhäusen heute als Flurname vor (beim Parkplatz<br />
Ottersberg).<br />
Harthausen bei Feldhausen<br />
Harthausen wird in den älteren Urkunden von Mariaberg<br />
als Harthausen uff Albe bezeichnet. Auch hier wurden<br />
die meisten Güter käuflich erworben. Es ist ganz auffallend,<br />
daß das Kloster bei den Güterkäufen die Orte<br />
Gammertingen, Feldhasuen und Harthausen bevorzugte.<br />
Da die Herren von Gammertingen gleichzeitig Schirmvögte<br />
des Klosters waren, hielt man vermutlich Besitz ; n<br />
diesem Gebiet für besonders sicher. Mariaberg hatte in<br />
Harthausen sechs Güter bzw. Erblehen. Verkäufer waren,<br />
wie in Feldhausen, hauptsächlich Gammertinger und<br />
Trochtelfinger Bürger, aber auch die Herren von Steinhilben.<br />
Die Höfe hatten vor allem Getreide zu liefern.<br />
Ein Hof mußte ein Viertel Hanfsamen abgeben. Auch in<br />
Feldhausen gab es einen Hof, der Hanfsamen oder Erbsen<br />
liefern mußte. An Getreide mußte immer die gleiche<br />
Menge Veesen und Haber abgeliefert werden, während<br />
z. B. die Höfe in Gammertingen doppelt soviel Veesen<br />
wie Haber zu liefern hatten. Wahrscheinlich hängt dies<br />
mit der Wirtschaftsform in den einzelnen Orten zusammen.<br />
Auch heute noch wird in diesen Orten auf der Alb<br />
mehr Hafer angebaut, als in Tallagen.<br />
Inneringen<br />
Hier besaß Mariaberg ein Erblehen. Dieses Gut hatte um<br />
1300 Ritter Gerloch von Steinhilben mit seinen Söhnen<br />
um seines Seelenheiles willen dem Kloster gestiftet. Falls<br />
das Kloster vergehen sollte, falle alles an die Prediger zu<br />
Rottweil. Dazu kam es aber nicht. Noch Im 18. Jahrhundert<br />
gehörte der Hof Manaberg. Die Abgabe betrug<br />
9 Viertel Kernen nach des Dorfes Maß und 24 Viertel<br />
Haber. Hier gab es also noch mehr Haber, als in Feldhausen-Harthausen.<br />
Der Hof mußte auch Weglösin geben. In<br />
der Stiftungsurkunde ist ausdrücklich vermerkt, daß der<br />
Hof freies Eigentum des Gerloch von Steinhilben war; es<br />
handelt sich also um ein echtes Erblehen.<br />
Trochtelfingen<br />
In Trochtelfingen hatte Mariaberg ein Erblehen, zwei<br />
Wiesen, drei Gärten und Zins aus vier Häusern. Auch in<br />
Trochtelfingen bezog das Kloster einen Zins aus der alten<br />
Badstube. Obwohl Mariaberg zur Stadt Trochtelfingen<br />
zahlreiche Beziehungen hatte (viele Nonnen stammten aus<br />
Trochtelfingen), ist urkundlich über den Erwerb des Besitzes<br />
nichts bekannt.<br />
Steinhilben<br />
In diesem Ort waren zwei Erblehen dem Kloster zinspflichtig.<br />
Eines mußte auch Weglösin geben. Wie in Feldhausen<br />
und Harthausen mußten Veesen und Haber in<br />
gleicher Menge geliefert werden. Außer den beiden Höfen<br />
hatte Mariaberg in Steinhilben noch zehn Einzelgrundstucke,<br />
die verpachtet wurden. 1364 verkaufte Dyeme von<br />
Stainhülin dem Kloster Wiesen zu Steinhilben, die man<br />
nennt Schwarzhülin. 1371 vermachte Wetzek der Maiser<br />
von Stainhulw, Bürger zu Reutlingen, einen Hof ans<br />
Kloster. Eine weitere Stiftung machte 1383 Adelheid die<br />
Maiserin, die ihren eigenen Hof, genannt des kleinen<br />
Maisers Hof, dem Kloster schenkte. Auch Trochtelfinger<br />
Bürger übergaben Besitz in Steinhilben an Mariaberg.<br />
63
Gauselfingen<br />
Über die Güter in Gauselfingen sind im Ma aberger Archiv<br />
eine ganze Anzahl von Urkunden vorhanden. Dabei<br />
war der Besitz nicht einmal sehr groß. Es waren zwei<br />
Güter, eines von ihnen des Dettingers Gut, das immer wieder<br />
in Urkunden erscheint. Außerdem hatte das Kloster<br />
ein Gärtie und bezog Abgaben aus zwei herrschaftlichen<br />
Gütern. Der Flurname Nonnenwiesen erinnert heute noch<br />
an den alten Besitz. Die Getreideabgaben aus den Gauselfinger<br />
Gütern erfolgten nach Vöhringer Maß. Vermutlich<br />
hängt das mit dem uralten Besitz der St. Michaelskirche<br />
von Veringendorf im Fehlatal zusammen. Nicht nur in<br />
Gauselfingen, sondern auch in dem zu Gammertingcn gehörenden<br />
Teil des Fehlatales läßt sich „vöhringendorfischer"<br />
Besitz nachweisen.<br />
Burladingen<br />
Der Burladinger „Klosterhof" gehörte ursprünglich nicht<br />
nach Burladingen, sondern zu dem abgegangenen Ort<br />
Mayingen. Im Zinsbuch von 1472 wird das Lehen, das<br />
1727 13 (!) Inhaber hatte, noch unter Mayingen genannt.<br />
1362 hatte Heinrich Spät von Schirmberg sein Gut zu<br />
Mayingen um seines Seelenheiles willen dem Kloster geschenkt.<br />
Die Lage der Burg Schirmberg ist bis heute ungeklärt.<br />
Vermutlich wird sie aber nicht weit vom Fehlatal<br />
zu suchen s n.<br />
Hausen im Killertal<br />
Ein Baumgärtie war der einzige Besitz von Mariaberg in<br />
Hausen i. K Dafür w' d im Lagerbuch genau angegeben,<br />
was im Garten stand: 4 Apfelbäume, 2 Wasserbirnen und<br />
noch andere Bäume. Auf den Genuß der Äpfel und Wasserbirnen<br />
legten die Nonnen keinen Wert, denn der Garten<br />
wurde gegen Geld verpachtet.<br />
Jungingen<br />
Aus einem Haus und Garten, darauf vor diesem die<br />
Badstube gestanden, bezog das Kloster 1 Pfd. Heller Zins.<br />
64<br />
^echingea<br />
Zollerland<br />
zv« «chen Alb<br />
UMCI<br />
Schwarz wa kl j n<br />
Ein weiterer Zins kam aus einem Haus und Garten an der<br />
Starzel gelegen. In Jungingen waren außerdem 2x10<br />
Gulden Kapital ausgeliehen, die je 30 Heller Zins brachten.<br />
Hörschwag<br />
Mariaberg hatte hier vier Grundstücke, die verpachtet<br />
waren. Aus 9 Jauchert Acker bezog es einen Geldzins.<br />
Melchingen<br />
Der Mariaberger Hof in Melchingen war 1377 von<br />
Berchta von Melchingen dem Kloster für einen ewigen<br />
Jahrtag gestiftet worden. Die Abgaben erfolgten in Reutlinger<br />
Maß. Als einziger Mariaberger Hof mußten die<br />
Melcbinger 6 Käse liefern. Den Nonnen scheint der Melchinger<br />
Käse aber nicht recht geschmeckt zu haben, denn<br />
im Lagerbuch ist vermerkt, daß statt des Käses auch eine<br />
Geldsumme zu nehmen sei.<br />
Die vorstehende Arbeit erhebt keinerlei Anspruch auf<br />
Vollständigkeit. Das Lagerbuch von 1727 bringt eine Beschreibung<br />
jedes einzelnen Grundstückes, das zu den Mariaberger<br />
Höfen gehörte. Dabei werden uralte Dinge mitgeschleppt,<br />
weil man bestrebt war, den Besitzstand zu<br />
wahren. Auch Grundstücke, deren Lage niemand mehr<br />
kannte, werden noch beschrieben. So heißt es z. B. in einer<br />
Güterbeschreibung von 1753 (Stadtarchiv Gammertingen)<br />
der Inhaber eines Wiesplätzle gab an, selbiges sei vor<br />
Jahren bei einem Hochwasser von der Lauchert fortgeschwemmt<br />
worden. Jetzt sei nichts mehr vorhanden.<br />
Quellen: Archiv des Klosters Mariaberg im Hauptstaatsarchiv Stuttgart<br />
(B 477), Lagerbücher von 1472 bis 1727. Der Teil des Lagerbuches<br />
von 1727, der die hohenz. Orte betrifft, befindet sich im Fürstl.<br />
Archiv Sigmaringen. Eine ausführliche Beschreibung der Gammertinger<br />
Güter (1753) ist im Stadtard v Gammertingen. Auch die herrschaftlichen<br />
Lagerbücher (z. B. das Speth'sche Lagerburh von 1530)<br />
erwähnen den Mariaberger Besitz.<br />
Auszüge aus Mariaberger Urkunden brachte J. A. Kraus in den<br />
Hohenz. Jahresheften 1962 nach Unterlagen von S. Locher. Die Güter<br />
von Bronnen sind in einem eigenen Lagerbuch von 1729 niedergelegt.<br />
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