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Hochgefühle 02 2021

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Seite 16<br />

HOCHGEFÜHLE – DAS MAGAZIN DES KLAGENFURTER ALPENVEREINS<br />

Abenteuerlich<br />

Unterwegs am Osttiroler<br />

Gletscherweg<br />

Das Innergschlöß ist zweifellos ein Juwel im Reigen der drei vom Großvenediger<br />

abfließenden Täler. Stürzende Wasser, gleißende Firne, malerisches<br />

Almensemble. Viele Gipfelstürmer besuchen von hier aus über<br />

die Prager Hütte den Venediger-Gipfel. Die Nationalparkverwaltung bietet<br />

in diesem Zusammenhang seit langem als anspruchsvolle Alternative<br />

einen Gletscherweg an, um die Wunder des Hochgebirges Interessierten<br />

näherzubringen.<br />

Nix wie aufe! Es wartet das Auge Gottes.<br />

Tausendfaltige<br />

Schlattenkeeszunge,<br />

kein Wunder nach 800<br />

Jahren Wanderung!<br />

Der breite und flache Boden des Innergschlöß liegt<br />

bereits hinter uns, als gleich nach dem Überqueren<br />

einer Brücke über den Schlattenbach der Weg nordseitig<br />

markant ansteigt. Bald wird der Blick von einem<br />

geräuschvoll donnernden Wasserfall gebannt. Mitte<br />

Juli, bestes Wetter, nette Gesellschaft. Der Nordhang<br />

prangt in saftigem und blumenreichem Grün,<br />

Holzstapfel erleichtern den steilen Aufstieg und das<br />

vom Großvenediger herabfließende Schlattenkees mit<br />

seiner spaltendurchfurchten Zunge zieht unwiderstehlich<br />

die Blicke an. In dem Wort Schlatten steckt<br />

der slawische Begriff Slato, zu Deutsch Gold, entnehme<br />

ich dem Führer. Wie auch das Wort „Gschlöß“,<br />

welches aus dem slawischen „Scheleß“<br />

abgeleitet wurde, was der<br />

deutschen Bezeichnung für<br />

Eisen entspricht. Die beiden<br />

Beispiele sind Relikte<br />

aus dem ehemaligen<br />

Bergbau.<br />

Nach Überwindung<br />

des Steilaufschwunges<br />

empfängt uns<br />

eine mit Wollgras<br />

bedeckte,<br />

flache Feuchtwiese<br />

mit einer zum<br />

Verweilen einladenden<br />

Bank am Wegrand. Unter den durchwegs jungen<br />

Wanderern, die uns bisher begegneten, erscheint jetzt<br />

auch eine junge Mutti mit ihrem 8-Monate alten Baby<br />

am Rücken. An einem ins Grün eingebetteten Salzbodensee<br />

auf über 2.000 m sind später mehrere junge<br />

Frauen im Bikini erkennbar, die sich unerschrocken<br />

in die kalten Fluten stürzen und den See überqueren.<br />

Nach weiterem Höhengewinn sind wir schließlich am<br />

„Auge Gottes“ angelangt. Zwar unscheinbar an Größe,<br />

aber ungewöhnlich in seiner Form präsentiert sich<br />

uns das stille Wasser mit einer kreisrunden, grünen<br />

Insel inmitten. Aus dem daran anschließenden Moor<br />

hat man die Reste eines Zirbenstammes geborgen,<br />

mit einer Altersbestimmung von 10.000 Jahren,<br />

auf 2.160 m Höhe. Über den Ausläufer<br />

einer mächtigen, derzeit in üppiger<br />

Blütenpracht prangenden, alten<br />

Randmoräne führt der Weg<br />

zu einem weiteren reizvollen<br />

Moor.<br />

800 Jahre<br />

Wanderung!<br />

Jetzt wird die Geräuschkulisse<br />

des<br />

Schlattenbaches, der<br />

aus der bereits nahen<br />

Gletscherzunge gespeist<br />

wird, wieder stärker. Darüber, das immer noch eindrucksvolle,<br />

breite Schlattenkees, aus dem die Gipfel<br />

vom Hohen Zaun und der schwarzen Wand, zwei<br />

der zahlreichen Venediger-Vasallen, wachsen. Die<br />

Neue Prager Hütte ist im rechten Blickfeld, der Venediger-Gipfel<br />

verbirgt sich aber hinter der Weite des<br />

Schlattenkees. Ehrfürchtig und beeindruckt verweile<br />

ich staunend angesichts dieser Respekt einflößenden<br />

Hochgebirgskulisse, während meine Kameraden<br />

nach geringem Höhenverlust und Überschreiten einer<br />

Brücke jenseits des Baches warten. Es tauchen aus<br />

meiner Erinnerung Bilder einer Frühjahrsskitour zum<br />

Venediger mit meiner Frau auf, vor mehr als 40 Jahren!<br />

Die Kälte nachts in der alten Prager Hütte, nachdem<br />

wir eine einsame Spur vom Tal heraufgezogen<br />

hatten, und danach noch 1.000 Hm zum Gipfel!<br />

Jetzt allerdings sitze ich gemütlich mit meinem Team<br />

auf den sonnengewärmten Steinplatten, die der Gletscher<br />

blank geschliffen hat. Die Schwerkraft verhilft<br />

den Eismassen zu einem Abfluss, der vom obersten<br />

Nährbereich bis zur untersten Zunge etwa 800 Jahre<br />

dauert. Wenn er allerdings nicht schon unterwegs<br />

hitzebedingt abgetaut ist. Dieser Prozess schürft in<br />

Folge des enormen Gewichtes der Eismassen massiv<br />

am Felsen. Der damit verbundene Gletscherschliff<br />

bringt die diversen Farben und Strukturen des blank<br />

geschliffenen Gesteins attraktiv zur Geltung. Das alles<br />

vermittelt uns der bereits 1976 eröffnete Gletscherweg<br />

Innergschlöß, dem wir jetzt, über die Steinplatten<br />

bergauf steigend, zu einem Steinmandl folgen. Ich<br />

schätze die Anzahl der Gletscherweg-Besucher an<br />

diesem freundlichen Sommertag auf 200–300. Der<br />

von uns und einigen weiteren Wanderern erreichte<br />

Punkt ist quasi der heutige „Gipfel“. Eine holländische<br />

Familie hört man neben Bergsteigern aus England,<br />

vorwiegend aber Corona-bedingt Österreicher.<br />

Die Badenixen vom Salzbodensee sind auch wieder<br />

da, der drollige, 8-monatige Kilian wird gerade gefüttert.<br />

Ein paar Schritte bergab bringen uns zu einem<br />

Sanderboden, danach wagen sich ein paar Wanderer<br />

noch bis zur Gletscherzunge. Links zieht der Rest des<br />

zurückgewichenen Gletschers als vertikale, schuttbedeckte<br />

Seitenzunge noch 100 m talauswärts, sein<br />

Ableben ist bereits absehbar.<br />

Der Rest danach ist Abstieg, es geht wie beim Aufstieg<br />

um eine Höhendifferenz an die 700 Meter, jedoch<br />

auf anderem Wege. Wir vier „Venedigermandln“<br />

latschen schließlich inner- wie auch äußerlich bewegt<br />

wieder den flachen Boden am Bach entlang<br />

zum Venedigerhaus, angesichts der links und rechts<br />

phlegmatisch kauenden Kühe. Mit einer kräftigenden<br />

Mahlzeit klingt der wonnevolle Tag in der großartigen<br />

Hochgebirgswelt der Osttiroler Tauern aus. Noch<br />

rauscht der wildschäumende Schlattenbach, beängstigend<br />

wild! Wenn die Zukunft in gar nicht so ferner<br />

Zeit auch massiv veränderte Verhältnisse verspricht,<br />

bleibt doch die Hoffnung auf Einsicht und Abkehr vom<br />

Raubbau an Natur und Umwelt hin zu Vernunft und<br />

Einsicht. Wir alle sind gefordert!<br />

Text und Bilder: Sepp Weiss

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