argus2021_06
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te uns einen Sack mit Süßigkeiten,
ein für uns seltener
Genuss. Im Heim waren wir sofort
von den größeren Kindern umringt, am
Ende war keines der Bonbons für uns geblieben.
Schon am ersten Tag wurde uns die
Dominanz der älteren Heimbewohner bewusst. Das
Leben in dieser Einrichtung war besser als Zuhause.
Trotzdem bekamen wir nur wenig Essen. Ich war
in einem Vierbettzimmer mit weiteren acht Mädchen
untergebracht. Das kleine Heimgebiet durften wir
nie verlassen. Ein besonders strenger Heimerzieher
ist mir in Erinnerung geblieben. Wir alle hatten
große Angst vor ihm, denn er schlug uns mit einem
Besen“, berichtet die heute 18-jährige Amelia mit
einem nachdenklichen Ausdruck im Gesicht. Ihre
makellosen Deutschkenntnisse lassen nicht auf ihre
ehemalige rumänische Muttersprache schließen.
Gesellschaft
Im Heim hat Amelia vor allem eins gelernt und zwar,
für sich selbst zu sorgen. Die Tage waren lang und
grau. Daher freute sie sich, wie alle Heimkinder, immer
auf den Besuch von Organisationsgründerin
Elsa Wolfsgruber, die überall gute Laune verbreitete
und die Kinder mit Geschenkboxen, die Südtiroler
Spender zusammengestellt hatten, bescherte.
Der Neubeginn
2011 dann die Wendung: Amelia und Lorin wurde
ein Ferienaufenthalt in Italien ermöglicht. Mit
weiteren Heimkindern nahmen sie die weite Reise
nach Südtirol auf sich, wo sie in Privatfamilien
untergebracht wurden. Familie Hofer empfing
Amelia und Lorin. „Mit viel Aufregung und
Vorfreude haben wir diesem Tag entgegengefiebert.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Die beiden
stiegen aus dem klapprigen, alten Bus, liefen
zu mir herüber und haben mich ‚Mama‘
genannt“, erinnert sich Mutter Julia Hofer.
Obwohl die erste Zeit nicht ganz einfach war und
den kompletten Alltag der Familie auf den Kopf stellte,
gewannen die beiden blassen, zierlichen Kinder
sofort das Familienherz. Ihre offene und dankbare
Art machte sie liebenswert. „Anfangs waren die Kinder
überwältigt von unserem luxuriösen Alltag. Den
Teller nachfüllen, essen, wann immer man hungrig
ist, schlafen, so lange man will, an heißen Tagen ins
Schwimmbad gehen, spazieren gehen … für uns alles
selbstverständlich, für die beiden damals aber etwas
© Unsplash, V Faris Mohammed
Zwischen zwei Welten
Unglaubliches. Alles war neu und musste erst entdeckt
werden. Sie wollten alles anfassen und elektrische
Geräte wurden sofort zerlegt“, erinnert sich Julia
Hofer. Mit Händen und Füßen klappte die Verständigung
von Anfang an gut. Schnell begannen Amelia
und Lorin die ersten deutschen Wörter zu sprechen
und sich an das Leben in Südtirol zu gewöhnen. Umso
schmerzvoller war daher der Abschied im Herbst.
Die meisten rumänischen Kinder waren kaum wiederzuerkennen,
als sie den Bus Richtung Heimat bestiegen.
Sie hatten rote Wangen, leuchtende Augen,
gesunde Figuren und neue Klamotten. In Pomirla
folgte für sie ein besonders langer Winter mit eiskalten
Temperaturen. Jeden Tag dachte Amelia an den
tollen Sommer. Die Erinnerungen an ihre Herzensfamilie
schmerzten. Auch in den beiden folgenden
Sommerferien kehrten die beiden Geschwister nach
Südtirol zurück. 2013 begann ein neues Kapitel in
Amelias und Lorins Leben: Sie wurden adoptiert. Bewegt
vom Schicksal der rumänischen Kinder und um
ihr eigenes Leben zu bereichern, hatte Familie Hofer
diese bedeutende Entscheidung getroffen und damit
den langen Prozess der Adoption auf sich genommen.
argus
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