04.06.2021 Aufrufe

BIBER 06_21 lr

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Oft geben kurdische Eltern ihre Sprache

an die Kinder nicht weiter, weil sie schon

die Unterdrückung der Minderheitensprache

im Ursprungsland erfahren haben.

Dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich

gering, dass diese Sprache in Österreich

an die Kinder weitergegeben wird. Das

Problem bei „Zazaki“ ist, dass sie keine

verschriftlichte Sprache ist und dadurch

das Erlernen dieser Sprache umso

schwerer fällt.

ESRA GÖNÜLCAN: Wie kann man

Kinder motivieren, die nicht-deutsche

Familiensprache zu sprechen?

Es ist eine Herausforderung, weil

Deutsch irgendwann sehr dominant

wird. Verschiedene Menschen wie die

Oma oder der Freund deiner Schwester,

die die gleiche Sprache sprechen,

motivieren die Kinder, weil die Kinder

merken: „Ah, nicht nur Papa und Mama

sprechen diese Sprache, sondern auch

andere Menschen.“ Es ist entscheidend,

dass man wirklich konsequent bleibt. Als

Hilfe könnten Eltern Medien wie Hörbücher,

Bücher und Filme einsetzen. Es ist

wichtig, sich dabei nicht zu verkrampfen

und das Kind mit Lob und Anerkennung

zu motivieren. Auch Reisen in die

Heimatländer können dabei helfen. Das

Kind merkt dann, dass diese Sprache

von allen gesprochen wird, und wertet

sie auf.

AMAR RAJKOVIĆ: Darf man als Elternteil

mit den Kindern auch zwischen den

Sprachen switchen?

Es gibt das Prinzip „Eine Person, eine

Sprache“ und das ist absolut sinnvoll.

Durch diese Konsequenz hat die

Sprache, die von der Umgebung nicht

gesprochen wird, erst überhaupt eine

Chance, sich beim Kind zu festigen.

Dennoch ist das Alltagsleben nicht

schwarz-weiß. Manchmal, wenn ich

meiner Tochter bei den Schulaufgaben

helfe, dann erkläre ich ihr die Dinge auf

Deutsch, damit sie nicht noch einmal den

Umweg machen muss.

AMAR RAJKOVIĆ: Du bietest Seminare

und Kurse für mehrsprachige Eltern

und PädagogInnen an, die mit vielen

Sprachen im Klassenzimmer „konfrontiert“

sind. Wie läuft das Geschäft trotz

Corona?

Überraschenderweise gut.

AMAR RAJKOVIĆ: Warum überraschenderweise?

Ich bin überrascht, weil wir seit Jahrzehnten

in einer sprachlich vielfältigen

Gesellschaft leben und diese Tatsache

sollte schon längst in die Ausbildung der

PädagogInnen eingeflossen sein. Das

tat es aber nicht und die PädagogInnen

stehen vor einer mehrsprachigen Klasse.

Ich höre oft, dass sie nicht wissen, wie

sie mit der Mehrsprachigkeit umgehen

sollen.

52 / KARRIERE /

biber-Redakteurin

Esra Gönülcan hat Ihre

Mutterspache Zazaki

nie gelernt.

Ist es damit mit 20

Jahren zu spät?

AMAR RAJKOVIĆ: Das österreichische

Bildungssystem hinkt in puncto Mehrsprachigkeitsförderung

hinterher?

Es hinkt nicht nur, es fährt einen Rollator,

weil die politischen Maßnahmen nur

einseitig und allein auf die Förderung

der deutschen Sprache fokussiert sind.

Hierbei werden die Erstsprachen ausgeblendet.

Nach dem Motto: Kannst du gut

Deutsch, bist du gut genug für dieses

Schulsystem. Mit der Einführung von

Deutschförderklassen und dem Deutsch-

Eingangstest in das Bildungssystem

belastet man die Eltern und die nicht

ausreichend vorbereiteten PädagogInnen

zusätzlich. Das ist schrecklich, wenn die

Kinder diesen Druck mitbekommen und

sich als unzureichend fühlen.

AMAR RAJKOVIĆ: Wie lautet die von

PädagogInnen am häufigsten gestellte

Frage?

„Wie gehe ich damit um, wenn Kinder

untereinander eine andere Sprache

sprechen?“, bzw. „Wie kann ich das

unterbinden?“.

AMAR RAJKOVIĆ: Was ist deine Antwort?

Das Ziel ist, Möglichkeiten zu eröffnen, in

denen die Kinder ihre Sprache verwenden

können. Wie kann ich mit ihnen

auf eine wertschätzende Art und Weise

diese Arbeitssprache Deutsch vereinbaren,

wenn Sie für meinen Unterricht

wichtig ist? Wenn ich mit der Mehrsprachigkeit

didaktisch arbeite, gelingt es

mir besser, als wenn ich mich nur auf

Deutsch begrenze. Es ist kein entweder

oder, sondern es ist beides wichtig und

beides kann miteinander funktionieren.

Die Sprachen der Kinder müssen dafür

zugelassen werden, dann kann ich diese

Mehrsprachigkeit kanalisieren und mit

ihr arbeiten. Wenn ich nur Verbote und

Gebote mache, dann gibt es Widerstand

und Ängste.

AMAR RAJKOVIĆ: Gibt es konkrete

didaktische Anwendungsbeispiele, um

mehrsprachige Kinder und Jugendliche

zu fördern?

Es ist sinnvoll, im Unterricht mit allen

Sprachkompetenzen der Kinder zu

arbeiten und als Lehrperson die Sprachbiografie

der Kinder in den Unterricht

einzubinden. Wenn die Kinder im

Unterricht Vorträge halten, könnten sie das zum Beispiel

zwischendurch auch in ihren Erstsprachen machen. Ich habe

schon einmal einem Kind, dem es schwerfiel, auf Deutsch

ein Referat zu halten, den Auftrag gegeben den Vortragstext

zuerst auf seiner Erstsprache zu schreiben. Im Anschluss

hat er versucht das Ganze auf Deutsch zu erzählen. Auf

diesem Weg haben wir Deutsch erreicht und Blockaden im

Kopf gelöst. Somit hat er sich getraut, das Referat zu halten,

und hat auch bemerkt, dass er diesen Text auch auf Deutsch

schreiben könnte.

AMAR RAJKOVIĆ: Mein Sohn wächst mit Deutsch, Bosnisch

und Türkisch auf. Das bedeutet, dass er die Sprache von

rund einer halben Million Menschen in Wien spricht. Wieso

wird er eines Tages Französisch und nicht Türkisch oder

Bosnisch in der Schule lernen?

Frage nicht mich! (lächelt) Wieso gibt es diese Fächer in der

Schule nicht? Warum lernen PädagogInnen in ihrer Ausbildung

nicht eine dieser Sprachen? Dann würden sie auch in

der Klasse besser zurechtkommen. Ich habe mir beispielsweise

Bücher geholt, die Sprachen vergleichen, um zu

verstehen, wie verschiedene Sprachen funktionieren. Somit

kann man Kinder in ihrem Deutscherwerb besser begleiten.

Ich habe nicht 40 Sprachen gelernt, aber es genügt, wenn

ich verstehe, wie eine Sprache aufgebaut ist.

Gönn dir ein

Upgrade in der

#Sommerschule 2021

Sprache ist nicht gleich Sprache

Der Ausdruck Muttersprache macht eine starke Gedankenverbindung

mit der Mutter, obwohl die Sprache vom Vater

des Kindes auch die Muttersprache sein kann. Der Ausdruck

gilt in der Sprachwissenschaft deswegen als überholt.

Stattdessen verwendet man den Begriff Erstsprache.

Das ist die Sprache, mit der das Kind ab seinem Lebensanfang

in Berührung kommt und mit dieser sozialisiert wird.

Ein Kind kann auch mehrere Erstsprachen haben. Beispiel:

Wenn ein Kind in Österreich geboren ist, zu Hause Rumänisch

spricht und mit 1,5 Jahren in den Kindergarten geht,

dann spricht man von doppeltem Erstspracherwerb Rumänisch

und Deutsch. Wenn ein vierjähriges Kind, das als Erstsprache

Rumänisch gelernt hat, nach Österreich kommt,

dann sprechen wir von Deutsch als Zweitsprache. Je älter

das Kind ist, desto eher ist Deutsch die Zweitsprache. Die

Amtssprache ist die offizielle Sprache eines Staates, die

in Ämtern und von den Behörden gesprochen wird. Die

Begegnungssprachen sind Sprachen, die innerhalb einer

Gesellschaft integriert sind. Denn viele Menschen sprechen

in ihrem Alltag neben der Amtssprache eine oder mehrere

andere Sprachen. In Österreich haben viele Kinder und

Jugendliche andere Erstsprachen als Deutsch, von A wie

armenisch bis Z wie Zazaki.

Anmeldung bis

21.6. möglich.

Jetzt gleich

Platz sichern!

Die Sommerschule ist ein Erfolgsprojekt zur individuellen und gezielten Förderung von

Schülerinnen und Schülern, um einen Aufholbedarf, der durch die COVID-19 Krise entstanden

ist, zu kompensieren. Um gut vorbereitet ins neue Schuljahr zu starten, melde dich

jetzt in deiner Schule an!

www.sommerschule.gv.at

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG

FOTOCREDIT: 123RF/DEAN DROBOT

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!