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MUSIK<br />
NACHGEFRAGT<br />
TOM ODELL:<br />
„ziemlich traumatische Phase“<br />
Es ist noch gar nicht so lange<br />
her, da war es undenkbar, dass<br />
Musiker*innen über ihre psychische Gesundheit<br />
sprechen. Sicher, man wusste<br />
von ihren Drogenexzesse und anderen<br />
Eskapaden, aber irgendwie gehörte das<br />
einfach dazu und die Frage, warum sie<br />
sich in Suchtmittel flüchteten, wurde<br />
meist mit dem Fingerzeig auf die Probleme<br />
abgetan, die man nun mal als Star<br />
so hat. Dass viele von ihnen schon vor<br />
der Karriere oft Hilfe benötigt hätten,<br />
war kein Thema. Geschweige denn, was<br />
Erfolg wirklich mit einer Seele anstellen<br />
kann. Doch seit einigen Jahren verarbeiten<br />
Musiker*innen solche Erfahrungen<br />
nicht nur mehr und mehr ungeschminkt<br />
in ihren Liedern, sie sprechen offen und<br />
ehrlich über ihre Ängste, ihren Stress,<br />
über Panikattacken oder Depressionen<br />
und weiterreichende Diagnosen. So<br />
stehen sie uns jetzt nicht nur metaphorisch<br />
in und mit ihren Werken bei,<br />
sondern zeigen sich für alle Welt sichtbar<br />
als genauso gebrochene Menschen, wie<br />
wir alle.<br />
Einer von ihnen ist Tom Odell, der in den<br />
letzten Jahren seinen eigenen Weg im<br />
Umgang mit Angst und Panikattacken<br />
finden musste, und das nun nicht nur<br />
auf seinem neuen Album „Monsters“<br />
thematisiert. „Das lauerte schon länger in<br />
den Schatten“, sagt er. „Doch irgendwann<br />
begann es wirklich Einfluss auf mein Leben<br />
zu nehmen. Ich kam an den Punkt, dass<br />
ich nicht mehr arbeiten konnte. Ich war<br />
in München, als ich meine erste große<br />
Panikattacke hatte und im Krankenhaus<br />
endete. Ein paar Monate später passierte<br />
es dann wieder …“ Er gesteht, dass er gar<br />
nicht vorhatte, das in seiner Musik zu<br />
verarbeiten – aber auf der anderen Seite<br />
stellte er fest, dass das alles war, worüber<br />
er schrieb und schreiben konnte. „Es war<br />
einfach eine ziemlich traumatische Phase.“<br />
Er betont, dass es ihm zurzeit gut geht<br />
und dass es ihm sogar schwerfällt, genau<br />
zu beschreiben, wie es sich angefühlt<br />
hat – ein Problem, dass jeder kennt, der<br />
versucht, diese inneren Vorgänge anderen<br />
verständlich zu machen. Aber gerade hier<br />
kommt die Kunst als vielleicht der beste<br />
Weg ins Spiel, um solche Erfahrungen zu<br />
kommunizieren. Zum Beispiel ein Track wie<br />
„Noise“, der zwischen den intensiven, aber<br />
trotzdem wunderbaren Melodien der meisten<br />
neuen Lieder wie ein Überfall auf die<br />
Psyche ist, und in seinem Effekt durchaus<br />
das Gefühl einer aus dem Nichts kommenden<br />
Panikattacke nachfühlbar macht.<br />
„Es ist so erschreckend, weil du eigentlich<br />
nicht weißt, was plötzlich los ist“, sagt Tom.<br />
Diesen Zustand fängt er in „Noise“ oder<br />
auch in „Problems“ auf einzigartige Weise<br />
ein. Diese Tracks „fühlen sich so ungefiltert<br />
und rau an, regelrecht unangenehm“. Er<br />
und sein Team haben sich stark von Frank<br />
Ocean, Travis Scott und den vielen jungen<br />
Rappern inspiriert gefühlt, die offen und<br />
direkt ihr Innenleben kommunizieren.<br />
Auch auf dem Rest des Albums ist der<br />
Einfluss der jüngsten Generation hörbar.<br />
Die Lieder klingen bewusst wie Bedroom-<br />
Pop-Aufnahmen, ohne sich deswegen<br />
klein zu machen oder sich zurückzuhalten.<br />
Außerdem lässt Tom das erste Mal elektronische<br />
Einflüsse in seiner Musik zu und<br />
erreicht dadurch neue Klangwelten. Nicht<br />
alles dreht sich dabei direkt um seine eigenen<br />
Probleme – diese Erfahrungen haben<br />
vielmehr seine Sinne und Aufmerksamkeit<br />
für die Dramen unserer Welt geschärft,<br />
denen er sich auf vielen Arten annimmt.<br />
Denn letztlich ist auch der Zustand<br />
dieses Systems mit seinen Krisen, seinen<br />
Ungerechtigkeiten und überbordenden<br />
Erwartungen genau das, was auf jede<br />
einzelne Psyche zurückfällt … und nicht nur<br />
Tom täglich vor die Frage stellt, wie man<br />
mit sich und der Welt eigentlich umgehen<br />
soll. „Monsters“ hat keine Antworten. Aber<br />
es ist voller Erfahrungen und Einsichten.<br />
Und es ist gut, dass er das alles mit uns<br />
teilt.<br />
*Interview: Christian K. L. Fischer