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15. Juni 2021

Ausgabe 15. Juni 2021

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Quartier<br />

19<br />

versammelt er hin und wieder<br />

die Verwandtschaft zur geselligen<br />

Fondue-Runde? Wohnen tut er<br />

aber gerne allein mit seiner Katzendame.<br />

Der Innenarchitekt Jörg Boner<br />

Bekommt man hier einen Einblick<br />

in neue Arbeitsformen? Gibt<br />

es zu diesen Räumen noch einen<br />

Online-Shop dazu? Und was wird<br />

wohl mit der Folie im Schlafzimmer<br />

verpackt?<br />

Es scheint, als ob sich hier so etwas<br />

wie die Weiterentwicklung<br />

eines Homeoffice zeigt: zu Hause<br />

arbeiten, Handelsware verpacken<br />

und in die Welt versenden.<br />

Und das alles ohne Arbeitgeber.<br />

Was genau verpackt<br />

wird, erschliesst sich nicht. Vielleicht<br />

sind es Tiere aus eigener<br />

Zucht. Aber die könnten ja unter<br />

der transparenten Folie<br />

nicht mehr atmen. Hier wohnt<br />

und arbeitet ein Mann allein. Er<br />

verpackt und versendet und<br />

verdient damit sein Einkommen.<br />

Ob sein Wohnort zum Arbeitsort<br />

wurde oder sein Arbeitsort<br />

nebenbei auch noch als<br />

Wohnung dient, lässt sich nicht<br />

so genau sagen.<br />

Das Bad jedenfalls gleicht eher<br />

einem Labor in der Wildnis als<br />

einer Wellnessoase in einer teuren<br />

Zürcher Penthouse-Wohnung.<br />

Die Räume befinden sich<br />

wohl in der Agglomeration des<br />

Mittellandes. Grün ist hier drin<br />

nicht nur das Sofa und der Wandkalender.<br />

In diesem Haushalt<br />

dreht sich einiges um Natur,<br />

Landschaft und Tiere. Der Katzenbaum<br />

im Wohnzimmer und<br />

das Terrarium im Schlafzimmer<br />

sind nur der eine Teil der Geschichte.<br />

Diese Behälter und Ablagen<br />

dienen den domestizierten<br />

Tieren. Dem Bewohner scheint<br />

es aber um mehr zu gehen: um<br />

die heimische Fauna und Flora.<br />

Die Landschaft und die Natur<br />

sind bedeutend für ihn.<br />

Das Schlafzimmer: Hier wird experimentiert, Tag und Nacht. <br />

Das Regal neben der Türe hat er<br />

wohl selbst geschreinert. Wie ein<br />

moderner Neubau im Garten<br />

hängt es unvermittelt neben einem<br />

türlosen Bauernschrank.<br />

Der Heizkörper, die Tür, das Regal<br />

und der Schrank reihen sich<br />

wie vier Solitäre auf. Sie bilden<br />

das Panorama hinter dem Sofa,<br />

dem Katzenbaum und dem Abfallsack,<br />

der so gross geraten ist,<br />

dass man ihn zwei Wochen lang<br />

nie entsorgen muss.<br />

Das Sofa hat kein Geringerer als<br />

Le Corbusier gezeichnet. Es hat<br />

inzwischen etwas Patina erhalten,<br />

die Füllung der Kissen gehorcht<br />

der Schwerkraft. Der<br />

Grandezza des Stücks tut das keinen<br />

Abbruch. Breit und selbstbewusst<br />

steht es da, wie wenn es<br />

grad in einem der vielen Wohnheftchen<br />

posieren müsste.<br />

Das weisse Salontischchen auf<br />

dem roten Teppich und das Fischgratparkett<br />

bilden den Vordergrund<br />

der Szenerie. Trotz der<br />

Klasse einzelner Stücke würde<br />

hier wohl kaum die Redaktion einer<br />

Zeitschrift, die sich dem schöneren<br />

Wohnen widmet, klingeln<br />

und die nächste Homestory schreiben<br />

wollen.<br />

Fotos: Daniel Winkler Fotografie<br />

Dieses Wohnzimmer gleicht eher<br />

einer raffiniert gestalteten Theaterbühne.<br />

Keinem Innenarchitekten<br />

würde eine solche Inszenierung<br />

gelingen. Aber mancher<br />

Marthaler würde diese Wohnung<br />

als sein Vorbild wählen. Wer hier<br />

drin wohl spielen wird?<br />

Gudrun Sachse Die Psychologin: «Im etwas verblichenen Sofa sitzt es sich gut.»

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