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Prima Magazin - Ausgabe September 2021

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Foto © VGT.at<br />

TIERETHIK<br />

IM GESPRÄCH<br />

DDr. Martin Balluch<br />

ist Obmann des VGT (Verein gegen Tierfabriken).<br />

Er promovierte in Physik und<br />

Philosophie im Bereich Tierethik.<br />

Der VGT (Verein gegen Tierfabriken)<br />

ist ein unabhängiger Verein mit dem Ziel,<br />

Mitgefühl und Respekt gegenüber Tieren<br />

in der Gesellschaft zu verankern. Der Verein<br />

macht immer wieder auf extreme Missstände<br />

im Tierschutz aufmerksam.<br />

www.vgt.at<br />

Was bedeutet das AMA Gütesiegel?<br />

Martin Balluch: Es geht nicht um eine<br />

bessere Tierhaltung, wie man in der Werbung<br />

sieht. Es zeigt nur, dass das Fleisch<br />

von österreichischen Betrieben stammt.<br />

Tatsächlich sind wir aber bei den Mastschweinen<br />

in Österreich das absolute<br />

Schlusslicht in Europa. Wir sind hier unter<br />

dem EU Mindeststandard.<br />

Viele Konsument*innen glauben, wenn<br />

sie ihr Fleisch regional kaufen, ist das in<br />

Ordnung, denn regional bedeutet Tierwohl.<br />

Ist das so? Reicht regional?<br />

Martin Balluch: Regional sagt nichts,<br />

wenn man in einem schweineindustriellen<br />

Gebiet lebt. Auch im Burgenland ist das<br />

so. Wenn die Herkunftskennzeichnung<br />

von Fleisch gefordert wird, dann muss man<br />

auch bedenken, dass wir bei Mastschweinen<br />

den miesesten Standard in der EU haben.<br />

Die Herkunftskennzeichnung bei Schweinefleisch<br />

wäre für Österreich somit eine<br />

negative Kennzeichnung.<br />

Es wäre aber sehr wichtig, dass es eine<br />

Kennzeichnung für die Haltungsform gibt.<br />

Bio gibt es beim Schweinefleisch selten. Es<br />

gibt einige Vorzeigebetriebe, aber die sind<br />

im Bereich von unter einem Prozent.<br />

In einem weiteren Video, das dem VGT zugespielt<br />

worden war und laut Tierschützer<br />

Aufnahmen aus dem Zuchtbetrieb zeigt,<br />

ist zu sehen, wie Ferkel an den Hinterbeinen<br />

aus den Buchten gerissen und mehrmals<br />

mit dem Kopf auf den harten Boden<br />

aufgeschlagen werden. Herr Balluch, Sie<br />

sind promovierter Tierethiker. Was passiert<br />

da mit den Menschen? Warum fehlt<br />

jegliches Mitgefühl für das Tier?<br />

Martin Balluch: Diese Menschen denken<br />

„Es sind ja nur Viecha“ und sie haben schon<br />

als Kinder gelernt, dass sie sich nicht in<br />

Tiere hineinversetzen dürfen. Man erklärt<br />

ihnen, Tiere sind anders und ihnen muss<br />

man das sogar antun. Wenn Kontrolle und<br />

Mitgefühl fehlen, herrschen brutale Zustände.<br />

Das finden wir in Schweinemastbetrieben,<br />

aber auch in Schlachthöfen. Wir haben<br />

gesehen, dass Mitarbeiter*innen bei Tieren,<br />

die zur Tötungsstelle getrieben werden,<br />

Zigaretten ausdrücken. Dass sie sie prügeln<br />

und mit Elektroschocks malträtieren.<br />

Was muss passieren, damit sich etwas<br />

ändert?<br />

Martin Balluch: Es ginge von einer Generation<br />

auf die nächste, wenn man dieses<br />

Mitgefühl sich entwickeln lässt – beispielsweise<br />

im Rahmen eines Ethikunterrichts<br />

an Schulen. Aber unser Problem ist die industrielle<br />

Tierproduktion. Man kann nicht<br />

am Fließband stehen, ständig Schweinen in<br />

den Hals stechen und dabei mitleiden. Man<br />

kann nicht 3.000 Schweine in einer Halle<br />

haben und Mitgefühl haben. Wir müssen<br />

von diesem industriellen Produktionsprozess<br />

wegkommen. Das muss Hand in Hand<br />

gehen mit einer tierfreundlicheren Einstellung<br />

und Erziehung.<br />

Wie geht es nach der Anzeige eines solchen<br />

Betriebes weiter?<br />

Martin Balluch: In der Tierschutzkontrollverordnung<br />

steht, dass im Mittel jede<br />

Schweinefabrik nur alle 50 Jahre kontrolliert<br />

werden muss. Wenn man weiß, dass es nie<br />

auffallen wird, was man den Tieren antut, ist<br />

das natürlich eine Brutstätte für Misshandlungen.<br />

Abgesehen davon gibt es Misshandlungen,<br />

die bei den Kontrollen nicht auffallen.<br />

Das ist das Töten der Ferkel, die man<br />

mit dem Kopf auf den Boden knallt. Dazu<br />

gehört das Rausreißen der Hoden. Dazu gehört,<br />

dass die Tiere ständig im Kastenstand<br />

eingesperrt sind. Es gibt ein Vollzugsdefizit<br />

beim Tierschutz in Österreich. Selbst wenn<br />

die Gesetze schön klingen, sind die Verordnungen<br />

schlecht. Und wenn kontrolliert<br />

wird, wird das oft schlecht oder von Menschen<br />

durchgeführt, die diesen Umgang<br />

mit den Tieren gewohnt sind. Die Strafen<br />

betreffen oft nur wenige Hundert Euro und<br />

das bei Subventionen von Tausenden Euro<br />

jährlich. Unsere Erfahrung mit dem Vollzug<br />

ist wirklich schlecht.<br />

Worauf sollen die Konsument*innen beim<br />

Einkaufen achten?<br />

Martin Balluch: Einerseits müssen wir<br />

generell den Fleischkonsum überdenken.<br />

Wenn so eine große Gesellschaft wie wir<br />

ständig Fleisch isst, dann kann man das<br />

nicht wirklich tiergerecht produzieren. Man<br />

müsste es viel seltener essen. Zweitens: Nie<br />

zu einem Aktionsfleisch greifen! Zwei Drittel<br />

des Fleisches werden als Aktionsfleisch<br />

verkauft. Fleisch, das so billig ist, kann nicht<br />

tiergerecht produziert worden sein.<br />

Der nächste Schritt wäre, auf Bio zu<br />

schauen. Das ist sicher besser als die konventionelle<br />

Haltung. Und man sollte auf<br />

Gütesiegel achten, die nicht von der Industrie<br />

kommen, sondern von unabhängigen<br />

Stellen eingeführt und kontrolliert wurden.<br />

Wie z.B. jenes von „Gesellschaft! Zukunft<br />

Tierwohl!“. Diese jährlichen Kontrollen<br />

werden von Leuten durchgeführt, die selber<br />

kein Eigeninteresse am Verkauf des Fleisches<br />

haben. Aber das alles ist wirklich das<br />

Minimum an Lebensqualität für das Tier.<br />

Der VGT hat die Website www.wie-hatsgelebt.at<br />

eingerichtet. Da kann man angeben,<br />

welche Ansprüche in der Tierhaltung<br />

für einen selbst beim Fleischkauf wichtig<br />

sind und man sieht dann, welche Gütesiegel<br />

diese Kriterien erfüllen. Da ist man dann<br />

meist erstaunt, weil fast alle Gütesiegel<br />

schlechtere Tierhaltung garantieren als man<br />

erwarten würde.<br />

www.wie-hats-gelebt.at<br />

Wie hat das Schwein gelebt, bevor es als<br />

Fleisch verpackt im Supermarkt angeboten<br />

wird? Diese Website des VGT liefert<br />

transparente Informationen über Aufzucht,<br />

Haltung und Schlachtung der Tiere, damit<br />

Konsument*innen im Supermarkt selbst<br />

entscheiden können, welches Fleisch sie<br />

meiden möchten. Sie sehen hier, welche<br />

Supermärkte und welche Gütesiegel den<br />

eigenen Kriterien entsprechen. Jeder Einkauf<br />

entscheidet über die Haltung der Tiere!<br />

SEPTEMBER <strong>2021</strong><br />

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