Neue Szene_21-09_Epaper
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sondern begehe tatsächlich eine Straftat. Der Paragraf
besagt nämlich, dass sexuelle Handlungen im
öffentlichen Raum bestraft werden können. Das
ist prinzipiell auch sehr wichtig, denn es schützt
Menschen vor und mit traumatischen Erfahrungen,
beispielsweise mit sexueller Gewalt. Das
Problem besteht aber darin, dass es vollkommen
normal und legal ist, wenn ein Mann ohne Shirt
herumläuft, bei weiblich gelesenen Personen gilt
das hingegen als sexualisierte Handlung, weil
weibliche Nippel im Gegensatz zu männlichen
als Geschlechtsmerkmal zählen. Unsere Körper
werden also per se als Sexualobjekt gesehen.
Interessanterweise gibt es ein ähnlich sexistisches
Gesetz auch in die andere Richtung:
Laut Paragraf 183 (StGB) können nur Männer
für exhibitionistische Handlungen belangt
werden.
Oh Mann, das reproduziert auch wieder total
veraltete und klischeehafte Rollenbilder! Konsequenterweise
sollten exhibitionistische Handlungen,
mit denen andere Menschen absichtlich und
gegen ihren Willen belästigt werden, natürlich für
alle Geschlechter strafbar sein.
Warum finden du und deine Mitstreiter*innen
es so wichtig, für eine gleiches Recht auf
Nacktheit zu kämpfen?
Wir sehen diese Thematik als eines von vielen
Symptomen der Diskriminierung und Sexualisierung
von Frauen und nicht-männlichen Personen.
Es ist eben ein konkretes Beispiel, an dem man
deutlich erkennt, dass eine Ungleichbehandlung
stattfindet. In unseren Reden und auf unseren
Bannern kam denke ich auch klar rüber, dass
unser Protest eben auch das große Ganze beinhaltet.
Es geht uns nicht nur darum, überall oben
ohne rumlaufen zu können und dann wären wir
gleichberechtigt und zufrieden. Aber wir haben
ganz bewusst dieses körperliche Thema als Kritikpunkt
und Ausdrucksform gewählt.
Wodurch ihr auch erfolgreich Aufmerksamkeit
generieren konntet.
Das ist einerseits natürlich super für uns, weil
unsere Themen so in der Öffentlichkeit mehr
Gehör finden, andererseits spiegelt es natürlich
auch das eigentliche Problem wider, wenn sich
plötzlich alle besonders für die Aktion interessieren,
weil dort halbnackte Frauen mitlaufen.
Hat es dich und deine Mitdemonstrant*innen
eigentlich Überwindung gekostet, so öffentlich
blank zu ziehen?
Selbstverständlich konnte jede frei entscheiden,
ob sie mit oder ohne Oberteil an der Demo
teilnimmt. Ich selbst hatte ein Shirt an, weil ich
als Organisatorin die Hauptansprechpartnerin für
die Presse vor Ort war. Die Teilnehmerinnen sind
ganz unterschiedlich damit umgegangen. Manche
musste man fast zurückhalten, dass sie sich
nicht schon ausziehen, bevor die Demo offiziell
eröffnet war (lacht). Andere meinten, sie fühlen
sich wohler, wenn sie mit Oberteil mitlaufen.
Tatsächlich habe ich aber während des Demozugs
gesehen, wie sich nach und nach immer mehr
Frauen ausgezogen haben. Viele kamen hinterher
zu mir und waren begeistert, wie befreiend und
gemeinschaftlich sich das angefühlt hat. Am
Schluss hatten die meisten gar keine Lust, sich
wieder anzuziehen.
Ein paar Männer sind aber auch mitgelaufen,
richtig?
Der Großteil waren Frauen, aber einige Männer
waren auch dabei. Das war mir auch wichtig,
sie nicht von der Aktion auszuschließen und
ihnen die Möglichkeit zu geben, die Problematik
zu verstehen und sich solidarisch zu zeigen. Das
einzige Kriterium für die Teilnahme der Männer
war allerdings, dass sie ihr Oberteil anlassen
sollten, um uns mehr Raum zu geben und einen
stärkeren Kontrast zu schaffen.
Welche Reaktionen habt ihr während der
Demo mitbekommen?
Insgesamt überwiegend positive. Von allen
Teilnehmer*innen habe ich durchwegs gutes
Feedback bekommen, das war mir das wichtigste.
Manche Passanten, an denen wir vorbeigelaufen
sind, haben sich nicht cool verhalten, haben
gegafft, gefilmt oder irgendwelche obszönen
Gesten gemacht und es gab auch solche, die uns
richtig angefeindet haben. Daneben gab es aber
auch zum Beispiel einige ältere Frauen, die von
unserer Demo extrem gerührt und stolz auf uns
waren, weil sie selbst ihr Leben lang für den Feminismus
gekämpft haben.
Nach diesem Erfolg habt ihr bestimmt schon
die nächste Aktion in der Pipeline, oder?
Wir werden auf jeden Fall weitermachen
und dieses Projekt vorwärtsbringen! Mich haben
schon so viele Leute gefragt, wann wir die nächste
Aktion starten, und ich denke, in unserem Kollektiv
steckt noch richtig viel Potenzial. Wir sind
auch total offen dafür, unseren Protest thematisch
noch mehr zu erweitern und neuen Input einzubringen.
Für unsere nächste Aktion ist noch kein
konkretes Datum geplant, aber da wird auf jeden
Fall was kommen. Schaut für weitere Infos gerne
auf unserem Instagram-Kanal @obenohnedemo
vorbei. (lina)
Foto: Inga Seiffert