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16 WIRTSCHAFT WIRTSCHAFT 17

DIE WELT DONNERSTAG, 29. OKTOBER 2020

DIE WELT DONNERSTAG, 29. OKTOBER 2020

Wie tot ist die Innenstadt? Nach

dem wochenlangen Lockdown

während der ersten Corona-

Welle klingen die Warnungen vor verödenden

Citys und einem massiven Ladensterben

alarmierend. Bundeswirtschaftsminister

Peter Altmaier (CDU) setzte sich kürzlich

gar an einen Runden Tisch mit Branchenvertretern

und Kommunalexperten,

um auszuloten, wie Tristesse und Leerstände

in den Fußgängerzonen bekämpft werden

könnten. Angeschlagen wirkt vor allem

die tragende Säule: Modegeschäfte.

VON MICHAEL GASSMANN

Doch ein Siechtum der Kaufhäuser und

Boutiquen ist keineswegs Schicksal. Mehrere

Studien gehen stattdessen von einer Belebung

aus, sollte ein zweiter Lockdown

dem Modehandel erspart bleiben. Der Herstellerverband

German Fashion preschte

mit einer Branchenstudie

mit dem überraschenden

Ergebnis

vor, dass Mode-Fachgeschäfte

zweitgrößter

Gewinner der Krise

seien. In einer Anfang

September

durchgeführten repräsentativen

Umfrage

antworteten 42

Prozent der Kunden,

dass sie am liebsten

im Fachhandel vor

Ort Kleidung kauften

– zwei Prozentpunkte

mehr als bei einer parallelen

Studie von

Anfang März. Nur der

Online-Handel verbesserte

sich deutlicher

mit einem Plus

von sechs Prozentpunkten

bei Modeportalen

wie Zalando

oder About You und

drei Prozent bei

Der

voreilige

Abgesang

auf die

Boutique

In der Corona-Krise

hat der stationäre

Modehandel gelitten.

Im Kern ist die Branche

aber gesund – und das

Einkaufen im Laden

gefragt, sagen Experten

Plattformen wie

Amazon oder Otto-

.de. Auch herstellergebundene

Läden etwa

von Hugo Boss oder Adidas verzeichnen

Verbesserungen bei der Kundenbeliebtheit.

Wichtigster Anlaufpunkt für den Bekleidungskauf

bleiben mit 50 Prozent – Mehrfachnennungen

waren möglich – Filialen

von Ketten wie H&M, Zara oder C&A.

Allerdings sei der wirtschaftliche Einschnitt

durch die Corona-Schließungen

tief, so German-Fashion-Präsident Gerd

Oliver Seidensticker: „Wir haben vitale Innenstädte,

aber der Bereich Mode hat unglaublich

gelitten.“ Hilfen seien deshalb angebracht.

Der stationäre Modehandel verlor

im erste Halbjahr ein Drittel seines Geschäfts,

verglichen mit dem Vorjahr. Dennoch:

Im Kern sei die Branche zukunftsfähig.

„Ein Großteil der Konsumenten sagt

heute, nach dem Lockdown: ,Ich möchte

nicht nur digital einkaufen, sondern ich

möchte anfassen können, will Alternativen

sehen und anprobieren können‘“, erklärte

Christian Duncker, Professor an der Dortmunder

International School of Management

(ISM). Die ISM hatte die Studie im

Auftrag von German Fashion durchgeführt.

Auch jenseits der aktuellen Krise sind die

mittelfristigen Aussichten für stationäre

Geschäfte nicht so düster wie häufig befürchtet.

„Physische Geschäfte werden

jetzt und in Zukunft eine wichtige Rolle

spielen“, schreibt etwa Nicolas Champ,

Analyst bei der Investmentbank Barclays.

Eine Reihe von lange diskutierten, nun einsatzreifen

Technologien stärke die Wirtschaftlichkeit

und senke die Kosten, darunter

die automatische Inventarisierung und

Nachverfolgung jedes einzelnen Kleidungsstücks

durch Radiowellen-Chips (RFID),

die Automatisierung von Büroarbeiten oder

der Einsatz von Robotern in Verteilzentren.

Beim Bezahlen ersetzen Selbstbedienungskassen

oder smarte Erfassungssysteme

nach und nach die klassische Kassiererin.

Alles in allem gilt der stationäre Handel

mit seinen rund drei Millionen Beschäftigten

als eine der Branchen mit den größten

Automatisierungsreserven. Mehr als die

Hälfte aller Arbeiten könnten hier theoretisch

in den kommenden Jahren mit vorhandenen

Technologien durch Maschinen

oder Computer übernommen werden,

schätzt die Unternehmensberatung McKinsey.

Die tatsächliche Entwicklung verläuft

aber vergleichsweise langsam und schrittweise.

Im Jahr 2030 werden danach nur

noch 18 Prozent der Arbeitsstunden der

Handelsbeschäftigten mit manuellen Tätigkeiten

ausgefüllt sein. Noch 2016 war es jede

vierte Stunde.

Dass Bekleidungsläden und Boutiquen

das flächendeckende Aus droht, dagegen

spricht auch eine Untersuchung der Unternehmensberatung

Oliver Wyman. Im Mai

nahmen die Branchenexperten den chinesischen

Markt unter die Lupe. Es war gewissermaßen

ein Blick in die Zukunft: China ist

der Markt mit dem höchsten Online-Anteil

bei Bekleidung überhaupt. Er dürfte in diesem

Jahr 50 Prozent erreichen, verglichen

mit zuletzt 17 Prozent in Deutschland. Zudem

gilt die Corona-Krise, wichtigster aktueller

Treibsatz für den E-Commerce, in

dem Land als überwunden. Ein Ergebnis:

Bezeichneten sich auf dem Höhepunkt der

Epidemie 22 Prozent der chinesischen Konsumenten

als reine Online-Shopper, so

sank dieser Anteil nach dem Abklingen der

Seuche auf zehn Prozent. Mit anderen Worten:

Selbst im extrem online-affinen China

wollen 90 Prozent der Konsumenten beide

Einkaufsquellen – sowohl den Online-Einkauf

als auch den Laden. Selbst in der Altersgruppe

der 20- bis 29-Jährigen betrug

dieser Anteil noch 88 Prozent.

Auch wenn das Sterben des stationären

Bekleidungshandels abgesagt scheint, bedeutet

dies nicht, dass der Aufstieg des E-

Commerce gestoppt wäre. In großen Märkten

wie den USA, Indien oder Indonesien

wird nach Einschätzung von Barclays bis

2030 ebenfalls die 50-

Prozent-Marke beim

Marktanteil erreicht

sein. In Deutschland

verdoppelt sich der

Online-Anteil auf

niedrigerer Basis bisher

alle fünf bis sieben

Jahre. Und die

Online-Häuser schlafen

nicht. Mit besseren

Technologien und

Abläufen ermöglichen

sie eine genauere Erfassung

des Produkts

für die Kunden, erleichtern

das Bezahlen

und sorgen für

problemlose Retouren.

Genau diese Technologien

erleichtern

jedoch auch den Klassikern

des Modehandels

den Einstieg und

Ausbau ihrer Digital-

Sparten. Die lange beschworene

nahtlose

Verbindung von stationärem

Handel und

E-Commerce war

noch nie so einfach machbar wie jetzt, sagen

die Barclays-Analysten. Unter den internationalen

Bekleidungsriesen liege die

spanische Zara-Mutterfirma Inditex mit einem

Online-Anteil von 14 Prozent vorn.

Doch Rivale H&M hole auf und habe bisher

vieles richtig gemacht. So sei die interne

Verknüpfung zwischen Laden und E-Commerce

bei dem schwedischen Unternehmen

weit gediehen. Kunden spüren dies, wenn

sie den Würfelcode auf einem Artikel, den

sie im Geschäft gefunden haben, einscannen

und ihn dann in der gewünschten Farbe

und Größe online bestellen können. Oder

wenn sie digital bestellte Ware in einem Laden

abholen oder dort Retouren abwickeln

können.

Dennoch – die Herausforderungen für

die in der analogen Welt gewachsenen Ketten

beim Einstieg ins digitalisierte Geschäft

sind groß. Ein klassischer Fehler, so Experten,

bestehe darin, die Online-Organisation

unverbunden neben dem Ladennetz laufen

zu lassen. Damit gingen nicht nur die Vorteile

der Verbindung verloren, oft entstehe

hausinterne Konkurrenz. Bei der Zustellgeschwindigkeit

haben Firmen wie Amazon

und Zalando mit ihren ausgefeilten Logistik-Netzen

die Maßstäbe hochgesetzt.

Und die Aufholjagd kann teuer werden.

Nach einer Schätzung von McKinsey ist die

Lieferung am Tag der Bestellung für die Unternehmen

im Schnitt dreimal so kostenintensiv

wie die Zustellung am Folgetag.

Wenn es an das Bezahlen fürs hohe Tempo

geht, stellen sich freilich gerade die Deutschen

quer: Laut Umfrage zeigten sich nur

zehn Prozent bereit, einen Aufschlag von

einem Euro für die Lieferung am selben Tag

hinzunehmen. In den USA und China waren

es doppelt so viele.

Im Bekleidungshandel haben Geschäfte,

Boutiquen und Filialketten auf der einen

Seite eingebaute Nachteile im Vergleich

zum Online-Geschäft. Es müssen Mieten

für Filialen bezahlt werden, sie sind personalintensiv,

man muss sie heizen oder kühlen.

Die großen Ketten fahren denn auch

die Zahl ihrer Standorte zurück. H&M etwa

hat angekündigt, noch dieses Jahr weltweit

40 Filialen zu schließen. Doch ein Kahlschlag

sieht anders aus. Bezogen auf die Gesamtzahl

der H&M-Läden, macht die

Schrumpfung weniger als ein Prozent aus –

nicht mehr als eine Justierung. Denn Filialen

haben auf der anderen Seite auch Vorzüge

gerade in Verbindung mit E-Commerce.

Ein dichtes Netz von Standorten in der

Stadt, so Barclays, könne etwa beim Liefertempo

extrem hilfreich sein, wenn es denn

gut in die Online-Logistik eingebaut sei.

Der vielleicht größte Vorteil hat sich seit

Jahrzehnten nicht verändert: Der Kaufanreiz

im Laden ist hoch. Zwei von drei

Kunden kaufen nach Erkenntnissen der Berater

von Oliver Wyman tatsächlich etwas

ein, wenn sie einmal da sind – ein Wert, von

dem Online-Händler nur träumen können.

„Wer ein leeres Grundstück besitzen

möchte, soll sich Ackerland kaufen“

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer will Eigentümer zum Bauen zwingen.

Immobilienbesitz sei nicht mit dem Recht auf Rendite verbunden

In der malerischen Universitätsstadt Tübingen

sind Wohnungen knapp und teuer

– so wie vielerorts in Deutschland. Oberbürgermeister

Boris Palmer geht allerdings

einen radikaleren Weg als andere

Stadtchefs, um den Wohnungsmarkt in den

Griff zu bekommen. Er will private Eigentümer

dazu zwingen, brachliegende Grundstücke

zu bebauen. Palmer droht mit dem kommunalen

Baugebot, das nach einem aktuellen

Gesetzentwurf der Bundesregierung noch verschärft

werden soll. Auch die Mietpreise würde

der Oberbürgermeister sehr gerne noch stärker

abbremsen.

VON MICHAEL FABRICIUS

WELT: Herr Palmer, Sie haben im Frühjahr

des vergangenen Jahres 240 Privateigentümer

von baureifen Grundstücken in

Tübingen angeschrieben und sie zum Wohnungsbau

aufgefordert, unter Androhung einer

Enteignung durch die Gemeinde. Das

hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Seitdem

ist nicht viel passiert. Läuft Ihre Aufforderung

ins Leere?

BORIS PALMER: Zunächst einmal hat die Stadt

Tübingen die Grundstückseigentümer auf die

geltende Rechtslage aufmerksam gemacht. In

Tübingen und in vielen anderen Städten in

Deutschland sitzen manche Eigentümer auf

ungenutzten Grundstücken und spekulieren

auf Wertsteigerung, während andere Bürger

keine Wohnung finden. Das finde ich nicht

richtig. Dafür gibt es das Instrument des kommunalen

Baugebots, mit dem eine Gemeinde

bei Wohnungsknappheit die Eigentümer dazu

auffordern kann, ihre Grundstücke zur Verfügung

zu stellen. Da gibt es übrigens mehrere

Möglichkeiten und nicht nur eine Enteignung,

wie es oft geschrieben worden ist. Die Eigentümer

können selbst bauen und vermieten, das

Grundstück nur verpachten und bauen lassen

oder ganz verkaufen. Wer an die Stadt verkauft,

bekommt sogar eine Garantie, ein vergleichbares

Grundstück zu erhalten, falls die

eigenen Nachkommen später für sich selbst

bauen wollen.

Allerdings haben nur die wenigsten Eigentümer

reagiert und sich dazu bereit erklärt, ihre

Parzellen herzugeben, oder?

Ich bin ganz zufrieden. Rund ein Drittel der

Grundstücke soll in nächster Zeit bebaut werden.

Für die anderen wollten wir in diesem

Frühjahr die Anhörungsverfahren starten, aber

da kam Corona dazwischen.

Welcher Grundstücksbesitzer will auch

schon wertvolle Quadratmeter hergeben, in

unsicheren pandemischen Zeiten?

Die Reaktion ist verständlich. Es gibt viele, die

Die Anstrengungen der europäischen

Autoindustrie, ihre Produkte umweltfreundlicher

und sicherer zu machen,

werden in Afrika konterkariert. Zu diesem

Schluss kommt das Umweltprogramm der

Vereinten Nationen (UNEP) in einer großen

Untersuchung zum weltweiten Handel mit alten

Gebrauchtwagen. Millionen solcher Fahrzeuge

aus der EU, den USA und Japan seien in

Entwicklungsländern unterwegs, verpesteten

dort die Luft und bremsten die Bemühungen,

den Klimawandel aufzuhalten, heißt es beim

UNEP. „Im Laufe der Jahre haben Industrieländer

ihre Gebrauchtfahrzeuge zunehmend

in Entwicklungsländer exportiert; da dies

weitgehend unreguliert geschieht, ist es zu einem

Export umweltschädlicher Fahrzeuge geworden“,

sagt UNEP-Exekutivdirektorin Inger

Andersen.

VON DANIEL ZWICK

Nach Angaben der Organisation wurden

zwischen 2015 und 2018 rund 14 Millionen gebrauchte

Pkw weltweit exportiert, davon 80

Prozent in Länder mit mittlerem oder geringem

Einkommen, vor allem nach Afrika. Aus

der EU stammen etwas mehr als 50 Prozent

der Fahrzeuge, gefolgt von Japan und den USA.

Weil es für den Handel mit alten Autos international

keine Regeln gibt, landen gerade in

den Entwicklungsländern Afrikas viele Wagen,

sagen, dass sie die Verfügungsgewalt über das

Grundstück behalten möchten. Ich habe auch

durchaus wütende Briefe erhalten, vornehmlich

von älteren Bürgern, denen die Grundstücke

gehören. Wir haben uns daher nochmals

Gedanken über Alternativen gemacht.

Welche sind das?

Man kann die Grundstücke auch vorübergehend

nutzen, ohne feste Wohnbebauung. Dafür

bieten sich so genannte Tiny Houses an –

kleine, teilweise mobile Häuser, die in einer

Studentenstadt wie Tübingen eine permanente

Nachfrage bedienen würden. Mitten in der

Stadt im Grünen zu Wohnen, auf einer Wohnfläche

von 20 oder 25 Quadratmetern, ist ein

Gedanke, den viele ganz angenehm finden.

Auch für Familien kämen das in Frage, mit

mittleren Größen von 80 bis 90 Quadratmetern.

Solche Häuser würden auch dem Interesse

der Grundstückseigentümer entgegenkommen,

weil sie keine feste Bebauung darstellen.

Deshalb hat sich jetzt ein Verein gegründet,

der „Mut zur Lücke“ heißt. Der soll beide Seiten

zusammenbringen.

Und wenn das dann am Ende auch nicht

funktioniert?

Nach wie vor ist es mein Interesse, dass wir

uns gütlich mit den Eigentümern einigen. In

diesen Tagen gehen aber die ersten Schreiben

zur so genannten Erörterung raus. Damit beginnt

ein formelles Verfahren nach Paragraph

175 Baugesetzbuch. Die Grundstückseigentümer

werden angehört. Wenn dabei keine triftigen

Gründe für eine Nicht-Bebauung genannt

werden, darf die Gemeinde ein Baugebot aussprechen.

Warum geben Sie nicht einfach neue Bauflächen

frei?

Neues Bauland freizugeben bedeutet immer

auch neue Flächenversiegelung, mit entsprechenden

Folgen für die Umwelt. Man muss

neue Straßen bauen und Grundstücke erschließen.

Da ist doch die konsequente Nutzung

voll erschlossener Parzellen in bestehenden

Baugebieten wesentlich effizienter.

Das gilt für Tübingen, aber auch für viele

andere Städte.

Dann geraten Sie zwar nicht in Konflikt mit

der Umwelt, dafür aber mit einem grundsätzlichen

Anspruch der Bürger, die der

Ansicht sind, dass sie laut Grundgesetz mit

ihrem Eigentum machen dürfen was sie

möchten.

Das ist eine Umdeutung des Grundgesetzes.

Der Gedanke, dass man mit seinem Grundeigentum

machen kann was man will, hat die

geistigen Urheber des Grundgesetzes nicht

überzeugt: Das Eigentum muss zum Nutzen

die in Europa nicht mehr fahren dürften, weil

sie hiesige Sicherheits- und Umweltstandards

nicht mehr erfüllen. In den meisten afrikanischen

Staaten dürfen solche Fahrzeuge aber

noch eingesetzt werden. Dort gibt es keine mit

der strengen EU-Gesetzgebung vergleichbaren

Standards. Lediglich in Marokko und Ruanda

gilt der Euro-4-Abgasstandard, Ghana und Nigeria

orientieren sich an der Euro-3-Norm. In

allen

,,

anderen Ländern gibt es keine entsprechenden

Regeln für Importfahrzeuge. So

stinkt Europas rollender Schrott auf dem afri-

der Allgemeinheit verwendet werden. Und es

schadet der Allgemeinheit, wenn man ein

Grundstück leer stehen lässt, während rundherum

Wohnungsnot herrscht. Das Grundstück

wird dem Eigentümer ja auch nicht von

der Gemeinde weggenommen, sondern er

wird mit dem Baugebot nur dazu gezwungen,

es sinnvoll zu nutzen und ansonsten entschädigt.

Wer ein leeres Grundstück besitzen

möchte, soll sich ein Stück Ackerland kaufen.

Oder Wald.

Außer einer Immobilie gibt es kaum noch eine

Möglichkeit, das Geld sinnvoll anzulegen,

heißt es.

Es gibt im Grundgesetz auch kein Recht auf

günstige oder lukrative Anlageformen.

Grundstückspreise, Haus- und Mietpreise

steigen. Der einzige Weg, die Entwicklung

zu bremsen, ist der Neubau, sagen Ökonomen.

Doch offensichtlich dauert es sehr lange,

wie man auch an Ihren Baugebots-Versuchen

sieht.

Ich mache mir da keine Illusionen: Auch mit

viel Neubau wird man den Preisauftrieb am

Immobilienmarkt nur geringfügig beeinflussen

können. Der Nachfragedruck ist zu groß in

Europas stinkender Schrott rollt in Afrika weiter

den größeren Städten oder Unistädten wie Tübingen.

Da kann man nicht gegen anbauen. Zumal

auch die Baupreise steigen. Deshalb wird

man in bestimmten Lagen stärker in die Preisregulierung

eingreifen müssen. Das kann man

bei Mieten im Bestand durch eine niedrigere

Kappungsgrenze machen, so wie es die Hamburger

Bausenatorin Dorothee Stapelfeldt vorschlägt.

Im Neubau aber geht das nur durch

harte Vorgaben an die Entwickler. Wer in Tübingen

neu baut, muss 90 Prozent preisgebundenen

Wohnraum schaffen.

Da werden Entwickler und Baufirmen doch

sagen: Das lohnt sich nicht, deshalb wir

gehen woanders hin.

Das wird vielleicht so gesagt, aber bei uns stehen

die Entwickler trotzdem Schlange. Und

ich würde behaupten, dass wahrscheinlich

auch in Berlin genügend Interessenten da sind,

wenn es ein freies Grundstück gibt. Da wird

viel behauptet. Wenn alle wissen, dass am Ende

der Verwertungskette nur eine bestimmte

Miete möglich ist, dann werden die Käufer automatisch

nur bis zu einer bestimmten Summe

auf das Grundstück bieten. Deshalb haben wir

hier mit der 90-Prozent-Regel auch schon einen

deutlichen preisdämpfenden Effekt bei

Schutz der eigenen Bevölkerung vor Abgasen

oder unsicheren Altfahrzeugen; sie wollen vielmehr

die eigene Autoindustrie vor Billigimporten

aus dem Ausland schützen.

Im Ergebnis hilft so ein Bann auch den Kunden

im Land. Dort, wo es ihn nicht gibt, werden

fast nur ausländische Gebrauchtwagen angeboten.

In Kenia liegt ihr Marktanteil laut

UNEP bei 97 Prozent. Und weil für den Import

eine Altersgrenze von acht Jahren gilt, werden

fast nur sieben Jahre alte Wagen eingeführt. In

Zimbabwe dagegen waren die neu zugelassenen

Wagen den jüngsten verfügbaren Zahlen

zufolge im Durchschnitt mehr als 13 Jahre alt.

Entsprechend hoch sind dort die Unfallzahlen

und die Zahl der Verkehrstoten.

Von den Industrieländern fordern die Vereinten

Nationen, diese schmutzige Hintertür

des eigenen Automarktes endlich zu schließen.

Das Fehlen wirksamer Standards und

Vorschriften führe dazu, dass alte, umweltschädliche

und unsichere Fahrzeuge in Entwicklungsländern

abgeladen würden. „Die Industrieländer

müssen den Export von Fahrzeugen

einstellen, die Umwelt- und Sicherheitsinspektionen

nicht bestehen und in ihren

eigenen Ländern nicht mehr als fahrbereit gelten“,

fordert Andersen.

In Europa gibt es durchaus Stimmen, die eine

gemeinsame Anstrengung verlangen. Die

niederländische Umweltministerin Stientje

Van Veldhoven fordert „einen koordinierten

Grundstücken erzielt. Grund und Boden sind

nicht beliebig vermehrbare Güter, und hier haben

massive Preisanstiege stattgefunden. Diese

Entwicklung müssen wir unterbrechen.

Die Bundesregierung arbeitet gerade an der

lange geplanten Novelle des Baugesetzbuchs.

Was sind ihre Erwartungen als Oberbürgermeister?

In Städten wie Tübingen würde es helfen, ein

gebietsbezogenes Baugebot zu haben, das es

erlaubt, mehrere Grundstücke gleichzeitig per

Gebot einer Nutzung zuzuführen. Übrigens ist

das auch eine Forderung des Deutschen Städte-

und Gemeindebunds: Allein in Baden-

Württemberg gibt es etwa 100.000 ungenutzter

Baugrundstücke. Punkt zwei wäre eine

Möglichkeit für die Gemeinde, bei einer Wiederverwertung

von Grundstücken, also bei Abriss

und Neubau, einen Anteil an Sozialwohnungen

einfordern zu können. Drittens bin ich

dafür, dass es bei laufenden Mietverträgen

nicht nur eine niedrigere Kappungsgrenze für

Mieterhöhung gibt, sondern so etwas wie den

Berliner Mietendeckel – nicht mit einer künstlichen

Preistabelle, wie es die dortige Regierung

gemacht hat. Aber mit einem einfachen

Mietenstopp für einen bestimmten Zeitraum.

Gebrauchtwagen, die bei uns zu dreckig, unsicher und zu teuer im Unterhalt sind, werden massenweise in Entwicklungsländer verkauft, beklagen die Vereinten Nationen

DER EXPORT VON

GEBRAUCHTFAHRZEUGEN

GESCHIEHT

WEITGEHEND

UNREGULIERT.

INGER ANDERSEN, UNEP-Exekutivdirektorin

kanischen Kontinent weiter – während hierzulande

die Regeln für Neufahrzeuge stetig verschärft

werden und alte Wagen teilweise nicht

mehr in die Innenstädte fahren dürfen.

Wenn die Autos innerhalb Europas gar nicht

mehr zu verkaufen sind, dann landen sie oft in

einem Hafen in den Niederlanden und werden

von dort nach Afrika verschifft. Die weit überwiegende

Mehrheit der Wagen hat laut UNEP

kein gültiges TÜV-Siegel mehr, darf hier also

nicht mehr gefahren werden. Das Alter der

Fahrzeuge unterscheidet sich je nach Zielland

erheblich. Nach Nigeria, Guinea und Gambia

werden vor allem Pkw verkauft, die zwischen

16 und 20 Jahre alt sind. Teilweise sind diese

Autos nicht mehr fahrtauglich. Libyen und

Äthiopien erhalten überwiegend elf bis 15 Jahre

alte Fahrzeuge. Ins Zielland Marokko gehen

aus den Niederlanden dagegen nur Wagen, die

jünger als sechs Jahre sind. Das liegt an den

dortigen Gesetzen.

Neben dem nordafrikanischen Land haben

einige andere Staaten noch strengere Einfuhrbeschränkungen

für Gebrauchtwagen erlassen.

Das Nachbarland Algerien beispielsweise

erlaubt nur Importe von bis zu drei Jahre alten

Wagen. Ägypten oder der Sudan haben Einfuhren

von Gebrauchtfahrzeugen sogar komplett

verboten. Zu dieser Gruppe zählen außerhalb

Afrikas auch Länder wie Indien, die Philippinen,

Thailand und Brasilien. Ihre Motivation

für den Importbann ist allerdings nicht der

europäischen Ansatz und eine enge Zusammenarbeit

zwischen den europäischen und

afrikanischen Regierungen“. Die Qualität exportierter

Gebrauchtwagen aus der EU müsse

sich dringend verbessern. Deutschlands Umweltministerium

ist da zurückhaltender. „Wir

unterstützen über die Internationale Klimaschutzstrategie

(IKI) die Länder Afrikas und

andere Staaten bei der Entwicklung von umfassenden

Klimaschutzstrategien und Maßnahmenplänen,

die den Verkehrssektor immer

einbeziehen“, heißt es aus dem Hause von Ministerin

Svenja Schulze (SPD).

Immerhin arbeitet das Ministerium an der

Novelle der EU-Altfahrzeugrichtlinie mit, die

im kommenden Jahr verhandelt wird – nach

der deutschen Ratspräsidentschaft. Man werde

sich dafür einsetzen, dass „künftig noch

mehr Altfahrzeuge umweltverträglich entsorgt

und so Risiken für die Umwelt weiter minimiert

werden“.

Das würde dabei helfen, die afrikanischen

Märkte vom Druck der Dumping-Gebrauchtwagen

zu befreien. Und es könnte Volkswagen

helfen. Vor zwei Monaten hat der Konzern ein

neues Montagewerk in Ghanas Hauptstadt

Accra eröffnet. Auch in Kenia, Nigeria und Ruanda

stehen ähnliche Fabriken, die in Kleinserien

bis zu 5000 Wagen pro Jahr fertigen sollen.

Zum Vergleich: Das Werk in Uitenhage,

Südafrika, hat eine Kapazität von rund 125.000

Fahrzeugen pro Jahr.

Der Berliner Mietendeckel könnte

schneller vom Topf fliegen als gedacht.

Das Bundesverfassungsgericht

bearbeitet aktuell einen Eilantrag gegen

das Mietendeckelgesetz. Darin geht es

nach WELT-Informationen um den umstrittenen

zweiten Teil des Gesetzes, der

am 23. November in Kraft treten sollte: eine

Festlegung von Preisobergrenzen, gestaffelt

nach Baualtersklassen. In rund 340.000

Wohnungen in der Hauptstadt liegen die

Mieten oberhalb dieser Grenzen und müssten

Ende November abgesenkt werden.

VON MICHAEL FABRICIUS

Berliner

Mietendeckel

steht auf

der Kippe

Das Verfassungsgericht

bearbeitet einen Eilantrag

zum besonders

umstrittenen Teil

des Gesetzes: der

Preistabelle, die Vermieter

zum Absenken zwingt

Nach Informationen der „Berliner Morgenpost“

berichtete die Staatssekretärin

für Stadtentwicklung, Wenke Christoph,

am Dienstag im Senat über „eine neue Entwicklung,

die die Absenkung der Mieten infrage

stellen könnte“. Das Verfassungsgericht

habe ihr Haus zu einer Stellungnahme

aufgefordert, so Christoph. In Karlsruhe

wird bestätigt, dass es einen entsprechenden

Eilantrag gibt. Zwar gibt es keine Informationen

darüber, wann ein Beschluss fallen

könnte. Da die Mietpreistabelle aber

schon Ende November in Kraft tritt, steht

zu erwarten, dass die Richter dem zuvorkommen

wollen.

Das „Gesetz zur Mietenbegrenzung im

Wohnungswesen in Berlin“ gilt zwar nur in

der Hauptstadt. Es sorgt aber bundesweit

für Aufsehen. In Hamburg beispielsweise

zeigen Umfragen, dass die Bürger ebenfalls

Sympathien für eine härtere Mietpreisbegrenzung

hegen. In München gab es eine

Bürgerinitiative für einen bayerischen Mietendeckel.

Auch in anderen Großstädten

mit hohen Mieten, etwa in Frankfurt, wird

die Berliner Entwicklung genau verfolgt.

Der rot-rot-grün regierte Senat allerdings

ging besonders weit, indem er eine Preistabelle

gestaffelt nach Baujahr und Ausstattung

festlegte. Diese Preise entsprechen ungefähr

dem Mietspiegelniveau von 2013.

Demnach wäre beispielsweise für eine Wohnung

aus den Baujahren 1973 bis 1990 und

mit normaler Ausstattung nur eine Nettokaltmiete

von 6,04 Euro pro Quadratmeter

erlaubt. Für Gründerzeitbauten aus den Jahren

vor 1918, die inzwischen oft gut saniert

sind und in gefragten Lagen stehen, sind

6,45 Euro erlaubt. Liegt die aktuelle Miete

um mehr als 20 Prozent darüber, müssen

Vermieter auf den Tabellenwert absenken.

Größere Wohnungsgesellschaften verschicken

zurzeit bereits Briefe an ihre Mieter

und kündigen eventuelle Preisabsenkungen

an. Allein bei der Deutsche Wohnen, mit

112.000 Einheiten die größte Vermieterin in

der Hauptstadt, werden die Mieten in

33.000 Wohnungen gesenkt. Bei Vonovia

könne ein Drittel der Mieter mit einer Absenkung

rechnen, teilte das Unternehmen

mit. Allerdings liegen die Einnahmerückgänge

für das Dax-Unternehmen im einstelligen

Millionenbereich und gelten dort deshalb

als verkraftbar. Die Vonovia-Durchschnittsmiete

in Berlin liegt bei lediglich

6,78 Euro. Auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen

werden auf Einnahmen

verzichten müssen – die Howoge etwa rechnet

mit 21 Euro weniger pro Wohnung.

Anders dagegen bei vielen privaten

Kleinvermietern, die Altbauwohnungen

vermieten. Hier sind nicht selten Beträge

oberhalb von zwölf oder 13 Euro pro Quadratmeter

üblich. In solchen Fällen liefe

der Mietendeckel auf eine glatte Halbierung

hinaus. Das Gesetz sieht allerdings

Härtefallregelungen vor: Vermieter, die

durch die Absenkung in wirtschaftliche

Schwierigkeiten geraten, können Ausnahmen

beantragen.

Der Verwaltungsaufwand ist für alle Beteiligten

groß – und genau darum ging es

auch in dem jetzt in Karlsruhe behandelten

Eilantrag. Die Kläger wandten sich nicht

gegen das Verbot von Mieterhöhungen

oder gegen die Absenkungen, sondern gegen

die aufwendigen Berechnungen, Informationsschreiben

und Preisfestlegungen –

die in ein paar Monaten dann möglicherweise

wieder rückgängig gemacht werden

müssten.

Denn das Verfassungsgericht arbeitet

auch an Eilanträgen gegen das Gesetz

selbst. Bundestagsabgeordnete von FDP

und CDU haben zudem eine Normenkontrollklage

eingereicht, in der die Zuständigkeit

des Landes Berlin fürs Mietrecht angezweifelt

wird. Eine Entscheidung wird im

Laufe des nächsten Jahres erwartet.

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