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In der Corona-Krise wirft die Politik alle

Schuldenregeln über Bord. Das gilt für

Deutschland und die gesamte EU. Den renommierten

Wirtschaftshistoriker Werner

Plumpe erinnert dies an die großen

Wirtschaftskrisen der Vergangenheit. Gut ausgegangen

ist der allzu lockere Umgang mit

dem Geld fast nie.

VON DOROTHEA SIEMS

WELT: Herr Professor Plumpe, in der Corona-Krise

nimmt der Staat in Deutschland so

viele Kredite auf wie nie zuvor. Der EU wird

erstmals erlaubt, gemeinsame Schulden im

großen Stil aufzunehmen. Und auch in anderen

Weltregionen steigen die Schuldenstände

auf Rekordniveau. Ist diese Entwicklung

historisch betrachtet Erfolg versprechend?

WERNER PLUMPE: Diese Schuldenlage ist historisch

ohne Vorbild. In früheren Zeiten waren

Kriege in der Regel der Grund für eine

stark steigende Staatsverschuldung. Das galt

für Frankreich und seine Napoleonischen

Kriege ebenso wie etwa für Deutschland nach

dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Dass sich

Staaten extrem hoch verschulden, um Kriseninterventionen

zu betreiben, ist neu, und deshalb

lassen sich die Erfolgsaussichten nicht

vorhersagen: Es ist ein Test ohne große historische

Erfahrung, und die Erfahrungen, die es

aus den 70er-Jahren gibt, sind nicht vielversprechend.

Welche Idee steckt hinter dieser Strategie?

Die Politik vertraut auf die Idee der sich selbst

vertilgenden Staatsschuld. John Maynard Keynes

hat die Theorie vor dem Hintergrund der

1929 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise

entwickelt. Der Staat soll mit Krediten Investitionen

und Konsum fördern, um so Wachstum

anzureizen, das wiederum staatliche Einnahmen

bringt, mit denen die Schulden dann

zurückgezahlt werden.

Keynes’ Theorie verlangt, dass der Staat in

guten Zeiten Überschüsse macht und Kredite

zurückzahlt. Funktioniert das?

Nein, auch in Deutschland, wo ab den späten

60er-Jahren versucht wurde, mit kreditfinanzierten

Ausgaben Strukturpolitik zu treiben

und später die Konjunktur anzukurbeln, hat

die Politik im Aufschwung die Kredite nicht

zurückgezahlt. Stattdessen wurde weiter mit

Schulden Politik gemacht. Die Folge war, dass

in den 70er-Jahren zwar die Schulden immer

weiter stiegen, aber die Wirtschaft stagnierte,

während die Inflation anstieg. Damit war diese

Politik gescheitert.

In der 2008 ausgebrochenen Finanzkrise erlebte

Keynes aber weltweit eine Renaissance,

und nun in Corona-Zeiten gilt das

noch mehr. Was droht einem Land, wenn es

seine Verschuldung zu weit treibt?

Das kommt auf die Struktur der Verschuldung

an. Ist der Staat bei der eigenen Bevölkerung

verschuldet, dann ist eine Währungsreform

das Mittel der Wahl. Die Deutschen haben das

zwei Mal im 20. Jahrhundert erlebt. 1948 wurden

so aus 100 Mark 6,50 Mark.

Durch eine solche Enteignung wird

der Staat seine Schulden los. Schwieriger

ist es mit internationalen Kreditgebern,

die oft in der Lage sind,

harte Anpassungsmaßnahmen zu erzwingen,

um ihr Geld wiederzubekommen.

Das haben beispielsweise

Mexiko und Argentinien erlebt und

selbst ein großes Land wie Russland

Ende der 90er-Jahre. Für die Bevölkerung

des Schuldenstaates ist auch

dieser Weg mit Härten verbunden,

aber nicht so dramatisch wie eine

Währungsreform.

Gibt es gar keine Beispiele, wo die

Sache gut ausging?

Doch, eine Ausnahme gibt es: Die

USA schafften es nach dem Zweiten

Weltkrieg, von ihrem hohen Schuldenstand

wieder runterzukommen.

Die Amerikaner hatten damals das

Zinsniveau gedeckelt und erzielten

hohe Wachstumsraten bei einer über

dem Zinsniveau liegenden Inflationsrate.

Auf diese Weise gelang das

Abschmelzen des Schuldenstands.

Und darauf will jetzt auch die Europäische

Zentralbank hinaus: eine höhere

Inflation bei gleichzeitig niedrigen

Zinsen und höherem Wirtschaftswachstum.

Dann soll der

Schuldenberg wie Schnee in der Sonne

schmelzen. Zwar bedeutet auch

dieser Weg eine finanzielle Repression,

also Wohlstandsverlust. Doch wäre das weniger

spürbar als eine Enteignung über eine

Währungsreform.

„Dieser Weg

führt oft zu

brachialen

Lösungen“

Der Wirtschaftshistoriker

Werner Plumpe warnt vor den

Folgen massiver Staatsverschuldung

in Europa. Dem Bürger droht

eine Enteignung über Inflation

oder gar eine Währungsreform

Wird die schuldenfinanzierte Strategie der

EU aufgehen?

Das kann nur gelingen, wenn die EU erhebliche

Produktivitätsfortschritte erreicht – und

das ist leider nicht zu sehen. Jetzt wird so getan,

als ginge es vielen EU-Staaten wegen Corona

schlecht. Doch tatsächlich befanden sich

Länder wie Italien oder Frankreich schon vor

der Pandemie wirtschaftlich im Niedergang.

Die fehlende wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit

einiger Mitgliedstaaten ist die Wurzel

des Übels. Und die europäische Krisenpolitik

ändert an dem Grundproblem gar nichts,

sondern verschärft es stattdessen.

Wie das?

Die EU argumentiert mit der Solidarität, die in

der Krise gezeigt werden soll. Zwar habe ich

für dieses Argument große Sympathie. Doch

die finanzielle Solidarität, die bewiesen werden

soll, droht lediglich den Status quo zu konservieren

– und der ist in ökonomischer Hinsicht

nicht gut. Veraltete Strukturen werden

künstlich am Leben und eigentlich bankrotte

Unternehmen am Markt gehalten. Die Gefahr

der Zombifizierung der Wirtschaft ist offenkundig.

So wird man nicht wettbewerbsfähig.

Droht mit dem Wiederaufbaufonds, für den

die EU gemeinsam 750 Milliarden Euro an

Krediten aufnehmen will, eine neue Schuldenspirale?

Die entscheidende Frage ist: Wie will man da

wieder rauskommen? Die gemeinsame Schuldenaufnahme

begünstigt Länder wie Italien

oder Frankreich, die ansonsten höhere Zinsen

für neue Kredite zahlen müssten. Mit den gemeinsamen

Schulden nimmt man den Reformdruck

von diesen Ländern. Ohne Wachstum

werden die Schulden irgendwann erdrückend.

Historisch führten solche Wege oft zu brachialen

Lösungen wie einer Währungsreform, die

auch mit dem Euro möglich wäre. Die Alternative

wären anhaltende Transfers vom Norden

in den Süden. Doch auf Dauer funktioniert

auch die Subventionierung nicht mehr, spätestens

wenn ein Teil der Länder – zum Beispiel

die „sparsamen vier“, also Schweden, die Niederlande,

Dänemark und Österreich – aussteigen,

weil sie sich das nicht mehr leisten wollen.

Die sogenannte Solidarität, die jetzt beschworen

wird, birgt also große Risiken.

Müsste Europa eine Konjunkturkrise besser

mal aushalten, anstatt mit hohen Schulden

überkommene Strukturen zu konservieren?

Eigentlich schon, doch in einer Demokratie ist

eine solche Rosskur, die mit erheblichen politischen

Kosten verbunden wäre, schwierig. Deshalb

ist es nachvollziehbar, dass Regierungen

das vermeiden wollen. Trotzdem müssen wir

Europäer uns fragen, wie sich die notwendigen

Reformen erreichen lassen. In Deutschland ist

die Regierung Schröder mit den Hartz-Reformen

und der Agenda 2010 den Weg der inneren

Abwertung gegangen, der zu wirtschaftlicher

Dynamik geführt hat. Auch Griechenland, das

sich vor Corona zuletzt gut entwickelt hatte,

beweist, dass es geht.

Italien oder Frankreich lassen sich aber von

Brüssel keine Reformen vorschreiben.

Sich internationalem Druck zu beugen passt

nicht zum Selbstbild größerer Länder. Hier ist

eine kluge Regierungspolitik gefordert. Die Bereitschaft

zu Reformen muss aus den Ländern

selbst kommen. Leider zeigt sich aber auch in

Frankreich, wo entsprechende Bemühungen

von Präsident Macron blockiert wurden, wie

groß die Widerstände sind. Höhere Staatsschulden

sind kurzfristig der leichtere Weg.

Birgt der ultralockere Kurs der

EZB-Geldpolitik Risiken?

Ja, für die EZB ist die Erhaltung der

Euro-Zone das übergeordnete Ziel,

nicht die Geldwertstabilität. Mit dem

Kauf von Staatsanleihen betreibt sie

erkennbar eine monetäre Staatsfinanzierung,

zumal sie Ländern wie

Italien entgegen der ursprünglichen

Quotenregelung überproportional

viele Anleihen abnimmt. Nach den

EU-Verträgen ist eine monetäre

Staatsfinanzierung ausdrücklich unzulässig,

aber die roten Linien werden

von der EZB stetig weiterverschoben.

Und die nationalen Regierungen

lassen das zu. Überdies hat

die Zentralbank kürzlich ihr Inflationsziel

verändert: Bisher galt die Vorgabe

„bis zu zwei Prozent Inflation“,

jetzt heißt es „zwei Prozent“. De

facto fördert man also bewusst die

Inflation, um auf Basis eines fragwürdigen

ökonomischen Modells auf diese

Weise wirtschaftliches Wachstum

anzureizen. In Wirklichkeit werden

nur unwirtschaftliche Strukturen

konserviert und das sparende Publikum

durch die niedrigen Zinsen bei

steigender Inflation womöglich noch

enteignet.

Sind unsolide Staatsfinanzen historisch

eher die Regel oder die Ausnahme?

In der Tat zeigt die Geschichte, dass der Staat

dazu neigt, bei der Verfolgung politischer Ziele

seine finanziellen Möglichkeiten zu überdehnen

und dadurch die Stabilität zu gefährden.

Historisch sind solide Staatsfinanzen mit

geringer Inflation deshalb eher selten, obwohl

diese Zeiten in der Regel mit hoher wirtschaftlicher

Performanz verbunden waren. In

Deutschland galt das für die Zeit zwischen

1890 und 1914 sowie in den 50er- und 60er-Jahren.

Es waren die niedrigen Inflationsraten,

die in diesen Phasen zum starken Wachstum

wesentlich beigetragen haben. Geldwertstabilität

führt nicht automatisch zu hohem

Wachstum; es ist hierfür aber eine günstige

Bedingung.

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