<strong>Luxus</strong> Foto: Martin Mai Kaufen ist wie Kokain Carl Tillessen, Autor, Trendanalyst, Berater 38 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de
<strong>Luxus</strong> UmweltDialog: Karl Lagerfeld hat einmal gesagt: Wer <strong>Luxus</strong> mit Reichtum verwechselt, hat <strong>kein</strong>e Kultur. Was ist <strong>Luxus</strong> für Sie? Carl Tillessen: Die Faszination, die von <strong>Luxus</strong> ausgeht, hängt sehr stark damit zusammen, dass der Konsum von <strong>Luxus</strong> unsere Selbstwahrnehmung verändert. Wenn ich mir zum Beispiel einen Mercedes oder ein anderes großes Auto kaufe, dann sitze ich da nicht nur drin, sondern ich verschmelze mit dem Produkt, ich werde zu einem ‚Mercedesfahrer‘. <strong>Luxus</strong> hat diese Macht, dass wir uns durch dieses Objekt selbst aufgewertet fühlen. Das ist etwas, was mit Nicht-<strong>Luxus</strong>-Produkten eben nicht passiert. Wenn Sie mich aber nach meinem ganz persönlichen Zugang zu <strong>Luxus</strong> fragen, dann würde ich sagen: Für mich ist etwas luxuriös, was nicht kompromissbehaftet ist. Identifikation mit Produkten erfolgt auch, weil wir glauben, dass uns diese Attribute privat <strong>und</strong> beruflich voranbringen. Wieso sind wir uns da so sicher? Da glaube ich, dass Influencer hieran einen großen Anteil haben. Denn für den Betrachter ist nicht mehr zu unterscheiden, ob diese Leute sich all diese Dingen leisten können, weil sie erfolgreich sind, oder ob sie so erfolgreich geworden sind, weil sie sich all diese Dinge geleistet haben. Wahrscheinlich gibt es Karrieren, die tatsächlich so funktioniert haben. Dadurch ist so eine „Fake it 'til you make it“-Mentalität entstanden, bei der man erst mal drauf los konsumiert. Wir sind ein bisschen zu einer Gesellschaft von Aufschneidern <strong>und</strong> Hochstaplern geworden. Ich habe gelesen, Sie wollten mit ihrem Sachbuch „Konsum – Warum wir kaufen, was wir nicht brauchen“ ein Trauma verarbeiten. Welcher Schmerz plagt Sie denn? Die Vorgeschichte ist, dass ich 17 Jahre lang eine eigene Modemarke hatte, die ich dann aber aufgeben musste. Gründe hierfür waren letztendlich die fortschreitende wirtschaftliche Konzentration <strong>und</strong> Vertikalisierung. Auch wenn diese Entwicklungen nicht jeden die Existenz kosten, so verändern sie doch die Welt um uns herum <strong>und</strong> betreffen uns alle. Das ist das eine Trauma. Das andere Trauma war, zu erkennen, dass die Modebranche, die früher so glanzvoll, chic <strong>und</strong> begehrlich erschien, vollkommen zu Recht in den Fokus einer <strong>Nachhaltigkeit</strong>s- <strong>und</strong> Fairness-Debatte geraten ist. Diese überfällige Debatte führt dazu, dass viele Menschen gerade auf ihr Leben blicken <strong>und</strong> sich eingestehen müssen, dass vieles, was gestern richtig war, heute falsch ist. Ist dann das Einhalten von Umwelt- <strong>und</strong> Sozialstandards der eigentliche <strong>Luxus</strong>? Es ist der neue <strong>Luxus</strong>. Denn auch dabei lassen wir uns weniger von unserem eigenen Urteil leiten, als von den Erwartungen unseres Umfelds. Zu diesem Schluss bin ich bei meinen ganzen Recherchen gekommen. Es gab zum Beispiel eine Studie mit dem sprechenden Titel „Going green to be seen“, wonach die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute zu nachhaltigen oder fairen Produkten greifen, sehr, sehr viel höher ist, wenn andere ihnen bei der Kaufentscheidung zusehen. Und so wird eben auch <strong>Nachhaltigkeit</strong>, die gerade in den sozialen Medien eine hohe Anerkennung bekommt, zum neuen <strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> Statussymbol. Sie sagen in Ihrem Buch, Kaufen sei eine Sucht. Wie Kokain konsumieren. Was macht der „Kaufrausch“ mit uns? Das ist nicht meine persönliche Theorie, sondern der aktuelle Stand der Wissenschaft, dass ein Lustkauf in uns die gleichen biochemischen Prozesse in Gang setzt wie die Zufuhr von bestimmten Stoffen wie Kokain oder Amphetamin. Wir kaufen oftmals nur, um darüber unsere Stimmung zu regulieren <strong>und</strong> uns aufzuheitern. Kurze Zeit danach fällt unser Glücksempfinden aber auf ein niedrigeres Niveau als vorher. Das ist sozusagen der Kater nach dem Kaufrausch. Darauf reagieren wir wieder durch den nächsten Kauf, um unsere Stimmung wieder anzuheben <strong>und</strong> so weiter. Wir werden dadurch kurzfristig zufrieden, aber langfristig immer unzufriedener <strong>und</strong> unglücklicher. Aber ich kann trotzdem jeden Menschen sehr gut verstehen, der sich erst mal gegen den Gedanken sträubt, dass unser Konsum eine Sucht ist. Man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass Sucht immer mit gesellschaftlichem Absturz einhergeht. Es gibt sehr viele Süchte, die sich mühelos in unseren Alltag integrieren lassen − Kaffee, Rauchen <strong>und</strong> so weiter −, bei denen wir trotzdem noch funktionieren. Für mich fängt Sucht eigentlich da an, wo etwas auf uns eine Anziehungskraft ausübt, die regelmäßig stärker ist als unsere guten Vorsätze. So gesehen ist Konsum auch eine Sucht, weil es natürlich diese guten Vorsätze gibt, weniger zu kaufen oder bestimmte Dinge nicht mehr zu kaufen, <strong>und</strong> wir es dann trotzdem immer wieder tun − gegen besseres Wissen, gegen gute Vorsätze, gegen unsere Überzeugung <strong>und</strong> so weiter. Das bekommt man nur in den Griff, wenn man aufhört, es zu verharmlosen. Wenn wir wieder einmal mit einem neuen Paar Schuhe nach Hause kommen, obwohl wir uns doch eigentlich <strong>kein</strong>e mehr kaufen wollten, dann ist das nämlich <strong>kein</strong>eswegs so harmlos, als hätten wir ein bisschen mehr Kuchen gegessen als wir eigentlich wollten. Dass wir uns ständig irgendwelche Fast-Fashion-Sachen kaufen, ist <strong>kein</strong>e sympathische kleine Schwäche. Wo endet für Sie Konsum <strong>und</strong> wo beginnt Überkonsum? Schwierige Frage. Zunächst einmal ist es ja schön, dass wir uns Dinge leisten können, die wir uns früher nicht leisten konnten. Aber wenn wir uns angucken, dass sich zum Beispiel − um bei der Mode zu bleiben − der globale Konsum an Kleidung seit 1960 verneunfacht hat, dann ist es absolut richtig, hier von Überkonsum zu sprechen. Überkonsum fängt da an, wo wir die Dinge, die wir kaufen, nicht wirklich nutzen. Statistisch wird jedes fünfte Kleidungsstück <strong>kein</strong> Mal oder maximal einmal getragen. f Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de 39