<strong>Luxus</strong> Foto: drdreysse.com Mehr in Partnerschaften denken Nanda Bergstein, Director Corporate Responsibility bei Tchibo 40 Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de
<strong>Luxus</strong> UmweltDialog: Frau Bergstein, was ist <strong>Luxus</strong> für Sie? Nanda Bergstein: Mittlerweile finde ich <strong>Luxus</strong> weniger im Materiellen als im Immateriellen: Zeit, um meinen Interessen nachzugehen ohne gehetzt zu sein gehört für mich dazu, aber auch draußen in einer intakten Natur zu sein, ist für mich <strong>Luxus</strong>. Für manche ist <strong>Luxus</strong>, immer der neuesten Mode zu folgen. Fast Fashion ist ein Ergebnis davon <strong>und</strong> ziemlich das Gegenteil von nachhaltiger Bekleidung. Wie geht es Ihnen dabei? Es schlagen hier zwei Seelen in meiner Brust: Zum einen weiß ich, wie eng Mode <strong>und</strong> Identität miteinander verb<strong>und</strong>en sind. Ein schönes, neues Kleidungsstück kann dabei helfen, der Identität Ausdruck zu verleihen <strong>und</strong> sich so wohlzufühlen. Doch wenn dies ausufert – weil die Psyche ständig etwas Neues benötigt, um sich gut zu fühlen, quasi wie im Rausch – ist das, denke ich, zu viel. Wir müssen hier mehr Achtsamkeit lernen. Bei Tchibo gibt es jede Woche eine neue Themenwelt. Drehen Sie da nicht auch am Konsumrad mit? Jedes Unternehmen, das Produkte anbietet, dreht am Konsumrad mit. Wenn man bei Tchibo genau hinsieht, sind unsere Anzahl <strong>und</strong> Ausführungen an Produkten pro Woche begrenzt <strong>und</strong> bewusst kuratiert. Wir setzen dabei stringent auf Qualität, Langlebigkeit <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong>. Im Textilbereich geht Tchibo konsequent in die Gegenrichtung. Ab wann ist Mode nachhaltig? Und kann es so etwas geben wie „ein bisschen nachhaltig“? Am liebsten verwende ich den Begriff „nachhaltiger“ oder „verantwortlich“. Denn perfekte <strong>Nachhaltigkeit</strong> gibt es nicht. Was heute als nachhaltig gilt, mag morgen schon wieder überholt sein. Auch werden häufig immer nur einzelne, spezifische Aspekte wie beispielsweise die Verwendung von Bio-Baumwolle als nachhaltig hervorgehoben. Doch das beschreibt nur einen Aspekt der ökologischen Seite. Darüber hinaus gibt es viele andere: Wurden die Produkte klimafre<strong>und</strong>lich hergestellt? Wie wurden sie transportiert? Wie sind sie verpackt? Aber auch soziale Aspekte müssen betrachtet werden: Wurden die Produkte unter Achtung der Menschenrechte hergestellt? Eine weitere Dimension, die häufig in der Diskussion außer Acht gelassen wird, ist das ökonomische Zusammenspiel: Von Produktion <strong>und</strong> Nachfrage hängen im aktuellen Wirtschaftssystem auch Arbeitsplätze <strong>und</strong> damit menschliche Existenzen ab. Wichtig ist also die <strong>Nachhaltigkeit</strong> eines Produktes immer ganzheitlich, im Zusammenspiel der ökonomischen, ökologischen <strong>und</strong> sozialen Komponenten zu bewerten. Wie bei einem Puzzle, jedes einzelne Teil ist wichtig, doch nur alle zusammen ergeben ein ganzes Bild. Deshalb schauen wir bei unseren Produkten ganzheitlich auf alle Schritte der Lieferkette <strong>und</strong> gestalten diese nachhaltiger. Viele Ihrer Produktthemen drehen sich um Stil <strong>und</strong> Eleganz. Ist das <strong>Luxus</strong>? Was als <strong>Luxus</strong> definiert wird, ist eine sehr persönliche Sache. Für mich ist <strong>Luxus</strong>, einen Spaziergang am Meer zu machen <strong>und</strong> Zeit für meine Familie zu haben. Für jemand anderen mag es sein, etwas Besonderes zu besitzen oder ein ernst gemeintes Lächeln zu erhalten. In Ihren Lieferketten – ob Kaffee oder Textil – erleben die Menschen <strong>Luxus</strong> ganz anders. Welche Verbesserungen liegen Ihnen persönlich besonders am Herzen? Da <strong>Luxus</strong> etwas ganz Individuelles ist, wäre es spannend, den Menschen in den Lieferketten die Frage nach <strong>Luxus</strong> direkt selbst zu stellen. Mit Sicherheit würden wir Antworten hören, die mit der Existenzsicherung zu tun haben, aber auch mit Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> einer verlässlichen Schulbildung für die Kinder. Aber ich weiß, es ginge auch darum, Zeit zu haben, um mit der Familie <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en zusammen zu sein <strong>und</strong> – besonders wichtig – mit Respekt behandelt zu werden. Dass dies vermutlich als <strong>Luxus</strong> definiert würde zeigt, was dort fehlt <strong>und</strong> wie ungerecht die Verteilung von Wohlstand auf den unterschiedlichen Erdteilen ist. Mir liegen deswegen vier Dinge besonders am Herzen: faire Bezahlung für höhere Einkommen, Respekt im Umgang mit Beschäftigten in der Produktion <strong>und</strong> auf den Farmen sowie die Eliminierung der Umweltverschmutzung. Die UN hat kürzlich ein neues Menschenrecht definiert: das Recht auf eine saubere <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>e Umwelt. Ich finde, jede:r hat es verdient, ein gutes <strong>und</strong> schönes Umfeld zu haben. Als vierten Punkt halte ich eine veränderte Haltung in globalen Lieferketten für notwendig. Alle Glieder sind voneinander abhängig, doch gerade auf Marken- <strong>und</strong> Retailseite herrscht immer noch die Haltung, dass Lieferanten <strong>und</strong> Lieferketten austauschbar sind. Ich denke, die aktuelle Supply-Chain- Situation lehrt uns, wie groß die gegenseitigen Abhängigkeiten sind. Wir müssen mehr in Partnerschaften denken <strong>und</strong> auf Augenhöhe miteinander umgehen. f Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de 41