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Luxus und Nachhaltigkeit - kein Widerspruch

Luxus und Nachhaltigkeit - wie passt das zusammen? Steht Luxus nicht für Überfluss, Dekadenz und Nimmersatt und Nachhaltigkeit für Achtsamkeit und Langlebigkeit. Ja, und gerade diese beiden Perspektiven wachsen gerade zusammen. Das neue UmweltDialog Magazin macht sich auf eine spannende Spurensuche nach nachhaltigem Luxus.

Luxus und Nachhaltigkeit - wie passt das zusammen? Steht Luxus nicht für Überfluss, Dekadenz und Nimmersatt und Nachhaltigkeit für Achtsamkeit und Langlebigkeit. Ja, und gerade diese beiden Perspektiven wachsen gerade zusammen. Das neue UmweltDialog Magazin macht sich auf eine spannende Spurensuche nach nachhaltigem Luxus.

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<strong>Luxus</strong><br />

UmweltDialog: Karl Lagerfeld hat einmal<br />

gesagt: Wer <strong>Luxus</strong> mit Reichtum verwechselt,<br />

hat <strong>kein</strong>e Kultur. Was ist <strong>Luxus</strong><br />

für Sie?<br />

Carl Tillessen: Die Faszination, die von<br />

<strong>Luxus</strong> ausgeht, hängt sehr stark damit<br />

zusammen, dass der Konsum von <strong>Luxus</strong><br />

unsere Selbstwahrnehmung verändert.<br />

Wenn ich mir zum Beispiel einen Mercedes<br />

oder ein anderes großes Auto kaufe,<br />

dann sitze ich da nicht nur drin, sondern<br />

ich verschmelze mit dem Produkt, ich<br />

werde zu einem ‚Mercedesfahrer‘. <strong>Luxus</strong><br />

hat diese Macht, dass wir uns durch dieses<br />

Objekt selbst aufgewertet fühlen. Das<br />

ist etwas, was mit Nicht-<strong>Luxus</strong>-Produkten<br />

eben nicht passiert. Wenn Sie mich<br />

aber nach meinem ganz persönlichen<br />

Zugang zu <strong>Luxus</strong> fragen, dann würde ich<br />

sagen: Für mich ist etwas luxuriös, was<br />

nicht kompromissbehaftet ist.<br />

Identifikation mit Produkten erfolgt auch,<br />

weil wir glauben, dass uns diese Attribute<br />

privat <strong>und</strong> beruflich voranbringen. Wieso<br />

sind wir uns da so sicher?<br />

Da glaube ich, dass Influencer hieran einen<br />

großen Anteil haben. Denn für den<br />

Betrachter ist nicht mehr zu unterscheiden,<br />

ob diese Leute sich all diese Dingen<br />

leisten können, weil sie erfolgreich sind,<br />

oder ob sie so erfolgreich geworden sind,<br />

weil sie sich all diese Dinge geleistet haben.<br />

Wahrscheinlich gibt es Karrieren,<br />

die tatsächlich so funktioniert haben.<br />

Dadurch ist so eine „Fake it 'til you make<br />

it“-Mentalität entstanden, bei der man<br />

erst mal drauf los konsumiert. Wir sind<br />

ein bisschen zu einer Gesellschaft von<br />

Aufschneidern <strong>und</strong> Hochstaplern geworden.<br />

Ich habe gelesen, Sie wollten mit ihrem<br />

Sachbuch „Konsum – Warum wir kaufen,<br />

was wir nicht brauchen“ ein Trauma verarbeiten.<br />

Welcher Schmerz plagt Sie denn?<br />

Die Vorgeschichte ist, dass ich 17 Jahre<br />

lang eine eigene Modemarke hatte, die<br />

ich dann aber aufgeben musste. Gründe<br />

hierfür waren letztendlich die fortschreitende<br />

wirtschaftliche Konzentration <strong>und</strong><br />

Vertikalisierung. Auch wenn diese Entwicklungen<br />

nicht jeden die Existenz kosten,<br />

so verändern sie doch die Welt um<br />

uns herum <strong>und</strong> betreffen uns alle. Das<br />

ist das eine Trauma. Das andere Trauma<br />

war, zu erkennen, dass die Modebranche,<br />

die früher so glanzvoll, chic<br />

<strong>und</strong> begehrlich erschien, vollkommen<br />

zu Recht in den Fokus einer <strong>Nachhaltigkeit</strong>s-<br />

<strong>und</strong> Fairness-Debatte geraten<br />

ist. Diese überfällige Debatte führt dazu,<br />

dass viele Menschen gerade auf ihr Leben<br />

blicken <strong>und</strong> sich eingestehen müssen,<br />

dass vieles, was gestern richtig war,<br />

heute falsch ist.<br />

Ist dann das Einhalten von Umwelt- <strong>und</strong><br />

Sozialstandards der eigentliche <strong>Luxus</strong>?<br />

Es ist der neue <strong>Luxus</strong>. Denn auch dabei<br />

lassen wir uns weniger von unserem<br />

eigenen Urteil leiten, als von den Erwartungen<br />

unseres Umfelds. Zu diesem<br />

Schluss bin ich bei meinen ganzen Recherchen<br />

gekommen. Es gab zum Beispiel<br />

eine Studie mit dem sprechenden<br />

Titel „Going green to be seen“, wonach<br />

die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute<br />

zu nachhaltigen oder fairen Produkten<br />

greifen, sehr, sehr viel höher ist, wenn<br />

andere ihnen bei der Kaufentscheidung<br />

zusehen. Und so wird eben auch <strong>Nachhaltigkeit</strong>,<br />

die gerade in den sozialen Medien<br />

eine hohe Anerkennung bekommt,<br />

zum neuen <strong>Luxus</strong> <strong>und</strong> Statussymbol.<br />

Sie sagen in Ihrem Buch, Kaufen sei eine<br />

Sucht. Wie Kokain konsumieren. Was<br />

macht der „Kaufrausch“ mit uns?<br />

Das ist nicht meine persönliche Theorie,<br />

sondern der aktuelle Stand der Wissenschaft,<br />

dass ein Lustkauf in uns die gleichen<br />

biochemischen Prozesse in Gang<br />

setzt wie die Zufuhr von bestimmten<br />

Stoffen wie Kokain oder Amphetamin.<br />

Wir kaufen oftmals nur, um darüber unsere<br />

Stimmung zu regulieren <strong>und</strong> uns<br />

aufzuheitern. Kurze Zeit danach fällt unser<br />

Glücksempfinden aber auf ein niedrigeres<br />

Niveau als vorher. Das ist sozusagen<br />

der Kater nach dem Kaufrausch.<br />

Darauf reagieren wir wieder durch den<br />

nächsten Kauf, um unsere Stimmung<br />

wieder anzuheben <strong>und</strong> so weiter. Wir<br />

werden dadurch kurzfristig zufrieden,<br />

aber langfristig immer unzufriedener<br />

<strong>und</strong> unglücklicher.<br />

Aber ich kann trotzdem jeden Menschen<br />

sehr gut verstehen, der sich erst mal gegen<br />

den Gedanken sträubt, dass unser<br />

Konsum eine Sucht ist. Man muss sich<br />

von der Vorstellung verabschieden, dass<br />

Sucht immer mit gesellschaftlichem<br />

Absturz einhergeht. Es gibt sehr viele<br />

Süchte, die sich mühelos in unseren Alltag<br />

integrieren lassen − Kaffee, Rauchen<br />

<strong>und</strong> so weiter −, bei denen wir trotzdem<br />

noch funktionieren.<br />

Für mich fängt Sucht eigentlich da an,<br />

wo etwas auf uns eine Anziehungskraft<br />

ausübt, die regelmäßig stärker ist als<br />

unsere guten Vorsätze. So gesehen ist<br />

Konsum auch eine Sucht, weil es natürlich<br />

diese guten Vorsätze gibt, weniger<br />

zu kaufen oder bestimmte Dinge nicht<br />

mehr zu kaufen, <strong>und</strong> wir es dann trotzdem<br />

immer wieder tun − gegen besseres<br />

Wissen, gegen gute Vorsätze, gegen<br />

unsere Überzeugung <strong>und</strong> so weiter. Das<br />

bekommt man nur in den Griff, wenn<br />

man aufhört, es zu verharmlosen. Wenn<br />

wir wieder einmal mit einem neuen Paar<br />

Schuhe nach Hause kommen, obwohl<br />

wir uns doch eigentlich <strong>kein</strong>e mehr kaufen<br />

wollten, dann ist das nämlich <strong>kein</strong>eswegs<br />

so harmlos, als hätten wir ein<br />

bisschen mehr Kuchen gegessen als wir<br />

eigentlich wollten. Dass wir uns ständig<br />

irgendwelche Fast-Fashion-Sachen<br />

kaufen, ist <strong>kein</strong>e sympathische kleine<br />

Schwäche.<br />

Wo endet für Sie Konsum <strong>und</strong> wo beginnt<br />

Überkonsum?<br />

Schwierige Frage. Zunächst einmal ist<br />

es ja schön, dass wir uns Dinge leisten<br />

können, die wir uns früher nicht leisten<br />

konnten. Aber wenn wir uns angucken,<br />

dass sich zum Beispiel − um bei der<br />

Mode zu bleiben − der globale Konsum<br />

an Kleidung seit 1960 verneunfacht hat,<br />

dann ist es absolut richtig, hier von Überkonsum<br />

zu sprechen. Überkonsum fängt<br />

da an, wo wir die Dinge, die wir kaufen,<br />

nicht wirklich nutzen. Statistisch wird<br />

jedes fünfte Kleidungsstück <strong>kein</strong> Mal<br />

oder maximal einmal getragen. f<br />

Ausgabe 16 | November 2021 | Umweltdialog.de<br />

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