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8 KULTUR JOKER Theater

Im Großen Haus dreht sich die

Sommervilla als ginge es hier

wirklich voran und nicht nur ebenso

im Kreis herum. Ein Kamin,

ein paar Stühle mit Tisch, mehrere

Holzbalken stützen die Veranda,

zu der eine Außentreppe führt.

An der Wand hängt ein Stich aus

einem Insektenbuch und wirklich

haben wir merkwürdige Spezies

vor uns. Diese Sommerfrische

gehört Anna Wojnizewa (Janna

Horstmann), dass sie jung verwitwet

ist, reizt die Gemüter. Doch

Wojnizewa ist pleite, das Anwesen

ist hoch verschuldet, der reiche

Nachbar könnte aushelfen, doch

er wird verschmäht. Es sieht ein

bisschen wie ein Puppenhaus aus,

doch das wäre ein anderes Drama

(Bühne: Kaspar Zwimpfer). Hier

wird Anton Tschechows Frühwerk

„Platonow“ gegeben, Regie führt

Intendant des Theater Freiburg

Peter Carp. Eine Projektion wird

auf die Bühnenrückwand geworfen,

die das Geschehen in kleine

Segmente unterteilt, irgendwann

ist das Video verpixelt, dann gibt

es ganz den Geist auf. Was kaum

jemand zu bemerken scheint.

„Platonow“ ist ein Ensemblestück

und daher bestens angetan,

nach dem Monolog von Robert

Hunger-Bühler die neue Spielzeit

2009 haben Nuscha Nistor (Regie)

und Mathias Willaredt-Nistor

(Komposition) ihr Theaterensemble

Puck gegründet, seitdem ist

es ihr Markenzeichen geworden

Schauspiel, Choreografie und Live-Musik

zu einem emotionsgeladenen

und stark rhythmisierten

Theatererlebnis zu verquicken.

Nach fast zweijähriger Zwangs-

Hohl drehendes Sommerhaus

Peter Carp inszeniert zum Spielzeitauftakt Tschechows Frühwerk „Platonow“

(v.l.n.r.) Moritz Peschke, Martin Hohner, Laura Palacios, Henry Meyer, Janna Horstmann und

Thieß Brammer in „Platonow“

Foto: Birgit Hupfeld

einzuläuten. Noch zwölf Rollen

weist die Freiburger Inszenierung

auf, in der Originalfassung sind

es mehr als 20. Dass Charaktere

wider besseres Wissen handeln,

ist nicht ungewöhnlich für Tschechow-Figuren,

doch Michail Platonow

(Martin Hohner) macht

wirklich keine halben Sachen.

Kaum eine Frau oder eine Beziehung,

die er nicht ruiniert, zuallererst

Sascha Iwanowna (Stefanie

Mrachacz), seine eigene Frau.

Man erinnere sich: der Mann ist

Dorflehrer, hat sogar das Studium

abgebrochen. Alle sind irgendwie

dünnhäutig und teilweise bewaffnet,

was keine wirklich gute Kombination

ist.

Dabei hat man noch nicht einmal

das Gefühl, Platonow würde

es in irgendeiner Weise genießen.

Stattdessen wird er, wenn wirklich

alles schon zu spät ist, sich

in seiner Schuld suhlen wie auf

einer schmutzigen Matratze, was

er auch ganz wörtlich tut. Sie liegt

auf einer Euro-Palette. Dieses Unentschiedene

ist nicht einmal melancholisch,

Martin Hohner gibt

ihm etwas Überdrehtes, so als ob

man es nur genügend überspielen

müsste, um es ungeschehen zu

machen. Reihum verzweifeln und

sterben Menschen, es ficht ihn wenig

an. Und weil die (männliche)

Hysterie so etwas wie der Grundton

dieser Inszenierung ist, fällt es

auch schwer den anderen Figuren

so etwas wie Tiefe zuzugestehen.

Bis ins Sprechen hinein ist diese

Inszenierung seltsam übersteuert,

manchmal wird geradezu albern

deklamiert.

Ziemlich am Anfang wird darüber

räsoniert, dass man sich in

der Vergangenheit Aufführungen

bis zum Ende angesehen hat. Es

klingt ein bisschen wie eine ironisch

gemeinte Drohung, denn

tatsächlich dauert die Inszenierung

über drei Stunden. Das ist

aber noch gut vier Stunden kürzer

Emotionsgeladenes Theatererlebnis

Goldonis „Weiberklatsch“ mit dem Theater Puck auf der Experimentalbühne im E-Werk

pause feierte jetzt ihre vom Kulturamt

geförderte Inszenierung

„Weiberklatsch“ auf der Experimentalbühne

im Freiburger E-

Werk Premiere.

Carlo Goldonis hier stark gekürzte

Komödie ist ein turbulentes

und mit all seinen Verwechslungen

und Verirrungen

klassisches Lustspiel á la Molière,

das in Venedig Mitte des 18.

Jahrhunderts spielt und den jungen

Schauspielschüler*innen eine

Steilvorlage für Expressivität und

Dynamik bietet, skizziert Vielschreiber

Goldoni hier doch ein

prallbuntes Sittengemälde mit

ganz unterschiedlichen Typen.

Regisseurin Nuscha Nistor macht

in sparsam-goldenem Licht ein lustiges

Märchen daraus, das durch

Gesangs-und Bewegungseinlagen

zu stimmungsvoll-vielschichtiger

E-Akkordeon-Musik zwischen

Musical, Commedia dell´arteund

Stummfilm-Ästhetik changiert.

Im Mittelpunkt stehen die

Frauen: Klug, geschwätzig und

offenherzig, mit jeder Menge

Temperament und Lebenslust.

Zu fünft sitzen sie schon gickelnd

auf der Bühne, während

das Publikum noch seine Plätze

sucht: In der Mitte die blondbezopfte,

kindliche Checca (Maya

Kenda) im grünen Kleid, rechts

davon in braun gestreiften Röcken

Krämerin Sgualda (Aurélia

Breyer) und Wäscherin Catte

(Caia David), links die feinen

Damen Beatrice (Perrine Martin)

und Elenora (Marlene Lickert) mit

Handschuhen und viel Dekolleté

(Kostüme: Nuscha Nistor). Noch

sind sie friedlich, schließlich feiert

Checca heute Verlobung mit

als die ungekürzte Fassung. Eine

Erleichterung ist das jedoch nicht,

allzu fern bleiben einem diese Figuren.

Weitere Vorstellungen:

5./6./13./20. und 27. November,

jeweils 19.30 Uhr und 28. November

19 Uhr im Großen Haus des

Theater Freiburg.

Annette Hoffmann

ihrem Bebbo (Lukas Kadlec)

– doch gleich gehen sie sich das

erste Mal mit wildem Geschimpfe

und Gekreisch gegenseitig an die

Gurgel. Symptom ihrer Animositäten

ist ein übles Gerücht, das in

den folgenden neunzig Minuten

seine Kreise zieht und fast eine

Katastrophe anrichtet.

„Checca ist nicht die leibliche

Tochter von Paron Toni, Checca

ist ein Bastard“ – lautet die Sensation,

die nun lustvoll von Ohr

zu Ohr getragen wird. Die Folge:

Häme, Misstrauen, Hochzeit

fast geplatzt. Große, junge Liebe

gegen Flüstergift und Konventionen

– klar, gibt’s trotzdem ein

Happy End! Bevor sich die Turteltäubchen

aber kriegen, wird die

Geschichte mit viel Tohuwabohu

verknotet und von clownesken Figuren

wie dem eitlen Geck Lelio

(Jan Saure), seinem Diener (Jannik

Sulger) und dem Dörrobsthändler

Musa (Melchior Meyer)

in Schwung gehalten. Requisite

braucht´s da keine: Es reichen

fünf schlichte, schwarze Hocker

und etwas Pantomime, um den

Fokus ganz auf das Schauspiel

zu richten. Das ist mitreißend

und quicklebendig. Dazu hat jede

Figur ein eigenes Lied, es gibt

Schabernack, Schmachterei und

Streit. Temperamentausbrüche

im Dampfkochtopf einer italienischen

Gerüchteküche…

Weitere Vorstellungen: 5./6.

November, 20 Uhr, 7. November,

18 Uhr. Experimentalbühne im

E-Werk. Karten unter www.puckfreiburg.de

Marion Klötzer

Goldonis „Weiberklatsch“ mitreißend und quicklebendig Foto: W. Nistor

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