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KREUZTAL OLPE SIEGEN LIMBURG HAGEN<br />

Ein Gender-Albtraum<br />

Seit dem Jahr 1867 verlegt der Reclam-Verlag seine<br />

Bücher. Diese fanden (und finden) nicht nur in der<br />

schulischen, sondern auch in der universitären Bildung<br />

Verwendung. Über 600 Millionen der preisgünstigen<br />

Hefte wurden bis heute verkauft.<br />

Gesellschaft<br />

Foto: Ulli Weber<br />

Auf der Suche nach einem älteren Buch fiel mir<br />

kürzlich beim Stöbern auf unserem „Ollern“ ein<br />

kostbarer Schatz in die Hände. Dieser bestand aus<br />

zwei Dutzend elfenbeinfarbener Reclam-Hefte aus meiner<br />

Schulzeit. Und kostbar war er schon alleine deshalb, weil<br />

mir die verblassten Erinnerungen an den Deutsch-Unterricht<br />

nach etlichen Jahrzehnten beim Anblick der Titel augenblicklich<br />

wieder ins Gedächtnis kamen.<br />

Ganz oben lag Schillers „Wilhelm Tell“. Meine Güte,<br />

was hat uns der Bursche in Atem gehalten. Bei irgendeinem<br />

Schulfest musste meine Klasse dieses Bühnenwerk aufführen.<br />

Ich spielte einen der Eidgenossen, die unter anderem gemeinsam<br />

den „Rütli-Schwur“ ablegen mussten. Und dessen Wortlaut<br />

fiel mir sogleich wieder ein: „Wir wollen sein ein einzig<br />

Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr…“<br />

Auch mit dem nächsten Heft war eine besondere Bewandtnis<br />

verbunden. Die Freilichtbühne auf dem Loreleyfelsen<br />

bei St. Goarshausen war das Ziel eines Klassenausflugs.<br />

Das Schauspiel „Götz von Berlichingen“ kam an diesem geschichtsträchtigen<br />

Ort zur Aufführung. Goethes Hauptwerk<br />

in seiner „Sturm-und-Drang-Zeit“ hatte in den Wochen zuvor<br />

unseren Deutsch-Unterricht bestimmt. Ich erinnere mich<br />

noch an den riesigen Jubel des meist jungen Publikums im<br />

weiten Rund, als Ritter Götz sein derbes – und wohl gerade<br />

deshalb so berühmtes – Zitat hinauswetterte.<br />

Die Erinnerungen waren freilich nicht dazu angetan,<br />

dass ich das Bedürfnis verspürt hätte, mich intensiver mit<br />

den Dramen, Schau- und Trauerspielen zu befassen. Und<br />

so kamen der Ritter mit der eisernen Hand, Tells Wilhelm,<br />

Stuarts Mariechen, Romeo und sein Julchen nebst der französischen<br />

Jungfrau wieder in den Schrank.<br />

Anders verhielt es sich allerdings mit den Novellen. Michael<br />

Kohlhaas und sein übers Knie gebrochener Rachefeldzug,<br />

die liebliche Undine aus dem Spukwald und die gespenstische<br />

Geschichte vom Schimmelreiter weckten sogleich meine<br />

Leselust und ich nahm mir vor, alle Erzählungen nach und<br />

nach noch einmal zu lesen. Und – ich habe es nicht bereut!<br />

Und weil man im Ruhestand über die entsprechende Zeit verfügt,<br />

habe ich die meisten Werke in einem Zug durchgelesen.<br />

Wir hatten uns im Unterricht eingehend mit den Inhalten<br />

beschäftigt. Stichwort: Was will der Dichter uns damit sagen?<br />

Ein Beweis waren die mit Bleistift unterstrichenen Worte,<br />

die Ran<strong>db</strong>emerkungen, Ausrufezeichen und dergleichen.<br />

Deren Bedeutung konnte ich oft nicht mehr nachvollziehen.<br />

Was aber von Heft zu Heft klarer wurde, das war – unabhängig<br />

von den jeweiligen Besonderheiten – die Reinheit und<br />

Vielfältigkeit der deutschen Sprache. Die von mir gelesenen<br />

Werke – allesamt aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammend<br />

– waren zugleich durch die Klarheit ihres Stils geprägt. Es<br />

machte einfach Freude, meine freie Zeit hiermit auszufüllen.<br />

Dass ich meiner Lehrerin im Nachhinein noch dankbar für<br />

die Hinführung zu Verständnis und Gebrauch der Werke unserer<br />

Dichter bin, lässt sich sicherlich nachvollziehen.<br />

Als eines der letzten Hefte nahm ich mir „Gustav Adolfs<br />

Page“ vor. In einer Textstelle beschreibt Conrad Ferdinand<br />

Meyer, der Dichter, wie der schwedische König von einer<br />

pompösen Predigt erzählt, die er einst in der Berliner Hofkirche<br />

gehört habe. Sie habe das Leben einer Bühne verglichen:<br />

mit den Menschen als Schauspieler, den Engeln als Zuschauer,<br />

dem den Vorhang senkenden Tode als Regisseur.<br />

Ich kann mir selbst nicht erklären, warum es geschah<br />

– aber plötzlich erlebte ich einen Albtraum am helllichten<br />

Tag; urplötzlich stand vor meinem geistigen Auge<br />

diese Textstelle in einer Form, die uns seit wenigen Jahren<br />

– gefühlt – immer öfter heimsucht. Ich sah: „… mit<br />

den Menschen als Schauspieler*innen, den Engeln als<br />

Zuschauer*innen, dem den Vorhang senkenden Tode als<br />

Regisseur*in.“ Entschuldige vielmals, lieber Conrad Ferdinand.<br />

Ich weiß, dass du über deine Novelle bemerkt hast:<br />

„Jedes Wort ist individuell; es ist nichts Überflüssiges darin.“<br />

Mir ist ja auch keineswegs beim Lesen ein fehlendes<br />

Wort aufgefallen. Wie gesagt: Ich kann mir meine Sinnestäuschung<br />

auch nicht erklären. Mein Lesevergnügen war<br />

jedenfalls dahin. Nach einer Woche erst habe ich die mit<br />

dem Tod des Königs endende Novelle fertig gelesen.<br />

Der Stern, den Sie, liebe Leserinnen und Sie, verehrte Leser,<br />

in den obigen Begriffen sehen, steht für „divers“ und soll<br />

für eine sogenannte Gendergerechtigkeit sorgen. Beim Sprechen<br />

soll nicht „Stern“ gesagt werden, sondern man soll eine<br />

Pause machen. So haben es sich die Erfinder*innen jedenfalls<br />

ausgedacht. „Diverse“ sind Menschen, die weder dem männlichen<br />

noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden<br />

können. Der Bundestag hat eine Bestandsaufnahme gemacht,<br />

in der festgehalten wurde, dass immerhin 69 Personen in ganz<br />

Deutschland sich als „divers“ eintragen ließen. Eine solche<br />

Anhäufung fordert natürlich eine Verniedlichung des Sterns<br />

geradezu heraus. Und daher steht zu vermuten, dass man gerade<br />

deshalb durchweg von einem „Gendersternchen“ spricht.<br />

Erfolgsautor Andreas Hock schreibt in dem gemeinsam<br />

mit Monika Gruber verfassten Bestseller „Und erlöse<br />

uns von den Blöden“: „SprachforscherInnen erfanden das<br />

Binnen-I, Kolleg_innen den Unterstrich und wiederum<br />

andere Wissenschaftler*innen das besonders entsetzliche<br />

Gendersternchen, das uns in letzter Zeit auch aus immer<br />

mehr allgemeinen Publikationen entgegenlacht.“ Und<br />

bei Wikipedia steht als ein Beispielsatz: „Alex ist ein*e<br />

Künstler*in.“ Nicht nur ich empfinde solches als ein ästhetisches<br />

Attentat und die Frage drängt sich auf: „Muss<br />

unsere schöne deutsche Sprache wirklich ganz eng in den<br />

moralischen Schraubstock eingezwängt werden?“<br />

Immerhin hat der „Rat der deutschen Rechtschreibung“<br />

sich festgelegt: „Der Umgang mit dem Genderstern ist nicht<br />

Bestandteil der offiziellen Rechtschreiberegeln.“ Dennoch<br />

erreichen den durchblick vor allem aus öffentlichen Verwaltungen<br />

seit wenigen Jahren immer wieder Pressemitteilungen,<br />

in denen der Genderstern eingesetzt ist. Wie fast<br />

alle Organe der schreibenden Zunft formulieren wir diese<br />

Texte nach der gängigen Rechtschreibung um. Anstatt<br />

„Leser*innen“ steht bei uns „Leserinnen und Leser“.<br />

Hierzu passt auch ganz gut, dass im Oktober die Justizministerin<br />

Christine Lambrecht in einem Schreiben an das<br />

Kanzleramt, an die Ministerien und an die obersten Bundesbehörden<br />

die Empfehlung ausgesprochen hat, in offiziellen<br />

Schreiben auf Sonderzeichen der oben geschilderten Art<br />

gänzlich zu verzichten. Eine sehr große Mehrheit in unserer<br />

Bevölkerung – man spricht von bis zu 80 Prozent – lehnt zudem<br />

diese Art zu sprechen und zu schreiben ab.<br />

Ich schließe diesen Beitrag mit zwei Sätzen aus einem mir<br />

ausgezeichnet gefallenden Kommentar der „Frankfurter Allgemeinen“:<br />

„Aus ihrer (Lambrechts) Anweisung spricht die aus<br />

pragmatischen Gründen nur zu begrüßende Auffassung, dass<br />

es genüge, sprachlich zwei Geschlechter vorkommen zu lassen<br />

und alle weiteren stillschweigend mitzumeinen, ohne dafür<br />

jedes Mal ein Sonderzeichen zu setzen. Was immer sprachlich<br />

nun wird – man kann vielleicht von keiner Stern-, aber immerhin<br />

von einer Sternchenstunde sprechen.“ Ulli Weber<br />

SONNTAG, 07.11.‘21 - 18 UHR - WEISSE VILLA, DRESLERS PARK<br />

VINCENT PEIRANI & ÉMILE PARISIEN<br />

ABRAZO TOUR<br />

DO, 18.11.‘21 - 20 UHR - TURN- & FESTHALLE BUSCHHÜTTEN<br />

CHRISTIAN EHRING ANTIKÖRPER<br />

SA, 27.11.‘21 - 20 UHR & SO, 28.11.‘21 - 18 UHR<br />

OTTO-FLICK-HALLE KREUZTAL<br />

HERBERT KNEBELS AFFENTHEATER<br />

AUSSER RAND UND BAND<br />

FREITAG, 10.12.‘21 - 20 UHR - EV. KIRCHE HILCHENBACH<br />

REBEKKA BAKKEN WINTER NIGHTS<br />

SAMSTAG, 08.01.‘22 - 20 UHR - EICHENER HAMER<br />

MAXI GSTETTENBAUER NEXT LEVEL<br />

SONNTAG, 09.01.‘22 - 17 UHR - KREUZKIRCHE KREUZTAL<br />

PHILHARMONIE SÜDWESTFALEN<br />

KREUZTALER NEUJAHRSKONZERT<br />

FREITAG, 21.01.‘22 - 20 UHR - EICHENER HAMER<br />

FRONTM3N UP CLOSE<br />

SAMSTAG, 29.01.‘22 - 20 UHR - WEISSE VILLA, DRESLERS PARK<br />

CHRISTOPH REUTER<br />

ALLE SIND MUSIKALISCH! (AUSSER MANCHE)<br />

SONNTAG, 06.02.‘22 - 18 UHR - KROMBACHER BRAUEREI<br />

RENÉ STEINBERG FREUWILLIGE VOR<br />

FREITAG, 11.02.‘22 - 20 UHR - WEISSE VILLA, DRESLERS PARK<br />

RAFAEL CORTÉS TRIO SPANISH NIGHT<br />

SONNTAG, 13.02.‘22 - 15 UHR - OTTO-FLICK-HALLE KREUZTAL<br />

KREUZTALER TEDDYBÄRENKONZERT<br />

RHYTHMIX - FÜR KINDER AB 3 JAHREN<br />

DONNERSTAG, 03.03.‘22 - 20 UHR - EICHENER HAMER<br />

KONSTANTIN WECKER<br />

LESUNG: AUS DEM SCHRECKLICH SCHÖNEN LEBEN<br />

FREITAG, 11.03.‘22 - 20 UHR - EICHENER HAMER<br />

JÜRGEN BECKER<br />

DIE URSACHE LIEGT IN DER ZUKUNFT<br />

SAMSTAG, 12.03.‘22 - 20 UHR - CAFÉ BASICO, KREUZTAL<br />

TANGO DE CONCIERTO<br />

HOMAGE Á PIAZOLLA<br />

FREITAG, 25.03.‘22 - 20 UHR - EICHENER HAMER<br />

FRIEDA BRAUN SPRECHPAUSE<br />

FREITAG, 01.04.‘22 - 20 UHR - EICHENER HAMER<br />

IRISH HEARTBEAT FESTIVAL<br />

LET’S CELEBRATE ST. PATRICK’S DAY<br />

TICKETS & INFO: www.kreuztal-kultur.de<br />

...und unter Tel. 02732 - 5 14 29, sowie bei allen bekannten VVK-Stellen.<br />

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4/<strong>2021</strong> durchblick 39

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