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Hanfjournal 01/04

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die Maulhalde<br />

Berlins<br />

optisch<br />

schönste<br />

Wortband<br />

Herr Eiermann<br />

Ich werde Ihnen gar nichts über meine Haushaltsrisiken<br />

erzählen. Nein, will ich nicht. Sie könnten’s sonst dem<br />

Herrn Kaiser sagen und das will ich einfach nicht. Man<br />

wird doch noch ein Bild aufhängen dürfen ohne Diplom<br />

und Meisterbrief.<br />

Nichts habe ich mir vorzuwerfen, streng nach Anleitung<br />

des ADAC-Ratgebers „Rund ums Haus“ bin ich vorgegangen.<br />

Den Küchentisch hatte ich beiseite geschoben,<br />

und alle Utensilien, die ich zur Aufhängung des Bildes<br />

benötigte, darauf ausgebreitet. Das Teewasser war aufgesetzt,<br />

zwei Bierflaschen und ein Staubsauger zum hygienischen<br />

Absaugen des Putzes standen griffbereit.<br />

Ich befestigte den Bohreraufsatz im Bohrwerk, überzeugte<br />

mich von der Standsicherheit meiner Leiter, dann<br />

betätigte ich die Taste des Staubsaugers, stieg vier Stufen<br />

empor, hielt den Rüssel an die markierte Stelle, setzte<br />

die Bohrmaschine an, drückte den orangefarbenen Knopf<br />

und dann . . . und dann . . .<br />

Ich erzähle besser nicht, wie der Bohrer in der Wand<br />

stecken blieb und die Maschine mir schmerzliche Hiebe<br />

am Kinn versetzte, wieder und wieder, wie sie erst zum<br />

Ruhen kam, als sich infolge der Verdrehung das Kabel<br />

aus der Dose löste und mir an die Stirn peitschte, woraufhin<br />

es mich vom geriffelten Trittbrett der Leiter schlug.<br />

Wie ich mich, Halt suchend, an die Deckenlampe<br />

klammerte und mich über die am Boden zerschellenden<br />

Bierflaschen hinweg schwang, bevor die Aufhängung<br />

der Lampe riss und ich in den Wandspiegel schmetterte,<br />

der in tausend Teile zerfiel.<br />

Kein Wort davon, wie ich nach hinten taumelte, über<br />

den Schlauch des Staubsaugers, der noch immer saugte,<br />

an meiner Wange jetzt klebte, infolge des Vakuums dort.<br />

Wie ich ihn mit beiden Händen abzurupfen gedachte<br />

und wie, als er endlich nachgab, mein Hinterkopf an das<br />

Küchenregal knallte, ein Kilogramm Mehl in Papier<br />

zerplatzte und mich bestäubte und mir die Katze, die<br />

sich dort versteckte, schreckhaft ins Gesicht gesprungen<br />

kam.<br />

Ich verschweige besser, wie ich zum Abguss taumelte,<br />

um meine Augen zu spülen und statt des Wasserhahns<br />

den brühheißen Teekessel zu fassen bekam. Wie meine<br />

Hand zwischen Henkel und heißer Emaille klemmte<br />

und das Wasser sich über mich ergoss, und ich, brüllend,<br />

mich ins Bad zu retten suchte. Wie mir plötzlich, erschöpft<br />

und müde, alles gleichgültig wurde, die Füße auf den<br />

wässrigen Fliesen ausglitten und mein Körper sich fallen<br />

lassen wollte, aber nicht konnte, weil sich der Hals in<br />

der Kordel des Vorhangs verfing. Wie ich beobachten<br />

konnte, dass die Färbung meiner Hände ins Blauviolette<br />

überging und mich nur die schwere Gardinenstange, die<br />

sich löste und auf den Hinterkopf knallte, vor dem<br />

Ersticken bewahrte.<br />

Ich verschweige, dass erst als ich im Sicherungskasten<br />

den Hauptschalter betätigte – und mir, das sei erwähnt,<br />

ein greller Blitz in den Arm fuhr, eine kurze Stichflamme<br />

entgegen schlug – dass erst dann Ruhe einkehrte und<br />

das Licht verlöschte: bei mir in der Wohnung und im<br />

ganzen Haus und im Block gegenüber und im ganzen<br />

Straßenzug. Und wie mich der Hausmeister in einer<br />

gescherbten Bierlache fand mit den Worten: „Diesmal<br />

wird‘s teuer für Sie, Herr Eiermann!“<br />

<strong>Hanfjournal</strong> Reihe:<br />

Literatur und Drogen<br />

Die Drogenkarriere des Friedrich Glauser<br />

Wachtmeister Studers Beichte<br />

„Was war einfacher, als in die Apotheke zu gehen, ein<br />

Aspirin zu verlangen, um ein Glas Wasser zu bitten, weil<br />

man die Tablette gleich einzunehmen wünsche – und<br />

während der Apotheker den Laden verließ, einen großen<br />

Schluck aus der Flasche zu nehmen?“ fragt Friedrich<br />

Glauser in seinem autobiographischen Text „Morphium“.<br />

Gemeint ist eine Flasche mit Laudanum, die offen auf<br />

der Ladentheke steht.<br />

Denn Glauser ist seit Jahren abhängig von der Droge.<br />

Die Mutter des 1896 in Wien Geborenen stirbt früh, der<br />

Vater wird über seinem Kummer zum Säufer, der sich<br />

nachts, wenn der Junge im Bett liegt, im Nebenzimmer<br />

gnadenlos betrinkt. Mit 13 läuft Friedrich von Zuhause<br />

weg und landet im Polizeigewahrsam. Er scheitert am<br />

Gymnasium und kommt in ein Landerziehungsheim in<br />

der Schweiz. Seine Flucht setzt er fort, diesmal mit Äther<br />

und Chloroform. Nach einem Suizidversuch fliegt er<br />

von der Schule.<br />

cool tour<br />

13<br />

Das Eckthema:<br />

Bekiffte Prominente<br />

Helmut Karasek:<br />

Manchmal wurde<br />

Haschisch<br />

rumgereicht. Im<br />

Rausch habe ich<br />

Gedichte<br />

geschrieben.“ (aus<br />

einem Interview mit<br />

der Zeitschrift Bunte)<br />

Schließlich landet er in Zürich und freundet sich mit den Dadaisten<br />

um Hugo Ball an. Er beginnt das Leben eines Bohemien<br />

zu führen: Suff, Frauen, Drogen. 1918 wird er wegen „liederlichem<br />

und ausschweifendem Lebenswandel“ entmündigt. Ein<br />

halbes Jahr später landet er zum ersten Mal im Knast: als<br />

Morphinist. Ab jetzt: Entziehungskuren, Rückfälle, Selbstmordversuche,<br />

Gefängnisaufenthalte. Immer und immer wieder.<br />

Ein tödlicher Kreislauf, aus dem es kein Entkommen mehr zu<br />

geben scheint. Er wird Fremdenlegionär in Nordafrika, Kumpel<br />

im belgischen Kohlenrevier, kommt zurück und landet wieder<br />

in der Klapse. Mit 29 Jahren sieht es ganz danach aus, als ob<br />

sein Leben schon gelaufen sei.<br />

„Im Grunde gibt es nichts Uninteressanteres als das Leben<br />

eines Morphinisten. Es beschränkt sich auf Perioden, in denen<br />

er das Gift nimmt, und auf Perioden, in denen die Gesellschaft<br />

ihn zwingt, sich das Zeug wieder abzugewöhnen,“ wird er<br />

später schreiben.<br />

Doch dann verändern drei Dinge sein Leben: er unterzieht sich<br />

einer Psychoanalyse, er beginnt zu schreiben und – er verliebt<br />

sich. Glauser sieht plötzlich die Möglichkeit für einen Neuanfang.<br />

Als freier Schriftsteller will er sich nun durchschlagen,<br />

doch schon bei den ersten Schwierigkeiten, die sich ihm in den<br />

Weg stellen, wird er wieder rückfällig. Aber er schreibt trotzdem<br />

weiter. Und erfindet schließlich 1934 den Wachtmeister Studer.<br />

Der Zigarre rauchende Studer ist das exakte Gegenstück zu<br />

Glauser. Er ist groß und dick, verliert nie die Fassung, sondern<br />

bleibt in allen Lagen ruhig und gelassen, einer der jede Situation<br />

beherrscht. Die Figur des biederen Wachtmeisters wird der<br />

Strohhalm, an dem Glauser sich festzuklammern sucht. An<br />

Stoff fehlt es ihm dabei nicht. Für die Fälle des Wachtmeisters<br />

schöpft Glauser aus seiner eigenen Biografie. In schneller Folge<br />

entstehen so ein halbes Dutzend Kriminalromane und, nebenbei,<br />

noch eine Reihe kürzerer Erzählungen, die einen ganzen Band<br />

füllen. Den „Simenon der Schweiz“ wird man Glauser später<br />

einmal nennen.<br />

Doch sein Leben verläuft weiterhin problematisch. Er wechselt<br />

die Freundin, hat wieder Geldsorgen. Er zieht in die Bretagne,<br />

kurze Zeit später nach Italien. Gesundheitlich angeschlagen<br />

scheint er dem Schreiben nicht mehr gewachsen. Seine letzte<br />

Erzählung („Knarrende Schuhe“) kann er nur noch mit Mühe<br />

zu Ende bringen. Seine letzten Briefe zeigen einen depressiven<br />

Mann, der für sich keinen Ausweg mehr sieht.<br />

Dabei hat er noch vor zu heiraten. Doch einen Tag vor der<br />

Hochzeit bricht er zusammen. Zwei Tage später, am 8.Dezember<br />

1938, ist er tot.<br />

Pol Sax

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