Hanfjournal 01/04
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anderswo<br />
Das Eckthema:<br />
Bekiffte Prominente<br />
Jürgen Drews:<br />
„Heute würde ich<br />
gern mal wieder eine<br />
Wasserpfeife<br />
probieren.“<br />
Um die französische Hanfpolitik zu verstehen hilft es sich vor<br />
Augen zu führen, dass diese Nation ganz allgemein, sagen wir,<br />
partikular ist. Ich will damit nicht sagen, jeder einzelne Franzose<br />
hätte einen Schatten – ich kenne einige wirklich nette –<br />
jedoch entspricht es meinen – und, wie man von ansonsten<br />
durchaus tolerant Gesinnten so hört, auch anderen – Erfahrungswerten,<br />
dass „die Franzosen“ nicht wirklich so locker sind.<br />
Handgreiflichkeiten, Verkehrskontrollen um drei Uhr früh von<br />
wie SA-Männern anmutenden Polizisten mit schwarzen<br />
Overalls und Stablampen sowie hilfsbereite Zeitgenossen, die,<br />
englisch angesprochen, französisch antworten – ich hatte hier<br />
schon einiges erlebt – wie sagt man so schön: nichts Menschliches<br />
war mir fremd – und erwartete mir nichts mehr, außer<br />
vielleicht, schnell zur spanischen Grenze durchzukommen.<br />
Um einen weisen Mann zu zitieren: „Alle zwei Kilometer ein<br />
Kreisverkehr – kein Wunder, dass die Franzosen so schwindlig<br />
sind.“ Ein Premier, der aller medizinischen Forschung zum<br />
Egalité, Liberté . . . Permettre?<br />
Trotz (denn an die glauben sie doch normalerweise immer so<br />
gerne) Hanf für die Einstiegsdroge zu Heroin hält, weil er<br />
„zwei Familienmitglieder durch harte Drogen verloren hat“<br />
(was hat dann Hanf damit zu tun? Und welche harte Droge<br />
meint er damit? Beaujolais? Gauluoises?) und 33 Jahre alte<br />
hammerharte Hanfgesetze wie 20 Jahre Haft für den Besitz<br />
einer Pflanze oder satte zehn Jahre für das Rauchen eines Joints<br />
– wirkt sich das wirklich so direkt auf die Gemütslage eines<br />
Volkes aus? Aber es gibt sie doch, die Kiffer – die verkniffenen<br />
Kiffer . . . so unlocker weil’s keiner merken darf? Die Straße<br />
eine Bühne? Aber das ist doch eigentlich Italien? Und warum<br />
um alles in der Welt muss ausgerechnet Frankreich zwischen<br />
diesen beiden wunderbaren Halbinseln liegen? Fragen über<br />
Fragen.<br />
Aber der Reihe nach: Ja es gibt sie die französischen Kiffer, und<br />
wie: Eine Studie des Büro für Drogen und Sucht (Office frainçais<br />
des drogues et toxicomanie OFDT) ergab, dass sich die Zahl<br />
der Probierer in den letzten zehn Jahren auf nun rund 9,5<br />
Millionen verdoppelt habe. Von diesen hätten 3,1 Millionen in<br />
den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert. 600.000<br />
Regelmäßige (ab zehnmal im Monat, was meiner Meinung<br />
nach ein sehr unbrauchbares Kriterium für diese Aussage<br />
darstellt) soll es geben und 350.000 Tägliche. 45,7 Prozent der<br />
französischen Frauen, so kann man bei anderer Quelle<br />
nachlesen, und 54,6 Prozent der Männer über 17 haben sich<br />
bereits näher mit Santa Maria unterhalten. Ich frage mich, wie<br />
es sein muss, hier Kiffer zu sein. Hier, wo man für den Besitz<br />
geringer Mengen vier Tage lang festgehalten werden kann<br />
ohne einem Richter vorgeführt zu werden, wobei man vor dem<br />
dritten Tag kein Recht hat, mit einem Anwalt zu sprechen. Oh,<br />
wie schön wird Spanien . . .<br />
Doch es gibt auch Parallelen zwischen den Ländern: Die<br />
französische Gesetzgebung galt einst, ebenso wie das in den<br />
90er-Jahren entstandene „Ley Corcuera“ weiter südlich, dem<br />
Heroin und trifft in heutigen Tagen die, von deren Kraut die<br />
Wissenschaft mittlerweile sagt, dass es harmloser sei als Alkohol<br />
und Tabak. Und in diesem wie auch in jenem Rotwein-Tourismus-Land<br />
beschäftigen sich 90 Prozent aller Drogenprozesse<br />
mit ebenjenem Nesselgewächs. Hier allerdings erst durchschnittlich<br />
neun Monate nach der Anzeige, und auch dann nur<br />
in acht Prozent aller Fälle (20<strong>01</strong>; 1990 waren es immerhin noch<br />
30 Prozent).<br />
Obwohl dies ein himmelschreiender Unsinn ist – und das ja<br />
ohnehin normal auf dem Gebiet der Prohibition (die Summe<br />
aller Einzelblödheiten ergibt die Riesen-Gesamtblödheit oder<br />
p1 + p2 +…pn = P) – hat man dennoch einen interministeriellen<br />
Ausschuss (Mission Interministérielle de Lutte contre la Drogue<br />
et la Toxicomanie, MILDT) unter Vorsitz von Didier Jayle<br />
eingesetzt, um die Sinnhaftigkeit von Gesetzen, die praktisch<br />
nicht mehr angewandt werden, zu untersuchen. Selbst<br />
Innenminister Nicolas Sarkozy, der als „Law and Order“-<br />
Politiker gilt, bezeichnete die bestehenden Gesetze als überzogen.<br />
Wie hätte wohl der Vorschlag der Franzosen selber zu<br />
diesem Thema ausgesehen? So wie der von Sarkozy, Geldstrafen<br />
bis 1500 Euro, Sozialstunden und Sanktionen wie eine Beschlagnahme<br />
von Mopeds und Rollern oder Handys mit Eintrag ins<br />
Strafregister, oder doch eher wie der von Gesundheitsminister<br />
... in Frankreich<br />
Jean-François Mattei, Strafzettel über 68 bis 135 Euro und<br />
gesundheitliche Aufklärung, was im Gegensatz dazu nicht<br />
aufscheinen würde? Das „Collectif d’Information et de<br />
Recherche Cannabique“ (CIRC) hat wieder eine ganz andere<br />
Meinung zum Thema. Die reduzierte mögliche Höchststrafe<br />
wird als Schritt in die richtige Richtung begrüßt, aber man<br />
fürchtet, dass in Zukunft weniger Verfahren eingestellt werden<br />
als heute: „Leute, die bisher nicht bestraft wurden, werden es<br />
ab jetzt“ meint etwa Francois-Georges Lavacquerie vom Kollektiv.<br />
Wenige hart geschlagene Sündenböcke kontra weniger<br />
Strafe für mehr Leute? Wer braucht in diesem Land Kreisverkehre,<br />
um schwindlig zu werden?<br />
Damit noch lange nicht genug: Wer innenpolitisch erkennt,<br />
dass die Gummi-Gerichtskeule nicht mehr sinnvoll ist, muss<br />
das ja nicht gleicht außenpolitisch herumposaunen, nicht wahr.<br />
Stichwort: „Das wäre das falsche Signal“. Auja. Und deshalb<br />
bremsten die Franzosen zusammen mit den Schweden das<br />
Voranschreiten der Verhandlungen der EU-Justizminister über<br />
eine einheitliche Genussmittelgesetzgebung erheblich, indem<br />
sie harte Strafen bereits für minder schwere Delikte forderten.<br />
Angesichts dieses Basilisken aus Suppression und Rückschrittlichkeit<br />
erfreuten mich die durchwegs positiven praktischen<br />
Erlebnisse umso mehr. Am ersten Abend in Frankreich und<br />
nach einem schweren Abschied von Italien treffen wir abends<br />
an einem Aussichtspunkt drei Marokkaner, die zu arabischer<br />
Musik aus dem Autoradio die Aussicht über den Hafen von<br />
Nizza genießen. Sie laden uns spontan zu einem Gespräch mit<br />
Maria Johanna ein, wir revanchieren uns mit heißem Tee aus<br />
der Thermos. So weit, so gemütlich. An so entlegenen Plätzen<br />
könne man es schon riskieren einen durchzuziehen, meint einer<br />
der Männer, aber ganz allgemein sei die Situation hier sicher<br />
nicht zu vergleichen mit Italien, wo er arbeitet. Über den Preis,<br />
den sie mir für Haschisch in Nizza nennen, zwei Euro das<br />
Gramm, muss ich mich doch sehr wundern, das wäre ja billiger<br />
als in Andalusien, allein ich habe keinen Nerv, dem auf den<br />
Grund zu gehen, die vier Tage wollte ich dann doch darauf<br />
verwenden, näher zur Grenze zu gelangen, anstatt die Räumlichkeiten<br />
der Exekutive näher kennen zu lernen. Dass auf die<br />
öffentliche Abbildung eines Hanfblattes mehrere tausend Francs<br />
Strafe stehen, erfahre ich erfreulicherweise erst, als ich das<br />
Land mit meiner Hanftasche bereits durchquert hatte und<br />
sicher bei den Hanfblatt-freundlicheren Spaniern angekommen<br />
war. Doch das ist eine andere Geschichte . . .<br />
Claudia Grehslehner