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Hanfjournal 01/04

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18<br />

anderswo<br />

Das Eckthema:<br />

Bekiffte Prominente<br />

Jürgen Drews:<br />

„Heute würde ich<br />

gern mal wieder eine<br />

Wasserpfeife<br />

probieren.“<br />

Um die französische Hanfpolitik zu verstehen hilft es sich vor<br />

Augen zu führen, dass diese Nation ganz allgemein, sagen wir,<br />

partikular ist. Ich will damit nicht sagen, jeder einzelne Franzose<br />

hätte einen Schatten – ich kenne einige wirklich nette –<br />

jedoch entspricht es meinen – und, wie man von ansonsten<br />

durchaus tolerant Gesinnten so hört, auch anderen – Erfahrungswerten,<br />

dass „die Franzosen“ nicht wirklich so locker sind.<br />

Handgreiflichkeiten, Verkehrskontrollen um drei Uhr früh von<br />

wie SA-Männern anmutenden Polizisten mit schwarzen<br />

Overalls und Stablampen sowie hilfsbereite Zeitgenossen, die,<br />

englisch angesprochen, französisch antworten – ich hatte hier<br />

schon einiges erlebt – wie sagt man so schön: nichts Menschliches<br />

war mir fremd – und erwartete mir nichts mehr, außer<br />

vielleicht, schnell zur spanischen Grenze durchzukommen.<br />

Um einen weisen Mann zu zitieren: „Alle zwei Kilometer ein<br />

Kreisverkehr – kein Wunder, dass die Franzosen so schwindlig<br />

sind.“ Ein Premier, der aller medizinischen Forschung zum<br />

Egalité, Liberté . . . Permettre?<br />

Trotz (denn an die glauben sie doch normalerweise immer so<br />

gerne) Hanf für die Einstiegsdroge zu Heroin hält, weil er<br />

„zwei Familienmitglieder durch harte Drogen verloren hat“<br />

(was hat dann Hanf damit zu tun? Und welche harte Droge<br />

meint er damit? Beaujolais? Gauluoises?) und 33 Jahre alte<br />

hammerharte Hanfgesetze wie 20 Jahre Haft für den Besitz<br />

einer Pflanze oder satte zehn Jahre für das Rauchen eines Joints<br />

– wirkt sich das wirklich so direkt auf die Gemütslage eines<br />

Volkes aus? Aber es gibt sie doch, die Kiffer – die verkniffenen<br />

Kiffer . . . so unlocker weil’s keiner merken darf? Die Straße<br />

eine Bühne? Aber das ist doch eigentlich Italien? Und warum<br />

um alles in der Welt muss ausgerechnet Frankreich zwischen<br />

diesen beiden wunderbaren Halbinseln liegen? Fragen über<br />

Fragen.<br />

Aber der Reihe nach: Ja es gibt sie die französischen Kiffer, und<br />

wie: Eine Studie des Büro für Drogen und Sucht (Office frainçais<br />

des drogues et toxicomanie OFDT) ergab, dass sich die Zahl<br />

der Probierer in den letzten zehn Jahren auf nun rund 9,5<br />

Millionen verdoppelt habe. Von diesen hätten 3,1 Millionen in<br />

den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert. 600.000<br />

Regelmäßige (ab zehnmal im Monat, was meiner Meinung<br />

nach ein sehr unbrauchbares Kriterium für diese Aussage<br />

darstellt) soll es geben und 350.000 Tägliche. 45,7 Prozent der<br />

französischen Frauen, so kann man bei anderer Quelle<br />

nachlesen, und 54,6 Prozent der Männer über 17 haben sich<br />

bereits näher mit Santa Maria unterhalten. Ich frage mich, wie<br />

es sein muss, hier Kiffer zu sein. Hier, wo man für den Besitz<br />

geringer Mengen vier Tage lang festgehalten werden kann<br />

ohne einem Richter vorgeführt zu werden, wobei man vor dem<br />

dritten Tag kein Recht hat, mit einem Anwalt zu sprechen. Oh,<br />

wie schön wird Spanien . . .<br />

Doch es gibt auch Parallelen zwischen den Ländern: Die<br />

französische Gesetzgebung galt einst, ebenso wie das in den<br />

90er-Jahren entstandene „Ley Corcuera“ weiter südlich, dem<br />

Heroin und trifft in heutigen Tagen die, von deren Kraut die<br />

Wissenschaft mittlerweile sagt, dass es harmloser sei als Alkohol<br />

und Tabak. Und in diesem wie auch in jenem Rotwein-Tourismus-Land<br />

beschäftigen sich 90 Prozent aller Drogenprozesse<br />

mit ebenjenem Nesselgewächs. Hier allerdings erst durchschnittlich<br />

neun Monate nach der Anzeige, und auch dann nur<br />

in acht Prozent aller Fälle (20<strong>01</strong>; 1990 waren es immerhin noch<br />

30 Prozent).<br />

Obwohl dies ein himmelschreiender Unsinn ist – und das ja<br />

ohnehin normal auf dem Gebiet der Prohibition (die Summe<br />

aller Einzelblödheiten ergibt die Riesen-Gesamtblödheit oder<br />

p1 + p2 +…pn = P) – hat man dennoch einen interministeriellen<br />

Ausschuss (Mission Interministérielle de Lutte contre la Drogue<br />

et la Toxicomanie, MILDT) unter Vorsitz von Didier Jayle<br />

eingesetzt, um die Sinnhaftigkeit von Gesetzen, die praktisch<br />

nicht mehr angewandt werden, zu untersuchen. Selbst<br />

Innenminister Nicolas Sarkozy, der als „Law and Order“-<br />

Politiker gilt, bezeichnete die bestehenden Gesetze als überzogen.<br />

Wie hätte wohl der Vorschlag der Franzosen selber zu<br />

diesem Thema ausgesehen? So wie der von Sarkozy, Geldstrafen<br />

bis 1500 Euro, Sozialstunden und Sanktionen wie eine Beschlagnahme<br />

von Mopeds und Rollern oder Handys mit Eintrag ins<br />

Strafregister, oder doch eher wie der von Gesundheitsminister<br />

... in Frankreich<br />

Jean-François Mattei, Strafzettel über 68 bis 135 Euro und<br />

gesundheitliche Aufklärung, was im Gegensatz dazu nicht<br />

aufscheinen würde? Das „Collectif d’Information et de<br />

Recherche Cannabique“ (CIRC) hat wieder eine ganz andere<br />

Meinung zum Thema. Die reduzierte mögliche Höchststrafe<br />

wird als Schritt in die richtige Richtung begrüßt, aber man<br />

fürchtet, dass in Zukunft weniger Verfahren eingestellt werden<br />

als heute: „Leute, die bisher nicht bestraft wurden, werden es<br />

ab jetzt“ meint etwa Francois-Georges Lavacquerie vom Kollektiv.<br />

Wenige hart geschlagene Sündenböcke kontra weniger<br />

Strafe für mehr Leute? Wer braucht in diesem Land Kreisverkehre,<br />

um schwindlig zu werden?<br />

Damit noch lange nicht genug: Wer innenpolitisch erkennt,<br />

dass die Gummi-Gerichtskeule nicht mehr sinnvoll ist, muss<br />

das ja nicht gleicht außenpolitisch herumposaunen, nicht wahr.<br />

Stichwort: „Das wäre das falsche Signal“. Auja. Und deshalb<br />

bremsten die Franzosen zusammen mit den Schweden das<br />

Voranschreiten der Verhandlungen der EU-Justizminister über<br />

eine einheitliche Genussmittelgesetzgebung erheblich, indem<br />

sie harte Strafen bereits für minder schwere Delikte forderten.<br />

Angesichts dieses Basilisken aus Suppression und Rückschrittlichkeit<br />

erfreuten mich die durchwegs positiven praktischen<br />

Erlebnisse umso mehr. Am ersten Abend in Frankreich und<br />

nach einem schweren Abschied von Italien treffen wir abends<br />

an einem Aussichtspunkt drei Marokkaner, die zu arabischer<br />

Musik aus dem Autoradio die Aussicht über den Hafen von<br />

Nizza genießen. Sie laden uns spontan zu einem Gespräch mit<br />

Maria Johanna ein, wir revanchieren uns mit heißem Tee aus<br />

der Thermos. So weit, so gemütlich. An so entlegenen Plätzen<br />

könne man es schon riskieren einen durchzuziehen, meint einer<br />

der Männer, aber ganz allgemein sei die Situation hier sicher<br />

nicht zu vergleichen mit Italien, wo er arbeitet. Über den Preis,<br />

den sie mir für Haschisch in Nizza nennen, zwei Euro das<br />

Gramm, muss ich mich doch sehr wundern, das wäre ja billiger<br />

als in Andalusien, allein ich habe keinen Nerv, dem auf den<br />

Grund zu gehen, die vier Tage wollte ich dann doch darauf<br />

verwenden, näher zur Grenze zu gelangen, anstatt die Räumlichkeiten<br />

der Exekutive näher kennen zu lernen. Dass auf die<br />

öffentliche Abbildung eines Hanfblattes mehrere tausend Francs<br />

Strafe stehen, erfahre ich erfreulicherweise erst, als ich das<br />

Land mit meiner Hanftasche bereits durchquert hatte und<br />

sicher bei den Hanfblatt-freundlicheren Spaniern angekommen<br />

war. Doch das ist eine andere Geschichte . . .<br />

Claudia Grehslehner

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