Zukunft Forschung 01/2022
Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck
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SOZIOLOGIE<br />
GEZIELTE ARBEIT an einer Erzählung der eigenen Biografie trägt auch zur Ordnung der Gedankenwelt Jugendlicher bei.<br />
RESILIENZ GEGEN<br />
EXTREMISMUS STÄRKEN<br />
Welche Faktoren verhindern Radikalisierung bei Jugendlichen?<br />
Mit dieser Frage befasst sich die Soziologin Hemma Mayrhofer, die dabei den Ansatz<br />
der Biografiearbeit mit Jugendlichen wissenschaftlich untersucht.<br />
Hannes ist heute 19 Jahre alt. Seine<br />
Geschichte ist nicht alltäglich:<br />
Als Kleinkind kommt er zu Onkel<br />
und Tante, die seine Pflegeeltern werden;<br />
zu seinem Vater hat er regelmäßigen<br />
Kontakt, zur suchtkranken Mutter nur<br />
sporadisch. Nach dem Besuch der Volksund<br />
Hauptschule beginnt er eine Lehre<br />
in einem Industriebetrieb. Mit 14 macht<br />
er sich erstmals aus eigenem Antrieb auf<br />
die Suche nach dem abwesenden Elternteil<br />
und nimmt Kontakt zu seiner leiblichen<br />
Mutter auf, die zwischenzeitlich<br />
wohnungslos ist. Über sie lernt er ältere<br />
Jugendliche kennen und wird gemeinsam<br />
mit ihnen von der Polizei beim Cannabiskonsum<br />
erwischt. Nach vorübergehendem<br />
Kontaktabbruch zur Mutter und<br />
ihrem Umfeld sucht er mit 15 neuerlich<br />
ihre Nähe. Sie gehört nun einer rechtsextremen<br />
Gruppe an und Hannes wird<br />
ebenfalls Teil dieser Gruppe. Er kommt<br />
schließlich wegen Körperverletzung und<br />
Verhetzung mit dem Gesetz in Konflikt.<br />
Hannes, das ist nicht sein realer Name,<br />
ist ein Fallbeispiel aus der im Rahmen<br />
des Sicherheitsforschungs-Förderprogramm<br />
KIRAS vom Bundesministerium<br />
für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus<br />
geförderten Studie „BI:JU – Biografiearbeit<br />
in der Offenen Jugendarbeit<br />
als resilienzstärkende Maßnahme zur<br />
Radikalisierungsprävention“, die Hemma<br />
Mayrhofer und Florian Neuburg vom<br />
Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie<br />
(IRKS) derzeit abschließen.<br />
„Uns interessiert das komplexe Zusammenwirken<br />
von Faktoren, die dazu<br />
führen können, dass Jugendliche sich radikalisieren.<br />
Und besonders interessiert<br />
uns, welche Faktoren dazu beitragen,<br />
dass Radikalisierung eben nicht ‚greift‘<br />
oder wodurch eine frühe Distanzierung<br />
von extremistischen Ideologien und<br />
Gruppen gefördert wird“, erklärt Hemma<br />
Mayrhofer. Welche Rolle biografische<br />
Erfahrungen in der Radikalisierung spielen,<br />
ist bereits durch mehrere Studien erforscht,<br />
Resilienzfaktoren hingegen wurden<br />
bislang kaum untersucht – dort setzt<br />
das <strong>Forschung</strong>sprojekt BI:JU an.<br />
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zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: AdobeStock / 1STunningART, IRKS / Uni Innsbruck