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Zukunft Forschung 01/2022

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

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Ausgabe 1/<strong>2022</strong>, 14. Jg.<br />

zukunft forschung <strong>01</strong> | 22<br />

zukunft<br />

forschung<br />

ALPINE<br />

FORSCHUNGSPLÄTZE<br />

thema: alpenforschung | digitalisierung: ein algorithmus als vorgesetzter<br />

bergbau: begehrter tiroler schmuckstein | germanistik: posterboy der romantik<br />

geschichte: fernbuchhandel | biologie: kläranlagen als frühwarnsystem<br />

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2 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Foto: Andreas Friedle


EDITORIAL<br />

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,<br />

Seit über 150 Jahren wird der Hintereisferner im hinteren<br />

Ötztal von Glaziologinnen und Glaziologen beobachtet<br />

und untersucht. Die langen Messreihen geben wichtige<br />

Hinweise auf die Entwicklung der Alpengletscher. Solche und<br />

ähnliche Fragestellungen beschäftigen Wissenschaftlerinnen und<br />

Wissenschaftler verschiedener Disziplinen. Ihre Antworten liefern<br />

zum Beispiel Grundlagen für die Beurteilung der weiteren<br />

Entwicklung des Klimawandels und seiner Folgen. Die Universität<br />

Innsbruck betreibt in den Alpen zahlreiche <strong>Forschung</strong>sstationen.<br />

Von der Langzeitbeobachtung der Gletscher über die<br />

Untersuchung alpiner Bergseen bis zur Erforschung des Klimas<br />

vergangener Zeiten anhand von Ablagerungen in Höhlen reichen<br />

die Themen, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />

an diesen <strong>Forschung</strong>splätzen bearbeitet werden. Im Schwerpunkt<br />

dieser Ausgabe stellen wir Ihnen einige dieser Orte vor und berichten<br />

über <strong>Forschung</strong>svorhaben und Ergebnisse.<br />

Wie erfolgreich unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />

arbeiten, zeigte sich in diesem Frühjahr besonders an den<br />

Auszeichnungen durch den Europäischen <strong>Forschung</strong>srat.<br />

Minion<br />

Schon<br />

zu Beginn des Jahres haben Theoretische Physiker zwei ERC<br />

Starting Grants erhalten. Ende<br />

DE<br />

April folgten dann insgesamt<br />

drei ERC Advanced Grants, die höchsten Auszeichnungen des<br />

<strong>Forschung</strong>srats, für zwei Wissenschaftlerinnen und einen Wissenschaftler<br />

aus den Fachbereichen Physik und Chemie. Auch<br />

PEFC zertifiziert<br />

diese Forscherinnen und Forscher und deren Projekte stellen<br />

wir Ihnen in dieser Ausgabe vor.<br />

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Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre und freuen Quellen uns<br />

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über Ihre Fragen und Anregungen.<br />

TILMANN MÄRK, REKTOR<br />

ULRIKE TANZER, VIZEREKTORIN FÜR FORSCHUNG<br />

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IMPRESSUM<br />

Herausgeber & Medieninhaber: Leopold-Franzens-Universität Inns bruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Inns bruck, www.uibk.ac.at<br />

Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf); public-relations@uibk.ac.at<br />

Verleger: KULTIG Werbeagentur KG – Corporate Publishing, Maria-Theresien-Straße 21, 6020 Inns bruck, www.kultig.at<br />

Redaktion: Mag. Melanie Bartos (mb), Mag. Andreas Hauser (ah), Mag. Stefan Hohenwarter (sh), Lisa Marchl, MSc (lm), Fabian Oswald, MA<br />

(fo), Mag. Susanne Röck (sr), Miriam Sorko, BA MA (ms) Lektorat & Anzeigen: MMag. Theresa Rass Layout & Bildbearbeitung: Florian<br />

Koch Fotos: Andreas Friedle, Universität Inns bruck Druck: Gutenberg, 4021 Linz<br />

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Foto: Uni Inns bruck<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 3


BILD DER<br />

WISSENSCHAFT


INHALT<br />

TITELTHEMA<br />

8<br />

G0SSENKÖLLESEE. Der Hochgebirgssee liefert weltweit<br />

einzigartige Daten für die Langzeitklimaforschung und zeigt<br />

bereits erste Reaktionen auf den Klimastress. 8<br />

FORSTHÜTTE PRAXMAR. Forscherinnen und Forscher der<br />

Universität Innsbruck untersuchen den Befall von Fichten durch<br />

den Rostpilz Chrysomyxa rhododendri. 12<br />

ROFENTAL In einem der besterforschten Hochgebirgsräume der<br />

Welt wird seit über 150 Jahren der Rückgang der Gletscher und<br />

dessen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt untersucht. 14<br />

SPANNAGELHÖHLE. Unterhalb des Hintertuxer Gletschers im<br />

Tiroler Zillertal liegt die höchstgelegene Schauhöhle Europas – trotz<br />

seiner hochalpinen Lage ist das Höhlensystem eisfrei. 16<br />

TITELTHEMA. Die Universität Innsbruck betreibt in den<br />

Alpen zahlreiche <strong>Forschung</strong>sstationen, um Gletscher,<br />

Bergseen, Wälder, Almen und Höhlen zu untersuchen.<br />

ZUKUNFT FORSCHUNG stellt einige von ihnen vor,<br />

z.B. die Spannagelhöhle bei Hintertux.<br />

22<br />

FORSCHUNGSSTATION FAIR. Am Mieminger Plateau wird der<br />

Austausch von Spurengasen und Energie zwischen dem Wald<br />

und der Atmosphäre gemessen.18<br />

FORSCHUNG<br />

FORSCHUNGSZENTRUM HIMAT. In den Hochlagen des Zillertals<br />

sind Forscher*innen der Geschichte des Granats auf der Spur. 26<br />

GERMANISTIK. Im 19. Jahrhundert gab es im deutschsprachigen<br />

Raum einen Hype um Portugals Nationaldichter Luís Vaz de Camões.<br />

Peter C. Pohl begab sich auf die Suche nach dieser Faszination. 32<br />

STANDORT. APA-Geschäftsführer Clemens Pig über<br />

das seinerzeitige Start-up MediaWatch, Journalismus in<br />

Zeiten von Corona und Verschwörungstheorien sowie<br />

seinen Wunsch nach einer offensiven Wissenschaft.<br />

30<br />

SOZIOLOGIE. Welche Faktoren verhindern Radikalisierung bei<br />

Jugendlichen? Mit dieser Frage befasst sich Hemma Mayrhofer. 34<br />

DIGITALISIERUNG. Ulrich Remus untersucht die Beziehung<br />

zwischen Gig Workern und den Algorithmen, die dazu eingesetzt<br />

werden, sie zu steuern oder zu kontrollieren. 36<br />

PHYSIK. Der vermehrte Einsatz von Kunstdünger und Mist aus<br />

der Tierhaltung bringen mehr Ammoniak in die Atmosphäre. 38<br />

MOBILITÄT. Eine Stiftungsprofessur wird neue Lösungen an der<br />

Schnittstelle von Gesundheit, Klima und Wirtschaft entwickeln. 43<br />

GESCHICHTSWISSENSCHAFT. Der Buchhandel in der<br />

Frühen Neuzeit war dynamisch und extrem vernetzt,<br />

die Historikerin Mona Garloff interessiert sich speziell<br />

für den Fernbuchhandel in Wien und Prag in der Zeit<br />

zwischen 1680 und 1750.<br />

In der Ukraine stehen Meisterwerke des russischen Ingenieurs Vladimir<br />

G. Šuchov: Zwei Leuchttürme, die 1911 vor der Mündung des Flusses<br />

Dnipro/Dnepr auf künstlichen Inseln im Schwarzen Meer gebaut wurden.<br />

Beide Türme sind Hyperboloide in einer von Šuchov erfundenen<br />

Bauweise. Der große Turm war mit 73,5 Meter der weltweit höchste<br />

Leuchtturm. Die Türme zählen zu den besterhaltenen Šuchovschen<br />

Baukonstruktionen und verrichten bis in die Gegenwart ihren Dienst.<br />

Über die Auswirkungen des Kriegs ist aktuell nichts bekannt. Beide<br />

Türme sind in einem <strong>Forschung</strong>sprojekt, über das wir in der nächsten<br />

Ausgabe berichten werden, erstmals untersucht worden.<br />

RUBRIKEN<br />

EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: HYPERBOLOID-LEUCHTURM 4 | NEUBERUFUNG: UTA RUSSMANN 6 | FUNDGRUBE VER GANGEN HEIT: TREFFEN ZUR AERO- UND<br />

HYDRODYNAMIK, INNSBRUCK 1922 7 | MELDUNGEN 22 + 42 | WISSENSTRANSFER 40 + 41 | PREISE & AUSZEICHNUNGEN 45 – 47 | ZWISCHENSTOPP: IRMA ELOFF 48 | SPRUNGBRETT<br />

INNS BRUCK: JOHANN DANZL 49 | ESSAY: FRÜHE FORSCHUNG IM GEBIRGE von Martin Korenjak 50<br />

Fotos: Robbie Shone (1), Andreas Friedle (1), APA (1); COVERFOTO: Robbie Shone; BILD DER WISSENSCHAFT: Andrij Kutnyi<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 5


NEUBERUFUNG<br />

NEUE PLAYER IM SPIEL<br />

Medien haben die Politik schon immer beeinflusst, sagt Uta Rußmann, mit Social Media kommen aber<br />

neue Akteure hinzu. Daher richtet sie einen speziellen Fokus auf neue Medien und Demokratie.<br />

Als Schülerin verbrachte Uta Rußmann<br />

ein Jahr in Kalifornien, danach<br />

war für sie klar: Auch das<br />

Studium sollte im Ausland stattfinden.<br />

Doch trotz guter Sprachkenntnisse war<br />

sie „too chicken“ für eine Uni, an der<br />

auf Englisch unterrichtet wird. Zur Wahl<br />

standen daher Zürich und Wien. Österreich<br />

wurde es, weil Rußmanns Mutter<br />

als junge Frau in Zürich gelebt hatte. „Ich<br />

wollte es anders machen“, sagt sie. Nach<br />

einem Erasmus-Jahr in Finnland folgten<br />

Diplomarbeit und Dissertation in Wien,<br />

UTA RUSSMANN (*1977) studierte<br />

ab 1997 an den Universitäten Wien<br />

und Tampere (Finnland) Publizistik- und<br />

Kommunikationswissenschaft mit der Fächerkombination<br />

Politikwissenschaft und<br />

Soziologie und promovierte 2007 in Wien.<br />

Als Postdoc forschte sie in FWF-Projekten<br />

an der Uni Wien (2007-09) und der Uni<br />

Innsbruck (2009-12), danach war sie FH-<br />

Professorin und Senior Researcher am Department<br />

of Communication der FHWien<br />

der WKW. Seit 1. 3. <strong>2022</strong> ist Rußmann an<br />

der Universität Innsbruck Professorin für<br />

Medien- und Kommunikationswissenschaft<br />

mit Schwerpunkt Demokratie.<br />

während der Doktorarbeit jobbte sie in<br />

einer Marketing-Abteilung von IBM. „Ich<br />

war mir nicht sicher, ob ich in die Praxis<br />

gehen oder eine wissenschaftliche Karriere<br />

einschlagen will“, erklärt Rußmann. Es<br />

wurde Zweiteres, den Schwerpunkt ihrer<br />

Arbeit setzt sie seither auf die Bereiche<br />

politische Kommunikation, Kampagnen,<br />

Medien und Wahlen, digitale Kommunikation,<br />

Social Media, PR und strategische<br />

Kommunikation. Am Institut für Medien,<br />

Gesellschaft und Kommunikation der Uni<br />

Innsbruck richtet sie nun einen speziellen<br />

Fokus auf Medien und Demokratie.<br />

Politik & neue Medien<br />

Medien hätten Politik schon immer beeinflusst<br />

und Demokratie gefördert, weiß<br />

Rußmann, mit dem Auftreten der neuen<br />

und sozialen Medien habe sich aber das<br />

Dreieck Medien-Politik-Bürger*innen verändert.<br />

„Es kommen zusätzliche Akteure<br />

und Informationsintermediäre hinzu, zum<br />

einen die Plattformen und zum anderen<br />

diejenigen, die darauf eine Rolle spielen“,<br />

erklärt Rußmann. Neben demokratiehinderlichen<br />

Aspekten wie Miss- und Desinformation,<br />

Echokammern und Filterbubbles,<br />

Polarisierung und Radikalisierung<br />

be obachtet sie aber auch Positives, wenn<br />

etwa Akteure, die nicht als politische Influencer<br />

gelten, sich zu politischen Themen<br />

äußern. „Wenn Kim Kardashian über ihren<br />

Instagram-Acount zum Wählen aufruft,<br />

geht dieser Aufruf an rund 300 Millionen<br />

Follower, von denen viele durch Politikerinnen<br />

und Politiker nicht erreicht werden.<br />

Und das ist demokratieförderlich“, nennt<br />

Rußmann ein Beispiel, stellt aber auch<br />

klar: „Wir wissen, dass es durch Miss- und<br />

Desinformation in sozialen Medien zu<br />

Polarisierung und Radikalisierung kommt,<br />

wir wissen aber nicht genau, wie die Informationsaufnahme<br />

und -weiterleitung ablaufen,<br />

warum bestimmte Akteure so großen<br />

Einfluss haben. Doch nur wenn man<br />

diese Prozesse versteht, ist es möglich,<br />

Lösungen anzubieten.“ Um diese Prozesse<br />

genauer zu analysieren, feilte Rußmann im<br />

April mit 14 Partnern an einem Horizon-<br />

Europe-Antrag für den Call „Politics and<br />

the impact of online social networks and<br />

new media“. Eine intensive Arbeit, die<br />

man, lacht Rußmann, nicht unbedingt in<br />

den ersten Wochen nach Antritt einer Professur<br />

machen sollte. Ihre Vorstellungstour<br />

verlegte sie daher zeitlich etwas nach hinten,<br />

von Vorteil war, dass sie Teile der Uni<br />

schon von einem dreijährigen <strong>Forschung</strong>sprojekt<br />

in Innsbruck kennt. ah<br />

6 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Foto: Andreas Friedle


FUNDGRUBE VERGANGENHEIT<br />

EINDRUCK GESCHUNDEN<br />

Vor 100 Jahren trafen sich rund 30 Physiker in Innsbruck, um Fragen der Aero- und Hydrodynamik zu<br />

diskutieren. Unter ihnen Werner Heisenberg, der hier seinen ersten wissenschaftlichen Vortrag hielt.<br />

Es war eine illustre Runde, die sich<br />

am 10. September 1922 in Innsbruck<br />

einfand, allesamt Spezialisten<br />

auf ihrem Gebiet: aus Norwegen etwa<br />

Vilhelm Bjerknes, Physiker, Meteorologe<br />

und „Vater“ der modernen Wettervorhersage;<br />

aus Prag Philipp Frank, Philosoph,<br />

Physiker und späterer Biograf von Albert<br />

Einstein; aus Göttingen Ludwig Prandtl,<br />

Wegbereiter der modernen Strömungsmechanik<br />

und Aerodynamik. Gefolgt<br />

waren sie einer Einladung, die Theodore<br />

von Kármán vom Institut für Mechanik<br />

und flugtechnische Aerodynamik an der<br />

Technischen Hochschule Aachen und<br />

Tullio Levi-Civita, Mathematiker an der<br />

Università di Roma, ausgesprochen hatten.<br />

In Innsbruck wollte man Fragen der<br />

Hydro- und Aerodynamik diskutieren.<br />

Es sollte eine zwanglose Zusammenkunft<br />

sein – ein offizieller Sanctus für diesen<br />

grenzüberschreitenden Austausch unter<br />

Wissenschaftlern war vier Jahre nach Ende<br />

des Ersten Weltkriegs unmöglich.<br />

Um die internationale Zusammenarbeit<br />

von Forschern nach den vier<br />

Kriegsjahren zu fördern, war 1919 der<br />

International Research Council (I.R.C.)<br />

als Dachverband wissenschaftlicher<br />

Gesellschaften gegründet worden. Die<br />

Internationalität war aber eine eingeschränkte:<br />

Die ehemaligen Mittelmächte<br />

waren per Statuten aus dem I.R.C. und<br />

seinen Gesellschaften ausgeschlossen,<br />

ein Verbot, das speziell Deutschland und<br />

Österreich treffen sollte. Nach Ansicht<br />

des Kosmopoliten von Kármán war aber<br />

internationale Kooperation die Voraussetzung,<br />

hydro- und aerodynamische<br />

Fragestellungen zu lösen. Daher plante<br />

er eine informelle Konferenz und konnte<br />

den international anerkannten Levi-Civita<br />

als „alliierten“ Forscher für die Idee<br />

gewinnen. Gemeinsam kontaktierten sie<br />

Kollegen in ganz Europa, Levi-Civita<br />

kümmerte sich vor allem um Frankreich,<br />

Italien und England, von Kármán übernahm<br />

den deutschsprachigen Raum und<br />

die im Krieg neutralen Länder.<br />

THEODORE VON KÁRMÁN (1881–<br />

1963) war Physiker, Luftfahrttechniker<br />

und Pionier der modernen Aerodynamik<br />

und der Luftfahrt- und Raketenforschung.<br />

Seine wissenschaftlichen Stationen führten<br />

ihn über die Universität Göttingen und die<br />

heutige RWTH Aachen an das California<br />

Institute of Technology, wo er 1929 die<br />

Leitung des Aeronautical Laboratory übernahm.1963<br />

erhielt er als erster Wissenschaftler<br />

die National Medal of Science.<br />

Konferenz als Premiere<br />

Zahlreicher Absagen zum Trotz fanden<br />

sich schließlich rund 30 Physiker und<br />

Mathematiker aus ehemals gegnerischen<br />

Lagern und neutralen Ländern für drei Tage<br />

in Innsbruck ein – es war das erste derartige<br />

Treffen nach dem Krieg. Den Treffpunkt<br />

hatte von Kármán bestimmt – Tirol<br />

war zentral gelegen und für die aus dem<br />

wirtschaftlich gebeutelten Deutschland<br />

Kommenden leistbar. Vorgetragen und<br />

diskutiert wurde wahrscheinlich im Hotel<br />

Grauer Bär, wo die meisten Gäste übernachteten.<br />

Einer der Vortragenden war ein<br />

junger Physikstudent aus München, Werner<br />

Heisenberg, dem wohl sein Doktorvater<br />

Arnold Sommerfeld die Teilnahme<br />

ermöglicht hatte. Für Heisenberg war es<br />

sein erster öffentlicher wissenschaftlicher<br />

WERNER HEISENBERG (19<strong>01</strong>–1976)<br />

studierte in München Physik, wo er 1923<br />

promovierte. Ein Jahr später habilitierte er<br />

sich in Göttingen. 1927 erhielt er einen<br />

Ruf an die Universität Leipzig, ab 1946<br />

war er Direktor des Max-Planck-Instituts<br />

für Physik in Göttingen. Heisenberg gab<br />

1925 die erste mathematische Formulierung<br />

der Quantenmechanik an. 1927 formulierte<br />

er die Unschärferelation. 1933<br />

erhielt er den Nobelpreis für Physik.<br />

Auftritt. Mit seinem Vortrag habe er sehr<br />

guten Eindruck geschunden, schrieb Heisenberg<br />

im Anschluss an seine Eltern.<br />

Die Konferenz in Tirol, an der mit Ottokar<br />

Tumlirz und Josef Tagger auch zwei<br />

Physiker der Uni Innsbruck teilnahmen,<br />

blieb keine Eintagsfliege. Im April 1924<br />

trafen sich im niederländischen Delft über<br />

200 Wissenschaftler zum Ersten Internationalen<br />

Kongress für Angewandte Mechanik,<br />

kurz zuvor hatten von Kármán<br />

und Levi-Civita den Tagungsband mit<br />

den Innsbrucker Vorträgen veröffentlicht.<br />

Aus der Konferenz in Delft ging die Internationale<br />

Vereinigung für theoretische<br />

und angewandte Mechanik (IUTAM) hervor,<br />

ihre alle vier Jahre stattfindenden<br />

Kongresse sind heute die wichtigsten für<br />

das Gebiet der Mechanik. ah<br />

Fotos: HArch Aachen – Sig.: 1.2.1._Kar_I (b), GFHund<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 7


8 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Foto: Andreas Friedle


STRESS IM ÖKOSYSTEM<br />

Hochalpine Lebensräume reagieren besonders sensibel auf Klimaveränderungen.<br />

Der Gossenköllesee auf rund 2. 400 Metern Seehöhe liefert weltweit einzigartige Daten für die<br />

Langzeitklimaforschung und zeigt bereits erste Reaktionen auf den Klimastress.<br />

Foto: White Frame Photo<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 9


TITELTHEMA<br />

AM GOSSENKÖLLESEE werden im Winter auch die Eisbedeckungsdauer, die Eisdicke und Zusammensetzung des Eises untersucht.<br />

Diese <strong>Forschung</strong>sstation ist für<br />

mich mittlerweile schon so etwas<br />

wie eine zweite Heimat“, sagt<br />

Birgit Sattler über den Gossenköllesee.<br />

Für sie ist der See die Wiege der alpinen<br />

und hochalpinen Limnologie – der Erforschung<br />

der Ökologie von Binnengewässern<br />

– an der Universität Innsbruck:<br />

„Wissenschaftler*innen der Universität<br />

Innsbruck forschen schon seit vielen Jahren<br />

an diesem See; bereits seit 1975 werden<br />

hier Daten erhoben.“ Wurden diese<br />

Daten lange nur punktuell verglichen<br />

und für einzelne <strong>Forschung</strong>sprojekte an<br />

der Universität Innsbruck genutzt, liefern<br />

sie seit 2<strong>01</strong>4 durch die Einbindung in<br />

die zwei Langzeitforschungsnetzwerke<br />

LTER (Long-Term Ecological Research)<br />

und GLEON (Global Lake Ecological Observatory<br />

Network) auch wichtige Daten<br />

für die Langzeitklimabeobachtung. Durch<br />

die Einbindung in diese beiden weltweit<br />

verbundenen Netzwerke werden am Gossenköllesee<br />

seit 2<strong>01</strong>4 (LTER) beziehungsweise<br />

2<strong>01</strong>5 (GLEON) monatlich gemessene<br />

Daten aufgezeichnet, ausgewertet und<br />

weltweit verglichen. GLEON sammelt<br />

und interpretiert weltweit Langzeitdaten<br />

von Seen, um die Entwicklung dieser<br />

Ökosysteme unter dem Aspekt des Klimawandels<br />

zu beobachten. Der Gossenköllesee<br />

ist als einziger hochalpiner See in<br />

Österreich Teil des Netzwerkes und liefert<br />

damit weltweit einzigartige Daten.<br />

Umfassende Messungen<br />

„Wir von der Lakes and Glacier Research<br />

Group, die von Ruben Sommaruga geleitet<br />

wird, fahren an der <strong>Forschung</strong>sstation<br />

jeden Monat dasselbe Programm. Die gute<br />

Erreichbarkeit im Sommer wie im Winter<br />

und auch unser gutes Einvernehmen<br />

AUTOMATISIERTE MESS-SONDEN<br />

lie fern in der eisfreien Zeit viertel- bis halbstündlich<br />

Daten für das Langzeit-Monitoring.<br />

mit den Kühtaier Bergbahnen kommt uns<br />

hier sehr entgegen“, erklärt Birgit Sattler.<br />

Monatlich gemessen und aufgezeichnet<br />

werden am Gossenköllesee unter anderem<br />

die Eisbedeckungsdauer, die Eisdicke<br />

und Zusammensetzung des Eises, die<br />

Leitfähigkeit des Wassers, sein pH-Wert<br />

und Sauerstoffgehalt, der Chlorophyll-<br />

Anteil im Wasser sowie die gesamte Wasserchemie,<br />

die von den Techniker*innen<br />

des Instituts analysiert wird. Ergänzt<br />

werden diese Daten durch automatisierte<br />

Sonden, die in den eisfreien Monaten – in<br />

der Regel Juni bis Oktober – bestimmte<br />

Parameter wie Wassertemperatur, pH-<br />

Wert, Sauerstoffgehalt und Leitfähigkeit<br />

des Wassers viertel- bis halbstündlich<br />

aufzeichnen.<br />

„Eine an der <strong>Forschung</strong>sstation angebrachte<br />

Webcam erlaubt uns zudem,<br />

die Prozesse des Zu- und Auffrieren<br />

des Sees genau zu beobachten“, erklärt<br />

Sattler. Darüber hinaus greifen die Wissenschaftler*innen<br />

auch auf ungewöhnlichere<br />

Quellen, wie alte Hüttenbücher<br />

und historische Dokumente zurück. „In<br />

einem Hüttenbuch aus den 1980er-Jahren<br />

fanden wir beispielsweise einen erstaunten<br />

Eintrag, dass der See im Hochsommer<br />

eine Temperatur von bereits 16 Grad<br />

Celsius habe. Im Sommer 2020 haben<br />

10 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Birgit Sattler (2), White Frame Photo (2)


TITELTHEMA<br />

wir eine Spitzentemperatur von 20 Grad<br />

Celsius gemessen“, erzählt Birgit Sattler.<br />

Eine Beobachtung, die auch die Langzeitdaten<br />

seit 2<strong>01</strong>4 bestätigen: „Man sieht,<br />

dass der Trend nach oben geht, sowohl<br />

was die Wassertemperatur als auch was<br />

die ‚Eisfreiheit‘ des Sees betrifft. Wir sehen<br />

deutlich, dass er später zufriert und<br />

die Eisdecke früher verschwindet“, sagt<br />

die Limnologin. „Auch die Dicke der Eisschicht<br />

nimmt im Durchschnitt ab.“<br />

Leben im Eis<br />

Birgit Sattler hat sich auf die Erforschung<br />

des Eises und der darin lebenden Organismen<br />

spezialisiert. „Auch wenn man es<br />

auf den ersten Blick bezweifelt, es leben<br />

sehr viele Mikroorganismen im Eis“, so<br />

Sattler. Die Eisdecke ist hauptsächlich mikrobiell<br />

dominiert. Vor allem deswegen,<br />

weil dieser Lebensraum – ein Gemisch<br />

aus Eiskristallen, Wasser und Schnee – so<br />

eng ist, dass sich Vielzeller kaum bewegen<br />

könnten. „Mikroorganismen haben<br />

in diesem Lebensraum klare Vorteile: Sie<br />

leben hier frei von Räubern und profitieren<br />

von den Ansammlungen aus der Atmosphäre,<br />

die in der Eisdecke akkumuliert<br />

werden und den Mikroorganismen<br />

als Nahrung dienen. So haben die Mikroorganismen<br />

in der Eisschicht optimale<br />

Bedingungen und entwickeln sich teils<br />

zu sehr großen Formen“, erklärt Sattler.<br />

Die Zusammensetzung und Struktur der<br />

Eisdecke auf dem See liefert auch einen<br />

sehr guten Überblick über den Verlauf<br />

eines Winters, ein Phänomen, das laut<br />

der Limnologin speziell in Hochgebirgsseen<br />

gut nachvollziehbar ist.<br />

„Wir können anhand der einzelnen<br />

Schichten der Eisdecke sehr gut sehen, ob<br />

es während eines Winters wärmere oder<br />

kältere Phasen oder viel Schneefall gab<br />

– jedes Wetterereignis führt zu einer anderen<br />

Struktur im Eis“, beschreibt Sattler<br />

IN EINEM HÜTTENBUCH von 1988<br />

wurde ein Temperaturmaximum von<br />

16 °C vermerkt, 2020 lag das Maximum<br />

der Wassertemperatur bei 20 °C.<br />

DER GOSSENKÖLLESEE ist ein 1,6 Hektar großer Hochgebirgssee auf 2. 416 Meter<br />

Seehöhe über dem Kühtaisattel in den Stubaier Alpen. Nachdem die ursprüngliche<br />

<strong>Forschung</strong>sstation am Finstertaler See einem Stauseeprojekt der TIWAG weichen musste,<br />

werden dort seit 1975 Daten erhoben. Direkt am See befindet sich eine nach dem kürzlich<br />

verstorbenen Hochgebirgslimnologen Roland Pechlaner benannte <strong>Forschung</strong>sstation, die<br />

auf Initiative von Roland Psenner 1994 grundlegend saniert wurde und über Laborplätze,<br />

Schlafmöglichkeiten, Küche und Sanitäranlagen verfügt. Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen<br />

am Gossenköllesee beschäftigen sich mit diversen wasserlebenden Organismengruppen<br />

wie Bakterien, Flagellaten und Copepoden sowie dem atmosphärischen<br />

Eintrag in und dessen Einfluss auf das Gewässer. Eine weitere Besonderheit im Gossenköllesee<br />

ist auch sein Fischbestand: Die dort angesiedelten Bachforellen stammen noch aus<br />

dem künstlichen Besatz durch Kaiser Maximilian um 1500. Während seiner Herrschaftszeit<br />

veranlasste er aufgrund seiner Passion für die Fischerei, viele Tiroler Bergseen mit Forellen<br />

und Saiblingen zu besetzen. Die Aufnahme des Gossenköllesees als einziger hochalpiner<br />

See Österreichs in das internationale <strong>Forschung</strong>sprojekt GLEON ist ein wichtiger Schritt, um<br />

auch weiterhin die <strong>Forschung</strong>en und den Bestand der Fische zu sichern.<br />

und vergleicht den Aufbau der Eisschicht<br />

mit einer Manner-Schnitte: „Wir sehen,<br />

wie sich einzelne Eis- und Matschschichten<br />

überlagern, in der nährstoffreichen<br />

‚Schokoschicht’ leben die Mikroorganismen.“<br />

Schmilzt diese Eisschicht im Sommer<br />

ab, ergießt sich ein wahrer Nährstoffregen<br />

in den See. „Alle in der Eisschicht<br />

aus der Atmosphäre akkumulierten<br />

Nährstoffe und die darin lebenden Mikroorganismen<br />

werden bei diesem ‚First<br />

flush‘ in das Seewasser freigegeben und<br />

fungieren hier wie eine Art Dünger, was<br />

auch an verschiedenen Parametern wie<br />

beispielsweise der Leitfähigkeit des Wassers<br />

ablesbar ist“, erklärt Birgit Sattler.<br />

Kürzere Eisbedeckung<br />

Die Eisschicht hat also einen enormen<br />

Einfluss auf den Lebensraum Hochgebirgssee.<br />

Wird die Dauer der Eisbedeckung<br />

und die Dicke der Eisschicht dünner,<br />

bedeutet dies neben einer Veränderung<br />

dieses ‚First flush‘ auch enormen<br />

Stress für das gesamte Ökosystem im See.<br />

So werden die im See lebenden Organismen<br />

durch eine kürzere Eisbedeckungszeit<br />

beispielsweise länger der im Hochgebirge<br />

sehr starken UV-Strahlung ausgesetzt.<br />

„Auch wenn entsprechende Änderungen<br />

im Hochgebirge aufgrund der<br />

sehr kurzen Vegetationsperiode – im<br />

Schnitt herrschen am Gossenköllesee acht<br />

Monate Winter – etwas langsamer passieren,<br />

sehen wir vor allem, wenn wir auch<br />

Daten vor Beginn des Langzeitmonitorings<br />

heranziehen, erste Veränderungen<br />

in der Zusammensetzung der im See lebenden<br />

Organismen“, so Birgit Sattler.<br />

Für die Limnologinnen und Limnologen<br />

ist es deshalb besonders wichtig, die Besonderheit<br />

und auch Sensibilität dieses<br />

Lebensraums der Bevölkerung näherzubringen.<br />

„Wir haben mit der Langzeitforschung<br />

am Gossenköllesee ein sehr wertvolles,<br />

weltweit einzigartiges <strong>Forschung</strong>sgebiet.<br />

Das sollten wir alle schätzen und<br />

schützen.“ sr<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 11


TITELTHEMA<br />

SCHWERE ZEITEN<br />

FÜR DIE FICHTE<br />

In der Forsthütte Praxmar untersuchen Wissenschaftler*innen der Universität Innsbruck<br />

den Befall von Fichten durch den Rostpilz Chrysomyxa rhododendri.<br />

Die Evolution hat sehr unterschiedliche<br />

Strategien hervorgebracht,<br />

um kalte Winter zu überstehen.<br />

Manche Lebewesen fressen sich Vorräte<br />

an und schlafen monatelang in einer Höhle.<br />

Andere nehmen ein Flugzeug in Richtung<br />

Balearen. Und der Rostpilz Chrysomyxa<br />

rhododendri überwintert in den Blättern<br />

der Alpenrose. Im Frühjahr, wenn<br />

es wieder wärmer wird, bildet er neue<br />

Sporen und wird vom Wind zurück in<br />

sein Sommerquartier getragen: neu austreibende<br />

Fichtennadeln. Dieser jahreszeitliche<br />

Wechsel zwischen zwei Wirten<br />

ist ein typisches Verhalten für Rostpilze.<br />

Für den Wald in den Hochlagen Tirols ist<br />

das ein großes Problem. Der Pilz schädigt<br />

den Baumbestand so sehr, dass es in manchen<br />

Regionen bereits Schwierigkeiten bei<br />

der Aufforstung gibt – so zum Beispiel bei<br />

Praxmar im Tiroler Sellraintal. Hier steht<br />

inmitten eines subalpinen Fichten- und<br />

Zirbenwaldes eine ehemalige Forstdiensthütte,<br />

die nun von Wissenschaftler*innen<br />

der Universität Innsbruck genutzt wird.<br />

Dem Schädling auf der Spur<br />

Die Ökophysiologin Andrea Ganthaler<br />

vom Institut für Botanik untersuchte<br />

Rostpilzinfektionen bereits vor einigen<br />

Jahren in ihrer Doktorarbeit. Gemeinsam<br />

mit Stefan Mayr, Leiter des <strong>Forschung</strong>sschwerpunktes<br />

„Alpiner Raum“, führt<br />

sie nun das <strong>Forschung</strong>sprojekt „Rostinfektion<br />

von Bergfichten“ durch. Für die<br />

notwendigen Feldforschungen bietet die<br />

Hütte in Praxmar dabei ideale Voraussetzungen.<br />

Sie verfügt über Strom und<br />

Wasser, was die Durchführung von Experimenten<br />

erleichtert, und bietet einfachen<br />

Zugang zu ausgewachsenen Bäumen in<br />

der Umgebung. „Generell sind Schädlingsbefall<br />

und Trockenheit die größte<br />

Gefahr für den Wald, jetzt und in <strong>Zukunft</strong>“,<br />

erklärt Ganthaler. „Nadelrost hat<br />

STEFAN MAYR UND ANDREA GANTHALER untersuchen die Rostinfektion von Bergfichten.<br />

eine eher regionale Bedeutung, ist aber<br />

ein hervorragendes Modell, um solche<br />

Bedrohungen zu analysieren.“ In Tirol<br />

dominiert vielerorts die Fichte als wichtiger<br />

Forstbaum die Waldflächen – auch an<br />

der Waldgrenze, wo der Befall durch den<br />

Rostpilz besonders intensiv auftritt. Diese<br />

Waldbereiche sind zumeist auch Schutzwald,<br />

der Siedlungen vor Lawinen oder<br />

Erdrutschen bewahrt.<br />

12 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Andrea Ganthaler (3), Stefan Mayr (1), Andreas Friedle (1)


TITELTHEMA<br />

HINWEISSCHILD an einer gegen Chrysomyxa<br />

rhododendri resistenten Fichte.<br />

Warum der Rostpilzbefall im letzten<br />

Jahrzehnt wiederholt sehr hoch war,<br />

ist wissenschaftlich noch nicht geklärt.<br />

Höchstwahrscheinlich sind jedoch zwei<br />

Faktoren dafür verantwortlich. Durch den<br />

Klimawandel nehmen feuchte und warme<br />

Phasen zu, die der Pilz zur Vermehrung<br />

braucht. Weiterhin wird die Verbreitung<br />

der Alpenrose durch die zunehmende<br />

Auflassung von Almen begünstigt,<br />

womit der Pilz mehr Möglichkeiten zum<br />

Überwintern erhält. Die Folgen davon<br />

sind auch für Laien deutlich erkennbar.<br />

Im Wald werden die Fichtennadeln erst<br />

gelb, dann orange bis braun und fallen<br />

schließlich ab. Der Rostpilzbefall schädigt<br />

die Fichte nicht nur direkt, sondern<br />

schwächt die Bäume auch gegenüber anderen<br />

schädlichen Einflüssen. „Auf einer<br />

Fichte finden sich ungefähr zehn Nadeljahrgänge“,<br />

erklärt Stefan Mayr. „Wenn<br />

der Baum seine Nadeln abwirft, um den<br />

Pilz loszuwerden, verliert er einen Teil<br />

der grünen Blattmasse und kann weniger<br />

Photosynthese betreiben. Er ist dann auch<br />

anfälliger gegen Faktoren wie Trockenstress<br />

oder Befall durch andere Schädlinge,<br />

etwa den Borkenkäfer. Wenn eine<br />

junge Fichte, die nur drei Nadeljahrgänge<br />

besitzt, wiederholt vom Pilz befallen<br />

wird, ist die Schädigung so massiv, dass<br />

der Baum kaum Überlebenschancen hat.“<br />

Abwehr braucht Vielfalt<br />

In der Region um Praxmar konnten die<br />

Wissenschaftler*innen einige wenige<br />

Bäume identifizieren, die vom Rostpilz<br />

verschont werden. Sie versuchen nun, die<br />

Abwehrmechanismen dieser Bäume zu<br />

untersuchen und dadurch auch die Infektionswege<br />

des Rostpilzes besser zu verstehen.<br />

Außerdem wird versucht, resistente<br />

Bäume zu vermehren, um Material für<br />

zukünftige Aufforstungen in Hochlagen<br />

zu züchten. Das erweist sich jedoch als<br />

EINE INFIZIERTE FICHTE, deutlich zu<br />

erkennen an den gelben Nadeln.<br />

DIE FORSTHÜTTE IN PRAXMAR<br />

war ursprünglich im Besitz des Landes<br />

Tirol bzw. der Landesforstdirektion<br />

Tirol. Seit den 1990er-Jahren wurde sie<br />

für <strong>Forschung</strong>sprojekte am Institut für<br />

Botanik zunächst gepachtet und im Jahr<br />

2<strong>01</strong>9 durch die Universität Innsbruck erworben.<br />

Forscher*innen vom Institut für<br />

Botanik nutzen sie vor allem für ökophysiologische<br />

Messungen an alpinen Arten,<br />

mit Fokus auf alpine Koniferenarten. Die<br />

Forsthütte wurde bereits für zahlreiche<br />

Projekte genutzt, derzeit laufen dort Messungen<br />

für mehrere FWF-Projekte.<br />

SPOREN des Fichtennadel-Rostpilzes Chrysomyxa<br />

rhododendri unter dem Mikroskop.<br />

unerwartet schwierig: „Wir haben in Tirol<br />

bisher nur etwa 30 Bäume gefunden, die<br />

gegen den Pilz deutlich resistenter sind“,<br />

sagt Ganthaler. „Durch Stecklingsbewurzelung<br />

konnten wir Ableger dieser Bäume<br />

in Zusammenarbeit mit der Tiroler<br />

Landesforstdirektion und den Landesforstgärten<br />

anziehen. 30 Herkunftsbäume<br />

sind aber für Wiederaufforstungen noch<br />

zu wenig.“ Ein Forstbestand braucht ungefähr<br />

100 Herkunftsbäume, um eine<br />

genetisch stabile und anpassungsfähige<br />

Population aufzubauen. Sonst besteht die<br />

Gefahr, dass er sich nicht an Stressfaktoren<br />

anpassen kann.<br />

Im Laufe des Projektes gelang es den<br />

Forscher*innen, die Abwehrmechanismen<br />

der Bäume und die Infektionswege<br />

des Pilzes zu entschlüsseln. Sie konnten<br />

nachweisen, dass bei einer Infektion die<br />

Sporen des Pilzes zunächst über die Spaltöffnungen<br />

eindringen – das sind Öffnungen,<br />

die jede Pflanze braucht, um CO 2<br />

aufzunehmen und Photosynthese zu betreiben.<br />

Als Reaktion auf die Infektion versucht<br />

die Pflanze, die Ausbreitung in den<br />

Nadeln zu verhindern. Dafür aktiviert sie<br />

bestimmte Stoffwechselwege und Gene,<br />

die das Wachstum des Pilzes hemmen. „Es<br />

kommt zu einer sogenannten Hypersensitive<br />

Response“, sagt Ganthaler. „Die Pflanze<br />

lässt befallene Zellen absterben, um den<br />

Pilz zu isolieren. Und die resistenten Bäume<br />

machen das wesentlich besser als die<br />

Befallenen. Wir konnten ein Set von Genen<br />

identifizieren, die für diese Reaktion wichtig<br />

sind und unter anderem dafür zuständig<br />

sind, dass sekundäre Inhaltsstoffe wie<br />

Phenole und bestimmte Hormone anders<br />

reguliert werden. Diese identifizierten Gene<br />

möchten wir auch als Marker benutzen,<br />

um in <strong>Zukunft</strong> schneller nachzuweisen, ob<br />

ein Baum resistent ist.“<br />

Die Waldgrenze erforschen<br />

Das durch den FWF finanzierte Projekt ist<br />

weitgehend abgeschlossen, rund um die<br />

Forsthütte werden jedoch verschiedene<br />

Untersuchungen fortgeführt. Die Wissenschaftler*innen<br />

überwachen den Wald<br />

weiterhin mittels Drohnenflügen, um den<br />

Befall im Gebiet zu beziffern. Auch die<br />

Fichtenstecklinge, die bei der Forsthütte in<br />

einer Baumschule wachsen, werden beobachtet<br />

und auf Befall untersucht. „Für uns<br />

ist es eine spannende Frage, ob die Klone<br />

die Resistenz dauerhaft behalten können“,<br />

sagt Mayr. „Außerdem ist es sehr wichtig,<br />

im Alpenraum mehr <strong>Forschung</strong> zu betreiben“,<br />

ergänzt Ganthaler. „Die speziellen<br />

Probleme, die sich durch die Höhenlage<br />

und Baumarten ergeben, sind oft noch unzureichend<br />

verstanden. Tirol mit seinen<br />

großen Schutzwaldflächen bietet ein großes<br />

Potenzial für wissenschaftliche Untersuchungen.“<br />

fo<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 13


TITELTHEMA<br />

AN DER WETTER- UND SCHNEESTATION „Proviantdepot“ (2. 737 m) werden automatisch eine Vielzahl von meteorologischen und<br />

Schneevariablen gemessen und per GSM übertragen. Im Hintergrund der Hintereisferner und die Weißkugel (3. 738 m).<br />

EINZIGARTIGES<br />

FREILUFTLABOR<br />

Das Rofental zählt zu den besterforschten Hochgebirgsräumen der Welt, seit über 150 Jahren wird<br />

dort der Rückgang der Gletscher und dessen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt untersucht.<br />

Es ähnelt einer kleinen Biwakschachtel,<br />

doch der weiße Wellblechcontainer<br />

hoch oben am Grat über dem<br />

Hintereisferner ist ein Hightech-Labor,<br />

ausgestattet mit einem terrestrischen<br />

Laserscanner, der regelmäßig die Gletscheroberfläche<br />

abtastet – und dabei dem<br />

Hintereisferner beim dramatischen Rückgang<br />

zuschaut. „Unser <strong>Forschung</strong>sobjekt<br />

schmilzt uns unter den Fingern weg“, sagt<br />

Ulrich Strasser vom Institut für Geographie<br />

der Universität Innsbruck, trotzdem<br />

– oder gerade deshalb – sei es wichtig, das<br />

Eisfreiwerden der Alpen zu studieren und<br />

zu erforschen. Im Rofental mit den – immer<br />

noch – großen Hintereis-, Vernagtund<br />

Kesselwandferner finden Forscherinnen<br />

und Forscher wie der Schneehydrologe<br />

Strasser optimale Voraussetzungen vor.<br />

Zudem zählt das „Open Air Laboratory<br />

Rofental“ zu den besterforschten Hochgebirgsräumen<br />

der Welt, wurden hier doch<br />

erste hydrometeorologische und glaziologische<br />

Beobachtungen schon vor rund 150<br />

Jahren durchgeführt.<br />

Langzeitforschung im Eis<br />

„Für frühe Gletscherforscher war der<br />

Vernagtferner wahrscheinlich wegen<br />

seines besonderen Vorstoßverhaltens interessant“,<br />

vermutet Strasser. Über Jahrhunderte<br />

trafen solche schnellen Vorstöße<br />

im Rofental auf die gegenüberliegende<br />

Felswand, das Eis bildete einen gewaltigen<br />

Damm. Dieser staute das Wasser<br />

der Rofen ache, die dem Hintereisferner<br />

entspringt. Meist floss das Wasser des<br />

Rofener Eissees über den Eisdamm ab,<br />

doch immer wieder gab der Damm nach<br />

und gewaltige Eis- und Wassermassen<br />

stürzten sich das Tal hinab – mit katastrophalen<br />

Folgen für Mensch, Tier und<br />

Landwirtschaft in Vent, im Ötz-, ja sogar<br />

im Inntal. Nach einem solchen Ausbruch<br />

im Jahr 1600 untersuchten ein Jahr später<br />

kaiserliche Behörden das Rofental, dem<br />

daraus resultierenden Bericht nach Wien<br />

verdanken wir heute die älteste bildliche<br />

Darstellung eines Alpengletschers.<br />

Pionierarbeit leisteten in der zweiten<br />

Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa Sebas-<br />

14 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Ulrich Strasser


TITELTHEMA<br />

tian Finsterwalder, Adolf Blümke oder<br />

Hans Hess. Finsterwalders Karte, welche<br />

die Topografie des Vernagt ferners aus<br />

dem Jahr 1889 im Maßstab 1:10.000 festhält,<br />

gilt als Meilenstein der Gletscherkartografie,<br />

Hess und Blümke brachten<br />

erstmals den Hintereisferner detailgetreu<br />

zu Papier. In den 1890er-Jahren gab es am<br />

Hintereisferner die ersten Tiefenbohrungen<br />

und Bewegungsmessungen, schon<br />

1905 wurde der erste Regenmesser im Rofental<br />

installiert, die Massenbilanzreihen<br />

der drei Gletscher gehören zu den längsten<br />

ununterbrochenen weltweit. „Wir<br />

können hier teilweise auf Messreihen zugreifen,<br />

die bis ins vorvorige Jahrhundert<br />

zurückreichen“, beschreibt Strasser eine<br />

Einzigartigkeit des <strong>Forschung</strong>sgebiets Rofental.<br />

Kein Wunder also, dass das Rofental<br />

Teil des Netzwerks LTSER (Long-Term<br />

Socio-Ecological Research) ist, das die<br />

menschlichen Komponente in die ökologische<br />

Langzeitforschung integriert. Das<br />

Rofental ist zudem unter anderem Teil<br />

von INARCH (International Network for<br />

Alpine Research Catchment Hydrology),<br />

WGMS, (World Glacier Monitoring Service)<br />

und dem EU-INTERACT-Network.<br />

„Die Universität Innsbruck ist mit dem<br />

Rofental als Vorzeige-Messgebiet international<br />

sichtbar“, betont Strasser.<br />

Eine andere Einzigartigkeit liegt an der<br />

Topografie des „Labors“, reicht es doch<br />

von Vent, einer kleinen Fraktion der Gemeinde<br />

Sölden auf 1. 895 Meter Höhe,<br />

über die Rofenhöfe – auf 2. <strong>01</strong>4 Metern die<br />

höchstgelegenen dauerbesiedelten Bergbauernhöfe<br />

Österreichs – bis hinauf zur<br />

Wildspitze, mit 3. 768 Metern der höchste<br />

Berg Tirols. „Solche Hochgebirgsräume<br />

gibt es im Ostalpenraum nur wenige und<br />

es herrschen extreme Bedingungen. <strong>Forschung</strong><br />

vor Ort hier ist unbequem, kalt,<br />

schwierig und manchmal teuer“, sagt<br />

Strasser. Doch trotz dieser Widrigkeiten<br />

ist das Rofental Anziehungspunkt für<br />

einen großen „Klub an Interessierten“,<br />

wie es Strasser formuliert: Innsbrucker<br />

Forscherinnen und Forscher von den Instituten<br />

für Geographie sowie für Atmosphären-<br />

und Kryosphärenwissenschaften<br />

(ACINN), die Bayerische Akademie<br />

der Wissenschaften sowie Experten der<br />

hydrografischen und meteorologischen<br />

Dienste Nordtirols und des Energieversorgers<br />

TIWAG. Eng kooperiert wird zudem<br />

mit der Bozner EURAC und den entsprechenden<br />

Landesdiensten Südtirols, die<br />

1<br />

2<br />

3<br />

FORSCHUNG IM HOCHGEBIRGSRAUM<br />

1 Container mit Laserscanner am „Hintern<br />

Eis“ (3. 244 Meter). 2 Studierende der<br />

Universität Innsbruck bei Messungen im<br />

Bereich der Schönen-Aussicht-Hütte. 3<br />

Niederschlagsmessung an der Pegelstation<br />

Rofen ache/Vent (1. 891 Meter).<br />

jenseits der Grenze im Schnalstal und im<br />

Matschertal forschen. Gemeinsam werden<br />

kryosphärische, atmosphärische und hydrologische<br />

Prozesse und Veränderungen<br />

beobachtet, es gibt auch Versuchsfelder<br />

für Prozess-Studien, Modellentwicklung<br />

und -evaluation sowie Tests neuer Messverfahren.<br />

Zusammenarbeit über Fachund<br />

Landesgrenzen bestimmt die <strong>Forschung</strong><br />

– und auch den Datenaustausch.<br />

Kooperation am Gletscher<br />

„Ein Großteil der Daten, die automatisiert<br />

und kontinuierlich gemessen werden,<br />

geht an den Server des Landes Tirol, auf<br />

dem alle Echtzeitdaten der Landesdienste<br />

für Hochwasser- und Lawinenwarnung<br />

zusammenlaufen“, berichtet Strasser. Die<br />

Landesexperten können somit für ihre Berechnungen<br />

auch auf die Daten der Forscher<br />

zugreifen, „umgekehrt bekommen<br />

wir, falls wir sie für unsere Arbeit benötigen,<br />

Daten von ihren Messnetzen.“<br />

Grenzüberschreitend ist ein FWF-Projekt,<br />

das derzeit von einem <strong>Forschung</strong>steam<br />

des ACINN und der Universität Erlangen-Nürnberg<br />

vorangetrieben wird.<br />

Ziel sind neue, hochauflösende Modelle<br />

zur Erstellung der Massenbilanz, um den<br />

Wandel der Eisriesen noch detaillierter<br />

nachvollziehen zu können. Diese Simulationen<br />

können selbst lokale Phänomene<br />

wie die Schneedrift am Gletscher berücksichtigen.<br />

Das Team nutzt dabei die Daten<br />

des Laserscanners, der 2<strong>01</strong>6 installiert<br />

wurde und in dieser Form weltweit einzigartig<br />

ist.<br />

Gut verwahrt im geheizten <strong>Forschung</strong>scontainer<br />

– der Strom kommt<br />

über das Kabel eines stillgelegten Lifts<br />

– wird der Scanner von Innsbruck aus<br />

ferngesteuert, fürs Messen öffnet sich<br />

automatisch eine Art Guckloch in der<br />

Containerwand. Eine Eigenkonstruktion,<br />

die Teil des Hightech-Equipments im Rofental<br />

ist. Rund ein Dutzend Standorte für<br />

klassische meteorologische Messungen<br />

(Strasser: „Allein deren vertikale Variabilität<br />

von 2. 400 bis 3. 200 Meter auf engstem<br />

Raum wäre ein eigenes <strong>Forschung</strong>sprojekt.“),<br />

mehrere Abflussmessstationen,<br />

Webcams, Sensoren für kosmische Strahlung,<br />

sogar akustische Messgeräte finden<br />

sich im <strong>Forschung</strong>sgebiet. „Durch den<br />

Wind verwehte Schneepartikel prasseln<br />

auf ein Rohr und verursachen ein Rauschen.<br />

Über dessen Lautstärke kann man<br />

die Masse des umverlagerten Schnees berechnen“,<br />

erklärt Strasser, der damit Modelle<br />

für Schneeverwehungen erstellen<br />

will, die den Lawinenwarndienst unterstützen<br />

könnten.<br />

Aus einem völlig neuen Blickwinkel<br />

können Innsbrucker Forscherinnen und<br />

Forscher das Rofental möglicherweise in<br />

<strong>Zukunft</strong> betrachten. Strassers Arbeitsgruppe<br />

ist Teil eines Projekts der Europäischen<br />

Weltraumorganisation ESA, die<br />

anhand von Case Studies herausfinden<br />

möchte, wie Daten aus dem Weltraum die<br />

<strong>Forschung</strong> zu Erde unterstützen können.<br />

Im Rofental soll untersucht werden, wie<br />

mit Satelliten-Daten am besten die Modellierung<br />

der Schneedecke verbessert werden<br />

kann. ah<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 15


TITELTHEMA<br />

REICH GESCHMÜCKTE<br />

UNTERWELT<br />

Die Spannagelhöhle unterhalb des Hintertuxer Gletschers im Tiroler Zillertal<br />

ist die höchstgelegene Schauhöhle Europas – mit unerwarteten Eigenschaften.<br />

Das Höhlensystem ist trotz seiner hochalpinen Lage eisfrei.<br />

16 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Robbie Shone, Andreas Wolf


TITELTHEMA<br />

Der Geologe Christoph Spötl untersucht<br />

die größte Höhle Tirols seit<br />

mehr als zwei Jahrzehnten. „Sie<br />

ist eine Augenweide“, sagt er über „die<br />

Spannagel“. Seit knapp 25 Jahren begleitet<br />

die Marmor-Höhle bei Hintertux<br />

in den Zillertaler Alpen den Forscher<br />

schon. Das insgesamt elf Kilometer lange<br />

Höhlensystem ist im vorderen Teil auch<br />

touristisch erschlossen und mit der Gletscherbahn<br />

einfach erreichbar. Die gute<br />

Zugänglichkeit ist ein großer Pluspunkt<br />

der Höhle, für die <strong>Forschung</strong> interessant<br />

ist sie aber aus einem anderen Grund.<br />

Die Spannnagelhöhle weist nämlich Eigenschaften<br />

auf, die man unter den Umständen<br />

vor Ort eigentlich nicht erwarten<br />

würde: Der Eingang zur Höhle liegt auf<br />

einer Höhe von 2. 524 Metern unweit des<br />

Hintertuxer Gletschers. „Noch vor etwa<br />

100 Jahren war sie zu zwei Drittel vom<br />

Gletscher bedeckt, inzwischen hat sich<br />

der Gletscher massiv zurückgezogen“,<br />

erklärt Spötl, Leiter der Arbeitsgruppe<br />

für Quartärforschung am Institut für Geologie.<br />

Trotz der großen Seehöhe und der<br />

damit verbundenen niederen Temperatur<br />

von nur zwei Grad hat sie überraschenderweise<br />

einen reichen Sinterschmuck.<br />

„Tropfsteine sind für uns ein wertvolles<br />

Archiv, wir können damit wie in einem<br />

Buch sehr weit zurück in die Vergangenheit<br />

blättern. Sie speichern in ihrer geochemischen<br />

Zusammensetzung Klimaund<br />

Umweltinformationen. Entstehen<br />

können diese Ablagerungen aber nur,<br />

wenn flüssiges Wasser vorhanden ist“, so<br />

der Geologe. „Die Altersdatierungen an<br />

Tropfsteinen zeigten uns, dass die Höhle<br />

nie zugefroren war, es herrschten immer<br />

Temperaturen knapp über Null Grad –<br />

selbst in wesentlichen kälteren Perioden<br />

der Klimageschichte.“<br />

Wie eine Decke<br />

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht<br />

intuitiv klingt: Dass die Spannagelhöhle<br />

nie zu einer Eishöhle wurde, hat sie dem<br />

Gletscher über ihr zu verdanken. „Er hat<br />

sich in kälteren Klimaphasen wie eine isolierende<br />

Bettdecke über die Höhle gelegt<br />

und die Temperatur im Höhlensystem<br />

darunter nie unter Null sinken lassen.<br />

Damit war Wasser in flüssiger Form vorhanden<br />

und die Bildung von Sinterablagerungen<br />

war möglich – über sehr lange<br />

Zeit hinweg“. Als junger Wissenschaftler<br />

war Christoph Spötl bei seinen ersten Begehungen<br />

der Höhle im Jahr 1998 noch<br />

davon ausgegangen wenn überhaupt nur<br />

sehr junge Ablagerungen zu finden. „Unsere<br />

Untersuchungen zeigten aber, dass<br />

die Sintervorkommen in der Spannagelhöhle<br />

bis zu einer halben Million Jahre alt<br />

sind und uns somit sehr weit in das Quartär<br />

zurückschauen lassen.“ Das Team um<br />

Spötl hat in den letzten Jahrzehnten weltweit<br />

Klimaarchive in Form von Höhlenablagerungen<br />

identifiziert und analysiert<br />

– allerdings nicht auf so großer Seehöhe.<br />

„Solche weit zurückreichenden Aufzeichnungen<br />

der Klimavergangenheit eines<br />

Hochgebirges sind mir anderswo nicht<br />

bekannt, das ist ein Alleinstellungsmerkmal“,<br />

betont der Forscher.<br />

Erderwärmung spürbar<br />

Um die in den Tropfsteinen gespeicherten<br />

Informationen einordnen zu können, ist<br />

ein gutes Verständnis des Höhlensystems<br />

in der Gegenwart wichtig. Dazu führt<br />

Christoph Spötl mit seinem Team seit<br />

mehr als 20 Jahren ein Monitoring in der<br />

Spannagelhöhle durch. An mehreren<br />

Punkten in der Höhle werden mit kleinen<br />

autonomen und wasserdichten Messgeräten<br />

– sogenannten Datenloggern – verschiedene<br />

Parameter des Höhlenklimas<br />

erfasst. „Das ist vergleichbar mit einer<br />

Wetterstation. Im Fokus steht für uns vor<br />

allem die Messung der Lufttemperatur,<br />

aber auch Informationen darüber, wo das<br />

Wasser in die Höhle eindringt und welche<br />

chemische Beschaffenheit es hat.“ Regelmäßig<br />

werden die Mini-Stationen gewartet<br />

und die aufgezeichneten Daten heruntergeladen.<br />

Von besonderem Interesse<br />

ist dabei der innere, öffentlich nicht zugängliche<br />

Teil der Höhle. „Dort sind die<br />

Jahreszeiten nicht mehr spürbar und es<br />

herrschen das ganze Jahr extrem stabile<br />

Bedingungen.“ In den letzten 20 Jahren<br />

lässt sich aber selbst dort die durch den<br />

fortschreitenden Klimawandel bedingte<br />

Erderwärmung beobachten: „Wir messen<br />

dort einen kontinuierlichen Anstieg der<br />

SEIT 1994 sind Teile der prächtigen Marmor-Höhle auch touristisch zugänglich.<br />

Temperaturen: Zwar bewegt sich dieser<br />

nur im Zehntelgrad-Bereich, dennoch<br />

zeigt uns das, dass die Erwärmung selbst<br />

in diesen entfernten Höhlenteilen bereits<br />

angekommen ist“, betont der Geologe.<br />

„Die Spannagelhöhle liefert der Höhlenund<br />

Klimaforschung zahlreiche interessante<br />

Informationen, die ich sonst von<br />

keinem anderen Ort auf der Welt kenne.<br />

Sie erlaubt uns – fast ein wenig vergleichbar<br />

mit dem Hubble-Teleskop – Blicke in<br />

‚Galaxien‘ weit vor unserer Zeit, über die<br />

es sonst keine Daten gibt.“ mb<br />

DIE ARBEITSGRUPPE für Quartärforschung<br />

am Institut für Geologie unter der<br />

Leitung von Christoph Spötl untersucht<br />

seit vielen Jahren Höhlenablagerungen<br />

verschiedenster Art in Höhlensystemen<br />

weltweit, teils verbunden mit spektakulären<br />

Expeditionen. Neben Höhlen in den<br />

Alpen forschen die Mitarbeiter*innen der<br />

Arbeitsgruppe in mehreren europäischen<br />

Ländern, Grönland, USA, Iran, Russland,<br />

China und Namibia. Die Ergebnisse<br />

dieser Arbeiten liefern wesentliche<br />

Informationen für die Paläoklimatologie.<br />

Die Studien von Spötl und seinem Team<br />

erscheinen regelmäßig in hochrangigen<br />

internationalen Wissenschaftsjournalen.<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 17


TITELTHEMA<br />

ZWEI TÜRME FÜR<br />

DIE WISSENSCHAFT<br />

Am Mieminger Plateau wird mithilfe der neuen <strong>Forschung</strong>sstation FAIR der Austausch<br />

von Spurengasen und Energie zwischen dem Wald und der Atmosphäre gemessen.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Bei Obermieming, 960 Metern über<br />

dem Meeresspiegel, steht ein Turm.<br />

Steigt man bis auf die Spitze – was<br />

nur nach einer Mastkletterausbildung<br />

gestattet ist – befindet man sich 30 Meter<br />

über dem Boden und hat einen Ausblick<br />

weit über den Kiefernwald und zu den<br />

schneebedeckten Gipfeln der Umgebung.<br />

Alles, was hier zwischen Luft und Boden<br />

vor sich geht, jeder Windstoß, Regentropfen<br />

oder Sonnenstrahl, wird von den<br />

Sensoren am Turm gemessen und an Forscher*innen<br />

der Universität Innsbruck<br />

weitergeleitet.<br />

Der Turm gehört zu einer Station namens<br />

FAIR, eine Abkürzung für „Forest<br />

Atmosphere Interaction Research“. Für<br />

die Beobachtung dieser Wechselwirkung<br />

zwischen Wald und Atmosphäre ist die<br />

Station mit ihrer Ausstattung und Lage<br />

bestens geeignet. „Als wir nach einem<br />

Standort für FAIR gesucht haben, gab es<br />

natürlich viele praktische Fragen, wie den<br />

Zugang zu Infrastruktur“, sagt Mathias<br />

Rotach vom Institut für Atmosphärenund<br />

Kryosphärenwissenschaften. „Mir<br />

war aber auch wichtig, dass die Station<br />

sich in einer komplexen Gebirgslandschaft<br />

befindet. Innerhalb der wissenschaftlichen<br />

Community ist sie damit<br />

ziemlich einzigartig.“ Rotach ist gemeinsam<br />

mit Georg Wohlfahrt vom Institut für<br />

Ökologie für die Koordination der Projekte<br />

an der neuen Messstation zuständig.<br />

„Auch die starke Verbreitung der<br />

Waldkiefer macht Obermieming zu einem<br />

attraktiven Standort“, erklärt Wohlfahrt.<br />

„Dieser Baum ist von Mitteleuropa<br />

bis nach Skandinavien und Sibirien weit<br />

verbreitet. In einigen Alpentälern, wie<br />

FORSCHUNGSSTATION FAIR<br />

1 Am 30 Meter hohen Turm werden<br />

Messgeräten montiert, links davon ragt<br />

die begehbare Brücke durch die Baumkronen.<br />

2 Ein Punktdendrometer misst<br />

Veränderungen des Stammdurchmessers<br />

im Mikrometer-Bereich. 3 Das Messgerät<br />

quantifiziert die Chlorophyllfluoreszenz<br />

von Pflanzen, in diesem Fall der Nadeln<br />

der Waldkiefer.<br />

beispielsweise dem Schweizer Wallis,<br />

befindet er sich aber an seinen klimatischen<br />

Grenzen. Wir haben am Standort<br />

Obermieming wegen der Südlage und<br />

dem dünnen Boden also ein Ökosystem,<br />

das durch den Klimawandel und Temperaturanstieg<br />

gefährdet ist. Es ist äußerst<br />

wichtig, diesen Vorgang genau zu beobachten<br />

und das geht am besten unter den<br />

18 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Klemens Weisleitner (2), Georg Wohlfahrt (1), Andreas Friedle (1)


TITELTHEMA<br />

Bedingungen, wie wir sie hier in Obermieming<br />

vorfinden.“<br />

20 Messungen pro Sekunde<br />

Vor vier Jahren begann der Bau der <strong>Forschung</strong>sstation<br />

mit einer 700 Meter langen<br />

Stromleitung, die vom Obermieminger<br />

Ortsrand in den Wald verlegt wurde.<br />

Im April 2021 wurden schließlich die<br />

ersten Messgeräte in Betrieb genommen.<br />

Am 30 Meter hohen Turm sind diese auf<br />

mehreren vertikalen Ebenen vom Boden<br />

bis zur Spitze verteilt. Sie messen unter<br />

anderem Temperatur, Luftfeuchte, Windgeschwindigkeit<br />

und Windrichtung,<br />

Niederschlag und einfallende Sonnenstrahlung.<br />

Über einen Schlauch wird<br />

Luft angesaugt, die in einen Container<br />

am Fuß des Turms weitergeleitet wird.<br />

Hier sind Messgeräte untergebracht, die<br />

eine klimatisierte Umgebung benötigen.<br />

Die angesaugte Luft wird automatisch<br />

auf Spurengase analysiert, im Anschluss<br />

überträgt ein Computer die gewonnenen<br />

Messdaten auf einen Server der Universität<br />

Innsbruck.<br />

Zu FAIR gehört noch ein weiterer<br />

Turm, der vor allem für Botaniker*innen<br />

interessant ist. Dieser ist sechs Meter<br />

hoch und ähnelt einer Brücke auf zwei<br />

Pfeilern. Die Brücke ist begehbar und<br />

bietet den Wissenschaftler*innen einen<br />

direkten Zugriff auf die Baumkronen der<br />

umliegenden Bäume. Das erlaubt ihnen,<br />

Messungen per Hand durchzuführen<br />

und so beispielsweise die Photosynthese<br />

der Nadeln zu untersuchen. Die Bäume<br />

sind mit zusätzlichen Sensoren versehen,<br />

die Veränderungen im Mikrometer-Bereich<br />

messen und so über einen langen<br />

Zeitraum Daten über das Wachstum des<br />

Baumes sammeln. „Damit konnten wir<br />

zum Beispiel schon beobachten, wie der<br />

Stammdurchmesser in einem tageszeitlichen<br />

Rhythmus schrumpft und wieder<br />

wächst, wenn die Wasserspeicher des<br />

Baumes aufgefüllt werden“, sagt Wohlfahrt.<br />

„In einer Trockenperiode funktioniert<br />

das Auffüllen der Speicher über<br />

Nacht nicht mehr richtig, was ein erstes<br />

Indiz für Trockenstress ist.“<br />

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal<br />

der Station ist, dass Daten hier mit sehr<br />

hohe Auflösung gewonnen werden. In<br />

Mathias Rotachs Worten: „Was da über<br />

das Kabel in den Container geht und per<br />

Telekommunikation an unsere Institute<br />

geleitet wird, sind 20-Hertz-Daten. Das<br />

KOOPERATION: Mathias Rotach und Georg Wohlfahrt (v. li.) koordinieren gemeinsam<br />

die Projekte der neuen Messstation FAIR.<br />

heißt, auf fünf Stufen des Turms werden<br />

20-mal pro Sekunde Daten gemessen.<br />

Diese hohe Frequenz versetzt uns in die<br />

Lage, den Austausch zwischen Wald und<br />

Atmosphäre sehr genau zu untersuchen.“<br />

Durch die Vielzahl an Sensoren und die<br />

hochfrequenten Messungen ergibt sich<br />

ein großes Gesamtbild, in dem alle relevanten<br />

Faktoren, die den Wald beeinflussen,<br />

gemessen und analysiert werden.<br />

CO 2 -Speicher in Gefahr<br />

Ermöglicht wurde FAIR durch eine Förderung<br />

über das Infrastrukturprogramm der<br />

Uni Innsbruck. Die Station ist dabei eng<br />

an den <strong>Forschung</strong>sschwerpunkt „Alpiner<br />

Raum“ gekoppelt und wird fakultätsübergreifend<br />

geführt, neben dem Institut für<br />

Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften<br />

und dem Institut für Ökologie<br />

sind auch die Institute für Botanik und für<br />

Geographie beteiligt. Für die Forscher*innen<br />

dieser Institute soll die Station in<br />

Obermieming eine Plattform bieten, um<br />

frei ihren Interessen und eigenen <strong>Forschung</strong>sprojekten<br />

nachgehen zu können.<br />

„Unsere Herausforderung ist es jetzt, den<br />

Messturm zu einem Standort für Langzeit-<strong>Forschung</strong>sprogramme<br />

zu machen, in<br />

dem wir über mindestens zehn Jahre die<br />

gleichen Messungen fortführen können“,<br />

sagt Wohlfahrt. Solche langen Zeitreihen<br />

sind notwendig, um ein Ökosystem genau<br />

beobachten zu können. Ist der langfristige<br />

Betrieb der <strong>Forschung</strong>sstation erst einmal<br />

sichergestellt, kann sie dann auch für die<br />

Projekte externer Forscher*innen offen<br />

sein. Für diesen grundlegenden Betrieb<br />

hat Wohlfahrt ein Projekt entworfen, das<br />

sich mit dem CO 2 -Kreislauf des Waldes<br />

befasst.<br />

FAIR bietet den Vorteil, dass eine einzelne<br />

Größe – in diesem Fall CO 2 – mit<br />

vielen verschiedenen Ansätzen betrachtet<br />

werden kann. Damit werden Ungenauigkeiten<br />

und Schwächen der einzelnen<br />

Methoden aufgehoben. Durch die<br />

Geräte am Turm können Luftwirbel gemessen<br />

werden, die Masse und Energie<br />

transportieren. Andere Sensoren befinden<br />

sich im Unterwuchs des Waldes und<br />

im Boden, um den Gas- und Wasseraustausch<br />

auf dieser Ebene zu messen. Aus<br />

dieser Fülle an Daten können die Wissenschaftler*innen<br />

dann beispielsweise<br />

berechnen, wie viel eine Baumkrone tatsächlich<br />

zur CO 2 -Aufnahme beiträgt.<br />

Das Projekt widmet sich damit einer<br />

wichtigen <strong>Zukunft</strong>sfrage: „Vom CO 2 , das<br />

der Mensch jedes Jahr produziert, landet<br />

weniger als die Hälfte tatsächlich in der<br />

Atmosphäre“, sagt Wohlfahrt. „Der Rest<br />

wird von den Landökosystemen und<br />

den Ozeanen abgefangen. Gewissermaßen<br />

ersparen uns Wälder, wie der bei<br />

Obermieming, dass wir die volle Auswirkung<br />

unseres Handelns spüren. Die<br />

spannende und wirklich wichtige Frage<br />

für die <strong>Zukunft</strong> ist, ob die Landökosysteme<br />

auch in <strong>Zukunft</strong>, bei weiter steigenden<br />

Emissionen, in der Lage sein werden,<br />

dieses CO 2 zu binden. Um das zu<br />

beurteilen, brauchen wir solche Stationen<br />

wie FAIR.“ fo<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 19


Stubai – Kaserstattalm<br />

AFO – ALPINE FORSCHUNGSSTÄTTEN<br />

Im Jahr 1926 regte Georg Heinsheimer, der damalige Leiter der Rektoratskanzlei der Universität Innsbruck, den Bau<br />

eines alpinen Gartens in den Bergen um Innsbruck an. Als ideale Lage bot sich der Patscherkofel südlich von Innsbruck<br />

an, war doch die Seilbahn auf den Gipfel gerade in Planung. 1930, zwei Jahre nach der Eröffnung der Patscherkofelbahn,<br />

erhielt die Universität vom Land Tirol und von der Stadt Innsbruck Grund direkt neben der Bergstation,<br />

1935 wurde auf fast 2. 000 Meter Höhe die Anlage eröffnet. Heute ist der – großteils öffentlich zugängliche<br />

– Alpengarten Patscherkofel der höchstgelegene Botanische Garten Österreichs, inklusive einer modern ausgestatteten<br />

<strong>Forschung</strong>sstation. „Der Patscherkofel ist unsere älteste alpine <strong>Forschung</strong>sstätte“, erklärt Paul Illmer, Dekan<br />

der Fakultät für Biologie der Universität Innsbruck. Mit Obergurgl in den 1950ern und dem Piburger See in den<br />

1960ern etablierten sich zwei weitere „Außenpos ten“. „Vor dem Hintergrund des Klimawandels kommt solchen<br />

Standorten große Bedeutung zu. Mit konstanter Messmethodik können über Jahre und Jahrzehnte Daten erhoben<br />

werden. Als Biologen interessieren uns primär biologische Veränderungen, wir sind in der Zwischenzeit auch an einer<br />

Reihe von internationalen Netzwerken, wie etwa LTER – Long-Term Ecological Research, maßgeblich beteiligt“,<br />

erläutert Illmer. Im Laufe der Zeit wurden es immer mehr „Freiluftlabore“, die älteren waren, so Illmer, „innerhalb<br />

der ganzen Fakultät bekannt.“ Die neueren Versuchsflächen hingegen wurden oft von jungen Forscher*innen über<br />

Einzelprojekte initiiert und finanziert, „da wusste der eine nichts vom anderen.“ Daher entstand die Idee, die acht<br />

Freiluftlabore in einer eigenen Einrichtung zusammenzufassen, die „AFO – Alpine <strong>Forschung</strong>sstätten“ war geboren.<br />

Die neue Einrichtung soll die Sichtbarkeit und Bekanntheit der Standorte erhöhen, „gemeinsame Treffen sollen den<br />

Austausch untereinander fördern und Synergien aufzeigen.“ Illmer denkt dabei an (engere) Kooperation innerhalb<br />

der sieben Institute der Fakultät, aber auch über die eigene Fakultät und die Universität hinaus. „Wir haben Interesse,<br />

dass auch andere <strong>Forschung</strong>sgruppen zu uns kommen, um hier vor Ort zu arbeiten und die Kooperationen mit<br />

unseren Innsbrucker Kolleginnen und Kollegen vertiefen – und das geschieht auch schon“, sagt Illmer.<br />

Zudem will man über Social Media die Bevölkerung über die Standorte und die dortige <strong>Forschung</strong> informieren.<br />

Der wissenschaftliche Output ist tatsächlich beträchtlich, wie auf der AFO-Homepage<br />

zu sehen ist: https://www.uibk.ac.at/fakultaeten/biologie/alpine-forschungsstaetten/<br />

Fotos: Nikolaus Schallhart (3), Birgit Sattler (1), Johannes Ingrisch (1), Institut für Ökologie/Georg Leitinger (1), Institut für Ökologie (1), Institut für Botanik (1)<br />

Limnologische <strong>Forschung</strong>sstation Gossenköllesee<br />

20<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22


Piburger See<br />

Forstdiensthütte Praxmar<br />

Alpengartenhaus Patscherkofel<br />

Alpine <strong>Forschung</strong>sstelle Obergurgl<br />

Versuchsfläche Obermieming<br />

Versuchsfläche Neustift im Stubaital<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 21


KURZMELDUNGEN<br />

AKTIONSPLAN FÜR<br />

ARTENREICHEN INN<br />

Ende April wurde an der Universität<br />

Innsbruck ein umfassender Aktionsplan<br />

zum Schutz des Inn vorgestellt.<br />

„Der Aktionsplan ist das erste ganzheitliche<br />

Artenschutzkonzept für den<br />

gesamten Flussverlauf – von seiner<br />

Quelle in der Schweiz bis zur Mündung<br />

in Passau“, erklärt Leopold Füreder<br />

vom Institut für Ökologie. Der Aktionsplan<br />

entstand unter Federführung<br />

seines <strong>Forschung</strong>steams und in Kooperation<br />

mit WWF, Land Tirol und den<br />

Verbund-Kraftwerken. Der historische<br />

Zustand des Inn wurde von den Expert*innen<br />

mit seinem aktuellen Zustand<br />

verglichen. Es zeigt sich, dass die<br />

intensive Nutzung des Talraums und<br />

der Wasserkraft dazu geführt hat, dass<br />

heute nur mehr acht Prozent des Flusslaufs<br />

naturnah sind. So sind auch viele<br />

typische Pflanzen- und Tierarten, die in<br />

anderen Flusssystemen bereits ausgestorben<br />

sind, wie Äsche, Flussuferläufer,<br />

Deutsche Tamariske und Zwergrohrkolben<br />

(im Bild) heute selten und<br />

ihr Fortbestand am Inn ist bedroht. Um<br />

diesen Trend zu stoppen, wurde im<br />

Rahmen des Projekts INNsieme ein<br />

positives Leitbild für den Inn entwickelt.<br />

„Durch die Fortsetzung der<br />

Schutzmaßnahmen, Renaturierung von<br />

intakten Abschnitten und der Reduktion<br />

der Belastung – vor allem der Wasserkraftnutzung<br />

– soll die Artenfülle<br />

wieder an den Inn zurückkehren. Das<br />

neue Leitbild für einen lebendigen Inn<br />

berücksichtigt dabei regionsspezifische,<br />

flusstypische Besonderheiten, vielfältige<br />

Rahmenbedingungen und bestehende<br />

Nutzungen,“ erklärt Leopold Füreder.<br />

ALPINE<br />

NACHHALTIGKEIT<br />

Uni Innsbruck und DAV untersuchten Bewirtschaftung<br />

alpiner Stützpunkte.<br />

DAS TASCHACHHAUS ist eine saisonal bewirtschaftete Alpenvereinshütte.<br />

ÖKOSYSTEME WÄHREND DER EISZEIT<br />

Mit dem Projekt ANAH wurden<br />

erstmals die Zusammenhänge<br />

verschiedener Faktoren der Bewirtschaftung<br />

alpiner Stützpunkte im bayerischen<br />

und im Tiroler Alpenraum wissenschaftlich<br />

nach Aspekten der Nachhaltigkeit<br />

im Spannungsfeld zwischen Bergsport<br />

und Naturraum untersucht. ANAH<br />

wurde als integratives Nachhaltigkeitskonzept,<br />

das Gebäudeinfrastruktur, Hüttenbetrieb<br />

und Bergsportler*innen unter<br />

ökologischer, ökonomischer und sozialer<br />

Dimension untersucht, durchgeführt. Die<br />

Ergebnisse werden ab Mitte <strong>2022</strong> in Form<br />

eines Leitfadens insbesondere Alpenvereinshütten<br />

– aber auch anderen Gastronomie-<br />

und Herbergsbetrieben – Anreize,<br />

Ideen und Handlungsempfehlungen für<br />

einen nachhaltigeren Betrieb geben. Durch<br />

ANAH konnte ein klares Bild gewonnen<br />

werden, wo und wie künftige Maßnahmen<br />

ansetzen müssen, wie Jutta Kister,<br />

ANAH-Projektleiterin am Institut für Geographie<br />

der Universität Innsbruck, erklärt:<br />

„Wichtige Erkenntnisse aus den Erhebungen<br />

auf den ausgewählten Hütten sind<br />

einerseits, dass das erarbeitete Set an Indikatoren<br />

vor Ort anwendbar ist, und andererseits,<br />

zu sehen, an welchen Themenfeldern<br />

auf den Hütten bereits intensiv<br />

gearbeitet wird und welche Themen noch<br />

zu wenig berücksichtigt werden.“<br />

Der Wechsel zwischen kalten und warmen Phasen<br />

in der jüngsten Eiszeit führte zu wiederholten Vergletscherungen,<br />

massiven Vegetationsverschiebungen<br />

und großflächigen Veränderungen der Verbreitungsgebiete<br />

vieler Arten. Noch vor rund 20. 000 Jahren, im<br />

letzteiszeitlichen Maximum, war ein Großteil Europas von Steppe bedeckt. Die während der<br />

Eiszeit dominanten Arten und die Vegetation finden sich noch heute in den extrazonalen europäischen<br />

Steppen, wie z. B. in der Pannonischen Tiefebene oder im Südtiroler Vinschgau. Das<br />

Wissen über diese Ökosysteme stammt bisher von paläoökologischen und klimatischen Daten.<br />

Nun haben Forscher*innen erstmals große Mengen genetischer Daten zur Modellierung von<br />

Populationsschwankungen in europäischen Steppen während der Eiszeit verwendet. Dafür hat<br />

das Team nicht mit Modellorganismen, sondern mit fünf für Steppen typischen Pflanzen- und<br />

Insektenarten gearbeitet, die sie in eurasischen Steppengebieten gesammelt haben. Teile des<br />

Genoms dieser Proben wurden an den Instituten für Ökologie und für Botanik an der Uni Innsbruck<br />

sequenziert und analysiert. „Bei allen Arten konnten wir übereinstimmende Reaktionen in<br />

Form von Populationsexpansionen in der Kaltphase und Kontraktionen in der Warmphase feststellen,<br />

aber auch artspezifische Effekte“, erklärt Peter Schönswetter vom Institut für Botanik.<br />

22 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Yvonne Lesewa, Felix Lassacher, Andreas Hilpold


International vernetzt - regional verankert<br />

Internationale Spitzenforschung, engagierte Mitarbeiter*innen und hoch motivierte<br />

Studierende machen die Universität Innsbruck zu einem Motor für die Wirtschaft und<br />

zum Impulsgeber für die Gesellschaft in der Region und weit darüber hinaus.<br />

Top <strong>Forschung</strong><br />

beim renommierten Shanghai-Ranking in<br />

17 Fachbereichen<br />

Spitzenforschung in den <strong>Forschung</strong>sschwerpunkten<br />

Physik und Alpiner Raum<br />

Top Perfomance<br />

unter knapp 2000<br />

Universitäten weltweit<br />

9Top-Ergebnisse<br />

in den Bereichen Internationale<br />

Ausrichtung und <strong>Forschung</strong><br />

Quelle: Fachdisziplinen Ranking der Jiaotong-Universität Shanghai 2021<br />

Quelle: U-Multirank Top Performing Universities 2021<br />

International vernetzt:<br />

in der European-<br />

Universities-Allianz<br />

„Aurora“<br />

mit neun europäischen Universitäten<br />

von Reykjavik bis Neapel<br />

Top Arbeitgeber<br />

in Österreich<br />

und das bereits zum<br />

6. Mal<br />

in Folge<br />

Damit ist die Uni Innsbruck bisher<br />

in allen Rankings erfolgreich<br />

vertreten, was nur rund 10 % aller<br />

Unternehmen und Organisationen<br />

gelungen ist.<br />

Quelle: Ranking „Österreichs beste Arbeitgeber <strong>2022</strong>“<br />

der Zeitschrift trend<br />

Beste Spin-off-Strategie:<br />

Österreichweit führend mit aktuell<br />

21Unternehmensbeteiligungen<br />

durch die 2008 gegründete<br />

Beteiligungsholding der Universität<br />

Quelle: www.uibk.ac.at/transferstelle/beteiligungen<br />

46 Millionen Euro<br />

öffentlicher <strong>Forschung</strong>smittel<br />

national und international eingeworben<br />

40% Steigerung in 5 Jahren<br />

Quelle: Universität Innsbruck in Zahlen <strong>2022</strong><br />

Über<br />

4300 Abschlüsse<br />

im Studienjahr 2020/21<br />

Bachelor, Master, Diplom, Doktorat<br />

Quelle: Universität Innsbruck in Zahlen <strong>2022</strong><br />

© BfÖ <strong>2022</strong>, Foto: © Innsbruckphoto.at<br />

Wir bauen Brücken in die <strong>Zukunft</strong>.<br />

www.uibk.ac.at<br />

#uniinnsbruck


STANDORT<br />

RICHTIGKEIT VOR<br />

SCHNELLIGKEIT<br />

APA-Geschäftsführer Clemens Pig über das seinerzeitige Start-up MediaWatch, Journalismus in Zeiten von<br />

Corona und Verschwörungstheorien sowie seinen Wunsch nach einer offensiven Wissenschaft.<br />

„Wir benötigen wieder Stimmen und glaubwürdige Autoritäten aus<br />

der Wissenschaft – in modern interpretierter Form.“<br />

Clemens Pig<br />

ZUKUNFT: In einer Zeit, als von Start-ups<br />

noch keine Rede war, haben Sie 1996 mit<br />

MediaWatch ein solches in Innsbruck gegründet.<br />

Wie kam es dazu?<br />

CLEMENS PIG: Ich studierte damals am<br />

Institut für Politikwissenschaft, meine<br />

zentralen Professoren waren Fritz Plasser,<br />

Günther Pallaver, Ferdinand Karlhofer<br />

und Gilg Seeber. Günther Pallaver organisierte<br />

eine Exkursion nach Italien zum Osservatorio<br />

di Pavia. Dieses Beobachtungszentrum<br />

war von der italienischen Regierung<br />

mit dem Eintritt Silvio Berlusconis<br />

in die Politik ins Leben gerufen worden.<br />

Hintergrund war, dass die öffentlichrechtlichen<br />

Sender Italiens ausgewogen<br />

zu berichten hatten – das Osservatorio<br />

wurde beauftragt, die Politikerpräsenz zu<br />

analysieren. Das hat mich und eine Gruppe<br />

von Studierenden nicht mehr losgelassen.<br />

Wir wollten das auch für Österreich<br />

in die Anwendung bringen.<br />

ZUKUNFT: Was war die erste solche „Anwendung“?<br />

PIG: Im Herbst 1996 war der erste österreichische<br />

EU-Wahlkampf. Die Universität<br />

stellte uns im Sommer einen Seminarraum<br />

zur Verfügung, um unsere eigene<br />

Initiative zur medialen Analyse des Wahlkampfs<br />

zu verwenden. Es war tatsächlich<br />

so, dass wir mit Stoppuhr und Zettel Zeitim-Bild-Sendungen<br />

analysierten: Welche<br />

Politiker kommen vor? Wie lange? Haben<br />

sie Redezeit? Wird über sie gesprochen?<br />

Mit welchen Themen kommen sie vor?<br />

Wer dominiert Themen? Das war der Beginn<br />

der MediaWatch-Reise.<br />

ZUKUNFT: Wie ging die Reise weiter?<br />

PIG: Anfangs war es reines <strong>Forschung</strong>sinteresse,<br />

wir stellten aber schnell fest, dass<br />

die Daten, die wir für Österreich neuartig<br />

erhoben, auf Interesse stießen. Im Rahmen<br />

einer Diskussion in Innsbruck kamen wir<br />

mit Gerfried Sperl, dem damaligen Chefredakteur<br />

des Standard in Kontakt – daraus<br />

folgte der erste Auftrag für das Media-<br />

Watch-Institut, nämlich wöchentlich für<br />

den Standard Daten über Politikerpräsenz<br />

im ORF zu erheben.<br />

ZUKUNFT: MediaWatch maß die Präsenz<br />

von Politikern. Haben sie jemals diejenige<br />

von Wissenschaftlern analysiert?<br />

PIG: Wir führten immer wieder Vollerhebungen<br />

durch, welche Menschen, Funktionen<br />

und Geschlechter in der medialen<br />

Berichterstattung vorkommen. Damit war<br />

auch ein Teil der Wissenschaft abgedeckt.<br />

ZUKUNFT: Wissenschaftler dürften dabei<br />

nicht an erster Stelle stehen.<br />

PIG: Das stimmt, allerdings sind mit Corona<br />

die Wissenschaft insgesamt bzw. Virologinnen<br />

und Virologen massiv in den<br />

Vordergrund gerückt.<br />

ZUKUNFT: Mit Corona haben Fake News<br />

und Verschwörungstheorien noch mehr<br />

Raum und Anhänger gefunden. Warum<br />

dringen klassische Medien und Wissenschaftnicht<br />

zu ihnen vor?<br />

PIG: Meiner Meinung nach haben Corona<br />

den Rahmen und die sogenannten sozialen<br />

Medien – die ich persönlich weder als<br />

sozial noch als klassische Medien einordne<br />

– den Brandbeschleuniger für etwas<br />

geliefert, was es schon vorher gab: Verschwörungstheorien<br />

sowie Misstrauen gegenüber<br />

Eliten und klassischen Systemen<br />

wie Medien, Politik und Wissenschaft.<br />

Hand in Hand geht eine zunehmende Polarisierung,<br />

vor allem in den Online-Kanälen,<br />

aber auch eine Abwendung einiger<br />

Menschen von diesen Systemen. Es wäre<br />

24 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: APA


STANDORT<br />

unzureichend, Antworten nur rational<br />

und aus der Perspektive der betroffenen<br />

Systeme zu suchen. Anders gesagt: Rein<br />

kommunikativ wird sich dieses große<br />

Thema nicht lösen lassen.<br />

ZUKUNFT: Wie ließe es sich lösen?<br />

PIG: Es gibt komplexe Ursachen, eine ist<br />

die Globalisierung, mit all ihren vielen<br />

Vorteilen, die wir alltäglich erleben. Für<br />

manche Menschen bereitet sie aber materielle<br />

und gefühlte Nachteile. In dieser viel<br />

zitierten Transformation steckt eine große<br />

Schnelligkeit, das führt bei einigen Menschen<br />

zu einem Gefühl des Abgehängt-<br />

Seins. Und es stimmt ja auch: Die Welt<br />

ist komplexer geworden. Manche Antworten<br />

auf diese Komplexität sind aber<br />

leider nostalgisch-verklärerischer Natur<br />

und führen zu sehr einfachen, holzschnittartigen<br />

Antworten, vor allem aus dem<br />

rechtspopulistischen Umfeld. Aber auch<br />

Verschwörungstheorien, die an dieses<br />

rechtspopulistische Umfeld anknüpfen,<br />

liefern diese sehr einfachen, vor allem in<br />

sich geschlossenen und in sich schlüssigen<br />

Erklärungen. Auf psychologischer Ebene<br />

betrachtet ist das für viele Menschen in<br />

sehr belastenden Zeiten eine Entlastung.<br />

Dagegen ist schwer anzukämpfen – vor<br />

allem mit rationalen Argumenten. Daher<br />

glaube ich, dass ein wesentlicher Job von<br />

Wissenschaft, Medien und Politik darin<br />

besteht, nicht nur aktiv und aufgeklärt zu<br />

kommunizieren, sondern auch zuzuhören<br />

und Raum zu geben. Das ist eine schwierige<br />

Gratwanderung. Wenn man diesen<br />

Raum aber gibt und hin und wieder<br />

Rückfragen stellt, kann es gelingen, dass<br />

manche dieser Verschwörungstheorien<br />

von jenen, die sie propagieren oder in sich<br />

tragen, selbst in Frage gestellt werden.<br />

ZUKUNFT: Wissenschaft kann und will<br />

nicht einfache Antworten liefern. Erschwert<br />

dies Wissenschaftsjournalismus?<br />

PIG: Wissenschaftsjournalismus steht<br />

von den Ressourcen her tatsächlich unter<br />

Druck, ist aber in Wahrheit immer unter<br />

Druck gestanden. Die Gründe mögen<br />

vielschichtig sein, erstens ist es eine Frage,<br />

in welcher Tradition der Aufklärung<br />

Gesellschaften stehen; zweitens wie die<br />

polit-mediale Kultur in einem Land ist;<br />

und drittens welchen Wert man einer aufgeklärten<br />

Gesellschaft zumisst – und diese<br />

Das gesamte Interview finden Sie auf<br />

der Homepage der Uni Inns bruck unter:<br />

www.uibk.ac.at/forschung/magazin<br />

CLEMENS PIG (*1974, Innsbruck)<br />

gründete während des Studiums der<br />

Politikwissenschaft an der Universität<br />

Innsbruck 1996 mit Universitätskollegen<br />

das Unternehmen „MediaWatch – Institut<br />

für Medienanalysen GmbH“ und brachte<br />

dieses nach erfolgreichem Verkauf in die<br />

APA-Gruppe ein. 2008 wechselte Pig in die<br />

Geschäftsleitung der APA nach Wien. 2<strong>01</strong>4<br />

wurde er zum Geschäftsführer der APA-<br />

Gruppe bestellt und übernahm 2<strong>01</strong>6 den<br />

Vorsitz. Zudem ist Pig Vizepräsident des<br />

Verwaltungsrates der Schweizer Nachrichtenagenturgruppe<br />

Keystone-SDA, Präsident<br />

der European Alliance of News Agencies<br />

(EANA) und Präsident des Österreichischen<br />

Genossenschaftsverbandes (ÖGV).<br />

Gesellschaft braucht immer Qualitätsmedien,<br />

aber auch die Institutionen Wissenschaft<br />

und <strong>Forschung</strong>. Wir sehen derzeit<br />

bei dem brutalen Überfall Russlands auf<br />

die Ukraine, dass es drei Schritte auf dem<br />

Weg zu einer autokratisch-diktatorischen<br />

Gesellschaft gibt: Den Medien das Licht<br />

auszuschalten; die Störgeräusche der Opposition<br />

abzudrehen; die Unterwerfung<br />

der Justiz unter das jeweilige Regierungsregime.<br />

In dieser Situation, die wir gerade<br />

erleben, können wir daher froh sein, dass<br />

wir in einer liberalen Demokratie mit freien,<br />

privaten Medien, mit einem öffentlichrechtlichen<br />

Rundfunk und einer staatlich<br />

unabhängigen Nachrichtenagentur leben.<br />

Dennoch ist einiges zu tun, gerade in Fragen<br />

des Wissenschaftsjournalismus.<br />

ZUKUNFT: Guter Journalismus benötigt<br />

Zeit. Sind bei der Geschwindigkeit digitaler<br />

Medien Prinzipien wie Check, Re-<br />

Check, Double-Check noch möglich?<br />

PIG: Ja, es ist nicht nur möglich, es braucht<br />

in der konkurrierenden Frage Schnelligkeit<br />

versus Richtigkeit sogar eine hierarchische<br />

Antwort: Richtigkeit vor Schnelligkeit.<br />

Die Möglichkeit ist da, sie wird<br />

auch eingefordert. Die überhitzten Meinungsmärkte,<br />

gerade in den Online-Kanälen,<br />

benötigen dringend ein Cooldown.<br />

ZUKUNFT: Braucht Wissenschaft heute<br />

mehr Kommunikation?<br />

PIG: Wissenschaft hat für mich immer<br />

einen Selbstzweck aus sich selbst heraus,<br />

gleichzeitig ist sie heutzutage gefordert,<br />

die Brücke zu schlagen, zu erklären<br />

und Ergebnisse passend aufzubereiten.<br />

Schlichtweg in Anerkennung der Realitäten,<br />

wie Medien und Kommunikation heute<br />

funktionieren. Das ist eine Kraftanstrengung,<br />

einerseits ist es eine Aufgabe für die<br />

Institution selbst, andererseits braucht es<br />

einen Schulterschluss zu Medien und Politik.<br />

Wissenschaft wäre gut beraten, wissenschaftliche<br />

Ergebnisse zu publizieren, zu<br />

kommunizieren und für die Bevölkerung<br />

greifbar zu machen – die Uni Innsbruck<br />

liefert dafür ein Paradebeispiel.<br />

ZUKUNFT: Universitäten sollen also die<br />

Vermittlung ihrer Leistungen und deren<br />

Wert für die Gesellschaft forcieren?<br />

PIG: Selbstverständlich. Wir benötigen<br />

wieder Stimmen und glaubwürdige Autoritäten<br />

aus der Wissenschaft – in modern<br />

interpretierter Form. Mit Autoritäten<br />

meine ich Menschen, auf die man hört,<br />

die für Glaubwürdigkeit stehen. In unserer<br />

komplexen Welt gibt es den Wunsch<br />

nach Orientierung. Das ist nachvollziehbar,<br />

problematisch wird es nur, wenn die<br />

Antworten darauf sehr einfach und rückwärts<br />

gewandt sind. In diesem Sinne bin<br />

ich definitiv für eine aktive Rolle der Wissenschaft<br />

und wünsche mir eine selbstbewusste<br />

und offensive Wissenschaft.<br />

ZUKUNFT: Verfolgen Sie in diesem Zusammenhang<br />

die Aktivitäten der Uni Innsbruck?<br />

PIG: Durch meine Mitgliedschaft im Förderkreis<br />

der Uni Innsbruck und da ich mit<br />

vielen Kolleginnen und Kollegen noch<br />

universitär verbunden bin, verfolge ich<br />

das sehr gerne. Insbesondere achte ich auf<br />

die Positionierung: Wie schafft es die Uni,<br />

komplexe Themen weiterzubringen und<br />

welche Personen prägen das Bild der Wissenschaft<br />

in der Öffentlichkeit. Das hat für<br />

mich als Absolvent der Uni Innsbruck einen<br />

hohen Stellenwert, aber auch professionell<br />

betrachtet, weil gerade Wissenschaft<br />

und Medien im Geiste der Aufklärung<br />

agieren. Qualitätsjournalismus und<br />

Wissenschaft recherchieren, im Idealfall<br />

sind beide kritisch, methodisch und offen.<br />

Es gibt vieles, was diese beiden Systeme<br />

verbindet, deshalb ist auch der zeitgleiche<br />

Druck auf beide Systeme in manchen Teilen<br />

der Öffentlichkeit vorhanden. ah<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 25


FORSCHUNGSZENTRUM HIMAT<br />

1<br />

BEGEHRTER SCHMUCKSTEIN<br />

IM ALPINEN RAUM<br />

In den Hochlagen des Zillertals sind Forscher*innen gemeinsam mit der Bevölkerung<br />

der Geschichte des Zillertaler Granats auf der Spur. Wissenschaftler*innen aus den Bereichen<br />

Archäologie, Geschichte und Mineralogie haben sich für ein interdisziplinäres Projekt zu<br />

diesem begehrten Halbedelstein zusammengeschlossen.<br />

Vom späten 18. bis frühen 20. Jahrhundert<br />

hat im Zillertal, insbesondere<br />

auf dem Gebiet des heutigen<br />

Hochgebirgs-Naturparks Zillertaler<br />

Alpen, ein umfangreicher Bergbau auf<br />

Granat stattgefunden. Der Abbau des begehrten<br />

Halbedelsteins hat bis heute Spuren<br />

hinterlassen. Überreste der ehemaligen<br />

Infrastruktur finden sich nach wie<br />

vor in der Nähe der Granatvorkommen.<br />

Im Rahmen des Projekts „Zillertaler Granat<br />

– Studien zum kulturellen Erbe des<br />

ostalpinen Halbedelstein-Gewerbes im<br />

Spiegel interdisziplinärer <strong>Forschung</strong>“ haben<br />

sich Innsbrucker Wissenschaftler*innen<br />

das Ziel gesetzt, ihre Erkenntnisse<br />

öffentlich zugänglich zu machen und für<br />

eine museale Präsentation aufzuarbeiten.<br />

Der Fokus liegt auf der archäologischen<br />

Untersuchung der materiellen Hinterlassenschaften,<br />

dem Studium und der<br />

Archivierung der schriftlichen Quellen<br />

sowie der mineralogischen Charakterisierung<br />

des Zillertaler Granats als Halbedelstein.<br />

Bianca Zerobin, Roland Köchl und<br />

Simon Wagner, Dissertant*innen aus den<br />

Bereichen Archäologie, Geschichte und<br />

Mineralogie, arbeiten für drei Jahre an<br />

dem Projekt mit. Finanziert werden die<br />

jungen Nachwuchswissenschaftler*innen<br />

aus Fördermitteln der Österreichischen<br />

Akademie der Wissenschaften im Rahmen<br />

des Programms „Heritage Science<br />

Austria“. Zusätzliche Mittel werden von<br />

der Universität Innsbruck zur Verfügung<br />

gestellt.<br />

Im Zuge der Aufarbeitung und Rekonstruktion<br />

der Geschichte wird das umfangreiche<br />

kulturelle Erbe in Form von Ruinen<br />

26 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Walter Ungerank (3), Gert Goldenberg (2), Bianca Zerobin (1), FZ HiMAT (3), Andreas Friedle (1)


FORSCHUNGSZENTRUM HIMAT<br />

2 5 6<br />

7<br />

8<br />

3 4<br />

PROJEKT „ZILLERTALER GRANAT: Granate sind Halbedelsteine, die<br />

auch als Edelsteine des kleinen Mannes bekannt sind. In Tirol wurden und<br />

werden sie als traditioneller Trachtenschmuck verwendet. Der Zillertaler<br />

Granat gelangte vor allem über Edelsteinschleifereien in Böhmen als „Böhmischer<br />

Granat“ in den Handel.<br />

1 Granatschmuck-Set der Familie Josef Hofer aus Zell am Ziller (linke Seite).<br />

2 Der Rossrücken im Zemmgrund – Zentrum der Zillertaler Granatgewinnung<br />

im 19. Jh. 3 Granatstufe vom Rossrücken. 4 Getrommelter Granat<br />

des Granathändlers Kreidl aus Mayrhofen. 5 Projektkoordinator Gert<br />

Goldenberg 6 Bianca Zerobin 7 Roland Köchl 8 Simon Wagner<br />

von Poch- und Klaubehütten, Granatmühlen<br />

und Unterkünften sowie weitere<br />

materielle Hinterlassenschaften von den<br />

Forscher*innen dokumentiert und ausgewertet.<br />

„Es bestehen noch umfangreiche<br />

private Sammlungen, die beispielsweise<br />

Granatstufen, Werkzeugfunde und Restbestände<br />

der Handelsware aus der letzten<br />

Betriebsperiode beinhalten. Wir möchten<br />

die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte<br />

dieser vergessenen inneralpinen ,Kleinindustrie‘<br />

aufarbeiten und die Handelsnetzwerke<br />

im 19. Jahrhundert zur Zeit<br />

der ehemaligen Habsburgermonarchie<br />

rekonstruieren“, erklärt Gert Goldenberg,<br />

Professor am Institut für Archäologien<br />

und Leiter des <strong>Forschung</strong>szentrums<br />

HiMAT, der sich auf Bergbauarchäologie<br />

und Georessourcennutzung im Alpinen<br />

Raum spezialisiert hat.<br />

Enge Zusammenarbeit<br />

Im Mittelpunkt des Projekts steht die enge<br />

Zusammenarbeit zwischen den Universitätsinstituten,<br />

dem Tiroler Landesarchiv,<br />

dem Hochgebirgs-Naturpark Zillertaler<br />

Alpen und der Bevölkerung im Zillertal<br />

(„Citizen Science“). Um möglichst<br />

umfassende Erkenntnisse zu gewinnen,<br />

arbeiten die Forscher*innen sehr eng mit<br />

dem erfahrenen Mineraliensammler und<br />

Chronisten Walter Ungerank sowie den<br />

Nachfahren der Zillertaler Granathändler<br />

zusammen. „Die Mithilfe aus der Bevölkerung<br />

ist sehr wertvoll, wir können gegenseitig<br />

voneinander profitieren. Es ist<br />

uns ein großes Anliegen, die Bürger*innen<br />

in unsere Arbeit miteinzubeziehen.<br />

Die <strong>Forschung</strong>sergebnisse werden für die<br />

Öffentlichkeit aufgearbeitet und sollen<br />

langfristig und nachhaltig von Nutzen<br />

sein“, sagt Goldenberg. Spannende Erkenntnisse<br />

liefert beispielsweise der mitwirkende<br />

Bürger Josef Hofer aus Zell am<br />

Ziller. Auf seinem Dachboden entdeckte<br />

RUINE EINER GRANATHÜTTE mit<br />

Pochtisch am Rossrücken auf 2. 500<br />

Meter Seehöhe.<br />

ARCHÄOLOGIEN: Besonders im hinteren Zemmgrund am Rossrücken wurde im 19. Jahrhundert<br />

eine komplette „Kleinindustrie“ mit ihrer Infrastruktur für den Abbau und die Aufbereitung<br />

des Granats im Hochgebirge aufgebaut. Dazu gehörten einfache Unterstände aus Trockenmauerwerk<br />

und Holz, Wohn- und Arbeitsgebäude für die Granatarbeiter, ein wasserbetriebenes<br />

Pochwerk, Rollmühlen aus Holz und ein aufwendig angelegter Knappensteig, welcher<br />

zu den Abbaustellen auf bis 2. 800 m Seehöhe führte. Die Granatarbeiter waren extremen<br />

Bedingungen ausgesetzt und mussten ihrer gefährlichen Arbeit unmittelbar neben den damals<br />

mächtigen Gletschern nachgehen. Mit archäologischen Methoden werden die Abbauspuren<br />

im Fels wie Bohrpfeifen und Schrämspuren sowie Werkzeugfunde dokumentiert, welche<br />

teilweise auch in Privatsammlungen zu finden sind. Persönliche Habseligkeiten der Granatarbeiter,<br />

die bei Prospektionen und Grabungen aufgefunden werden, erzählen ihre ganz eigene<br />

Geschichte über die harte Arbeitswelt des Granatabbaus. Besondere Aufmerksamkeit gilt den<br />

Ruinen, welche durch Schneedruck, Lawinenabgänge und Witterung einem raschen Verfall<br />

unterliegen. Eine Kartierung und 3D-Dokumentation der Überreste ist deshalb von großer Bedeutung,<br />

um die Erinnerung an den früheren Granatbergbau für die Nachwelt zu bewahren.<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 27


FORSCHUNGSZENTRUM HIMAT<br />

DICKSCHLIFF eines Granat-führenden<br />

Gesteins vom Rossrücken mit Elementverteilungsbild<br />

für Mangan (angereichert im<br />

Kern) auf einem zonierten Granatkristall.<br />

MINERALOGIE UND PETROGRAPHIE: Das Hauptaugenmerk der mineralogischen Untersuchungen<br />

liegt einerseits auf den historischen Granatfundstellen im hinteren Zillertal im Bereich<br />

des Rossrückens im Zemmgrund und andererseits auf der Erarbeitung von Kriterien zur<br />

Unterscheidung von Granat unterschiedlicher Herkunft in historischen Schmuckstücken. So<br />

handelt es sich bei den in den Ostalpen vorkommenden Granaten meist um Almandin (Eisentongranat)<br />

aus metamorphen Gesteinen (vor allem Glimmerschiefer), während der böhmische<br />

Granat in der Regel als Pyrop (Magnesiumtongranat) vorliegt und magmatischen Ursprungs<br />

ist. Bei der mineralogisch/chemischen Analyse der Granatproben kommen die Durchlicht-<br />

Polarisationsmikroskopie, die Elektronenstrahlmikrosonde, die Raman-Spektroskopie und die<br />

Mikro-Röntgenfluoreszenzanalyse (Mikro-RFA) zur Anwendung. Neben der Erzeugung von<br />

Elementverteilungsbildern, die über die Zusammensetzung der analysierten Granate Auskunft<br />

geben, können mit der Mikro-RFA auch zerstörungsfreie quantitative Analysen an Schmuckgranaten<br />

durchgeführt werden, um über ihre chemische Zusammensetzung Aussagen zur<br />

Provenienz des Rohmaterials zu ermöglichen. Aber auch optisch bestimmbare Eigenschaften<br />

wie Farbe oder Einschlüsse können für die Herkunftsbestimmung nützlich sein.<br />

er nicht nur eine verstaubte Kiste mit<br />

aufschlussreichen Dokumenten, sondern<br />

auch einen seit Jahrzehnten gelagerten<br />

Holzkasten seines Urgroßvaters, der als<br />

Granathändler tätig war. Das unscheinbare<br />

Fundstück entpuppte sich beim<br />

Öffnen als Granat-Sortimentskasten, der<br />

auf der Tiroler Landesausstellung 1893 in<br />

Innsbruck ausgestellt war.<br />

„Die getrommelten Granate wurden<br />

in erster Linie an Edelsteinschleifereien<br />

in Böhmen geliefert. In weiterer Folge<br />

gelangte der Granatschmuck als böhmischer<br />

Granat in den Handel. Durch mineralogische<br />

Untersuchungen versuchen<br />

wir, der Spur des Zillertaler Granats bis<br />

in die Fertigprodukte zu folgen“, betont<br />

der Innsbrucker Mineraloge Peter<br />

Tropper. Eine Vielzahl von Proben und<br />

Funden wurden den Forscher*innen von<br />

Walter Ungerank zur Verfügung gestellt,<br />

der dem Team auch die entlegenen Spuren<br />

des Granatbergbaus im hochalpinen<br />

Gelände gezeigt hat. Profitieren können<br />

die Wissenschaftler*innen auch durch die<br />

Zusammenarbeit mit dem Tiroler Landesarchiv.<br />

Hier werden die wertvollen<br />

Dokumente gereinigt und archiviert und<br />

für die Nachwelt gesichert. „Die Analyse<br />

von Belehnungsurkunden, Korrespondenzen,<br />

Rechnungsbüchern und Frachtbriefen<br />

gewährt spannende Einblicke in<br />

das Granatgewerbe und zeigt auch die<br />

Personen auf, die als Granatklauber und<br />

Granathändler tätig waren“, sagt die am<br />

Projekt beteiligte Historikerin Gunda<br />

Barth-Scalmani.<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

Um das alpine Gelände mit den weit gestreuten<br />

Überresten der Granatgewinnung<br />

umfassend zu dokumentieren, setzen<br />

die Wissenschaftler*innen auch eine<br />

Drohne ein. „Im Zuge des Projekts werden<br />

die Beobachtungen im Gelände mit<br />

den historischen Überlieferungen abgeglichen.<br />

Eine besondere Rolle spielt dabei<br />

die Dynamik der Gletscherbewegungen<br />

im 19. Jahrhundert, die in die Interpretation<br />

der Befunde mit einbezogen werden<br />

muss. So war beispielsweise der Rossrücken<br />

mit seinen Granatabbauen und Granathütten<br />

in der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

– zur Zeit der ‚kleinen Eiszeit‘ um<br />

1850 – komplett von Eismassen des<br />

Hornkees und Waxeggkees umflossen,<br />

was für die Granatarbeiter eine ganz besondere<br />

Herausforderung darstellte“,<br />

erzählt Goldenberg. Als Ergebnis des<br />

<strong>Forschung</strong>sprojektes sind, neben den drei<br />

wissenschaftlichen Dissertationen, auch<br />

ein populärwissenschaftliches Buch über<br />

den Zillertaler Granat sowie eine Ausstellung<br />

im Museumsneubau des Naturparkhauses<br />

in Ginzling geplant. Ziel ist<br />

eine nachhaltige Bewahrung und Präsentation<br />

des kulturellen Erbes zum Thema<br />

„Zillertaler Granat“ für eine breite Öffentlichkeit.<br />

ms<br />

GESCHICHTSWISSENSCHAFTEN, EUROPÄISCHE ETHNOLOGIE: Grundlage des<br />

historischen Projektteils bilden, neben hoheitlichen Urkunden über Schürf- und Sammelbewilligungen,<br />

vor allem private uneditierte Dokumente wie Korrespondenzen und<br />

Rechnungsbücher aus den Sammlungen der Nachfahren der Zillertaler Granathändler. Ein<br />

Hauptaugenmerk der <strong>Forschung</strong> liegt auf der Rekonstruktion der Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />

des Zillertaler Granatgewerbes und seiner weitreichenden Handelsverflechtungen.<br />

Hierzu gehört die Herausarbeitung der Absatzmengen von Rohgranaten bei den Edelsteinschleifereien<br />

vor allem in Böhmen. Eine Größenordnung von mehreren 100 Kilogramm<br />

gehandeltem Granat pro Jahr zeichnet sich für das 19. Jahrhundert ab. Ein weiterer Aspekt<br />

ist die Qualität der Handelsware und deren Preisentwicklung, die über den gesamten Zeitraum<br />

des 19. Jahrhunderts relativ konstant geblieben zu sein scheint. Ein Themenkomplex<br />

widmet sich der einschlägigen Literatur, beginnend mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert<br />

(vor allem naturkundliche Publikationen aus den Bereichen Botanik, Geomorphologie, Geologie<br />

und Lagerstättenkunde). Hier spielen das Aufkommen wissenschaftlicher Institutionalisierung,<br />

die bürgerliche Revolution und der beginnende Bergtourismus (Reiseberichte früher<br />

Alpinisten, lokalgeschichtliche Publikationen) eine wichtige Rolle.<br />

KOPIALBUCH „über sämtlichen Granatenhandel<br />

des Josef Hofer für die Jahre 1862<br />

bis 1872“.<br />

28 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Simon Wagner, Walter Ungerank


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GESCHICHTSWISSENSCHAFT<br />

WEGE DES<br />

WISSENS<br />

Die Historikerin Mona Garloff nimmt den Fernhandel mit Büchern<br />

und den Buchmarkt in der Frühen Neuzeit in den Blick.<br />

HISTORIKERIN Mona Garloff untersucht den Buchmarkt der Frühen Neuzeit.<br />

Zu Hochzeiten besaß er Buchhandlungen<br />

unter anderem in Wien,<br />

Prag, Innsbruck und Linz, die<br />

größte Buchdruckerei Österreichs, eine<br />

Schriftsetzerei und eigene Papiermühlen:<br />

Johann Thomas von Trattner kontrollierte<br />

im 18. Jahrhundert weite Teile<br />

des Buchhandels und der Buchproduktion<br />

der Habsburgermonarchie. Mitte<br />

des Jahrhunderts erhielt er den Auftrag,<br />

sämtliche im Zuge der Studienreformen<br />

unter Kaiserin Maria Theresia neu zu<br />

verfassenden Lehrbücher zu verlegen<br />

und zu drucken – das verhalf seinem Unternehmen<br />

zu einem sprunghaften Aufstieg.<br />

1754 wurde er schließlich zum Hofbuchdrucker,<br />

weitere Privilegien folgten.<br />

Der Trattnerhof am Graben in Wien trägt<br />

noch heute den Namen des Verlegers,<br />

das restliche, beträchtliche wirtschaftliche<br />

Imperium ist allerdings nicht mehr<br />

einheitlich erhalten. Sein Beispiel zeigt<br />

aber die Dynamik und die Netzwerke<br />

des Buchhandels in der Frühen Neuzeit.<br />

Expertin dafür ist die Historikerin Mona<br />

Garloff. In ihrem Habilitationsprojekt,<br />

das durch den FWF (Lise-Meitner-Programm)<br />

gefördert wird, sieht sie sich den<br />

Fernbuchhandel in Wien und Prag in der<br />

Zeit zwischen 1680 und 1750 näher an,<br />

also auch der Zeit, in der der Grundstein<br />

für Trattners Imperium gelegt werden<br />

sollte. „Mich interessieren hier mehrere<br />

Aspekte: Wie durchsetzungsfähig war<br />

die Zensur im zersplitterten Heiligen Römischen<br />

Reich, das zu großen Teilen aus<br />

relativ kleinen Fürstentümern bestand?<br />

Welchen Einfluss hat der Buchhandel auf<br />

überregionale Wissensräume, wie sie um<br />

1700 zu entstehen beginnen?“, sagt Mona<br />

Garloff.<br />

Zentren im Süden<br />

Die Zentren des deutschsprachigen<br />

Buchhandels lagen in der Zeit um 1700<br />

im heutigen Süddeutschland, besonders<br />

in Nürnberg und Augsburg. „Buchhändler<br />

aus diesen Städten belieferten<br />

insbesondere auch den österreichischen<br />

und böhmischen Markt und hatten die<br />

Mittel, in den Messestädten Leipzig und<br />

Frankfurt präsent zu sein und neues Material<br />

anzukaufen. Diese Mittel fehlten<br />

den Buchhändlern in Wien in dieser Zeit<br />

noch.“ Leipzig und Frankfurt sind mit<br />

ihren Buchmessen bis heute Zentren der<br />

deutschsprachigen Literatur, in der Frühen<br />

Neuzeit war das nicht anders – und<br />

30<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Andreas Friedle


GESCHICHTSWISSENSCHAFT<br />

auch damals waren die Messen schon Zusammenkünfte,<br />

über die auch internationale<br />

Literatur in den deutschsprachigen<br />

Raum kam, aus Italien, Frankreich oder<br />

England. „Übersetzungen waren auch<br />

damals schon relevant, allerdings wissen<br />

wir über die Übersetzer*innen meist nur<br />

wenig. Häufig waren es Hauslehrer und<br />

einfache Beamte, die sich durch Übersetzungen<br />

Geld dazuverdienten, oder<br />

weniger erfolgreiche Schriftsteller, die<br />

als Brotberuf Übersetzungen anfertigten.<br />

Wir wissen, dass es auch vergleichsweise<br />

viele Frauen gab, die als – anonyme<br />

– Übersetzerinnen tätig waren“, erklärt<br />

die Historikerin. Übersetzungen konnten<br />

allerdings auch dazu dienen, die Zensur<br />

in Heimmärkten zu umgehen. Und nicht<br />

immer war es einfach, überhaupt Übersetzer*innen<br />

zu finden, erläutert Garloff:<br />

„Aus Korrespondenz des Universalgelehrten<br />

Gottfried Wilhelm Leibniz wissen<br />

wir, dass er über einen Verleger versuchte,<br />

einen Übersetzer für die Werke von<br />

Thomas Hobbes aus dem Englischen zu<br />

finden. Dieses Vorhaben scheiterte aber.“<br />

Die Art der Bücher, die im 17. und<br />

18. Jahrhundert primär gehandelt wurden,<br />

unterscheidet sich von dem, was<br />

wir heute in Buchhandlungen zu kaufen<br />

kriegen, wie Mona Garloff ausführt:<br />

„Zunehmend entstand damals schon<br />

das, was wir heute unter Literatur verstehen.<br />

Allerdings darf man nicht aus<br />

den Augen verlieren, dass im frühen 18.<br />

Jahrhundert nicht einmal zwei Prozent<br />

des Buchmarkts aus Romanen bestand<br />

– für uns heute ja der Inbegriff von Literatur.“<br />

Dieser Bruchteil wurde allerdings<br />

schon damals auch gut beworben – weil<br />

auch damals Verleger schon wussten,<br />

dass sich dafür Käufer*innen finden<br />

würden. „Romane waren kleinformatig,<br />

konnten also günstig erworben werden.<br />

Dominiert wurde der Buchmarkt aber<br />

von religiöser Erbauungsliteratur im<br />

Kleindruckformat.“<br />

Frühe Bestseller<br />

Und ähnlich wie heute: Um Schriftsteller<br />

mit Renommee rissen sich die Verleger<br />

auch in der Vormoderne. Ein Beispiel<br />

ist der Augustinerprediger Abraham a<br />

Santa Clara, dessen Bücher als Bestseller<br />

gelten. Sein Werk „Mercks Wienn“ (1680)<br />

über die Wiener Pestepidemie 1679 fand<br />

etwa erst durch einen Nachdruck durch<br />

Nürnberger und Ulmer Verleger mit bis<br />

MONA GARLOFF (*1982, Freiburg im<br />

Breisgau) studierte Neuere und Neueste<br />

Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft<br />

in München und Paris und<br />

promovierte 2<strong>01</strong>3 an den Universitäten<br />

Frankfurt am Main und Trient. 2<strong>01</strong>3 bis<br />

2020 war sie Akademische Rätin am<br />

Historischen Institut der Universität Stuttgart,<br />

seit April 2020 ist sie Universitätsassistentin<br />

am Institut für Geschichtswissenschaften<br />

und Europäische Ethnologie<br />

an der Universität Innsbruck. In ihrer<br />

<strong>Forschung</strong> befasst sie sich unter anderem<br />

mit Buchgeschichte, Handel und Wirtschaft,<br />

Wissens- und Gelehrtengeschichte<br />

im Raum der Habsburgermonarchie,<br />

Ostmitteleuropas und Frankreichs in der<br />

Frühen Neuzeit. Sie leitet das FWF-Projekt<br />

Fernbuchhandel in Wien und Prag –<br />

Märkte, Akteure, Politik 1680–1750.<br />

zu 18. 000 Exemplaren ein breites Publikum,<br />

der ursprüngliche Verleger in<br />

Wien verlor den Autor so. Nachdrucke<br />

waren auch unabhängig davon ein Problem,<br />

nicht nur für kleinere Verlage: Die<br />

Zersplitterung des Heiligen Römischen<br />

Reichs machte es schwierig, Druck- und<br />

Urheberrechte – sofern diese überhaupt<br />

geschützt waren – durchzusetzen. Mit<br />

der Methode des unautorisierten Nachdrucks<br />

sollte sich später im 18. Jahrhundert<br />

Johann Thomas von Trattner vor<br />

allem in Mittel- und Norddeutschland<br />

unbeliebt machen, zumal er bekannte<br />

Werke auch entsprechend der in der<br />

Habsburgermonarchie geltenden Zensur<br />

abgeändert nachdruckte. Was ebenfalls<br />

damals entstanden ist, sind die Versuche<br />

eines Selbstverlags: Autor*innen suchen<br />

sich Drucker und verlegen ihre Schriften<br />

selbst.<br />

Abraham a Santa Clara dient auch als<br />

Beispiel für die Art der Literatur, die in<br />

der Frühen Neuzeit gelesen wurde: Vielfach<br />

handelte es sich nämlich um religiöse<br />

Predigt- und Erbauungsliteratur.<br />

„Nahezu alle Bevölkerungsschichten<br />

haben schon damals Bücher besessen,<br />

allerdings wie erwähnt nicht das, was<br />

Menschen heute in ihren Bücherregalen<br />

stehen haben, sondern eben hauptsächlich<br />

Erbauungsliteratur, religiöse<br />

Texte. Auch der geheime Handel mit<br />

verbotenen evangelischen Werken in<br />

katholischen Gebieten war ein starker<br />

Faktor.“ Der Einfluss der großteils protestantischen<br />

Buchhändler in der Habsburgermonarchie<br />

ist jedenfalls nicht zu<br />

unterschätzen, dieser konfessionelle<br />

Faktor ist auch Teil von Garloffs Untersuchungen:<br />

„Wir wissen aus überlieferten<br />

Rechnungen, dass etwa Nürnberger<br />

Verleger auch den Wiener Hof beliefert<br />

haben. Das Benediktinerstift Göttweig<br />

erwarb gleich eine gesamte Bibliothek<br />

aus Nürnberg – und zwar in einem Ausmaß,<br />

dass ein Buchhändler bei diesem<br />

Geschäft bankrott ging.“<br />

Handelswege<br />

Diese Handelsbeziehungen nachzuvollziehen<br />

ist Ziel von Mona Garloff, eröffnen<br />

sie doch einen Blick in die Anfänge<br />

eines breiteren Buchmarkts, wie wir ihn<br />

heute kennen. Trattner und seine süddeutschen<br />

Vorgänger nahmen einiges<br />

vorweg, was noch heute Teil des Buchhandels<br />

ist: Händler eröffneten damals<br />

„Das Benediktinerstift Göttweig erwarb gleich eine gesamte Bibliothek<br />

aus Nürnberg – und zwar in einem Ausmaß, dass ein Buchhändler<br />

bei diesem Geschäft sogar bankrott ging.“ <br />

Mona Garloff<br />

Filialen in mehreren Städten – besonders<br />

Innsbruck war aufgrund der Nähe zum<br />

Handelsweg nach Italien schon damals<br />

als Niederlassung begehrt – und internationale<br />

Bestseller mit Großauflagen<br />

entstanden, die über dieses Filialnetz<br />

vertrieben wurden. „Ein früher Bestseller<br />

ist Robinson Crusoe von 1719. Bereits<br />

im folgenden Jahr waren vier deutsche<br />

Übersetzungen erhältlich, weitere Bearbeitungen<br />

des Stoffs erschienen kurz danach“,<br />

erläutert Mona Garloff. sh<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 31


GERMANISTIK<br />

POSTERBOY DER ROMANTIK<br />

In Portugal wird er als Nationaldichter verehrt, im deutschsprachigen Raum ist Luís Vaz de Camões so<br />

gut wie unbekannt. Dem war nicht immer so. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es einen<br />

regelrechten Hype um den Dichter und sein Epos Os Lusíadas. Der Germanist Peter C. Pohl begab sich<br />

auf die Suche nach dieser Faszination – und ihrem Verschwinden.<br />

Im April 1570 legte in Cascais, einer<br />

Stadt knapp 25 Kilometer westlich<br />

von Lissabon gelegen, ein Segelschiff<br />

an. Mit an Bord der Santa Clara befand<br />

sich Luís Vaz de Camões. Über 15 Jahre<br />

war er fern seiner Heimat Portugal gewesen,<br />

als Soldat in Indien und Arabien,<br />

als Verwalter in Macao, er hatte Goa gesehen<br />

und Mosambik. Reichtümer hatte er<br />

keine erlangt, vielmehr kehrte er verarmt<br />

zurück. Im Gepäck hatte er allerdings<br />

ein Manuskript, ein Epos mit 8.816 Versen,<br />

das er dem jungen König Sebastião<br />

I. widmete. Die heilige Inquisition gab es<br />

zum Druck frei, 1572 erschienen Os Lusíadas,<br />

eine idealisierte Geschichte Portugals.<br />

Acht Jahre später war Portugal selbst Geschichte.<br />

Sebastião war 1578 kinderlos in<br />

einer Schlacht gefallen. Ihm folgte zwar<br />

noch sein Großonkel, Kardinal Henrique,<br />

als König, dessen Tod 1580 bedeutete aber<br />

das Ende der Avis-Dynastie. Portugal<br />

wurde mit dem Königreich Spanien vereinigt<br />

und verlor seine Eigenständigkeit.<br />

Nur die Lusiaden zeugten noch vom Ruhme<br />

Portugals, die portugiesische Nation,<br />

schrieb Friedrich Schlegel im Jahr 1803,<br />

existierte, „gewissermaßen nur in diesem<br />

Werke noch fort“.<br />

Schlegel war nicht der erste, der Camões‘<br />

Lusiaden den deutschen Leserinnen<br />

und Lesern näher bringen wollte,<br />

doch er machte Camões „zum ‚Posterboy‘<br />

der Romantik“, wie es Peter C. Pohl<br />

vom Institut für Germanistik der Universität<br />

Innsbruck formuliert. Der „Posterboy“<br />

faszinierte unzählige Künstler,<br />

ihre Begeisterung schlug sich nieder<br />

in Literatur und Musik und war in der<br />

deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts<br />

allgegenwärtig. Heute kann davon keine<br />

Rede mehr sein. „Sowohl die kaum zu<br />

überschätzende Faszination, die Camões<br />

insbesondere auf die Romantiker, aber<br />

auch auf viele andere ausübte, als auch<br />

viele der von Camões Faszinierten und<br />

LUÍS VAZ DE CAMÕES (*1524/25, †<br />

1579/80) gilt als der bedeutendste Autor<br />

Portugals, sein – angeblicher – Todestag,<br />

der 10. Juni, ist der portugiesische<br />

Nationalfeiertag. Sein Hauptwerk Os<br />

Lusíadas (1572) besteht aus zehn Gesängen<br />

mit 1.102 Strophen, die 8.816 Verse<br />

enthalten. Lusiaden meint die Lusitanier,<br />

die Bewohnerinnen und Bewohner der<br />

römische Provinz Lusitania, die ungefähr<br />

das heutige Portugal umfasste. Die Bezeichnung<br />

Lusitania soll auf Lusus, einen<br />

Gefährten des Bacchus, zurückgehen. Im<br />

Stil klassischer Epen erzählen die Lusiaden<br />

die Entdeckung des Seewegs nach Indien<br />

durch Vasco da Gama, seine Reise entlang<br />

der afrikanischen Ostküste ums Kap der<br />

Guten Hoffnung bis nach Calicut. Camões<br />

verbindet diesen Handlungsstrang mit<br />

einer Darstellung portugiesischer Historie.<br />

Die Abbildung zeigt die Ausgabe des<br />

O commercio Portuguez vom 10. Juni<br />

1880 anlässlich des 300. Todestages von<br />

Camões.<br />

ihre literarischen Gestaltungen sind vergessen“,<br />

schreibt Pohl in seinem Buch zur<br />

deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte<br />

von Camões. Wie man sich diese Begeisterung<br />

und ihr Verschwinden erklären<br />

kann und was man aus ihr heute gewinnen<br />

könnte – diesen Fragen stellt sich<br />

Pohl in Vergessene Faszination.<br />

Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

veränderten die Französische<br />

Revolution und die Koalitionskriege<br />

das Angesicht Europas. Das Heilige Römische<br />

Reich deutscher Nation verlor<br />

Territorium um Territorium, bis Franz II.<br />

1806 schließlich die Reichskrone niederlegte.<br />

Die deutschen Romantiker suchten<br />

daher eine virtuelle Identität und schufen<br />

eine ‚Imagined Community‘. „Nach der<br />

avantgardistischen Frühromantik dienten<br />

sie sich der Nation an“, sagt Pohl. Achim<br />

von Arnim und Clemens Brentano veröffentlichten<br />

mit Des Knaben Wunderhorn<br />

eine Sammlung deutscher Volkslieder,<br />

Jacob und Wilhelm Grimm sammelten<br />

Märchen und widmeten sich dem Wörterbuch<br />

zur deutschen Sprache. Schlegel<br />

wiederum suchte nach idealen nationalen<br />

Epen, deren charismatische Dichter kraft<br />

ihrer Imagination Nationen geschaffen<br />

bzw. deren Identität gestiftet hatten – und<br />

stieß auf Luís Vaz de Camões.<br />

Faszinierendes Leben & Werk<br />

„Allein die Biografie von Camões, auch<br />

wenn es nur wenige gesicherte Daten zu<br />

ihm gibt, sagt viel über die Faszination<br />

aus, die von ihm ausging“, erklärt Pohl.<br />

Im Gefecht verlor der Portugiese ein<br />

Auge, wegen Handgreiflichkeiten saß<br />

er mehrmals im Gefängnis, als Soldat<br />

befuhr er den Seeweg nach Indien, bei<br />

einem Schiffbruch rettete er angeblich<br />

nichts außer seinem Leben und dem Manuskript<br />

der Lusiaden – ein Dichter also,<br />

der alles für sein Land und sein Werk<br />

gegeben hatte. „Schriftsteller verglichen<br />

sich mit Camões, um sich Mäzenen und<br />

der Öffentlichkeit anzubieten. Auch<br />

konnte man mit Verweisen auf Camões<br />

Aufmerksamkeit erlangen“, weiß Pohl.<br />

32 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Library of Congress, Andreas Friedle


GERMANISTIK<br />

PETER C. POHL (*1977) studierte ab<br />

1998 Germanistik, Kulturwissenschaft,<br />

Philosophie und Politologie in Heidelberg,<br />

Bremen sowie Avignon und promovierte<br />

2009 über Robert Musils Mann ohne<br />

Eigenschaften an der Universität Bremen,<br />

wo er seit 2005 auch als Lehrbeauftragter<br />

tätig war. Ab 2<strong>01</strong>0 lehrte und<br />

forschte Pohl am Arbeitsbereich Neuere<br />

deutsche Literatur und Literaturtheorie<br />

der Universität Greifswald. Seit 2<strong>01</strong>6 ist<br />

er Universitätsassistent am Institut für<br />

Germanistik der Universität Innsbruck.<br />

Ferner passten die Lusiaden selbst ins<br />

Schlegel’sche Konzept. Mit Vasco da Gama<br />

hat das Epos einen Helden, mit Portugal<br />

ein heldenhaftes Land, welches das<br />

christliche Abendland militärisch verteidigte<br />

und Handelswege nach Asien und<br />

Afrika eröffnete. „Das einzige heroische<br />

Nationalgedicht, was die Neueren aufzuweisen<br />

haben“, urteilte Schlegel und<br />

setzte die Lusiaden für seine Idee des ‚Nation<br />

Building‘ ein. „Die Idee einer deutschen<br />

Nationalität wird von einer portugiesischen<br />

Nationenidee abgeleitet“,<br />

wagt Pohl eine, wie er sagt, „steile These“.<br />

Die sich aber durch den fruchtbaren<br />

Boden, auf den Schlegels Ausführungen<br />

stießen, belegen lässt. Rund 150 fiktionale<br />

literarische Primärtexte umfasst die<br />

Bibliografie, die Pohls Institutskollege<br />

Michael Pilz zusammengetragen hat. Nur<br />

wenige, abseits von absoluten Fachkreisen<br />

bekannte Autorinnen und Autoren<br />

befinden sich darunter. Und tatsächlich<br />

ist es weniger die literarische Qualität,<br />

welche die Texte interessant macht. Man<br />

kann an ihnen jedoch Einiges ablesen:<br />

dass Camões je nach Ort und Zeit ganz<br />

unterschiedlich rezipiert wurde; dass<br />

man ihn in Dramen, Gedichten und Erzählungen<br />

ganz anders stilisierte; dass er<br />

zur Selbstinszenierung zahlreicher (zumeist<br />

erfolgloser) Autoren diente. Kurzum:<br />

Die Camões-Rezeption ist repräsentativ<br />

für weit größere Zusammenhänge.<br />

Peter C. Pohl: Vergessene Faszination.<br />

Zur deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte<br />

des portugiesischen<br />

Nationalepikers Luís Vaz de Camões.<br />

Mit Beiträgen v. Michael Pilz u.<br />

Sigurd Paul Scheichl u. einer annotierten<br />

Bibliographie v. Michael Pilz.<br />

Germanistische Reihe – Band 95,<br />

innsbruck university press, <strong>2022</strong><br />

Der Hype um Camões begann allerdings<br />

ab 1850 abzuflachen, mit der Deutschen<br />

Reichsgründung wurde die Notwendigkeit<br />

einer virtuellen Nationenbildung<br />

dann obsolet. Nationalepen hatten weitestgehend<br />

ausgedient.<br />

Fast zeitgleich, anlässlich des 300. Todestages<br />

von Camões, kam es in Portugal<br />

zu einer Neuinterpretation des Nationaldichters.<br />

„Die Geração de 70 – eine Gruppe<br />

junger Dichter, Schriftsteller und Politiker<br />

– will das ländliche katholische Portugal<br />

in die Moderne führen“, sagt Pohl, „sie<br />

bürsten dafür Camões gegen den romantischen<br />

Strich und entdecken ihn neu.“<br />

Das Augenmerk wurde auf den „Naturwissenschaftler“<br />

Camões gelegt, auf seine<br />

Beobachtung der Natur und ihrer Gefahren,<br />

seine Beschreibung des Einsatzes<br />

nautischer Instrumente. Für die Geração<br />

de 70 stand Camões zudem für den weltweiten<br />

Austausch und damit für eine Öffnung<br />

des damals rückschrittlichen Portugals<br />

zur europäischen Moderne.<br />

Pohl entwickelt daraus einen möglichen<br />

Ansatzpunkt für eine aktuelle Camões-Lektüre:<br />

„Wenn Schlegel sich über<br />

Camões germanisierte, Portugal sich<br />

über Camões europäisierte, könnte nun<br />

der Zeitpunkt gekommen sein, sich und<br />

Europa über Camões (anders) zu globalisieren.“<br />

<br />

ah<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 33


SOZIOLOGIE<br />

GEZIELTE ARBEIT an einer Erzählung der eigenen Biografie trägt auch zur Ordnung der Gedankenwelt Jugendlicher bei.<br />

RESILIENZ GEGEN<br />

EXTREMISMUS STÄRKEN<br />

Welche Faktoren verhindern Radikalisierung bei Jugendlichen?<br />

Mit dieser Frage befasst sich die Soziologin Hemma Mayrhofer, die dabei den Ansatz<br />

der Biografiearbeit mit Jugendlichen wissenschaftlich untersucht.<br />

Hannes ist heute 19 Jahre alt. Seine<br />

Geschichte ist nicht alltäglich:<br />

Als Kleinkind kommt er zu Onkel<br />

und Tante, die seine Pflegeeltern werden;<br />

zu seinem Vater hat er regelmäßigen<br />

Kontakt, zur suchtkranken Mutter nur<br />

sporadisch. Nach dem Besuch der Volksund<br />

Hauptschule beginnt er eine Lehre<br />

in einem Industriebetrieb. Mit 14 macht<br />

er sich erstmals aus eigenem Antrieb auf<br />

die Suche nach dem abwesenden Elternteil<br />

und nimmt Kontakt zu seiner leiblichen<br />

Mutter auf, die zwischenzeitlich<br />

wohnungslos ist. Über sie lernt er ältere<br />

Jugendliche kennen und wird gemeinsam<br />

mit ihnen von der Polizei beim Cannabiskonsum<br />

erwischt. Nach vorübergehendem<br />

Kontaktabbruch zur Mutter und<br />

ihrem Umfeld sucht er mit 15 neuerlich<br />

ihre Nähe. Sie gehört nun einer rechtsextremen<br />

Gruppe an und Hannes wird<br />

ebenfalls Teil dieser Gruppe. Er kommt<br />

schließlich wegen Körperverletzung und<br />

Verhetzung mit dem Gesetz in Konflikt.<br />

Hannes, das ist nicht sein realer Name,<br />

ist ein Fallbeispiel aus der im Rahmen<br />

des Sicherheitsforschungs-Förderprogramm<br />

KIRAS vom Bundesministerium<br />

für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus<br />

geförderten Studie „BI:JU – Biografiearbeit<br />

in der Offenen Jugendarbeit<br />

als resilienzstärkende Maßnahme zur<br />

Radikalisierungsprävention“, die Hemma<br />

Mayrhofer und Florian Neuburg vom<br />

Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie<br />

(IRKS) derzeit abschließen.<br />

„Uns interessiert das komplexe Zusammenwirken<br />

von Faktoren, die dazu<br />

führen können, dass Jugendliche sich radikalisieren.<br />

Und besonders interessiert<br />

uns, welche Faktoren dazu beitragen,<br />

dass Radikalisierung eben nicht ‚greift‘<br />

oder wodurch eine frühe Distanzierung<br />

von extremistischen Ideologien und<br />

Gruppen gefördert wird“, erklärt Hemma<br />

Mayrhofer. Welche Rolle biografische<br />

Erfahrungen in der Radikalisierung spielen,<br />

ist bereits durch mehrere Studien erforscht,<br />

Resilienzfaktoren hingegen wurden<br />

bislang kaum untersucht – dort setzt<br />

das <strong>Forschung</strong>sprojekt BI:JU an.<br />

34<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: AdobeStock / 1STunningART, IRKS / Uni Innsbruck


SOZIOLOGIE<br />

Sozialer Kontext<br />

„Individuelle Widerstandsfähigkeit kann<br />

nicht isoliert vom sozialen Kontext gesehen<br />

werden“, betont die Soziologin.<br />

Auch sind Risiko- und Resilienzfaktoren<br />

nicht immer klar zu trennen: Was im einen<br />

Kontext ein Risiko sein kann, schützt im<br />

anderen vor weiterer Radikalisierung.<br />

Mayrhofer führt als Beispiel Luaneshe –<br />

auch dieser Name ist geändert – an, die<br />

als Jugendliche Teil einer nationalistischen<br />

kosovo-albanischen Gruppe war.<br />

Sie verstand sich als deren Beschützerin<br />

und übernahm Verantwortung für andere<br />

Gruppenmitglieder – auch durch Ausübung<br />

von Gewalt: „Heute arbeitet sie als<br />

Security in einem Betrieb und resümiert,<br />

sie mache jetzt das, was sie ohnehin schon<br />

immer gemacht habe, aber nun für einen<br />

Arbeitgeber im rechtsstaatlichen Rahmen<br />

und nicht in einem extremistischen Kontext.“<br />

Luaneshes Form von Selbstbehauptung<br />

nach ihrer Migration nach Österreich<br />

lässt sich als „hidden resilience“ bezeichnen,<br />

also als sozial nicht verträgliche und<br />

zu gesellschaftlichen Normen im Widerspruch<br />

stehende Resilienz. Sie erfährt bereits<br />

als Schülerin dadurch Selbstwirksamkeit,<br />

dass sie mit ihrer nationalistischen<br />

Gruppe bei Mitschüler*innen Angst und<br />

Schrecken verbreitet. „Das kann in einem<br />

Umfeld, das als ausgrenzend erlebt wird,<br />

stärkend für die eigene Identitätsentwicklung<br />

sein, allerdings widerspricht es klar<br />

geltenden Normen“, sagt Mayrhofer. Als<br />

Teil der stark geschlossenen kosovo-albanischen<br />

Community erpresst sie unter anderem<br />

Schutzgelder, nimmt aber zugleich<br />

keine typische Genderrolle ein.<br />

Letzteres erweist sich später als Resilienzfaktor,<br />

nämlich im Prozess der<br />

Distanzierung von einer islamistischen<br />

Gruppierung, der sie sich als junge Erwachsene<br />

anschließt: Luaneshe erlebt parallel<br />

zur Eskalation des Krieges in Syrien<br />

einen starken antimuslimischen Diskurs<br />

in Österreich. Dadurch rückt die Ausgrenzungserfahrung<br />

als Muslima in den<br />

Vordergrund, für deren Zurückweisung<br />

ihr islamistische Identifikationsangebote<br />

bessere Möglichkeiten eröffnen. Der ethnisch-nationalistische<br />

Extremismus wird<br />

nun durch einen antinationalistischen<br />

Extremismus abgelöst: „Aus ethnischen<br />

Feind*innen werden so plötzlich Geschwister<br />

im Glauben. Das eröffnet ihr<br />

zugleich die Erfahrung, dass persönliche<br />

Zugehörigkeit und Identität veränderbar<br />

sind.“ Und noch ein Faktor wird relevant:<br />

Die strengen religiösen Regeln, denen sie<br />

sich nun als Frau unterwerfen soll, empfindet<br />

sie als einschränkend, auch in beruflicher<br />

Hinsicht. Sie verlangen einen<br />

radikalen Bruch zu ihrem bisherigen<br />

Selbstverständnis, zu dem Luaneshe nicht<br />

lange bereit ist.<br />

„Bei Luaneshe und auch bei Hannes<br />

sehen wir, dass soziale Bezugspunkte<br />

außerhalb der radikalisierten Gruppe<br />

einen bedeutenden Resilienzfaktor darstellen.<br />

Beiden hilft dieser Faktor bei der<br />

Distanzierung von der extremistischen<br />

Szene“, betont Hemma Mayrhofer. Luaneshe<br />

hat etwa eine enge Beziehung zu<br />

ihrer Mutter, deren große Sorge wegen<br />

ihrer islamistischen Orientierung ein<br />

wichtiger Beweggrund ist, den Kontakt<br />

zur jihadistischen Szene abzubrechen.<br />

Zugleich steht sie mit einer Jugendarbeiterin<br />

in losem, aber prägendem Kontakt,<br />

das unterstützt ebenfalls beim Szeneausstieg.<br />

Ein wichtiges Motiv für Hannes‘<br />

Ausstieg aus der rechtsextremen Gruppe<br />

ist sein Wunsch, die Beziehung zu seinen<br />

Pflegeeltern nicht zu gefährden. Und beide<br />

Fallbeispiele verdeutlichen, wie sehr<br />

HEMMA MAYRHOFER ist Leiterin des<br />

Instituts für angewandte Rechts- und<br />

Kriminalsoziologie (IRKS) der Uni Innsbruck<br />

in Wien. Nach dem Studium der<br />

Soziologie und eines Fächerbündels aus<br />

Politikwissenschaft, Zeitgeschichte und<br />

Gender Studies an der Universität Wien<br />

und der Freien Universität Berlin ist sie<br />

seit 1996 in unterschiedlichen Kontexten<br />

und Instituten in der empirischen<br />

Sozialforschung tätig, seit Anfang 2<strong>01</strong>2<br />

am IRKS. Sie ist Kollegiumsmitglied der<br />

ÖGS-Sektion „Recht & Gesellschaft“ und<br />

im Editorial Board der Österreichischen<br />

Zeitschrift für Soziologie (ÖZS). In ihrer<br />

<strong>Forschung</strong> befasst sich Mayrhofer unter<br />

anderem mit Fragen von sozialer Inklusion<br />

und Exklusion, sozialer Kontrolle<br />

und sozialer Arbeit, rechtssoziologischer<br />

<strong>Forschung</strong> und sozialwissenschaftlicher<br />

Sicherheitsforschung.<br />

berufliche Einbindung und Perspektiven<br />

Resilienz fördern. „Und sie zeigen das<br />

Potenzial von Biografiearbeit: Die Art,<br />

wie eine Person ihre bisherige Lebensgeschichte<br />

erzählt und deutet, beeinflusst,<br />

wie sie sich mit biografischen Herausforderungen<br />

auseinandersetzt und sich im<br />

eigenen Leben zurechtfindet.“ Hannes<br />

hatte etwa noch kaum eigene Erzählungen<br />

zu zwei sehr stärkenden Lebensbereichen<br />

und -phasen entwickelt, nämlich<br />

zu seiner Kindheit mit den Pflegeeltern<br />

sowie zur Berufsausbildung und Arbeit.<br />

„Biografiearbeit kann Menschen dabei<br />

unterstützen, zu solchen lebensgeschichtlichen<br />

Ressourcen ein biografisches Gedächtnis<br />

zu entwickeln, das die Fähigkeit<br />

zur autonomen Gestaltung und Reflexion<br />

des eigenen Lebens fördert und letztlich<br />

resilienter macht“, erläutert die Soziologin<br />

den Ansatz der Biografiearbeit.<br />

Praktische Umsetzung<br />

Die Förderung von Resilienzfaktoren<br />

schließt für Hemma Mayrhofer immer<br />

auch die Umwelt mit ein: „Individuelle<br />

Resilienz kann nur so gut sein, wie die<br />

Umwelt es ermöglicht, sie auszudrücken.<br />

Es geht immer auch darum, das soziale<br />

Umfeld resilienzfördernd zu gestalten<br />

und Jugendliche zu unterstützen – angefangen<br />

bei der Schule über berufliche<br />

Teilhabemöglichkeiten bis hin zu gut<br />

ausgestatteter Jugendarbeit.“ In der Jugendarbeit<br />

gibt es bereits Angebote der<br />

Biografiearbeit, wenn auch nicht immer<br />

unter diesem Namen: Viele Jugendzentren<br />

bieten Jugendlichen zum Beispiel die<br />

Möglichkeit, in Tonstudios eigene Musik<br />

– etwa Raps – aufzunehmen, in denen<br />

sie Erfahrungen aus dem eigenen Leben<br />

verarbeiten und reflektieren; narrativbiografische<br />

Gespräche mit den Jugendlichen<br />

helfen außerdem, Resilienzfaktoren<br />

zu identifizieren und zu stärken.<br />

„Die Ergebnisse der BI:JU-Studie lassen<br />

wir auch in die Lehre an der Universität<br />

einfließen, besonders wichtig ist uns zugleich<br />

eine anwendungsbezogene Ergebnisdissemination“,<br />

sagt Hemma Mayrhofer.<br />

Aktuell führt sie mit Florian Neuburg<br />

etwa Workshops zur Biografiearbeit für<br />

Jugendarbeiter*innen durch, zudem werden<br />

die Projektergebnisse Vertreter*innen<br />

der österreichischen Jugendstrategie und<br />

Mitgliedern des Bundesweiten Netzwerks<br />

Extremismusprävention und Deradikalisierung<br />

(BNED) vermittelt. sh<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 35


DIGITALISIERUNG<br />

DER ALGORITHMUS<br />

ALS VORGESETZTER<br />

Der Wirtschaftsinformatiker Ulrich Remus untersucht die neue Arbeits- und Wirtschaftsform<br />

der Gig Economy. Der Fokus seines aktuellen <strong>Forschung</strong>sprojekts liegt dabei auf der Beziehung<br />

zwischen den sogenannten Gig Workern und den Algorithmen, die dazu eingesetzt werden,<br />

sie zu steuern oder zu kontrollieren.<br />

Seit einiger Zeit, spätestens aber seit<br />

der Corona-Pandemie, prägen sie<br />

das Bild auch in österreichischen<br />

Städten: Lieferboten, die auf Fahrrädern,<br />

häufig den eigenen, für Plattformen wie<br />

Mjam oder Lieferando Essen von Restaurants<br />

zu privaten Haushalten bringen.<br />

Seit ca. eineinhalb Jahren ist, wenn auch<br />

mit Einschränkungen, der Beförderungsdienstleister<br />

Uber wieder in Österreich<br />

vertreten. Urlaubende und Vermieter*innen<br />

von Ferienwohnungen und Ferienhäusern<br />

finden über die Plattform Airbnb<br />

zueinander. Gemeinsam haben alle diese<br />

Anbieter, dass sie der sogenannten Gig<br />

Economy zugeordnet werden können,<br />

die sich durch kurze Anstellungen freier<br />

Dienstnehmer*innen auf Projektbasis<br />

charakterisiert. Auftraggeber und Arbeitnehmer*innen<br />

finden auf verschiedenen<br />

Internetplattformen zueinander.<br />

„Die Gig Economy ist in den vergangenen<br />

Jahren so stark gewachsen, weil<br />

viele, vor allem junge Menschen, die<br />

Flexibilität dieser Arbeitsform schätzen.<br />

Gleichzeitig ist das unternehmerische<br />

Risiko für die Plattformanbieter gering.<br />

Uber beispielsweise hat keine eigenen<br />

Fahrzeuge, Airbnb keine eigenen Immobilien“,<br />

beschreibt Ulrich Remus,<br />

Professor am Institut für Wirtschaftsinformatik,<br />

Produktionswirtschaft und<br />

Logistik, Gründe für den Erfolg der Gig<br />

Economy. Um die Anforderungen von<br />

Auftraggebern ideal mit dem Profil von<br />

Auftragnehmern zu decken, wird das<br />

„Matching“ durch Algorithmen unterstützt.<br />

Aber nicht nur zu diesem Zweck<br />

kommen Algorithmen in dieser Wirtschaftsform<br />

zum Einsatz, sondern auch,<br />

um die sogenannten Gig Worker zu steuern<br />

oder gar zu kontrollieren. Zweiteres,<br />

GIG ECONOMY: Auftraggeber und Arbeitnehmer*innen finden auf verschiedenen Internetplattformen<br />

zueinander.<br />

36 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Unsplash / Mika Baumeister, Andreas Friedle


DIGITALISIERUNG<br />

die sogenannte „Algorithmic Control“,<br />

ist <strong>Forschung</strong>sgenstand eines aktuellen<br />

FWF-Projekts, in dem Ulrich Remus und<br />

sein Team untersuchen, welche Widerstände<br />

die automatisierte Steuerung und<br />

Überwachung bei unabhängigen Arbeitnehmer*innen<br />

auslösen kann.<br />

„Viele Gig Worker sehen den<br />

algorithmischen Manager als<br />

unfehlbar und allwissend, der<br />

jede kleinste Entscheidung<br />

perfektioniert. “ <br />

Ulrich Remus<br />

Steuerung vs. Kontrolle<br />

Im Mittelpunkt des <strong>Forschung</strong>sprojekts<br />

steht dabei, wie Menschen mit diesen<br />

Technologien interagieren. Dazu nutzen<br />

die Wissenschaftler*innen eigene Foren,<br />

in denen Gig Worker sich zu ihren<br />

Arbeitsbedingungen austauschen. Mit<br />

Hilfe der Methode des Web Scrapings,<br />

also dem automatisierten Auslesen der<br />

Inhalte dieser Foren, identifizieren sie die<br />

dominanten Themen, die dort diskutiert<br />

werden. Dabei ist besonders eines für Remus<br />

interessant: „Viele Gig Worker sehen<br />

den algorithmischen Manager als unfehlbar<br />

und allwissend, der jede kleinste Entscheidung<br />

perfektioniert. Sie sind sich gar<br />

nicht bewusst, dass dessen Steuerungsvorgaben<br />

möglicherweise gar nicht auf<br />

einem festgelegten Plan beruhen, sondern<br />

nur auf Zufall. Trotzdem versuchen die<br />

Gig Worker aus den begrenzten Informationen,<br />

die ihnen zur Verfügung stehen,<br />

einen Sinn zu generieren. Dazu konstruieren<br />

sie Geschichten, die ihnen dabei<br />

helfen, ein Gefühl der Kontrolle und<br />

Handlungsfähigkeit wiederherzustellen.<br />

Ein Beispiel dafür ist etwa, dass sich in<br />

diesen Foren häufig darüber ausgetauscht<br />

wird, dass neue Fahrer*innen bei Liefer-<br />

oder Fahrdiensten mit profitableren<br />

Fahrten geködert werden und dadurch<br />

der Verdienst zu Beginn besonders hoch<br />

ist. Das soll, so die Vermutung, die Motivation<br />

erhöhen. Wenn aber die ‚Flitterwochen‘<br />

vorbei sind, nehmen Qualität und<br />

Häufigkeit solcher Fahrten ab. Ob diese<br />

Geschichte ‚wahr‘ ist oder nicht, wurde<br />

bisher nicht nachgewiesen“, so Remus.<br />

Zu dieser subjektiven Wahrnehmung<br />

und dem Versuch, einen Sinn daraus zu<br />

generieren, trägt wohl auch bei, dass Gig<br />

Worker ihre Arbeitsaufträge meist über<br />

eine App erhalten und nicht von einer<br />

Person. Nachfragen, warum etwas gemacht<br />

werden muss, können sie deshalb<br />

nicht. Gleichzeitig erhalten die App-Betreiber<br />

Daten in Echtzeit, wodurch die<br />

Apps umgehend auf das Verhalten der<br />

Nutzer*innen reagieren können. Um besser<br />

zu verstehen, wie Gig Worker mit dieser<br />

automatisierten Steuerung umgehen,<br />

nutzen Remus und sein Team zusätzlich<br />

die Methode des Experience Samplings:<br />

Dabei werden Personen regelmäßig und<br />

in kurzen Abständen befragt. Die Wissenschaftler*innen<br />

können bei diesem Verfahren<br />

in einem experimentellen Setting<br />

auch Trigger setzen, um die Reaktion auf<br />

bestimmte Szenarien abzufragen.<br />

Kontrolle in Echtzeit<br />

Ein besonders interessantes <strong>Forschung</strong>sgebiet<br />

ist die Gig Economy auch deshalb,<br />

weil dort bereits Technologien und Praktiken<br />

zum Einsatz kommen, die früher oder<br />

später auch in der traditionellen Arbeitswelt<br />

zum Einsatz kommen könnten. Das<br />

<strong>Forschung</strong>sprojekt dient deshalb auch dazu,<br />

mögliche gesellschaftliche Auswirkungen<br />

frühzeitig zu erkennen. „Durch die<br />

eingesetzten Technologien ist die kontinuierliche<br />

Kontrolle einer Person in Echtzeit<br />

mithilfe einer Vielzahl an Daten möglich.<br />

Dadurch ist für die Person selbst auch<br />

nicht mehr exakt nachvollziehbar, was,<br />

warum und wann kontrolliert wird. Außerdem<br />

können die Kontrollmechanismen<br />

personalisiert zum Einsatz kommen, wodurch<br />

eine zusätzliche Intransparenz entsteht“,<br />

erklärt der Wirtschaftsinformatiker.<br />

Und auch ethische Aspekte müssen verstärkt<br />

in den Fokus kommen, denn ein<br />

ULRICH REMUS studierte Wirtschaftsinformatik<br />

an der Universität Bamberg<br />

und arbeitete danach als Unternehmensberater<br />

bei Mummert & Partner, vor allem<br />

in Prozessmanagement- und Datawarehousing-Projekten.<br />

Weitere Stationen<br />

führten ihn an die Universität Regensburg<br />

(Promotion), die Universität Erlangen-<br />

Nürnberg (Habilitation) und nach Neuseeland<br />

(Gastwissenschaftler an der School<br />

of Information Management der Victoria<br />

University of Wellington, Senior Lecturer<br />

an der University of Canterbury). 2<strong>01</strong>2<br />

wurde Remus an die Universität Innsbruck<br />

berufen, wo er als Professur für Wirtschaftsinformatik<br />

– Digitale Gesellschaft<br />

am Institut für Wirtschaftsinformatik, Produktionswirtschaft<br />

und Logistik tätig ist.<br />

Algorithmus ist immer auch abhängig<br />

von den Daten, die ihm zugeführt werden.<br />

Das kann auch ungewünschte Folgen<br />

haben, die das verantwortliche Management<br />

oder die Programmierer*innen nicht<br />

beabsichtigt haben. „Bereits vor einigen<br />

Jahren hat ein großer Online-Händler für<br />

seine Recruiting-Software Daten aus der<br />

Vergangenheit übernommen, mit denen<br />

der Algorithmus für die Personalauswahl<br />

trainiert wurde. Dabei hat er auch übernommen,<br />

dass in der Vergangenheit häufiger<br />

Männer als Frauen eingestellt wurden,<br />

was schließlich zu einer geschlechterdiskriminierenden<br />

Personalauswahl geführt<br />

hat“, veranschaulicht Remus die<br />

Problematik. Noch bis 2024 werden Ulrich<br />

Remus und sein Team an diesem <strong>Forschung</strong>sprojekt<br />

arbeiten, um diese sehr<br />

rasant wachsende neue Arbeitsform besser<br />

zu verstehen. lm<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 37


PHYSIK<br />

AMMONIAK TREIBT<br />

WOLKENBILDUNG AN<br />

Der vermehrte Einsatz von Kunstdünger und Mist aus der Tierhaltung bringen mehr Ammoniak in die<br />

Atmosphäre. Dadurch entstehen mehr Wolken am Himmel.<br />

EXPERIMENTE wurden in der CLOUD-Kammer<br />

am CERN durchgeführt<br />

Ob und wie viele Wolken am Himmel<br />

sind, hat großen Einfluss<br />

darauf, wie sich die Erde weiter<br />

erwärmt. Diesen Effekt in Klimamodellen<br />

zu quantifizieren, ist bis heute mit<br />

großen Unsicherheiten verbunden. Das<br />

liegt vor allem daran, dass die Entstehung<br />

von Kondensationskeimen in der<br />

Atmosphäre nur ungenügend verstanden<br />

wird. Seit 2009 erforscht ein internationales<br />

Team beim Großexperiment CLOUD<br />

am europäischen Kernforschungszentrum<br />

CERN bei Genf die molekularen<br />

Mechanismen der Neubildung von Partikeln<br />

aus atmosphärischen Gasen, aus<br />

denen sich Kondensationskeime für<br />

Wolken bilden. In einer aktuellen Studie<br />

in der Fachzeitschrift Nature zeigen die<br />

Wissenschaftler*innen, dass die Anwesenheit<br />

von Ammoniak in der oberen<br />

Troposphäre zur verstärkten Bildung von<br />

Partikeln führen kann.<br />

Mehr Wolkenbildung<br />

Die obere Troposphäre spielt eine wichtige<br />

Rolle im Klimasystem. Gerade hier<br />

haben bereits geringe Veränderungen<br />

der Zusammensetzung erheblichen Einfluss<br />

auf den Strahlungshaushalt der<br />

Erde. Bilden sich hier neue Partikel, entstehen<br />

daraus auch mehr Wolken. „Die<br />

Vorläufergase, die diesen Prozess der<br />

Partikelbildung antreiben, sind jedoch<br />

nicht gut verstanden“, betont Armin<br />

Hansel vom Institut für Ionenphysik<br />

und Angewandte Physik der Universität<br />

Innsbruck, einer der Mitautor*innen<br />

der aktuellen Studie. „Mit Experimenten,<br />

die unter den Bedingungen der oberen<br />

Troposphäre in der CLOUD-Kammer<br />

am CERN durchgeführt wurden, konnten<br />

wir nun zeigen, dass Salpetersäure,<br />

Schwefelsäure und Ammoniak gemeinsam<br />

Partikel bilden, und zwar mit einer<br />

Geschwindigkeit, die um Größenordnungen<br />

schneller ist, als wenn nur zwei<br />

der drei Komponenten miteinander reagieren“,<br />

schildert Hansel.<br />

Modellrechnungen bestätigen, dass<br />

Ammoniak während des asiatischen<br />

Monsuns in großen Mengen in die obere<br />

Atmosphäre gelangt, dort mit Salpetersäure,<br />

die lokal durch Blitze entsteht, zusammen<br />

mit nur Spuren von Schwefelsäure<br />

rasch zur Bildung von Partikeln<br />

führt. Dadurch entstehen bei den kühlen<br />

Temperaturen der oberen Troposphäre<br />

Eispartikel, die sich über die nördliche<br />

Hemisphäre ausbreiten können. Die<br />

meis ten Ammoniakemissionen in Südasien<br />

stammen aus der Landwirtschaft<br />

und hier vor allem aus der vermehrten<br />

Verwendung von Kunstdünger neben<br />

der natürlichen Düngung mit Mist. <br />

38<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Unsplash / Pero Kalimero, CERN


FÖRDERKREIS 1669<br />

UNTERSTÜTZUNG<br />

FÜR SMARTE IDEEN<br />

Durch unbürokratische und motivierende Anschubfinanzierung unterstützt der<br />

Förderkreis 1669 wissenschaftliche Projekte an der Universität Innsbruck.<br />

Der Förderkreis 1669 versteht sich<br />

als Schnittstelle zwischen der<br />

Universität Innsbruck und der<br />

Gesellschaft. Seit der Gründung im Jahr<br />

2<strong>01</strong>5 konnten dank der großzügigen Unterstützung<br />

von Förderinnen und Förderern<br />

eine Vielzahl an Projekten umgesetzt<br />

werden. Hier einige Beispiele mit Videos<br />

(QR-Code):<br />

SMARTE ANTENNEN<br />

Handy, Autoschlüssel und Smartwatch<br />

kommunizieren heute auch über Antennen.<br />

Viele Produkte sind ohne speziell<br />

konstruierte Antennen nicht denkbar. Ihre<br />

Entwicklung ist aber zeitaufwendig und<br />

komplex. An der Uni Innsbruck hat ein<br />

<strong>Forschung</strong>steam nun eine Methode entwickelt,<br />

mit der zweidimensionale Antennen<br />

vollautomatisch konstruiert und optimiert<br />

werden können. Damit lassen sich völlig<br />

neuartige Formen entwerfen, die für spezielle<br />

Anwendungen optimiert sind. Es<br />

muss dafür nur angegeben werden, welche<br />

Umgebungsmaterialen verbaut und<br />

welche Frequenz und Richtwirkung die<br />

Antenne haben soll. Das ermöglicht<br />

es auch kleinen Firmen,<br />

innovatives Know-how<br />

in ihre Produkte einzubauen.<br />

INNOVATIVE PULSMESSUNG<br />

Ein T-Shirt, das die Herzfrequenz misst?<br />

An einem solchen Sensor arbeiten das Institut<br />

für Textilchemie und Textilphysik<br />

und das Institut für Mikroelektronik und<br />

Implantierbare Systeme der Universität<br />

Innsbruck derzeit gemeinsam. Der textilbasierte<br />

Sensor, der als Messelektrode für<br />

ein Elektrokardiogramm dient, wurde am<br />

Textilinstitut in Dornbirn entwickelt. Darauf<br />

aufbauend hat das Innsbrucker Team<br />

um Elektroniker Thomas Ußmüller einen<br />

batterielosen Sensor zur Herzfrequenzmessung<br />

gebaut. Als Grundlage dafür<br />

dient ein in Innsbruck entwickelter passiver<br />

RFID-Transponder, der die<br />

Energie des RFID-Lesegeräte<br />

nutzt, um die Herzdaten an<br />

den Empfänger weiterzuleiten.<br />

FISCHE SCHÜTZEN<br />

Ein am Institut für Wasserbau entwickeltes<br />

System bietet für den Fischschutz an<br />

Wasserkraftanlagen eine einfache, aber<br />

revolutionäre Idee: Ein Elektro-Seilrechen<br />

funktioniert dabei ähnlich wie ein elektrischer<br />

Weidezaun. Die Fische erhalten<br />

ungefährliche Stromschläge im Niedrigvoltbereich.<br />

So schwimmen sie nicht<br />

in die gefährlichen Turbinen, sondern<br />

werden in Ausweichrinnen gelenkt. Der<br />

„Fishprotector“ getaufte Schutzzaun ist<br />

durch ein Patent geschützt und wird nun<br />

über das Spin-off-Unternehmen HyFish<br />

weltweit vermarktet. Die erste Pilotanlage<br />

eines flexiblen FishProtectors konnte<br />

unlängst an der Wasserkraftanlage<br />

Leinau an der Wertach<br />

in Kaufbeuren, Bayern, realisiert<br />

werden.<br />

Fotos: Uni Innsbruck<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 39


WISSENSTRANSFER<br />

KLÄRANLAGE ALS<br />

FRÜHWARNSYSTEM<br />

Das Anwachsen und Abflauen der Corona-Infektionszahlen wurde schon früh auch über Messungen<br />

im Abwasser mitverfolgt. Federführend beim Aufbau des österreichischen Abwassermonitorings waren<br />

Innsbrucker Forscherinnen und Forscher.<br />

Jeder Mensch scheidet täglich Viren<br />

und Bakterien aus. Auch Fragmente<br />

des Coronavirus SARS-CoV-2 bahnen<br />

sich ihren Weg durch den Darm und landen<br />

in der Kanalisation. In den Kläranlagen<br />

werden regelmäßig Abwassserproben<br />

entnommen, die man auf RNA-Fragmente<br />

des Virus untersuchen kann. Im Auftrag<br />

des Bildungsministeriums und des Gesundheitsministeriums<br />

wird dies inzwischen<br />

routinemäßig gemacht. Die Daten<br />

werden den zuständigen Gremien für die<br />

Risikobewertung zur Verfügung gestellt<br />

und teilweise auch auf einem öffentlichen<br />

Dashboard zugänglich gemacht.<br />

An der Universität Innsbruck hat der<br />

Mikrobiologe Heribert Insam schon sehr<br />

früh die Chancen des Abwassermonitorings<br />

erkannt und mit Wolfgang Rauch<br />

vom Arbeitsbereich Umwelttechnik sowie<br />

Heiko Kinzel vom Spin-off-Unternehmen<br />

hydro-IT engagierte Mitstreiter gefunden.<br />

Gemeinsam mit der AGES und Partnern<br />

an anderen <strong>Forschung</strong>seinrichtungen haben<br />

sie das österreichweite Monitoring<br />

aufgebaut und damit einen Beitrag zu einer<br />

evidenzbasierten Maßnahmenplanung<br />

geleistet. Denn in den Abwasserdaten sind<br />

Infektionsentwicklungen früher erkennbar<br />

als in den Zahlen aus den Testzentren.<br />

Viele offene Fragen<br />

Auch wissenschaftlich sind mit dem Thema<br />

viele Fragen verbunden, denn bis zur<br />

aktuellen Pandemie hatten sich nur wenige<br />

Forscherinnen und Forscher mit Abwassermonitoring<br />

beschäftigt. „Wir mussten<br />

uns zunächst einmal in die Thematik<br />

einarbeiten“, erzählt Wolfgang Rauch,<br />

„aber die Lernkurve war sehr steil.“ Seine<br />

Arbeitsgruppe verfügt über hervorragende<br />

Modelle für Kanalsysteme. Diese<br />

bilden nun die Basis für Untersuchungen<br />

darüber, wie das Virus in die Kläranlagen<br />

transportiert wird und welche Prozesse<br />

zu einem Abbau des Virus führen können.<br />

Die daraus entwickelten Modelle geben<br />

wichtige Hinweise auf den Verlauf von<br />

Inzidenzen und zukünftige Hospitalisierung.<br />

Allerdings gibt die Omikron-Variante<br />

den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />

Rätsel auf, denn seit einiger<br />

Zeit finden sie weniger Virus im Abwasser<br />

als aufgrund der Inzidenzen eigentlich zu<br />

erwarten wäre. „Unsere Modelle passen<br />

nicht mehr“, sagt Rauch. Über die Ursache<br />

wird derzeit noch spekuliert.<br />

Know-how-Transfer<br />

Das Team um Rauch kümmert sich auch<br />

um die Datenaufbereitung und Datenanalyse.<br />

Unterstützt werden sie dabei vom<br />

Innsbrucker Spin-off-Unternehmen hydro-<br />

IT, das für das gesamte Datenmanagement<br />

zuständig ist und die IT-Infrastruktur dafür<br />

entwickelt hat. <br />

AUCH IN DER Kläranlage Strass/Zillertal wird das Abwasser auf Virus-Rückstände untersucht.<br />

40 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Foto: AWV Achental-Inntal-Zillertal


WISSENSTRANSFER<br />

SURFWELLE MIT<br />

INNSBRUCKER KNOW-HOW<br />

FÜR EINSTEIGER<br />

UND PROFIS<br />

Innsbrucker Mikrobiologen haben ein Softwarepaket für die<br />

einfache Analyse von DNA-Sequenzierungsdaten entwickelt.<br />

Die moderne biologische und medizinische<br />

<strong>Forschung</strong> ist heute ohne<br />

die tiefen Einblicke, die durch<br />

neue DNA-Sequenzierungstechnologien<br />

gewonnen werden, kaum noch denkbar.<br />

Heute gibt es eine Vielzahl von Softwarepaketen<br />

für die Analyse von Sequenzierungsdaten.<br />

Die meisten von ihnen<br />

setzen jedoch umfangreiche Computerkenntnisse<br />

voraus oder erfordern sogar<br />

eine Bioinformatik-Ausbildung. „Aus<br />

diesem Grund haben wir CoMA entwickelt,<br />

eine besonders intuitive und benutzerfreundliche<br />

Software, die auf allen<br />

gängigen Computer-Betriebssystemen<br />

läuft und auch für Einsteiger zugänglich<br />

ist“, erzählt Sebastian Hupfauf vom<br />

Institut für Mikrobiologie. „Gleichzeitig<br />

machen zahlreiche Einstellungsmöglichkeiten<br />

und ein hoher Automatisierungsgrad<br />

CoMA auch für fortgeschrittene<br />

Anwender interessant, die eine effiziente<br />

und schlanke Datenanalyse suchen.“<br />

Das Softwarepaket nutzt verschiedene<br />

Open-Source-Programme von Drittanbietern<br />

und kombiniert diese mit eigenen<br />

Skripten. Das Ergebnis der Auswertungen<br />

sind ansprechende und publikationsreife<br />

Grafiken, statistische Analysen<br />

sowie Ausgabedateien in standardisierten<br />

Formaten. Die frei verfügbare Software<br />

soll es auch Einsteigern ermöglichen,<br />

solche komplexen Analysen durchzuführen.<br />

Im Frühjahr hat das Entwicklerteam<br />

die dritte Version des Softwarepakets<br />

veröffentlicht. <br />

Der bayrische Ministerpräsident Markus<br />

Söder kam Ende März nach Nürnberg,<br />

um die sogenannte Fuchslochwelle zu<br />

eröffnen. Die natürlich gespeiste und rund<br />

achte Meter breite Flusswelle ist die erste<br />

ihrer Art in Deutschland. Das Konzept für<br />

das Bauwerk stammt vom Arbeitsbereich<br />

Wasserbau der Universität Innsbruck unter<br />

Leitung von Markus Aufleger und der Firma<br />

Dreamwave. Im Betrieb wird das Wasser der<br />

Pegnitz durch ein Wehr im ursprünglichen<br />

Verlauf aufgestaut und in den Kanal gelenkt.<br />

Hier fließt es über eine einstellbare Rampe<br />

hinunter und trifft unten auf langsameres<br />

Wasser, wodurch eine Welle entsteht. Wellenreiter<br />

können mit einem gewöhnlichen<br />

Surfbrett, wie es auch im Meer zum Einsatz<br />

kommt, auf der Welle gegen die Fließrichtung<br />

des Flusses surfen. Die Qualität und<br />

Eigenschaften der Welle sind unter anderem<br />

abhängig von der Menge des Wassers, dem<br />

Winkel der Rampe und der Stellung des<br />

Kickers am Ende der Wellenrampe. Da die<br />

Rampe aus drei unabhängigen Modulen<br />

besteht, ist auch die Breite der Welle einstellbar.<br />

So ist gewährleistet, dass auf der<br />

Welle, unabhängig von der Wassermenge in<br />

der Pegnitz, ganzjährig und bei unterschiedlichen<br />

Bedingungen gesurft werden kann.<br />

ANALYSE VON CYBERATTACKEN<br />

Ob Cyberattacken gegen die Ukraine, Online-Erpressungen von Krankenhäusern oder<br />

Spähkampagnen gegen zivilgesellschaftliche Gruppen: Moderne Netzwerke bergen<br />

nicht nur viele Potenziale, sondern auch einige Gefahren, die von Staaten wie nichtstaatlichen<br />

Akteuren ausgehen können. Aber wer sind die gefährlichsten Player online? Welchen Staaten<br />

sind sie zuzuschreiben? Wie sind ihre Cyberangriffe politisch zu bewerten und welche technischen<br />

Tools werden in welchen Angriffen verwendet?<br />

Die Universitäten Innsbruck und Heidelberg und die Stiftung Wissenschaft und Politik erhielten<br />

im Frühjahr den Zuschlag für den Aufbau einer Open-Source-Datenbank über globale Cybersicherheitsvorfälle:<br />

das European Repository on Cyber-Incidents (EuRepoC). Das deutsche<br />

Außenministerium fördert den Aufbau dieser Datenbank mit 1,2 Millionen Euro. Auch das dänische Außenministerium unterstützt das Projekt<br />

finanziell; weitere Förderungen aus anderen EU-Staaten sollen folgen. An der Universität Innsbruck wird ein Team um Matthias Kettemann vom<br />

Institut für Theorie und <strong>Zukunft</strong> des Rechts die internetvölkerrechtlichen Analysen von Cyberattacken beisteuern.<br />

Fotos: www.colourbox.de, Nürnberger Dauerwelle e.V. – Andreas Schiefer, Unsplash / Philipp Katzenberger<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 41


KURZMELDUNGEN<br />

UNI INNSBRUCK STÄRKT<br />

DEN HOLZBAU<br />

PHYSIKER BRINGEN<br />

LICHT INS DUNKEL<br />

Innsbrucker Experimentalphysikern ist es mit Kollegen aus Finnland<br />

erstmals gelungen, in supraleitenden Quantenbits geschützte<br />

Quantenzustände – sogenannte Dunkelzustände – zu kontrollieren.<br />

GEMEINSAM FÜR DEN HOLZBAU:<br />

proHolz-Geschäftsführer Rüdiger Lex, Dekan<br />

Günter Hofstetter und Anton Kraler,<br />

Leiter des Arbeitsbereichs Holzbau (v.li.)<br />

Das Bauen mit Holz konnte sich in<br />

den letzten Jahrzehnten durch<br />

viele Innovationen und Entwicklungen<br />

weltweit, aber vor allem in Europa,<br />

wieder etablieren. In den vergangenen<br />

25 Jahren hat sich das mit Holz umbaute<br />

Hochbauvolumen in Österreich mehr als<br />

verdoppelt, beträgt nun rund 30 Prozent<br />

und weist weiterhin eine steigende<br />

Tendenz auf. An der Universität Innsbruck<br />

wird daher eine Stiftungsprofessur<br />

für Holzbau – Architektur, Ressourceneffizienz<br />

und Fabrikation eingerichtet.<br />

Die neue Professur soll den Holzbau in<br />

Westösterreich weiterentwickeln und<br />

eine Verbindung zwischen Architektur<br />

und Ingenieurholzbau etablieren. „Die<br />

Entscheidungen für die Umsetzung und<br />

Materialwahl eines Gebäudes werden in<br />

der Regel von Architektinnen und Architekten<br />

getroffen“, sagt Rektor Tilmann<br />

Märk. „Deshalb kommt der Erweiterung<br />

des Ausbildungsangebots im Holzbau<br />

in der Architektur, aber auch in den<br />

Bauingenieurwissenschaften besondere<br />

Bedeutung zu. Es freut mich deshalb sehr,<br />

dass das Landwirtschaftsministerium gemeinsam<br />

mit der <strong>Forschung</strong>sförderungsgesellschaft<br />

und vielen Partnern auch aus<br />

der Region unsere Initiative in diesem<br />

Bereich nun fördert.“ Finanziert wird die<br />

Stiftungsprofessur durch das Landwirtschaftsministerium,<br />

den Fachverband der<br />

Holzindustrie Österreichs/FHP – Forst Holz<br />

Papier, proHolz Tirol mit Partnern und der<br />

Innsbrucker Immobilien IIG sowie fachlich<br />

unterstützt durch weitere Kooperationspartner.<br />

ZWEI HOUSKAPREIS ALL STARS<br />

Im Labor von Gerhard Kirchmair am<br />

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation<br />

(IQOQI) der Österreichischen<br />

Akademie der Wissenschaften<br />

werden supraleitende Quantenbits an<br />

Wellenleiter gekoppelt. Werden mehrere<br />

dieser Quantenbits in den Wellenleiter<br />

eingebaut, wechselwirken diese miteinander<br />

und es entstehen sogenannte<br />

Dunkelzustände. „Das sind verschränkte<br />

Quantenzustände, die von der Außenwelt<br />

völlig entkoppelt sind“, erläutert<br />

Max Zanner vom Institut für Experimentalphysik:<br />

„Sie sind sozusagen unsichtbar,<br />

deshalb sprechen wir von Dunkelzuständen.“<br />

Diese Zustände sind für Quantensimulationen<br />

oder die Verarbeitung von Quanteninformation<br />

von Interesse. Bis heute ist<br />

es aber nicht gelungen, diese Dunkelzustände<br />

auch entsprechend zu kontrollieren<br />

und zu manipulieren. „Mit einem<br />

Trick ist es uns nun gelungen, Zugriff auf<br />

diese Dunkelzustände zu finden“, erzählt<br />

der Leiter der <strong>Forschung</strong>sgruppe, Gerhard<br />

Kirchmair. Sein Team hat vier supraleitende<br />

Quantenbits in einen Mikrowellenleiter<br />

eingebaut und seitlich zwei Kontrollleitungen<br />

angebracht. Mittels Mikrowellenstrahlung<br />

über diese Zuleitungen<br />

lassen sich die Dunkelzustände manipulieren.<br />

Gemeinsam bilden die vier supraleitenden<br />

Schaltkreise ein robustes Quantenbit<br />

mit einer Speicherzeit, die rund<br />

500-mal länger ist als jene der einzelnen<br />

Schaltkreise. <br />

Clemens Zierhofer, Professor am Institut<br />

für Mechatronik, erhielt Ende April<br />

für die Entwicklung und Verbesserung von<br />

Innenohr-Implantaten den ersten Preis beim<br />

Houskapreis <strong>2022</strong> All Stars. Auch der dritte<br />

Platz ging an einen Wissenschaftler der<br />

Universität Innsbruck: Armin Hansel vom<br />

Institut für Ionenphysik und Angewandte<br />

Physik erhielt den Preis für seine <strong>Forschung</strong>en in der Spurengasanalytik. Die Preisträger<br />

erhielten Gutscheine für <strong>Forschung</strong>s-, Ausbildungs- oder Infrastrukturinvestition. Insgesamt<br />

wurden von der B&C Privatstiftung 340.000 Euro ausgeschüttet.<br />

42 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: Mathieu Juan / University of Sherbrooke, Uni Innsbruck, Gregor Hofbauer


MOBILITÄT<br />

AKTIVE MOBITITÄT<br />

Eine Stiftungsprofessur an der Universität Innsbruck wird neue Lösungen<br />

an der Schnittstelle von Gesundheit, Klima und Wirtschaft entwickeln.<br />

Klimawandel und Bewegungsmangel sind<br />

Entwicklungen, die Verhaltensänderungen<br />

des Menschen notwendig machen.<br />

An dieser Schnittstelle setzt eine neue Stiftungsprofessur<br />

der Universität Innsbruck an: Ausgehend<br />

von einem sportwissenschaftlich-gesundheitsorientierten<br />

Schwerpunkt und in enger<br />

Kooperation mit Fachleuten aus Verkehrsplanung,<br />

Ökonomie, Management und Psychologie<br />

wird eine neue <strong>Forschung</strong>sgruppe Konzepte<br />

erarbeiten, die eine nachhaltige Veränderung<br />

des Mobilitätsverhaltens bewirken können.<br />

„Aktive Mobilität genießt in Tirol einen hohen<br />

Stellenwert“, sagt Markus Mailer, Professor für<br />

Verkehrsplanung. „Das zeigt sich etwa daran,<br />

dass wir beim Anteil der zu Fuß oder mit dem<br />

Fahrrad zurückgelegten Wege österreichweit<br />

im Spitzenfeld liegen.“ „Auch der Tourismus<br />

in Tirol ist auf Aktivität und Gesundheit ausgerichtet,“<br />

ergänzt Martin Schnitzer, Professor<br />

für Sportökonomie: „Daher erscheint uns die<br />

Förderung von aktiver Mobilität speziell in der<br />

Verbindung von Bewegung in Alltag und Freizeit<br />

besonders vielversprechend.“ So wird die<br />

neue Stiftungsprofessur am Institut für Sportwissenschaft<br />

eingerichtet, wobei der Arbeitsbereich<br />

für Intelligente Verkehrssysteme und das<br />

<strong>Forschung</strong>szentrum Tourismus und Freizeit<br />

enge Kooperationspartner sind. „Durch die<br />

Einbindung mehrerer Fakultäten und Kompetenzbereiche<br />

der Universität Innsbruck können<br />

zusätzlich zur Aktiven Mobilität im Alltag die<br />

Besonderheiten des Tourismus und des Alpinen<br />

Raumes berücksichtigt werden“, betont<br />

Rektor Tilmann Märk diese innerhalb der österreichischen<br />

Universitätslandschaft einzigartige<br />

Möglichkeit. Mittelfristig soll an der Universität<br />

ein eigenes Masterprogramm zu Aktiver Mobilität<br />

entstehen.<br />

Lösungen<br />

Nachhaltige Ideen für die Anreise der Gäste in<br />

den alpinen Raum werden in den Tourismuskonzepten<br />

der <strong>Zukunft</strong> ein wesentlicher Aspekt<br />

sein. Aktive Mobilität im Urlaub kann darüber<br />

hinaus als Impuls zu Verhaltensänderungen im<br />

Alltag dienen. Als starkes Tourismusland mit<br />

rund 50 Millionen Übernachtungen pro Jahr<br />

kann sich für Tirol hier eine weit über das eigene<br />

Land hinausreichende Wirkung ergeben.<br />

Dieses Potenzial zu heben, ist auch eine wesentliche<br />

Motivation der zahlreichen Partner, die<br />

das Projekt unterstützen. „Mobilität ist ein wesentlicher<br />

Teil der Nachhaltigkeits- und Klimastrategie<br />

des Landes Tirol und unseres Leitantrags<br />

‚Land und Klima schützen‘. Tirol ist der<br />

ideale Ort, um Gesundheit, Sport, Mobilität<br />

und Tourismus miteinander zu verbinden. Wir<br />

können vorangehen und nachhaltige Lösungen<br />

nicht nur für unser Land, sondern auch für andere<br />

Regionen entwickeln“, betont Tirols Landeshauptmann<br />

Günther Platter. cf<br />

KOOPERATIONEN<br />

Für die neue Stiftungsprofessur<br />

stellt das Klimaschutzministerium<br />

1,5 Millionen Euro<br />

zur Verfügung. Je eine halbe<br />

Million Euro kommen vom<br />

Land Tirol sowie zahlreichen<br />

Partnern aus der Region.<br />

Foto: Unsplash / Tomi Vadász<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

43


GEMEINSAM bauen wir Brücken in die <strong>Zukunft</strong><br />

sind wir einen Schritt voraus<br />

Silbernes Doktorjubiläum –<br />

zwischen Tradition und Moderne<br />

Zum zweiten Mal in der Geschichte der Universität wird das<br />

Silberne Doktorjubiläum gefeiert.<br />

Ein Vierteljahrhundert ist seit der Promotion vergangen und so<br />

laden wir Absolvent:innen des Jahrgangs 1997 ein, gemeinsam<br />

in festlichem Rahmen ihren Doktortitel zu erneuern. Sie haben<br />

die Möglichkeiten, die Vergangenheit Revue passieren zu lassen,<br />

sich mit ehemaligen Studienkolleg:innen über die Gegenwart zu<br />

unterhalten und auf Zukünftiges zu blicken.<br />

Sie hatten Ihre Promotion im Jahr 1997? Dann melden Sie sich und<br />

feiern Sie am 14. Oktober <strong>2022</strong> gemeinsam mit uns Ihr Silbernes<br />

Doktorjubiläum!<br />

www.uibk.ac.at/alumni<br />

Praktikums- und Stellenportal<br />

der Universität Innsbruck<br />

Sie suchen Verstärkung für Ihr Team?<br />

Der direkte Weg zu hochqualifizierten AbsolventInnen und<br />

Studierenden<br />

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■<br />

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der drittgrößten Volluniversität Österreichs<br />

mit 28.000 Studierenden und 4.000 Absolvent*innen<br />

und einem attraktiven Talente-Pool aus insgesamt<br />

130 verschiedenen Fachrichtungen<br />

startet für Unternehmen und Organisationen mit einem Inserat im<br />

Praktikums- und Stellenportal der Universität Innsbruck.<br />

www.careerservice.at<br />

Kontakt<br />

Universität Innsbruck | Transferstelle Wissenschaft – Wirtschaft – Gesellschaft | Technikerstraße 21a (ICT), 6020 Innsbruck<br />

Alumni-Netzwerk | Johanna Lamboy, +43 (0) 512 507 32208, alumni@uibk.ac.at<br />

Career-Service | Mag. Annemarie Larl-Wolf, +43 (0) 512 507 32207, career-service@uibk.ac.at<br />

© BfÖ 2021


PREISE & AUSZEICHNUNGEN<br />

SPITZENFORSCHUNG<br />

Im April wurden gleich drei Wissenschaftler*innen der Universität Innsbruck<br />

mit einem ERC Advanced Grant ausgezeichnet. Insgesamt fließen damit über<br />

sieben Millionen Euro an <strong>Forschung</strong>sförderung.<br />

PRÄMIERT: Der Theoretische Physiker Hans Briegel, die Biochemikerin Kathrin Thedieck und die Experimentalphysikerin Francesca Ferlaino (v.li.)<br />

Mit ERC-Advanced-Grants zeichnet<br />

der Europäische <strong>Forschung</strong>srat<br />

(ERC) etablierte Spitzenwissenschaftlerinnen<br />

und Spitzenwissenschaftler<br />

für ihre herausragende wissenschaftliche<br />

<strong>Forschung</strong> aus. Sie erhalten dafür bis zu 2,5<br />

Millionen Euro über einen Zeitraum von<br />

fünf Jahren als Förderung für ihre Grundlagenforschung.<br />

Im April erhielten Francesca<br />

Ferlaino, Kathrin Thedieck und Hans Briegel<br />

diese hochkarätige Auszeichnung. Sie werden<br />

an neuen Systemen für die Simulation von<br />

Quantenmaterie, der Kontrolle von mTORabhängigen<br />

Stoffwechselprozessen und Modellen<br />

für KI-gesteuerte Quantenexperimente<br />

forschen. „Der ERC Advanced Grant ist die<br />

höchste Auszeichnung für erfolgreiche Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler in der<br />

EU,” freut sich Rektor Tilmann Märk. „Insgesamt<br />

acht solcher Advanced-Grant-Auszeichnungen<br />

in den vergangenen fünf Jahren<br />

unterstreichen eindrücklich die sehr erfolgreiche<br />

Entwicklung in der Spitzenforschung<br />

der Universität Innsbruck.“<br />

Francesca Ferlaino ist Professorin am Institut<br />

für Experimentalphysik und wissenschaftliche<br />

Direktorin am Institut für Quantenoptik<br />

und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen<br />

Akademie der Wissenschaften.<br />

Sie wurde bereits vielfach ausgezeichnet und<br />

erhielt bereits den dritten ERC-Grant, nach<br />

einem Starting Grant (2<strong>01</strong>0) und einem Consolidator<br />

Grant (2<strong>01</strong>6).<br />

Kathrin Thedieck ist Professorin und Leiterin<br />

des Instituts für Biochemie. Ihre Arbeitsgruppe<br />

erforscht die Regulation des Stoffwechsels<br />

durch komplexe Signalnetzwerke,<br />

um grundlegende zelluläre Mechanismen<br />

der metabolischen Signaltransduktion experimentell<br />

und theoretisch zu untersuchen.<br />

Kathrin Thedieck ist vielfach ausgezeichnet<br />

und koordiniert ein europäisches Brustkrebskonsortium.<br />

Hans Briegel ist Professor am Institut für<br />

Theoretische Physik. Seine Arbeitsgruppe erforscht<br />

grundlegende Konzepte der Quantenmechanik<br />

und der statistischen Physik sowie<br />

deren Anwendungen für die Informationsverarbeitung.<br />

Aktuelle <strong>Forschung</strong>sinteressen<br />

konzentrieren sich auf das Problem des Lernens<br />

und der künstlichen Intelligenz in der<br />

Quantenphysik.<br />

Foto: Uni Innsbruck<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 45


PREISE & AUSZEICHNUNGEN<br />

MANNAGETTA-PREIS<br />

Die Historikerin Elena<br />

Taddei erhielt in Anerkennung<br />

ihrer Monografie<br />

„Franz von<br />

Ottenthal“ Ende April<br />

von der Österreichischen<br />

Akademie der<br />

Wissenschaften den<br />

diesjährigen Johann-Wilhelm-Ritter-von-<br />

Mannagetta-Preis für die Geschichte der<br />

Medizin. Die Auszeichnung ist mit 7. 000<br />

Euro dotiert und wird an Wissenschaftler*innen<br />

bis 45 Jahre für herausragende Publikationen<br />

vergeben. Franz von Ottenthal war<br />

über 50 Jahre lang in Sand, im heutigen<br />

Südtiroler Tauferertal/Ahrntal, als Privatarzt<br />

und von 1861 bis 1883 als Abgeordneter im<br />

Tiroler Landtag tätig.<br />

RECHTSSCHUTZBEAUFTRAGTE<br />

Mit Wirkung vom<br />

1. 2. <strong>2022</strong> wurde<br />

Lamiss Khakzadeh,<br />

Professorin am Institut<br />

für Öffentliches<br />

Recht, Staats- und<br />

Verwaltungslehre,<br />

zur stellvertretenden<br />

Rechtsschutzbeauftragten beim Bundesminister<br />

für Inneres bestellt. Die Ernennung<br />

durch den Bundespräsidenten erfolgte auf<br />

Vorschlag der Bundesregierung und nach<br />

Anhörung der Präsidenten des Nationalrats<br />

sowie der Präsidenten des Verfassungs- und<br />

Verwaltungsgerichtshofs.<br />

GABRIELE-POSSANNER-PREIS<br />

Für ihre Dissertation<br />

„Das politische Subjekt<br />

des queeren Aktivismus<br />

– Diskurs- und<br />

Akteurskonstellationen<br />

queerer Politiken<br />

im deutschsprachigen<br />

Raum: Eine empirische<br />

Untersuchung“ wurde Tanja Vogler in<br />

März in Wien mit dem Gabriele-Possanner-<br />

Preis für herausragende wissenschaftliche<br />

Leistungen im Bereich der Geschlechterforschung<br />

ausgezeichnet. Vogler beleuchtet in<br />

der preisgekrönten Arbeit, was Identitätspolitiken<br />

kennzeichnet – historisch, gegenwärtig,<br />

auf spezifische Kontexte und Konstellationen<br />

bezogen. Sie zeigt am Beispiel des<br />

politischen Subjekts des queeren Aktivismus<br />

auf, was an Identitätspolitiken problematisch<br />

aber ebenso ohne Alternative ist.<br />

STARTING GRANTS<br />

Zwei Physiker sicherten sich zu Beginn des Jahres einen<br />

ERC Starting Grant: Hannes Pichler und Mathias Scheurer.<br />

Der Europäische <strong>Forschung</strong>srat<br />

(ERC) unterstützt Pionierforschung<br />

von herausragenden<br />

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />

in Europa. Mit den ERC Starting<br />

Grants werden erfolgreiche junge Forscherinnen<br />

und Forscher mit hoch dotierten<br />

Projektbudgets ausgestattet, dotiert<br />

sind die Starting Grants mit rund<br />

1,5 Millionen Euro.<br />

Der Theoretiker Hannes Pichler wurde<br />

vor zwei Jahren aus den USA an die<br />

Universität Innsbruck und das Institut<br />

für Quantenoptik und Quanteninformation<br />

der Österreichischen Akademie<br />

der Wissenschaft in Innsbruck berufen.<br />

Er erhält nun die prestigeträchtige Förderung<br />

des Europäischen <strong>Forschung</strong>srats<br />

und wird damit seine <strong>Forschung</strong>en<br />

zu Quanten-Vielteilchenphysik und<br />

Quanteninformationsverarbeitung weiter<br />

vorantreiben. In seinem ERC-Projekt<br />

will Pichler im Detail untersuchen, wie<br />

sich die speziellen Eigenschaften von<br />

Rydberg-Atomen für Anwendungen in<br />

der Quanteninformationsverarbeitung<br />

nutzen lassen. Beispielsweise will er ein<br />

Quanten-Vielteilchenphänomen, das<br />

kürzlich entdeckt wurde, als Werkzeug<br />

HANNES PICHLER will seine <strong>Forschung</strong>en<br />

zu Quanten-Vielteilchenphysik und<br />

Quanteninformationsverarbeitung weiter<br />

vorantreiben.<br />

MATHIAS SCHEUER arbeitet auf dem<br />

Feld der theoretischen Quantenvielteilchenphysik<br />

mit einem besonderen Schwerpunkt<br />

auf Anwendungen in Festkörpern.<br />

zur Erzeugung hochverschränkter Zustände<br />

nutzen. „Ein weiteres Ziel ist die<br />

Erforschung und Entwicklung neuartiger<br />

Ansätze für die Implementierung<br />

von Quantenalgorithmen für Optimierungsprobleme<br />

mit Rydberg-Atomen“,<br />

ergänzt der Physiker.<br />

Mathias Scheurer kam im September<br />

2020 von der Harvard University an die<br />

Universität Innsbruck, um hier seine<br />

<strong>Forschung</strong>en zur Quantenvielteilchenphysik<br />

fortzuführen. Er arbeitet ebenfalls<br />

auf dem Feld der theoretischen<br />

Quantenvielteilchenphysik mit einem<br />

besonderen Schwerpunkt auf Anwendungen<br />

in Festkörpern. Im Fokus seines<br />

ERC-Projekts stehen zweidimensionale<br />

Materialien wie Graphen. Durch theoretische<br />

Studie verschiedener innovativer<br />

Setups und Geometrien möchte er neue<br />

Quantenvielteilchenzustände realisieren<br />

und Ansätze finden, um deren Eigenschaften<br />

zu vermessen. „Diese Zustände<br />

sind relevant, sowohl um unser fundamentales<br />

Verständnis komplexer Quantensysteme<br />

zu verbessern als auch für<br />

mögliche quantentechnologische Anwendungen<br />

in der <strong>Zukunft</strong>“, erklärt der<br />

Physiker. <br />

46 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Fotos: M.R.Knabl (1), privat (2), BMI/Gerd Pachauer (1), BMBWF/Philipp Schuster (1)


PREISE & AUSZEICHNUNGEN<br />

PREISTRÄGERIN Ruth Breu mit (v.l.) Rektor Tilmann Märk, Konrad Bergmeister von der<br />

Stiftung Südtiroler Sparkasse, Laudator Rainer Böhme und Vizerektorin Ulrike Tanzer.<br />

INFORMATIKERIN<br />

AUSGEZEICHNET<br />

Ruth Breu erhielt im April für ihr wissenschaftliches Werk den<br />

Wissenschaftspreis der Stiftung Südtiroler Sparkasse.<br />

Die Informatikerin Ruth Breu ist<br />

seit 2002 Professorin am Institut<br />

für Informatik der Universität<br />

Innsbruck. Sie erhielt den Wissenschaftspreis<br />

für ihr wissenschaftliches<br />

Gesamtwerk. Ihr <strong>Forschung</strong>sschwerpunkt<br />

liegt im Bereich der Software-<br />

Qualität und Software-Sicherheit –<br />

Breus <strong>Forschung</strong>sarbeit hat zum Ziel,<br />

Methoden und Werkzeuge zu entwickeln,<br />

um IT-Systeme industriellen<br />

Maßstabs so planen, betreiben und bewerten<br />

zu können, dass Risiken rechtzeitig<br />

erkannt und Anforderungen an<br />

Qualität und Sicherheit laufend erfüllt<br />

werden. Neben ihrer <strong>Forschung</strong>sarbeit<br />

ist Ruth Breu Mitgründerin zweier Spinoff-Unternehmen<br />

der Universität Innsbruck;<br />

für die Ausgründung der Txture<br />

GmbH hat die Universität Innsbruck<br />

zusammen mit dem Unternehmen den<br />

österreichischen Gründerpreis Phönix<br />

erhalten.<br />

„Die öffentliche Anerkennung hervorragender<br />

Leistungen trägt neben dem<br />

persönlichen Engagement der Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler<br />

wesentlich zu <strong>Forschung</strong>sleistungen<br />

auf hohem internationalen Niveau<br />

und damit zum Erfolg der Universität<br />

bei. Unser Dank gilt hier besonders<br />

auch der Stiftung Südtiroler Sparkasse“,<br />

hielt Rektor Tilmann Märk bei der<br />

Verleihung fest. Und <strong>Forschung</strong>s-Vizerektorin<br />

Ulrike Tanzer ergänzte: „Der<br />

‚Wissenschaftspreis für außergewöhnliche<br />

<strong>Forschung</strong>sleistung‘ als Würdigung<br />

für das wissenschaftliche Gesamtwerk<br />

ist der renommierteste Preis, der an unserer<br />

Universität zur Vergabe gelangt.<br />

Mit Kollegin Ruth Breu erhält ihn auch<br />

dieses Jahr eine herausragende Wissenschaftlerin.“<br />

Die Architekturtheoretikerin Bettina<br />

Schlorhaufer, der Archäologe Christian<br />

Heitz, der Jurist und Rechtshistoriker<br />

Martin Schennach und Thomas Furtmüller<br />

vom Arbeitsbereich Angewandte<br />

Mechanik des Instituts für Grundlagen<br />

der Technischen Wissenschaften erhielten<br />

bei der Verleihung an der Universität<br />

Innsbruck <strong>Forschung</strong>spreise.<br />

UMWELTPREIS<br />

Alice do Carmo Precci<br />

Lopes hat im Frühjahr<br />

für ihre am Institut für<br />

Infrastruktur verfasste<br />

Dissertation den<br />

Hans-Roth-Umweltpreis<br />

erhalten. Darin<br />

beschäftigte sich die<br />

Umweltingenieurin mit der Gewinnung von<br />

biogenen Stoffen aus Siedlungsabfällen<br />

für die Co-Vergärung mit Klärschlamm auf<br />

Kläranlagen. Aufgrund des hohen Anteils<br />

biologisch abbaubarer Stoffe in Siedlungsabfällen<br />

erforscht sie das Potenzial, die<br />

aktuell zur Anwendung kommenden Bioabfälle<br />

durch Restmüll zu ersetzen. Betreut<br />

wurde sie dabei von Anke Bockreis am<br />

Arbeitsbereich für Umwelttechnik.<br />

ERIKA-CREMER-STIPENDIUM<br />

Mit dem Erika-Cremer-Stipendium<br />

fördert die Universität<br />

Innsbruck exzellente<br />

Wissenschaftlerinnen<br />

während ihrer Habilitation.<br />

Das diesjährige<br />

Stipendium ging<br />

an die Neulatein-Forscherin Johanna Luggin.<br />

In ihrem Habilitationsprojekt beschäftigt<br />

sich Luggin mit der Überzeugungskunst<br />

von Wissenschaftlern in der Frühen Neuzeit.<br />

Sie untersucht in ihrer Arbeit, warum sich<br />

manche naturwissenschaftliche Hypothese<br />

letztlich durchsetzen konnte. Texte<br />

wurden damals auf Latein publiziert, ihr<br />

Stil unterscheidet sich aber stark vom unpersönlichen<br />

Ton moderner Wissenschaft;<br />

vielmehr versuchten sie, auch emotional zu<br />

überzeugen.<br />

HUMANISMUSPREIS<br />

Der ehemalige Wissenschaftsminister<br />

und Altrektor Karlheinz<br />

Töchterle erhielt<br />

Mitte April vom<br />

Deutschen Altphilologenverband<br />

den<br />

Humanismuspreis.<br />

Der Preis unterstreicht das auf die Antike<br />

zurückgehende Ideal der Verknüpfung von<br />

geistiger Bildung und aktivem Eintreten für<br />

das Gemeinwohl. Frühere Preisträger waren<br />

unter anderem Richard von Weizsäcker,<br />

Roman Herzog, Rita Süssmuth und Michael<br />

Köhlmeier.<br />

Fotos: Uni Innsbruck, Franz Oss, privat, Scattolon<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 47


ZWISCHENSTOPP INNS BRUCK<br />

BILDUNG<br />

MITGESTALTEN<br />

Irma Eloff ist Professorin für Educational Psychology an der<br />

University of Pretoria in Südafrika und am Institut für<br />

LehrerInnenbildung und Schulforschung an der Universität<br />

Innsbruck als Gastprofessorin tätig.<br />

„Ich glaube, dass wir in einer Zeit befinden,<br />

in der die Bedeutung von Lehrer*innen noch<br />

wichtiger sein wird. Sie unterrichten die<br />

zukünftige Generation und können so einen<br />

bedeutsamen Einfluss nehmen. “ <br />

Irma Eloff<br />

Ich bin in Südafrika aufgewachsen,<br />

einem Land voller Vielfalt. Ich habe<br />

mich immer dafür interessiert, wie<br />

Menschen mit herausfordernden Umständen<br />

umgehen“, sagt Irma Eloff. Ihren<br />

<strong>Forschung</strong>sschwerpunkt legte die<br />

Südafrikanerin auf das Thema Bildung<br />

und insbesondere die psychologische<br />

Dimension. Im Mittelpunkt ihres wissenschaftlichen<br />

Tuns stellt sie die nachhaltigen<br />

Entwicklungsziele der Vereinten<br />

Nationen. Dabei konzentriert sie sich auf<br />

das Entwicklungsziel 3 „Gesundheit und<br />

Wohlergehen“ und das Ziel 4 „Hochwertige<br />

Bildung“. „Im Rahmen meiner<br />

Arbeit gelingt es mir, meine beiden<br />

Fachgebiete Pädagogik und Psychologie<br />

ideal miteinander zu kombinieren.“ Der<br />

Forscherin ist es ein großes Anliegen,<br />

Kontexte aus der ganzen Welt zu berücksichtigen,<br />

um ein umfassendes Verständnis<br />

zu erlangen. „Nachhaltigkeit ist ein<br />

weltweites Thema, daher ist es wichtig,<br />

unterschiedliche Perspektiven einzunehmen.<br />

Auch im Zusammenwirken mit Organisationen<br />

lege ich viel Wert darauf,<br />

die globalen Dimensionen miteinzubeziehen“,<br />

sagt Eloff.<br />

Nächste Generation<br />

In ihrer <strong>Forschung</strong> fragt sich Irma Eloff,<br />

was Lehrer*innen tun können, um die Erfüllung<br />

der Nachhaltigkeitsziele zu unterstützen.<br />

„Durch die Corona-Pandemie<br />

kam es zu einem Umschwung. Moderne<br />

Technologien haben uns geholfen, mit<br />

vorübergehenden Schul- und Universitätsschließungen<br />

umzugehen.“ Nun stellt<br />

sich die Wissenschaftlerin die Frage, wie<br />

man mit diesen Technologien in <strong>Zukunft</strong><br />

umgehen soll. Lehrer*innen nehmen aus<br />

Sicht von Irma Eloff in vielen Bereichen<br />

eine entscheidende Rolle ein, auch wenn<br />

es zum Thema Nachhaltigkeit kommt.<br />

„Das Bewusstsein für unseren eigenen<br />

CO 2 -Abdruck, die Mülltrennung oder<br />

die Art der Fortbewegung hat zugenommen.<br />

Ich glaube, dass wir uns in einer<br />

Zeit befinden, in der<br />

die Bedeutung von<br />

Leh rer*in nen noch<br />

wichtiger sein wird.<br />

Sie unterrichten die<br />

zukünftige Generation<br />

und können so<br />

einen bedeutsamen<br />

Einfluss nehmen.“ Aus Sicht von Eloff<br />

konnten schon gute Fortschritte gemacht<br />

werden, dennoch gibt es beispielsweise<br />

in der Industrie, dem Energiewesen oder<br />

auch der Landwirtschaft noch Aufholbedarf:<br />

„Es sollte viel mehr über Lösungen<br />

geredet werden, anstatt nur Probleme<br />

aufzuzählen.“<br />

Im Rahmen des Projekts „Teach4Reach<br />

– Teaching the global goals“ befasst sich<br />

Eloff gemeinsam mit Forscher*innen der<br />

Universität Innsbruck, der Universität<br />

Pretoria und der Universität Wien mit<br />

der Integration der SDGs in Lehrpläne<br />

und Wegen, mehr Bewusstsein für diese<br />

Themen in der Lehrer*innenbildung zu<br />

schaffen. „Die Zusammenarbeit mit Forschenden<br />

empfinde ich als sehr wertvoll.<br />

Diskussionen führen fast immer zu neuen<br />

Erkenntnissen und bringen uns dazu,<br />

IRMA ELOFF ist Professorin für Educational<br />

Psychology an der University of<br />

Pretoria in Südafrika. In den Jahren 20<strong>01</strong><br />

bis 2020 war sie assoziierte Gastprofessorin<br />

an der Yale Universität. 2<strong>01</strong>2<br />

zählte sie zu den Top 3 „Most influential<br />

Women in Business and Government in<br />

South Africa”. Eloff befasst sich mit der<br />

Rolle von Lehrer*innen in Zusammenhang<br />

mit den Nachhaltigen Entwicklungszielen<br />

der Vereinten Nationen. Ihr Wissen gibt<br />

sie an Studierende an der Universität<br />

Innsbruck weiter.<br />

eigene Ideen zu überdenken.“ Mit Innsbruck<br />

verbindet Eloff viele positive Erinnerungen.<br />

„Es war der erste Ort, an dem<br />

ich außerhalb Südafrikas übernachtet<br />

habe. Nach meinem Abschluss Anfang<br />

der 1990er-Jahre unternahm ich eine Reise<br />

nach Österreich. Für mich war es einer<br />

der schönsten Orte der Welt.“ ms<br />

48 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Foto: Denis Legg


SPRUNGBRETT INNS BRUCK<br />

„EIN WENIG<br />

VERRÜCKT SEIN“<br />

Johann Danzl hat in Innsbruck Medizin und Physik studiert<br />

und ist heute Professor am IST Austria in Klosterneuburg.<br />

Der Tiroler Johann Danzl möchte<br />

einen Beitrag dazu leisten,<br />

besser zu verstehen, wie biologische<br />

Gewebe funktionieren. Nach<br />

einem Studium der Medizin wechselte<br />

er zunächst für ein Jahr in ein Labor der<br />

Innsbrucker Quantenphysik, um seine<br />

naturwissenschaftlichen Kenntnisse zu<br />

vertiefen. Die <strong>Forschung</strong> zu ultrakalten<br />

Quantengasen und das Umfeld dort<br />

waren so spannend, dass Danzl sich<br />

entschloss, ein Doktorat in Physik anzustreben.<br />

„Wir wollten mit Hilfe von<br />

sehr präzise kontrolliertem Laserlicht<br />

Moleküle in all ihren quantenmechanischen<br />

Freiheitsgraden auf der Ebene<br />

einzelner Quantenzustände kontrollieren“,<br />

erzählt der gebürtige Kitzbüheler.<br />

Später profitierte er von der sehr profunden<br />

technologischen Ausbildung, die er<br />

hier erhielt. „Ganz wesentlich für mich<br />

war, dass ich in Innsbruck das erste Mal<br />

Teil eines <strong>Forschung</strong>sumfelds war, das<br />

den Anspruch stellt, international kompetitiv<br />

zu sein. Ich hatte dort das große<br />

Privileg, in einem Team aus exzellenten<br />

jungen Wissenschaftlern zu arbeiten“,<br />

erinnert sich Johann Danzl. „Was ich<br />

aus dieser Zeit auch mitgenommen habe,<br />

ist, dass man am authentischsten<br />

und leistungsfähigsten ist, wenn man<br />

die wissenschaftlichen Fragestellungen<br />

danach wählt, was für einen persönlich<br />

am faszinierendsten ist.“<br />

„Was ich aus der Zeit in Innsbruck<br />

auch mitgenommen habe, ist,<br />

dass man am authentischsten<br />

und leistungsfähigsten ist, wenn<br />

man die wissenschaftlichen<br />

Fragestellungen danach wählt,<br />

was für einen persönlich am<br />

faszinierendsten ist.“ Johann Danzl<br />

Eigene <strong>Forschung</strong>sgruppe<br />

Nach der Promotion in Innsbruck<br />

wollte Johann Danzl seine Kenntnisse<br />

aus Medizin und Physik verbinden und<br />

wechselte nach Göttingen in die Arbeitsgruppe<br />

von Stefan Hell, der kurze Zeit<br />

später mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet<br />

wurde. Dort forschte er an<br />

der Entwicklung hochauflösender Mikroskopieverfahren,<br />

welche die Analyse<br />

biologischer Proben mit Auflösungen<br />

im Nanometerbereich ermöglichen.<br />

Diese Arbeit führt er seit 2<strong>01</strong>7 am Institute<br />

of Science and Technology Austria<br />

(ISTA) in Klosterneuburg fort, wo er<br />

auf eine Tenure-Track-Position berufen<br />

wurde. Sein Ziel sind neuartige optische<br />

Bildgebungsverfahren für die Biologie.<br />

In seiner <strong>Forschung</strong>sgruppe arbeiten<br />

Biologen, Neurowissenschaftler, Physiker<br />

und Computerwissenschaftler eng<br />

zusammen, um neue Technologien zu<br />

entwickeln und auf biologische Fragestellungen<br />

anzuwenden. „Zum Beispiel<br />

entwickeln wir Technologien, um die<br />

Struktur von Hirngewebe bis auf die<br />

Ebene einzelner Synapsen mit Hilfe von<br />

Lichtmikroskopie zu rekonstruieren, sodass<br />

wir die Funktion und Struktur des<br />

Netzwerks von Nervenzellen und seine<br />

zeitliche Dynamik erfassen und miteinander<br />

in Beziehung setzen können“,<br />

erzählt Johann Danzl.<br />

Während seiner Arbeit im Quantenlabor<br />

machte der Wissenschaftler eine<br />

wichtige Erfahrung: „Wir haben uns ein<br />

wissenschaftliches Ziel gesteckt, von<br />

dem man mit Fug und Recht hätte behaupten<br />

können, dass das nie klappen<br />

würde, weil es zu ambitioniert ist“, sagt<br />

Danzl. „Dann haben wir jede Anstrengung<br />

unternommen, um es schlussendlich<br />

auch zu erreichen.“ Dies hat den<br />

Forscher darin bestärkt, dass man sich<br />

durchaus Ziele suchen darf, die auf den<br />

ersten Blick ein wenig verrückt scheinen.<br />

„Ich habe es auch als sehr bereichernd<br />

empfunden, unterschiedliche<br />

Herangehensweisen und verschiedene<br />

wissenschaftliche Umgebungen kennen<br />

zu lernen. Ich kann nur allen Studierenden<br />

und jungen Wissenschaftler*innen<br />

empfehlen, diese Möglichkeiten wahrzunehmen,“<br />

so Johann Danzl abschließend.<br />

<br />

cf<br />

Foto: IST Austria<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/22 49


ESSAY<br />

FRÜHE FORSCHUNG<br />

IM GEBIRGE<br />

Der Latinist Martin Korenjak begibt sich auf Spurensuche nach alpinen<br />

<strong>Forschung</strong>splätzen in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit.<br />

„Bereits vor rund<br />

450 Jahren verfasste<br />

Francesco Calzolari<br />

einen Führer auf<br />

Monte Baldo, in dem<br />

er nicht nur die dort zu<br />

findenden Heilpflanzen<br />

auflistete, sondern<br />

auch die Schönheit des<br />

Berges hymnisch pries.“<br />

MARTIN KORENJAK (*1971<br />

in Wels, Oberösterreich) studierte<br />

Klassische Philologie (Latein<br />

und Griechisch) sowie Sprachwissenschaft<br />

an der Universität<br />

Innsbruck, die Dissertation<br />

schrieb er an der Universität<br />

Heidelberg. Von 1997 bis 2003<br />

arbeitete er als Universitätsassistent<br />

am Institut für Sprachen<br />

und Literaturen der Universität<br />

Innsbruck, danach folgte er<br />

einem Ruf an die Universität<br />

Bern. 2009 wechselte er als<br />

Professor für Klassische Philologie<br />

und Neulatein zurück nach<br />

Innsbruck.<br />

Die Universität Innsbruck ist eine von<br />

wenigen Universitäten weltweit, die<br />

mitten im Gebirge liegen. Es ist schlüssig,<br />

dass sich bei uns viele Fächer in <strong>Forschung</strong><br />

und Lehre mit alpinen Phänomenen auseinandersetzen<br />

und dass diese Beschäftigung<br />

häufig am Berg selbst stattfindet: Will man die<br />

Hochgebirgsflora, den Gletscherschwund, die<br />

Geologie der Brennergegend oder die alpine<br />

Toponymie verstehen, so führt am Lokalaugenschein<br />

kein Weg vorbei.<br />

Orte des Lernens waren die Berge seit jeher<br />

– schon lange, bevor es so etwas wie Wissenschaft<br />

gab. Man eignete und eignet sich in den<br />

Bergen neues Wissen an, um zu überleben, um<br />

besser zurechtzukommen, aber auch einfach,<br />

weil einem dort Dinge auffallen, die es im Tal<br />

nicht gibt. Das gilt für Bauern, Jäger, Knappen<br />

früherer Zeiten ebenso wie für Wanderer und<br />

Bergsteiger heute: Am Berg lernt man, wie<br />

man auf Skiern eine Aufstiegsspur anlegt, wie<br />

ein Kolkrabe ruft und dass man einen Regenbogen<br />

manchmal auch von oben betrachten<br />

kann.<br />

Darüber hinaus ist das Gebirge schon erstaunlich<br />

früh zum Ort und Objekt systematischer<br />

wissenschaftlicher <strong>Forschung</strong> geworden.<br />

Als sich in den ersten Jahrhunderten der<br />

Neuzeit die modernen Naturwissenschaften<br />

entwickelten, wandten sich manche Intellektuelle<br />

schon bald den Bergen zu, um ihr diesbezügliches<br />

Wissen zu erweitern. Der Zürcher<br />

Universalgelehrte Conrad Gessner betrieb um<br />

1550 am Pilatus bei Luzern Feldforschung zur<br />

alpinen Flora. Im Jahr 1615 erklomm David<br />

Frölich aus dem slowakischen Kežmarok einen<br />

Gipfel der Hohen Tatra und notierte, dass<br />

ein Pistolenschuss dort oben viel leiser klang<br />

als im Tal. Der Jesuit Athanasius Kircher stieg<br />

1638 auf den gerade aktiven Vesuv und blickte<br />

schaudernd in den brodelnden Krater. Ende<br />

des 17. Jahrhunderts rekonstruierte der Brite<br />

Thomas Burnet aus den spektakulären Formen<br />

der Westalpen den Ablauf der Sintflut. Wenig<br />

später durchstreifte Johann Jakob Scheuchzer,<br />

ein weiterer Zürcher, viele Sommer lang die<br />

Schweizer Bergwelt und dokumentierte in seinen<br />

Reiseberichten alles erdenklich Wissenswerte<br />

vom Luftdruck auf den Gipfeln über<br />

spektakuläre Gesteinsfaltungen bis zur Klettertechnik<br />

der Gamsjäger, die sich in schwierigem<br />

Gelände angeblich die Fußsohlen aufschnitten,<br />

um sich mit dem Blut an den Fels<br />

zu kleben.<br />

Viele dieser Forscher begeisterten sich auf<br />

ihren Ausflügen auch für die ästhetische Dimension<br />

der Bergwelt. Bereits vor rund 450<br />

Jahren verfasste der Veroneser Apotheker<br />

Francesco Calzolari einen Führer auf den beim<br />

nahen Gardasee gelegenen Monte Baldo, in<br />

dem er nicht nur die dort zu findenden Heilpflanzen<br />

auflistete, sondern auch die Schönheit<br />

des Berges hymnisch pries und seinen<br />

Erholungswert hervorhob. Die Besteiger, so<br />

schrieb er „wird ihre Mühe nicht reuen, da<br />

sie fühlen und erkennen werden, dass sie daraus<br />

beinahe unglaubliches Vergnügen und<br />

größten Nutzen ziehen. Sie werden nämlich<br />

aus dieser Wanderung soviel Seelenruhe und<br />

Lebensfreude gewinnen, wie niemand sich<br />

vorstellen oder in Worte fassen kann.“ Die<br />

Bergbegeisterung unserer Zeit, die touristische<br />

Erschließung des Gebirges und das alpine<br />

Selbstverständnis von Regionen wie Tirol,<br />

dem „Land im Gebirge“, sind direkte oder<br />

mittelbare Folgen dieser wissenschaftlich motivierten<br />

Bergbegeisterung.<br />

Wie die meisten Gelehrten ihrer Zeit schrieben<br />

auch die genannten Autoren in erster Linie<br />

auf Latein. Vor einigen Jahren hatte ich die<br />

Gelegenheit, den Bergdiskurs dieser Epoche<br />

gemeinsam mit zwei jüngeren Kollegen im<br />

Rahmen eines Projekts am Ludwig-Boltzmann-Institut<br />

für Neulateinische Studien zu<br />

erforschen. Auf diese Weise den Wurzeln der<br />

eigenen Freude an den Bergen nachzuspüren,<br />

wäre grundsätzlich an jedem Ort mit einer ordentlichen<br />

Bibliothek und Internetzugang<br />

möglich und reizvoll gewesen. Der Blick aus<br />

meinem Bürofenster auf die Nordkette und<br />

die Möglichkeit, am Wochenende selbst ins<br />

Gebirge zu gehen, haben diese Spurensuche<br />

aber zu einem besonders bereichernden und<br />

erfüllenden Erlebnis gemacht.<br />

50 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Foto: Andreas Friedle


wir prüfen,<br />

damit sie sicherheit erhalten.<br />

Die Versuchsanstalt für Maschinenbau an der HTL-Anichstraße ist eine akkreditierte Prüf- und Inspektionsstelle nach<br />

EN ISO/IEC 17025 und EN ISO/IEC 17020 und bietet ein großes Leistungsspektrum von zerstörenden und zerstörungsfreien<br />

Prüfungen sowie weite Bereiche der Metallographie an.<br />

Unsere Leistungen:<br />

• Statische und dynamische Werkstoffprüfungen<br />

• Bruchmechanik<br />

• Metallographie und Gefügeanalysen<br />

• Härteprüfung<br />

• Spektralanalyse<br />

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• Seilprüfungen<br />

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Versuchsanstalt für Maschinenbau an der HTL-Anichstraße<br />

Anichstraße 26-28, A-6020 Innsbruck (Einfahrt Innrain 31)<br />

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Telefon +43 (0)50902 808 750


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im Zeughaus<br />

29.07. - 27.08.22<br />

52 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />

Foto: Andreas Friedle<br />

leokino.at/openairkino

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