Zukunft Forschung 01/2022
Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck
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Ausgabe 1/<strong>2022</strong>, 14. Jg.<br />
zukunft forschung <strong>01</strong> | 22<br />
zukunft<br />
forschung<br />
ALPINE<br />
FORSCHUNGSPLÄTZE<br />
thema: alpenforschung | digitalisierung: ein algorithmus als vorgesetzter<br />
bergbau: begehrter tiroler schmuckstein | germanistik: posterboy der romantik<br />
geschichte: fernbuchhandel | biologie: kläranlagen als frühwarnsystem<br />
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2 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Foto: Andreas Friedle
EDITORIAL<br />
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,<br />
Seit über 150 Jahren wird der Hintereisferner im hinteren<br />
Ötztal von Glaziologinnen und Glaziologen beobachtet<br />
und untersucht. Die langen Messreihen geben wichtige<br />
Hinweise auf die Entwicklung der Alpengletscher. Solche und<br />
ähnliche Fragestellungen beschäftigen Wissenschaftlerinnen und<br />
Wissenschaftler verschiedener Disziplinen. Ihre Antworten liefern<br />
zum Beispiel Grundlagen für die Beurteilung der weiteren<br />
Entwicklung des Klimawandels und seiner Folgen. Die Universität<br />
Innsbruck betreibt in den Alpen zahlreiche <strong>Forschung</strong>sstationen.<br />
Von der Langzeitbeobachtung der Gletscher über die<br />
Untersuchung alpiner Bergseen bis zur Erforschung des Klimas<br />
vergangener Zeiten anhand von Ablagerungen in Höhlen reichen<br />
die Themen, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />
an diesen <strong>Forschung</strong>splätzen bearbeitet werden. Im Schwerpunkt<br />
dieser Ausgabe stellen wir Ihnen einige dieser Orte vor und berichten<br />
über <strong>Forschung</strong>svorhaben und Ergebnisse.<br />
Wie erfolgreich unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />
arbeiten, zeigte sich in diesem Frühjahr besonders an den<br />
Auszeichnungen durch den Europäischen <strong>Forschung</strong>srat.<br />
Minion<br />
Schon<br />
zu Beginn des Jahres haben Theoretische Physiker zwei ERC<br />
Starting Grants erhalten. Ende<br />
DE<br />
April folgten dann insgesamt<br />
drei ERC Advanced Grants, die höchsten Auszeichnungen des<br />
<strong>Forschung</strong>srats, für zwei Wissenschaftlerinnen und einen Wissenschaftler<br />
aus den Fachbereichen Physik und Chemie. Auch<br />
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diese Forscherinnen und Forscher und deren Projekte stellen<br />
wir Ihnen in dieser Ausgabe vor.<br />
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Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre und freuen Quellen uns<br />
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über Ihre Fragen und Anregungen.<br />
TILMANN MÄRK, REKTOR<br />
ULRIKE TANZER, VIZEREKTORIN FÜR FORSCHUNG<br />
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IMPRESSUM<br />
Herausgeber & Medieninhaber: Leopold-Franzens-Universität Inns bruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Inns bruck, www.uibk.ac.at<br />
Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf); public-relations@uibk.ac.at<br />
Verleger: KULTIG Werbeagentur KG – Corporate Publishing, Maria-Theresien-Straße 21, 6020 Inns bruck, www.kultig.at<br />
Redaktion: Mag. Melanie Bartos (mb), Mag. Andreas Hauser (ah), Mag. Stefan Hohenwarter (sh), Lisa Marchl, MSc (lm), Fabian Oswald, MA<br />
(fo), Mag. Susanne Röck (sr), Miriam Sorko, BA MA (ms) Lektorat & Anzeigen: MMag. Theresa Rass Layout & Bildbearbeitung: Florian<br />
Koch Fotos: Andreas Friedle, Universität Inns bruck Druck: Gutenberg, 4021 Linz<br />
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Foto: Uni Inns bruck<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 3
BILD DER<br />
WISSENSCHAFT
INHALT<br />
TITELTHEMA<br />
8<br />
G0SSENKÖLLESEE. Der Hochgebirgssee liefert weltweit<br />
einzigartige Daten für die Langzeitklimaforschung und zeigt<br />
bereits erste Reaktionen auf den Klimastress. 8<br />
FORSTHÜTTE PRAXMAR. Forscherinnen und Forscher der<br />
Universität Innsbruck untersuchen den Befall von Fichten durch<br />
den Rostpilz Chrysomyxa rhododendri. 12<br />
ROFENTAL In einem der besterforschten Hochgebirgsräume der<br />
Welt wird seit über 150 Jahren der Rückgang der Gletscher und<br />
dessen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt untersucht. 14<br />
SPANNAGELHÖHLE. Unterhalb des Hintertuxer Gletschers im<br />
Tiroler Zillertal liegt die höchstgelegene Schauhöhle Europas – trotz<br />
seiner hochalpinen Lage ist das Höhlensystem eisfrei. 16<br />
TITELTHEMA. Die Universität Innsbruck betreibt in den<br />
Alpen zahlreiche <strong>Forschung</strong>sstationen, um Gletscher,<br />
Bergseen, Wälder, Almen und Höhlen zu untersuchen.<br />
ZUKUNFT FORSCHUNG stellt einige von ihnen vor,<br />
z.B. die Spannagelhöhle bei Hintertux.<br />
22<br />
FORSCHUNGSSTATION FAIR. Am Mieminger Plateau wird der<br />
Austausch von Spurengasen und Energie zwischen dem Wald<br />
und der Atmosphäre gemessen.18<br />
FORSCHUNG<br />
FORSCHUNGSZENTRUM HIMAT. In den Hochlagen des Zillertals<br />
sind Forscher*innen der Geschichte des Granats auf der Spur. 26<br />
GERMANISTIK. Im 19. Jahrhundert gab es im deutschsprachigen<br />
Raum einen Hype um Portugals Nationaldichter Luís Vaz de Camões.<br />
Peter C. Pohl begab sich auf die Suche nach dieser Faszination. 32<br />
STANDORT. APA-Geschäftsführer Clemens Pig über<br />
das seinerzeitige Start-up MediaWatch, Journalismus in<br />
Zeiten von Corona und Verschwörungstheorien sowie<br />
seinen Wunsch nach einer offensiven Wissenschaft.<br />
30<br />
SOZIOLOGIE. Welche Faktoren verhindern Radikalisierung bei<br />
Jugendlichen? Mit dieser Frage befasst sich Hemma Mayrhofer. 34<br />
DIGITALISIERUNG. Ulrich Remus untersucht die Beziehung<br />
zwischen Gig Workern und den Algorithmen, die dazu eingesetzt<br />
werden, sie zu steuern oder zu kontrollieren. 36<br />
PHYSIK. Der vermehrte Einsatz von Kunstdünger und Mist aus<br />
der Tierhaltung bringen mehr Ammoniak in die Atmosphäre. 38<br />
MOBILITÄT. Eine Stiftungsprofessur wird neue Lösungen an der<br />
Schnittstelle von Gesundheit, Klima und Wirtschaft entwickeln. 43<br />
GESCHICHTSWISSENSCHAFT. Der Buchhandel in der<br />
Frühen Neuzeit war dynamisch und extrem vernetzt,<br />
die Historikerin Mona Garloff interessiert sich speziell<br />
für den Fernbuchhandel in Wien und Prag in der Zeit<br />
zwischen 1680 und 1750.<br />
In der Ukraine stehen Meisterwerke des russischen Ingenieurs Vladimir<br />
G. Šuchov: Zwei Leuchttürme, die 1911 vor der Mündung des Flusses<br />
Dnipro/Dnepr auf künstlichen Inseln im Schwarzen Meer gebaut wurden.<br />
Beide Türme sind Hyperboloide in einer von Šuchov erfundenen<br />
Bauweise. Der große Turm war mit 73,5 Meter der weltweit höchste<br />
Leuchtturm. Die Türme zählen zu den besterhaltenen Šuchovschen<br />
Baukonstruktionen und verrichten bis in die Gegenwart ihren Dienst.<br />
Über die Auswirkungen des Kriegs ist aktuell nichts bekannt. Beide<br />
Türme sind in einem <strong>Forschung</strong>sprojekt, über das wir in der nächsten<br />
Ausgabe berichten werden, erstmals untersucht worden.<br />
RUBRIKEN<br />
EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: HYPERBOLOID-LEUCHTURM 4 | NEUBERUFUNG: UTA RUSSMANN 6 | FUNDGRUBE VER GANGEN HEIT: TREFFEN ZUR AERO- UND<br />
HYDRODYNAMIK, INNSBRUCK 1922 7 | MELDUNGEN 22 + 42 | WISSENSTRANSFER 40 + 41 | PREISE & AUSZEICHNUNGEN 45 – 47 | ZWISCHENSTOPP: IRMA ELOFF 48 | SPRUNGBRETT<br />
INNS BRUCK: JOHANN DANZL 49 | ESSAY: FRÜHE FORSCHUNG IM GEBIRGE von Martin Korenjak 50<br />
Fotos: Robbie Shone (1), Andreas Friedle (1), APA (1); COVERFOTO: Robbie Shone; BILD DER WISSENSCHAFT: Andrij Kutnyi<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 5
NEUBERUFUNG<br />
NEUE PLAYER IM SPIEL<br />
Medien haben die Politik schon immer beeinflusst, sagt Uta Rußmann, mit Social Media kommen aber<br />
neue Akteure hinzu. Daher richtet sie einen speziellen Fokus auf neue Medien und Demokratie.<br />
Als Schülerin verbrachte Uta Rußmann<br />
ein Jahr in Kalifornien, danach<br />
war für sie klar: Auch das<br />
Studium sollte im Ausland stattfinden.<br />
Doch trotz guter Sprachkenntnisse war<br />
sie „too chicken“ für eine Uni, an der<br />
auf Englisch unterrichtet wird. Zur Wahl<br />
standen daher Zürich und Wien. Österreich<br />
wurde es, weil Rußmanns Mutter<br />
als junge Frau in Zürich gelebt hatte. „Ich<br />
wollte es anders machen“, sagt sie. Nach<br />
einem Erasmus-Jahr in Finnland folgten<br />
Diplomarbeit und Dissertation in Wien,<br />
UTA RUSSMANN (*1977) studierte<br />
ab 1997 an den Universitäten Wien<br />
und Tampere (Finnland) Publizistik- und<br />
Kommunikationswissenschaft mit der Fächerkombination<br />
Politikwissenschaft und<br />
Soziologie und promovierte 2007 in Wien.<br />
Als Postdoc forschte sie in FWF-Projekten<br />
an der Uni Wien (2007-09) und der Uni<br />
Innsbruck (2009-12), danach war sie FH-<br />
Professorin und Senior Researcher am Department<br />
of Communication der FHWien<br />
der WKW. Seit 1. 3. <strong>2022</strong> ist Rußmann an<br />
der Universität Innsbruck Professorin für<br />
Medien- und Kommunikationswissenschaft<br />
mit Schwerpunkt Demokratie.<br />
während der Doktorarbeit jobbte sie in<br />
einer Marketing-Abteilung von IBM. „Ich<br />
war mir nicht sicher, ob ich in die Praxis<br />
gehen oder eine wissenschaftliche Karriere<br />
einschlagen will“, erklärt Rußmann. Es<br />
wurde Zweiteres, den Schwerpunkt ihrer<br />
Arbeit setzt sie seither auf die Bereiche<br />
politische Kommunikation, Kampagnen,<br />
Medien und Wahlen, digitale Kommunikation,<br />
Social Media, PR und strategische<br />
Kommunikation. Am Institut für Medien,<br />
Gesellschaft und Kommunikation der Uni<br />
Innsbruck richtet sie nun einen speziellen<br />
Fokus auf Medien und Demokratie.<br />
Politik & neue Medien<br />
Medien hätten Politik schon immer beeinflusst<br />
und Demokratie gefördert, weiß<br />
Rußmann, mit dem Auftreten der neuen<br />
und sozialen Medien habe sich aber das<br />
Dreieck Medien-Politik-Bürger*innen verändert.<br />
„Es kommen zusätzliche Akteure<br />
und Informationsintermediäre hinzu, zum<br />
einen die Plattformen und zum anderen<br />
diejenigen, die darauf eine Rolle spielen“,<br />
erklärt Rußmann. Neben demokratiehinderlichen<br />
Aspekten wie Miss- und Desinformation,<br />
Echokammern und Filterbubbles,<br />
Polarisierung und Radikalisierung<br />
be obachtet sie aber auch Positives, wenn<br />
etwa Akteure, die nicht als politische Influencer<br />
gelten, sich zu politischen Themen<br />
äußern. „Wenn Kim Kardashian über ihren<br />
Instagram-Acount zum Wählen aufruft,<br />
geht dieser Aufruf an rund 300 Millionen<br />
Follower, von denen viele durch Politikerinnen<br />
und Politiker nicht erreicht werden.<br />
Und das ist demokratieförderlich“, nennt<br />
Rußmann ein Beispiel, stellt aber auch<br />
klar: „Wir wissen, dass es durch Miss- und<br />
Desinformation in sozialen Medien zu<br />
Polarisierung und Radikalisierung kommt,<br />
wir wissen aber nicht genau, wie die Informationsaufnahme<br />
und -weiterleitung ablaufen,<br />
warum bestimmte Akteure so großen<br />
Einfluss haben. Doch nur wenn man<br />
diese Prozesse versteht, ist es möglich,<br />
Lösungen anzubieten.“ Um diese Prozesse<br />
genauer zu analysieren, feilte Rußmann im<br />
April mit 14 Partnern an einem Horizon-<br />
Europe-Antrag für den Call „Politics and<br />
the impact of online social networks and<br />
new media“. Eine intensive Arbeit, die<br />
man, lacht Rußmann, nicht unbedingt in<br />
den ersten Wochen nach Antritt einer Professur<br />
machen sollte. Ihre Vorstellungstour<br />
verlegte sie daher zeitlich etwas nach hinten,<br />
von Vorteil war, dass sie Teile der Uni<br />
schon von einem dreijährigen <strong>Forschung</strong>sprojekt<br />
in Innsbruck kennt. ah<br />
6 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Foto: Andreas Friedle
FUNDGRUBE VERGANGENHEIT<br />
EINDRUCK GESCHUNDEN<br />
Vor 100 Jahren trafen sich rund 30 Physiker in Innsbruck, um Fragen der Aero- und Hydrodynamik zu<br />
diskutieren. Unter ihnen Werner Heisenberg, der hier seinen ersten wissenschaftlichen Vortrag hielt.<br />
Es war eine illustre Runde, die sich<br />
am 10. September 1922 in Innsbruck<br />
einfand, allesamt Spezialisten<br />
auf ihrem Gebiet: aus Norwegen etwa<br />
Vilhelm Bjerknes, Physiker, Meteorologe<br />
und „Vater“ der modernen Wettervorhersage;<br />
aus Prag Philipp Frank, Philosoph,<br />
Physiker und späterer Biograf von Albert<br />
Einstein; aus Göttingen Ludwig Prandtl,<br />
Wegbereiter der modernen Strömungsmechanik<br />
und Aerodynamik. Gefolgt<br />
waren sie einer Einladung, die Theodore<br />
von Kármán vom Institut für Mechanik<br />
und flugtechnische Aerodynamik an der<br />
Technischen Hochschule Aachen und<br />
Tullio Levi-Civita, Mathematiker an der<br />
Università di Roma, ausgesprochen hatten.<br />
In Innsbruck wollte man Fragen der<br />
Hydro- und Aerodynamik diskutieren.<br />
Es sollte eine zwanglose Zusammenkunft<br />
sein – ein offizieller Sanctus für diesen<br />
grenzüberschreitenden Austausch unter<br />
Wissenschaftlern war vier Jahre nach Ende<br />
des Ersten Weltkriegs unmöglich.<br />
Um die internationale Zusammenarbeit<br />
von Forschern nach den vier<br />
Kriegsjahren zu fördern, war 1919 der<br />
International Research Council (I.R.C.)<br />
als Dachverband wissenschaftlicher<br />
Gesellschaften gegründet worden. Die<br />
Internationalität war aber eine eingeschränkte:<br />
Die ehemaligen Mittelmächte<br />
waren per Statuten aus dem I.R.C. und<br />
seinen Gesellschaften ausgeschlossen,<br />
ein Verbot, das speziell Deutschland und<br />
Österreich treffen sollte. Nach Ansicht<br />
des Kosmopoliten von Kármán war aber<br />
internationale Kooperation die Voraussetzung,<br />
hydro- und aerodynamische<br />
Fragestellungen zu lösen. Daher plante<br />
er eine informelle Konferenz und konnte<br />
den international anerkannten Levi-Civita<br />
als „alliierten“ Forscher für die Idee<br />
gewinnen. Gemeinsam kontaktierten sie<br />
Kollegen in ganz Europa, Levi-Civita<br />
kümmerte sich vor allem um Frankreich,<br />
Italien und England, von Kármán übernahm<br />
den deutschsprachigen Raum und<br />
die im Krieg neutralen Länder.<br />
THEODORE VON KÁRMÁN (1881–<br />
1963) war Physiker, Luftfahrttechniker<br />
und Pionier der modernen Aerodynamik<br />
und der Luftfahrt- und Raketenforschung.<br />
Seine wissenschaftlichen Stationen führten<br />
ihn über die Universität Göttingen und die<br />
heutige RWTH Aachen an das California<br />
Institute of Technology, wo er 1929 die<br />
Leitung des Aeronautical Laboratory übernahm.1963<br />
erhielt er als erster Wissenschaftler<br />
die National Medal of Science.<br />
Konferenz als Premiere<br />
Zahlreicher Absagen zum Trotz fanden<br />
sich schließlich rund 30 Physiker und<br />
Mathematiker aus ehemals gegnerischen<br />
Lagern und neutralen Ländern für drei Tage<br />
in Innsbruck ein – es war das erste derartige<br />
Treffen nach dem Krieg. Den Treffpunkt<br />
hatte von Kármán bestimmt – Tirol<br />
war zentral gelegen und für die aus dem<br />
wirtschaftlich gebeutelten Deutschland<br />
Kommenden leistbar. Vorgetragen und<br />
diskutiert wurde wahrscheinlich im Hotel<br />
Grauer Bär, wo die meisten Gäste übernachteten.<br />
Einer der Vortragenden war ein<br />
junger Physikstudent aus München, Werner<br />
Heisenberg, dem wohl sein Doktorvater<br />
Arnold Sommerfeld die Teilnahme<br />
ermöglicht hatte. Für Heisenberg war es<br />
sein erster öffentlicher wissenschaftlicher<br />
WERNER HEISENBERG (19<strong>01</strong>–1976)<br />
studierte in München Physik, wo er 1923<br />
promovierte. Ein Jahr später habilitierte er<br />
sich in Göttingen. 1927 erhielt er einen<br />
Ruf an die Universität Leipzig, ab 1946<br />
war er Direktor des Max-Planck-Instituts<br />
für Physik in Göttingen. Heisenberg gab<br />
1925 die erste mathematische Formulierung<br />
der Quantenmechanik an. 1927 formulierte<br />
er die Unschärferelation. 1933<br />
erhielt er den Nobelpreis für Physik.<br />
Auftritt. Mit seinem Vortrag habe er sehr<br />
guten Eindruck geschunden, schrieb Heisenberg<br />
im Anschluss an seine Eltern.<br />
Die Konferenz in Tirol, an der mit Ottokar<br />
Tumlirz und Josef Tagger auch zwei<br />
Physiker der Uni Innsbruck teilnahmen,<br />
blieb keine Eintagsfliege. Im April 1924<br />
trafen sich im niederländischen Delft über<br />
200 Wissenschaftler zum Ersten Internationalen<br />
Kongress für Angewandte Mechanik,<br />
kurz zuvor hatten von Kármán<br />
und Levi-Civita den Tagungsband mit<br />
den Innsbrucker Vorträgen veröffentlicht.<br />
Aus der Konferenz in Delft ging die Internationale<br />
Vereinigung für theoretische<br />
und angewandte Mechanik (IUTAM) hervor,<br />
ihre alle vier Jahre stattfindenden<br />
Kongresse sind heute die wichtigsten für<br />
das Gebiet der Mechanik. ah<br />
Fotos: HArch Aachen – Sig.: 1.2.1._Kar_I (b), GFHund<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 7
8 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Foto: Andreas Friedle
STRESS IM ÖKOSYSTEM<br />
Hochalpine Lebensräume reagieren besonders sensibel auf Klimaveränderungen.<br />
Der Gossenköllesee auf rund 2. 400 Metern Seehöhe liefert weltweit einzigartige Daten für die<br />
Langzeitklimaforschung und zeigt bereits erste Reaktionen auf den Klimastress.<br />
Foto: White Frame Photo<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 9
TITELTHEMA<br />
AM GOSSENKÖLLESEE werden im Winter auch die Eisbedeckungsdauer, die Eisdicke und Zusammensetzung des Eises untersucht.<br />
Diese <strong>Forschung</strong>sstation ist für<br />
mich mittlerweile schon so etwas<br />
wie eine zweite Heimat“, sagt<br />
Birgit Sattler über den Gossenköllesee.<br />
Für sie ist der See die Wiege der alpinen<br />
und hochalpinen Limnologie – der Erforschung<br />
der Ökologie von Binnengewässern<br />
– an der Universität Innsbruck:<br />
„Wissenschaftler*innen der Universität<br />
Innsbruck forschen schon seit vielen Jahren<br />
an diesem See; bereits seit 1975 werden<br />
hier Daten erhoben.“ Wurden diese<br />
Daten lange nur punktuell verglichen<br />
und für einzelne <strong>Forschung</strong>sprojekte an<br />
der Universität Innsbruck genutzt, liefern<br />
sie seit 2<strong>01</strong>4 durch die Einbindung in<br />
die zwei Langzeitforschungsnetzwerke<br />
LTER (Long-Term Ecological Research)<br />
und GLEON (Global Lake Ecological Observatory<br />
Network) auch wichtige Daten<br />
für die Langzeitklimabeobachtung. Durch<br />
die Einbindung in diese beiden weltweit<br />
verbundenen Netzwerke werden am Gossenköllesee<br />
seit 2<strong>01</strong>4 (LTER) beziehungsweise<br />
2<strong>01</strong>5 (GLEON) monatlich gemessene<br />
Daten aufgezeichnet, ausgewertet und<br />
weltweit verglichen. GLEON sammelt<br />
und interpretiert weltweit Langzeitdaten<br />
von Seen, um die Entwicklung dieser<br />
Ökosysteme unter dem Aspekt des Klimawandels<br />
zu beobachten. Der Gossenköllesee<br />
ist als einziger hochalpiner See in<br />
Österreich Teil des Netzwerkes und liefert<br />
damit weltweit einzigartige Daten.<br />
Umfassende Messungen<br />
„Wir von der Lakes and Glacier Research<br />
Group, die von Ruben Sommaruga geleitet<br />
wird, fahren an der <strong>Forschung</strong>sstation<br />
jeden Monat dasselbe Programm. Die gute<br />
Erreichbarkeit im Sommer wie im Winter<br />
und auch unser gutes Einvernehmen<br />
AUTOMATISIERTE MESS-SONDEN<br />
lie fern in der eisfreien Zeit viertel- bis halbstündlich<br />
Daten für das Langzeit-Monitoring.<br />
mit den Kühtaier Bergbahnen kommt uns<br />
hier sehr entgegen“, erklärt Birgit Sattler.<br />
Monatlich gemessen und aufgezeichnet<br />
werden am Gossenköllesee unter anderem<br />
die Eisbedeckungsdauer, die Eisdicke<br />
und Zusammensetzung des Eises, die<br />
Leitfähigkeit des Wassers, sein pH-Wert<br />
und Sauerstoffgehalt, der Chlorophyll-<br />
Anteil im Wasser sowie die gesamte Wasserchemie,<br />
die von den Techniker*innen<br />
des Instituts analysiert wird. Ergänzt<br />
werden diese Daten durch automatisierte<br />
Sonden, die in den eisfreien Monaten – in<br />
der Regel Juni bis Oktober – bestimmte<br />
Parameter wie Wassertemperatur, pH-<br />
Wert, Sauerstoffgehalt und Leitfähigkeit<br />
des Wassers viertel- bis halbstündlich<br />
aufzeichnen.<br />
„Eine an der <strong>Forschung</strong>sstation angebrachte<br />
Webcam erlaubt uns zudem,<br />
die Prozesse des Zu- und Auffrieren<br />
des Sees genau zu beobachten“, erklärt<br />
Sattler. Darüber hinaus greifen die Wissenschaftler*innen<br />
auch auf ungewöhnlichere<br />
Quellen, wie alte Hüttenbücher<br />
und historische Dokumente zurück. „In<br />
einem Hüttenbuch aus den 1980er-Jahren<br />
fanden wir beispielsweise einen erstaunten<br />
Eintrag, dass der See im Hochsommer<br />
eine Temperatur von bereits 16 Grad<br />
Celsius habe. Im Sommer 2020 haben<br />
10 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Birgit Sattler (2), White Frame Photo (2)
TITELTHEMA<br />
wir eine Spitzentemperatur von 20 Grad<br />
Celsius gemessen“, erzählt Birgit Sattler.<br />
Eine Beobachtung, die auch die Langzeitdaten<br />
seit 2<strong>01</strong>4 bestätigen: „Man sieht,<br />
dass der Trend nach oben geht, sowohl<br />
was die Wassertemperatur als auch was<br />
die ‚Eisfreiheit‘ des Sees betrifft. Wir sehen<br />
deutlich, dass er später zufriert und<br />
die Eisdecke früher verschwindet“, sagt<br />
die Limnologin. „Auch die Dicke der Eisschicht<br />
nimmt im Durchschnitt ab.“<br />
Leben im Eis<br />
Birgit Sattler hat sich auf die Erforschung<br />
des Eises und der darin lebenden Organismen<br />
spezialisiert. „Auch wenn man es<br />
auf den ersten Blick bezweifelt, es leben<br />
sehr viele Mikroorganismen im Eis“, so<br />
Sattler. Die Eisdecke ist hauptsächlich mikrobiell<br />
dominiert. Vor allem deswegen,<br />
weil dieser Lebensraum – ein Gemisch<br />
aus Eiskristallen, Wasser und Schnee – so<br />
eng ist, dass sich Vielzeller kaum bewegen<br />
könnten. „Mikroorganismen haben<br />
in diesem Lebensraum klare Vorteile: Sie<br />
leben hier frei von Räubern und profitieren<br />
von den Ansammlungen aus der Atmosphäre,<br />
die in der Eisdecke akkumuliert<br />
werden und den Mikroorganismen<br />
als Nahrung dienen. So haben die Mikroorganismen<br />
in der Eisschicht optimale<br />
Bedingungen und entwickeln sich teils<br />
zu sehr großen Formen“, erklärt Sattler.<br />
Die Zusammensetzung und Struktur der<br />
Eisdecke auf dem See liefert auch einen<br />
sehr guten Überblick über den Verlauf<br />
eines Winters, ein Phänomen, das laut<br />
der Limnologin speziell in Hochgebirgsseen<br />
gut nachvollziehbar ist.<br />
„Wir können anhand der einzelnen<br />
Schichten der Eisdecke sehr gut sehen, ob<br />
es während eines Winters wärmere oder<br />
kältere Phasen oder viel Schneefall gab<br />
– jedes Wetterereignis führt zu einer anderen<br />
Struktur im Eis“, beschreibt Sattler<br />
IN EINEM HÜTTENBUCH von 1988<br />
wurde ein Temperaturmaximum von<br />
16 °C vermerkt, 2020 lag das Maximum<br />
der Wassertemperatur bei 20 °C.<br />
DER GOSSENKÖLLESEE ist ein 1,6 Hektar großer Hochgebirgssee auf 2. 416 Meter<br />
Seehöhe über dem Kühtaisattel in den Stubaier Alpen. Nachdem die ursprüngliche<br />
<strong>Forschung</strong>sstation am Finstertaler See einem Stauseeprojekt der TIWAG weichen musste,<br />
werden dort seit 1975 Daten erhoben. Direkt am See befindet sich eine nach dem kürzlich<br />
verstorbenen Hochgebirgslimnologen Roland Pechlaner benannte <strong>Forschung</strong>sstation, die<br />
auf Initiative von Roland Psenner 1994 grundlegend saniert wurde und über Laborplätze,<br />
Schlafmöglichkeiten, Küche und Sanitäranlagen verfügt. Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen<br />
am Gossenköllesee beschäftigen sich mit diversen wasserlebenden Organismengruppen<br />
wie Bakterien, Flagellaten und Copepoden sowie dem atmosphärischen<br />
Eintrag in und dessen Einfluss auf das Gewässer. Eine weitere Besonderheit im Gossenköllesee<br />
ist auch sein Fischbestand: Die dort angesiedelten Bachforellen stammen noch aus<br />
dem künstlichen Besatz durch Kaiser Maximilian um 1500. Während seiner Herrschaftszeit<br />
veranlasste er aufgrund seiner Passion für die Fischerei, viele Tiroler Bergseen mit Forellen<br />
und Saiblingen zu besetzen. Die Aufnahme des Gossenköllesees als einziger hochalpiner<br />
See Österreichs in das internationale <strong>Forschung</strong>sprojekt GLEON ist ein wichtiger Schritt, um<br />
auch weiterhin die <strong>Forschung</strong>en und den Bestand der Fische zu sichern.<br />
und vergleicht den Aufbau der Eisschicht<br />
mit einer Manner-Schnitte: „Wir sehen,<br />
wie sich einzelne Eis- und Matschschichten<br />
überlagern, in der nährstoffreichen<br />
‚Schokoschicht’ leben die Mikroorganismen.“<br />
Schmilzt diese Eisschicht im Sommer<br />
ab, ergießt sich ein wahrer Nährstoffregen<br />
in den See. „Alle in der Eisschicht<br />
aus der Atmosphäre akkumulierten<br />
Nährstoffe und die darin lebenden Mikroorganismen<br />
werden bei diesem ‚First<br />
flush‘ in das Seewasser freigegeben und<br />
fungieren hier wie eine Art Dünger, was<br />
auch an verschiedenen Parametern wie<br />
beispielsweise der Leitfähigkeit des Wassers<br />
ablesbar ist“, erklärt Birgit Sattler.<br />
Kürzere Eisbedeckung<br />
Die Eisschicht hat also einen enormen<br />
Einfluss auf den Lebensraum Hochgebirgssee.<br />
Wird die Dauer der Eisbedeckung<br />
und die Dicke der Eisschicht dünner,<br />
bedeutet dies neben einer Veränderung<br />
dieses ‚First flush‘ auch enormen<br />
Stress für das gesamte Ökosystem im See.<br />
So werden die im See lebenden Organismen<br />
durch eine kürzere Eisbedeckungszeit<br />
beispielsweise länger der im Hochgebirge<br />
sehr starken UV-Strahlung ausgesetzt.<br />
„Auch wenn entsprechende Änderungen<br />
im Hochgebirge aufgrund der<br />
sehr kurzen Vegetationsperiode – im<br />
Schnitt herrschen am Gossenköllesee acht<br />
Monate Winter – etwas langsamer passieren,<br />
sehen wir vor allem, wenn wir auch<br />
Daten vor Beginn des Langzeitmonitorings<br />
heranziehen, erste Veränderungen<br />
in der Zusammensetzung der im See lebenden<br />
Organismen“, so Birgit Sattler.<br />
Für die Limnologinnen und Limnologen<br />
ist es deshalb besonders wichtig, die Besonderheit<br />
und auch Sensibilität dieses<br />
Lebensraums der Bevölkerung näherzubringen.<br />
„Wir haben mit der Langzeitforschung<br />
am Gossenköllesee ein sehr wertvolles,<br />
weltweit einzigartiges <strong>Forschung</strong>sgebiet.<br />
Das sollten wir alle schätzen und<br />
schützen.“ sr<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 11
TITELTHEMA<br />
SCHWERE ZEITEN<br />
FÜR DIE FICHTE<br />
In der Forsthütte Praxmar untersuchen Wissenschaftler*innen der Universität Innsbruck<br />
den Befall von Fichten durch den Rostpilz Chrysomyxa rhododendri.<br />
Die Evolution hat sehr unterschiedliche<br />
Strategien hervorgebracht,<br />
um kalte Winter zu überstehen.<br />
Manche Lebewesen fressen sich Vorräte<br />
an und schlafen monatelang in einer Höhle.<br />
Andere nehmen ein Flugzeug in Richtung<br />
Balearen. Und der Rostpilz Chrysomyxa<br />
rhododendri überwintert in den Blättern<br />
der Alpenrose. Im Frühjahr, wenn<br />
es wieder wärmer wird, bildet er neue<br />
Sporen und wird vom Wind zurück in<br />
sein Sommerquartier getragen: neu austreibende<br />
Fichtennadeln. Dieser jahreszeitliche<br />
Wechsel zwischen zwei Wirten<br />
ist ein typisches Verhalten für Rostpilze.<br />
Für den Wald in den Hochlagen Tirols ist<br />
das ein großes Problem. Der Pilz schädigt<br />
den Baumbestand so sehr, dass es in manchen<br />
Regionen bereits Schwierigkeiten bei<br />
der Aufforstung gibt – so zum Beispiel bei<br />
Praxmar im Tiroler Sellraintal. Hier steht<br />
inmitten eines subalpinen Fichten- und<br />
Zirbenwaldes eine ehemalige Forstdiensthütte,<br />
die nun von Wissenschaftler*innen<br />
der Universität Innsbruck genutzt wird.<br />
Dem Schädling auf der Spur<br />
Die Ökophysiologin Andrea Ganthaler<br />
vom Institut für Botanik untersuchte<br />
Rostpilzinfektionen bereits vor einigen<br />
Jahren in ihrer Doktorarbeit. Gemeinsam<br />
mit Stefan Mayr, Leiter des <strong>Forschung</strong>sschwerpunktes<br />
„Alpiner Raum“, führt<br />
sie nun das <strong>Forschung</strong>sprojekt „Rostinfektion<br />
von Bergfichten“ durch. Für die<br />
notwendigen Feldforschungen bietet die<br />
Hütte in Praxmar dabei ideale Voraussetzungen.<br />
Sie verfügt über Strom und<br />
Wasser, was die Durchführung von Experimenten<br />
erleichtert, und bietet einfachen<br />
Zugang zu ausgewachsenen Bäumen in<br />
der Umgebung. „Generell sind Schädlingsbefall<br />
und Trockenheit die größte<br />
Gefahr für den Wald, jetzt und in <strong>Zukunft</strong>“,<br />
erklärt Ganthaler. „Nadelrost hat<br />
STEFAN MAYR UND ANDREA GANTHALER untersuchen die Rostinfektion von Bergfichten.<br />
eine eher regionale Bedeutung, ist aber<br />
ein hervorragendes Modell, um solche<br />
Bedrohungen zu analysieren.“ In Tirol<br />
dominiert vielerorts die Fichte als wichtiger<br />
Forstbaum die Waldflächen – auch an<br />
der Waldgrenze, wo der Befall durch den<br />
Rostpilz besonders intensiv auftritt. Diese<br />
Waldbereiche sind zumeist auch Schutzwald,<br />
der Siedlungen vor Lawinen oder<br />
Erdrutschen bewahrt.<br />
12 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Andrea Ganthaler (3), Stefan Mayr (1), Andreas Friedle (1)
TITELTHEMA<br />
HINWEISSCHILD an einer gegen Chrysomyxa<br />
rhododendri resistenten Fichte.<br />
Warum der Rostpilzbefall im letzten<br />
Jahrzehnt wiederholt sehr hoch war,<br />
ist wissenschaftlich noch nicht geklärt.<br />
Höchstwahrscheinlich sind jedoch zwei<br />
Faktoren dafür verantwortlich. Durch den<br />
Klimawandel nehmen feuchte und warme<br />
Phasen zu, die der Pilz zur Vermehrung<br />
braucht. Weiterhin wird die Verbreitung<br />
der Alpenrose durch die zunehmende<br />
Auflassung von Almen begünstigt,<br />
womit der Pilz mehr Möglichkeiten zum<br />
Überwintern erhält. Die Folgen davon<br />
sind auch für Laien deutlich erkennbar.<br />
Im Wald werden die Fichtennadeln erst<br />
gelb, dann orange bis braun und fallen<br />
schließlich ab. Der Rostpilzbefall schädigt<br />
die Fichte nicht nur direkt, sondern<br />
schwächt die Bäume auch gegenüber anderen<br />
schädlichen Einflüssen. „Auf einer<br />
Fichte finden sich ungefähr zehn Nadeljahrgänge“,<br />
erklärt Stefan Mayr. „Wenn<br />
der Baum seine Nadeln abwirft, um den<br />
Pilz loszuwerden, verliert er einen Teil<br />
der grünen Blattmasse und kann weniger<br />
Photosynthese betreiben. Er ist dann auch<br />
anfälliger gegen Faktoren wie Trockenstress<br />
oder Befall durch andere Schädlinge,<br />
etwa den Borkenkäfer. Wenn eine<br />
junge Fichte, die nur drei Nadeljahrgänge<br />
besitzt, wiederholt vom Pilz befallen<br />
wird, ist die Schädigung so massiv, dass<br />
der Baum kaum Überlebenschancen hat.“<br />
Abwehr braucht Vielfalt<br />
In der Region um Praxmar konnten die<br />
Wissenschaftler*innen einige wenige<br />
Bäume identifizieren, die vom Rostpilz<br />
verschont werden. Sie versuchen nun, die<br />
Abwehrmechanismen dieser Bäume zu<br />
untersuchen und dadurch auch die Infektionswege<br />
des Rostpilzes besser zu verstehen.<br />
Außerdem wird versucht, resistente<br />
Bäume zu vermehren, um Material für<br />
zukünftige Aufforstungen in Hochlagen<br />
zu züchten. Das erweist sich jedoch als<br />
EINE INFIZIERTE FICHTE, deutlich zu<br />
erkennen an den gelben Nadeln.<br />
DIE FORSTHÜTTE IN PRAXMAR<br />
war ursprünglich im Besitz des Landes<br />
Tirol bzw. der Landesforstdirektion<br />
Tirol. Seit den 1990er-Jahren wurde sie<br />
für <strong>Forschung</strong>sprojekte am Institut für<br />
Botanik zunächst gepachtet und im Jahr<br />
2<strong>01</strong>9 durch die Universität Innsbruck erworben.<br />
Forscher*innen vom Institut für<br />
Botanik nutzen sie vor allem für ökophysiologische<br />
Messungen an alpinen Arten,<br />
mit Fokus auf alpine Koniferenarten. Die<br />
Forsthütte wurde bereits für zahlreiche<br />
Projekte genutzt, derzeit laufen dort Messungen<br />
für mehrere FWF-Projekte.<br />
SPOREN des Fichtennadel-Rostpilzes Chrysomyxa<br />
rhododendri unter dem Mikroskop.<br />
unerwartet schwierig: „Wir haben in Tirol<br />
bisher nur etwa 30 Bäume gefunden, die<br />
gegen den Pilz deutlich resistenter sind“,<br />
sagt Ganthaler. „Durch Stecklingsbewurzelung<br />
konnten wir Ableger dieser Bäume<br />
in Zusammenarbeit mit der Tiroler<br />
Landesforstdirektion und den Landesforstgärten<br />
anziehen. 30 Herkunftsbäume<br />
sind aber für Wiederaufforstungen noch<br />
zu wenig.“ Ein Forstbestand braucht ungefähr<br />
100 Herkunftsbäume, um eine<br />
genetisch stabile und anpassungsfähige<br />
Population aufzubauen. Sonst besteht die<br />
Gefahr, dass er sich nicht an Stressfaktoren<br />
anpassen kann.<br />
Im Laufe des Projektes gelang es den<br />
Forscher*innen, die Abwehrmechanismen<br />
der Bäume und die Infektionswege<br />
des Pilzes zu entschlüsseln. Sie konnten<br />
nachweisen, dass bei einer Infektion die<br />
Sporen des Pilzes zunächst über die Spaltöffnungen<br />
eindringen – das sind Öffnungen,<br />
die jede Pflanze braucht, um CO 2<br />
aufzunehmen und Photosynthese zu betreiben.<br />
Als Reaktion auf die Infektion versucht<br />
die Pflanze, die Ausbreitung in den<br />
Nadeln zu verhindern. Dafür aktiviert sie<br />
bestimmte Stoffwechselwege und Gene,<br />
die das Wachstum des Pilzes hemmen. „Es<br />
kommt zu einer sogenannten Hypersensitive<br />
Response“, sagt Ganthaler. „Die Pflanze<br />
lässt befallene Zellen absterben, um den<br />
Pilz zu isolieren. Und die resistenten Bäume<br />
machen das wesentlich besser als die<br />
Befallenen. Wir konnten ein Set von Genen<br />
identifizieren, die für diese Reaktion wichtig<br />
sind und unter anderem dafür zuständig<br />
sind, dass sekundäre Inhaltsstoffe wie<br />
Phenole und bestimmte Hormone anders<br />
reguliert werden. Diese identifizierten Gene<br />
möchten wir auch als Marker benutzen,<br />
um in <strong>Zukunft</strong> schneller nachzuweisen, ob<br />
ein Baum resistent ist.“<br />
Die Waldgrenze erforschen<br />
Das durch den FWF finanzierte Projekt ist<br />
weitgehend abgeschlossen, rund um die<br />
Forsthütte werden jedoch verschiedene<br />
Untersuchungen fortgeführt. Die Wissenschaftler*innen<br />
überwachen den Wald<br />
weiterhin mittels Drohnenflügen, um den<br />
Befall im Gebiet zu beziffern. Auch die<br />
Fichtenstecklinge, die bei der Forsthütte in<br />
einer Baumschule wachsen, werden beobachtet<br />
und auf Befall untersucht. „Für uns<br />
ist es eine spannende Frage, ob die Klone<br />
die Resistenz dauerhaft behalten können“,<br />
sagt Mayr. „Außerdem ist es sehr wichtig,<br />
im Alpenraum mehr <strong>Forschung</strong> zu betreiben“,<br />
ergänzt Ganthaler. „Die speziellen<br />
Probleme, die sich durch die Höhenlage<br />
und Baumarten ergeben, sind oft noch unzureichend<br />
verstanden. Tirol mit seinen<br />
großen Schutzwaldflächen bietet ein großes<br />
Potenzial für wissenschaftliche Untersuchungen.“<br />
fo<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 13
TITELTHEMA<br />
AN DER WETTER- UND SCHNEESTATION „Proviantdepot“ (2. 737 m) werden automatisch eine Vielzahl von meteorologischen und<br />
Schneevariablen gemessen und per GSM übertragen. Im Hintergrund der Hintereisferner und die Weißkugel (3. 738 m).<br />
EINZIGARTIGES<br />
FREILUFTLABOR<br />
Das Rofental zählt zu den besterforschten Hochgebirgsräumen der Welt, seit über 150 Jahren wird<br />
dort der Rückgang der Gletscher und dessen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt untersucht.<br />
Es ähnelt einer kleinen Biwakschachtel,<br />
doch der weiße Wellblechcontainer<br />
hoch oben am Grat über dem<br />
Hintereisferner ist ein Hightech-Labor,<br />
ausgestattet mit einem terrestrischen<br />
Laserscanner, der regelmäßig die Gletscheroberfläche<br />
abtastet – und dabei dem<br />
Hintereisferner beim dramatischen Rückgang<br />
zuschaut. „Unser <strong>Forschung</strong>sobjekt<br />
schmilzt uns unter den Fingern weg“, sagt<br />
Ulrich Strasser vom Institut für Geographie<br />
der Universität Innsbruck, trotzdem<br />
– oder gerade deshalb – sei es wichtig, das<br />
Eisfreiwerden der Alpen zu studieren und<br />
zu erforschen. Im Rofental mit den – immer<br />
noch – großen Hintereis-, Vernagtund<br />
Kesselwandferner finden Forscherinnen<br />
und Forscher wie der Schneehydrologe<br />
Strasser optimale Voraussetzungen vor.<br />
Zudem zählt das „Open Air Laboratory<br />
Rofental“ zu den besterforschten Hochgebirgsräumen<br />
der Welt, wurden hier doch<br />
erste hydrometeorologische und glaziologische<br />
Beobachtungen schon vor rund 150<br />
Jahren durchgeführt.<br />
Langzeitforschung im Eis<br />
„Für frühe Gletscherforscher war der<br />
Vernagtferner wahrscheinlich wegen<br />
seines besonderen Vorstoßverhaltens interessant“,<br />
vermutet Strasser. Über Jahrhunderte<br />
trafen solche schnellen Vorstöße<br />
im Rofental auf die gegenüberliegende<br />
Felswand, das Eis bildete einen gewaltigen<br />
Damm. Dieser staute das Wasser<br />
der Rofen ache, die dem Hintereisferner<br />
entspringt. Meist floss das Wasser des<br />
Rofener Eissees über den Eisdamm ab,<br />
doch immer wieder gab der Damm nach<br />
und gewaltige Eis- und Wassermassen<br />
stürzten sich das Tal hinab – mit katastrophalen<br />
Folgen für Mensch, Tier und<br />
Landwirtschaft in Vent, im Ötz-, ja sogar<br />
im Inntal. Nach einem solchen Ausbruch<br />
im Jahr 1600 untersuchten ein Jahr später<br />
kaiserliche Behörden das Rofental, dem<br />
daraus resultierenden Bericht nach Wien<br />
verdanken wir heute die älteste bildliche<br />
Darstellung eines Alpengletschers.<br />
Pionierarbeit leisteten in der zweiten<br />
Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa Sebas-<br />
14 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Ulrich Strasser
TITELTHEMA<br />
tian Finsterwalder, Adolf Blümke oder<br />
Hans Hess. Finsterwalders Karte, welche<br />
die Topografie des Vernagt ferners aus<br />
dem Jahr 1889 im Maßstab 1:10.000 festhält,<br />
gilt als Meilenstein der Gletscherkartografie,<br />
Hess und Blümke brachten<br />
erstmals den Hintereisferner detailgetreu<br />
zu Papier. In den 1890er-Jahren gab es am<br />
Hintereisferner die ersten Tiefenbohrungen<br />
und Bewegungsmessungen, schon<br />
1905 wurde der erste Regenmesser im Rofental<br />
installiert, die Massenbilanzreihen<br />
der drei Gletscher gehören zu den längsten<br />
ununterbrochenen weltweit. „Wir<br />
können hier teilweise auf Messreihen zugreifen,<br />
die bis ins vorvorige Jahrhundert<br />
zurückreichen“, beschreibt Strasser eine<br />
Einzigartigkeit des <strong>Forschung</strong>sgebiets Rofental.<br />
Kein Wunder also, dass das Rofental<br />
Teil des Netzwerks LTSER (Long-Term<br />
Socio-Ecological Research) ist, das die<br />
menschlichen Komponente in die ökologische<br />
Langzeitforschung integriert. Das<br />
Rofental ist zudem unter anderem Teil<br />
von INARCH (International Network for<br />
Alpine Research Catchment Hydrology),<br />
WGMS, (World Glacier Monitoring Service)<br />
und dem EU-INTERACT-Network.<br />
„Die Universität Innsbruck ist mit dem<br />
Rofental als Vorzeige-Messgebiet international<br />
sichtbar“, betont Strasser.<br />
Eine andere Einzigartigkeit liegt an der<br />
Topografie des „Labors“, reicht es doch<br />
von Vent, einer kleinen Fraktion der Gemeinde<br />
Sölden auf 1. 895 Meter Höhe,<br />
über die Rofenhöfe – auf 2. <strong>01</strong>4 Metern die<br />
höchstgelegenen dauerbesiedelten Bergbauernhöfe<br />
Österreichs – bis hinauf zur<br />
Wildspitze, mit 3. 768 Metern der höchste<br />
Berg Tirols. „Solche Hochgebirgsräume<br />
gibt es im Ostalpenraum nur wenige und<br />
es herrschen extreme Bedingungen. <strong>Forschung</strong><br />
vor Ort hier ist unbequem, kalt,<br />
schwierig und manchmal teuer“, sagt<br />
Strasser. Doch trotz dieser Widrigkeiten<br />
ist das Rofental Anziehungspunkt für<br />
einen großen „Klub an Interessierten“,<br />
wie es Strasser formuliert: Innsbrucker<br />
Forscherinnen und Forscher von den Instituten<br />
für Geographie sowie für Atmosphären-<br />
und Kryosphärenwissenschaften<br />
(ACINN), die Bayerische Akademie<br />
der Wissenschaften sowie Experten der<br />
hydrografischen und meteorologischen<br />
Dienste Nordtirols und des Energieversorgers<br />
TIWAG. Eng kooperiert wird zudem<br />
mit der Bozner EURAC und den entsprechenden<br />
Landesdiensten Südtirols, die<br />
1<br />
2<br />
3<br />
FORSCHUNG IM HOCHGEBIRGSRAUM<br />
1 Container mit Laserscanner am „Hintern<br />
Eis“ (3. 244 Meter). 2 Studierende der<br />
Universität Innsbruck bei Messungen im<br />
Bereich der Schönen-Aussicht-Hütte. 3<br />
Niederschlagsmessung an der Pegelstation<br />
Rofen ache/Vent (1. 891 Meter).<br />
jenseits der Grenze im Schnalstal und im<br />
Matschertal forschen. Gemeinsam werden<br />
kryosphärische, atmosphärische und hydrologische<br />
Prozesse und Veränderungen<br />
beobachtet, es gibt auch Versuchsfelder<br />
für Prozess-Studien, Modellentwicklung<br />
und -evaluation sowie Tests neuer Messverfahren.<br />
Zusammenarbeit über Fachund<br />
Landesgrenzen bestimmt die <strong>Forschung</strong><br />
– und auch den Datenaustausch.<br />
Kooperation am Gletscher<br />
„Ein Großteil der Daten, die automatisiert<br />
und kontinuierlich gemessen werden,<br />
geht an den Server des Landes Tirol, auf<br />
dem alle Echtzeitdaten der Landesdienste<br />
für Hochwasser- und Lawinenwarnung<br />
zusammenlaufen“, berichtet Strasser. Die<br />
Landesexperten können somit für ihre Berechnungen<br />
auch auf die Daten der Forscher<br />
zugreifen, „umgekehrt bekommen<br />
wir, falls wir sie für unsere Arbeit benötigen,<br />
Daten von ihren Messnetzen.“<br />
Grenzüberschreitend ist ein FWF-Projekt,<br />
das derzeit von einem <strong>Forschung</strong>steam<br />
des ACINN und der Universität Erlangen-Nürnberg<br />
vorangetrieben wird.<br />
Ziel sind neue, hochauflösende Modelle<br />
zur Erstellung der Massenbilanz, um den<br />
Wandel der Eisriesen noch detaillierter<br />
nachvollziehen zu können. Diese Simulationen<br />
können selbst lokale Phänomene<br />
wie die Schneedrift am Gletscher berücksichtigen.<br />
Das Team nutzt dabei die Daten<br />
des Laserscanners, der 2<strong>01</strong>6 installiert<br />
wurde und in dieser Form weltweit einzigartig<br />
ist.<br />
Gut verwahrt im geheizten <strong>Forschung</strong>scontainer<br />
– der Strom kommt<br />
über das Kabel eines stillgelegten Lifts<br />
– wird der Scanner von Innsbruck aus<br />
ferngesteuert, fürs Messen öffnet sich<br />
automatisch eine Art Guckloch in der<br />
Containerwand. Eine Eigenkonstruktion,<br />
die Teil des Hightech-Equipments im Rofental<br />
ist. Rund ein Dutzend Standorte für<br />
klassische meteorologische Messungen<br />
(Strasser: „Allein deren vertikale Variabilität<br />
von 2. 400 bis 3. 200 Meter auf engstem<br />
Raum wäre ein eigenes <strong>Forschung</strong>sprojekt.“),<br />
mehrere Abflussmessstationen,<br />
Webcams, Sensoren für kosmische Strahlung,<br />
sogar akustische Messgeräte finden<br />
sich im <strong>Forschung</strong>sgebiet. „Durch den<br />
Wind verwehte Schneepartikel prasseln<br />
auf ein Rohr und verursachen ein Rauschen.<br />
Über dessen Lautstärke kann man<br />
die Masse des umverlagerten Schnees berechnen“,<br />
erklärt Strasser, der damit Modelle<br />
für Schneeverwehungen erstellen<br />
will, die den Lawinenwarndienst unterstützen<br />
könnten.<br />
Aus einem völlig neuen Blickwinkel<br />
können Innsbrucker Forscherinnen und<br />
Forscher das Rofental möglicherweise in<br />
<strong>Zukunft</strong> betrachten. Strassers Arbeitsgruppe<br />
ist Teil eines Projekts der Europäischen<br />
Weltraumorganisation ESA, die<br />
anhand von Case Studies herausfinden<br />
möchte, wie Daten aus dem Weltraum die<br />
<strong>Forschung</strong> zu Erde unterstützen können.<br />
Im Rofental soll untersucht werden, wie<br />
mit Satelliten-Daten am besten die Modellierung<br />
der Schneedecke verbessert werden<br />
kann. ah<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 15
TITELTHEMA<br />
REICH GESCHMÜCKTE<br />
UNTERWELT<br />
Die Spannagelhöhle unterhalb des Hintertuxer Gletschers im Tiroler Zillertal<br />
ist die höchstgelegene Schauhöhle Europas – mit unerwarteten Eigenschaften.<br />
Das Höhlensystem ist trotz seiner hochalpinen Lage eisfrei.<br />
16 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Robbie Shone, Andreas Wolf
TITELTHEMA<br />
Der Geologe Christoph Spötl untersucht<br />
die größte Höhle Tirols seit<br />
mehr als zwei Jahrzehnten. „Sie<br />
ist eine Augenweide“, sagt er über „die<br />
Spannagel“. Seit knapp 25 Jahren begleitet<br />
die Marmor-Höhle bei Hintertux<br />
in den Zillertaler Alpen den Forscher<br />
schon. Das insgesamt elf Kilometer lange<br />
Höhlensystem ist im vorderen Teil auch<br />
touristisch erschlossen und mit der Gletscherbahn<br />
einfach erreichbar. Die gute<br />
Zugänglichkeit ist ein großer Pluspunkt<br />
der Höhle, für die <strong>Forschung</strong> interessant<br />
ist sie aber aus einem anderen Grund.<br />
Die Spannnagelhöhle weist nämlich Eigenschaften<br />
auf, die man unter den Umständen<br />
vor Ort eigentlich nicht erwarten<br />
würde: Der Eingang zur Höhle liegt auf<br />
einer Höhe von 2. 524 Metern unweit des<br />
Hintertuxer Gletschers. „Noch vor etwa<br />
100 Jahren war sie zu zwei Drittel vom<br />
Gletscher bedeckt, inzwischen hat sich<br />
der Gletscher massiv zurückgezogen“,<br />
erklärt Spötl, Leiter der Arbeitsgruppe<br />
für Quartärforschung am Institut für Geologie.<br />
Trotz der großen Seehöhe und der<br />
damit verbundenen niederen Temperatur<br />
von nur zwei Grad hat sie überraschenderweise<br />
einen reichen Sinterschmuck.<br />
„Tropfsteine sind für uns ein wertvolles<br />
Archiv, wir können damit wie in einem<br />
Buch sehr weit zurück in die Vergangenheit<br />
blättern. Sie speichern in ihrer geochemischen<br />
Zusammensetzung Klimaund<br />
Umweltinformationen. Entstehen<br />
können diese Ablagerungen aber nur,<br />
wenn flüssiges Wasser vorhanden ist“, so<br />
der Geologe. „Die Altersdatierungen an<br />
Tropfsteinen zeigten uns, dass die Höhle<br />
nie zugefroren war, es herrschten immer<br />
Temperaturen knapp über Null Grad –<br />
selbst in wesentlichen kälteren Perioden<br />
der Klimageschichte.“<br />
Wie eine Decke<br />
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht<br />
intuitiv klingt: Dass die Spannagelhöhle<br />
nie zu einer Eishöhle wurde, hat sie dem<br />
Gletscher über ihr zu verdanken. „Er hat<br />
sich in kälteren Klimaphasen wie eine isolierende<br />
Bettdecke über die Höhle gelegt<br />
und die Temperatur im Höhlensystem<br />
darunter nie unter Null sinken lassen.<br />
Damit war Wasser in flüssiger Form vorhanden<br />
und die Bildung von Sinterablagerungen<br />
war möglich – über sehr lange<br />
Zeit hinweg“. Als junger Wissenschaftler<br />
war Christoph Spötl bei seinen ersten Begehungen<br />
der Höhle im Jahr 1998 noch<br />
davon ausgegangen wenn überhaupt nur<br />
sehr junge Ablagerungen zu finden. „Unsere<br />
Untersuchungen zeigten aber, dass<br />
die Sintervorkommen in der Spannagelhöhle<br />
bis zu einer halben Million Jahre alt<br />
sind und uns somit sehr weit in das Quartär<br />
zurückschauen lassen.“ Das Team um<br />
Spötl hat in den letzten Jahrzehnten weltweit<br />
Klimaarchive in Form von Höhlenablagerungen<br />
identifiziert und analysiert<br />
– allerdings nicht auf so großer Seehöhe.<br />
„Solche weit zurückreichenden Aufzeichnungen<br />
der Klimavergangenheit eines<br />
Hochgebirges sind mir anderswo nicht<br />
bekannt, das ist ein Alleinstellungsmerkmal“,<br />
betont der Forscher.<br />
Erderwärmung spürbar<br />
Um die in den Tropfsteinen gespeicherten<br />
Informationen einordnen zu können, ist<br />
ein gutes Verständnis des Höhlensystems<br />
in der Gegenwart wichtig. Dazu führt<br />
Christoph Spötl mit seinem Team seit<br />
mehr als 20 Jahren ein Monitoring in der<br />
Spannagelhöhle durch. An mehreren<br />
Punkten in der Höhle werden mit kleinen<br />
autonomen und wasserdichten Messgeräten<br />
– sogenannten Datenloggern – verschiedene<br />
Parameter des Höhlenklimas<br />
erfasst. „Das ist vergleichbar mit einer<br />
Wetterstation. Im Fokus steht für uns vor<br />
allem die Messung der Lufttemperatur,<br />
aber auch Informationen darüber, wo das<br />
Wasser in die Höhle eindringt und welche<br />
chemische Beschaffenheit es hat.“ Regelmäßig<br />
werden die Mini-Stationen gewartet<br />
und die aufgezeichneten Daten heruntergeladen.<br />
Von besonderem Interesse<br />
ist dabei der innere, öffentlich nicht zugängliche<br />
Teil der Höhle. „Dort sind die<br />
Jahreszeiten nicht mehr spürbar und es<br />
herrschen das ganze Jahr extrem stabile<br />
Bedingungen.“ In den letzten 20 Jahren<br />
lässt sich aber selbst dort die durch den<br />
fortschreitenden Klimawandel bedingte<br />
Erderwärmung beobachten: „Wir messen<br />
dort einen kontinuierlichen Anstieg der<br />
SEIT 1994 sind Teile der prächtigen Marmor-Höhle auch touristisch zugänglich.<br />
Temperaturen: Zwar bewegt sich dieser<br />
nur im Zehntelgrad-Bereich, dennoch<br />
zeigt uns das, dass die Erwärmung selbst<br />
in diesen entfernten Höhlenteilen bereits<br />
angekommen ist“, betont der Geologe.<br />
„Die Spannagelhöhle liefert der Höhlenund<br />
Klimaforschung zahlreiche interessante<br />
Informationen, die ich sonst von<br />
keinem anderen Ort auf der Welt kenne.<br />
Sie erlaubt uns – fast ein wenig vergleichbar<br />
mit dem Hubble-Teleskop – Blicke in<br />
‚Galaxien‘ weit vor unserer Zeit, über die<br />
es sonst keine Daten gibt.“ mb<br />
DIE ARBEITSGRUPPE für Quartärforschung<br />
am Institut für Geologie unter der<br />
Leitung von Christoph Spötl untersucht<br />
seit vielen Jahren Höhlenablagerungen<br />
verschiedenster Art in Höhlensystemen<br />
weltweit, teils verbunden mit spektakulären<br />
Expeditionen. Neben Höhlen in den<br />
Alpen forschen die Mitarbeiter*innen der<br />
Arbeitsgruppe in mehreren europäischen<br />
Ländern, Grönland, USA, Iran, Russland,<br />
China und Namibia. Die Ergebnisse<br />
dieser Arbeiten liefern wesentliche<br />
Informationen für die Paläoklimatologie.<br />
Die Studien von Spötl und seinem Team<br />
erscheinen regelmäßig in hochrangigen<br />
internationalen Wissenschaftsjournalen.<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 17
TITELTHEMA<br />
ZWEI TÜRME FÜR<br />
DIE WISSENSCHAFT<br />
Am Mieminger Plateau wird mithilfe der neuen <strong>Forschung</strong>sstation FAIR der Austausch<br />
von Spurengasen und Energie zwischen dem Wald und der Atmosphäre gemessen.<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Bei Obermieming, 960 Metern über<br />
dem Meeresspiegel, steht ein Turm.<br />
Steigt man bis auf die Spitze – was<br />
nur nach einer Mastkletterausbildung<br />
gestattet ist – befindet man sich 30 Meter<br />
über dem Boden und hat einen Ausblick<br />
weit über den Kiefernwald und zu den<br />
schneebedeckten Gipfeln der Umgebung.<br />
Alles, was hier zwischen Luft und Boden<br />
vor sich geht, jeder Windstoß, Regentropfen<br />
oder Sonnenstrahl, wird von den<br />
Sensoren am Turm gemessen und an Forscher*innen<br />
der Universität Innsbruck<br />
weitergeleitet.<br />
Der Turm gehört zu einer Station namens<br />
FAIR, eine Abkürzung für „Forest<br />
Atmosphere Interaction Research“. Für<br />
die Beobachtung dieser Wechselwirkung<br />
zwischen Wald und Atmosphäre ist die<br />
Station mit ihrer Ausstattung und Lage<br />
bestens geeignet. „Als wir nach einem<br />
Standort für FAIR gesucht haben, gab es<br />
natürlich viele praktische Fragen, wie den<br />
Zugang zu Infrastruktur“, sagt Mathias<br />
Rotach vom Institut für Atmosphärenund<br />
Kryosphärenwissenschaften. „Mir<br />
war aber auch wichtig, dass die Station<br />
sich in einer komplexen Gebirgslandschaft<br />
befindet. Innerhalb der wissenschaftlichen<br />
Community ist sie damit<br />
ziemlich einzigartig.“ Rotach ist gemeinsam<br />
mit Georg Wohlfahrt vom Institut für<br />
Ökologie für die Koordination der Projekte<br />
an der neuen Messstation zuständig.<br />
„Auch die starke Verbreitung der<br />
Waldkiefer macht Obermieming zu einem<br />
attraktiven Standort“, erklärt Wohlfahrt.<br />
„Dieser Baum ist von Mitteleuropa<br />
bis nach Skandinavien und Sibirien weit<br />
verbreitet. In einigen Alpentälern, wie<br />
FORSCHUNGSSTATION FAIR<br />
1 Am 30 Meter hohen Turm werden<br />
Messgeräten montiert, links davon ragt<br />
die begehbare Brücke durch die Baumkronen.<br />
2 Ein Punktdendrometer misst<br />
Veränderungen des Stammdurchmessers<br />
im Mikrometer-Bereich. 3 Das Messgerät<br />
quantifiziert die Chlorophyllfluoreszenz<br />
von Pflanzen, in diesem Fall der Nadeln<br />
der Waldkiefer.<br />
beispielsweise dem Schweizer Wallis,<br />
befindet er sich aber an seinen klimatischen<br />
Grenzen. Wir haben am Standort<br />
Obermieming wegen der Südlage und<br />
dem dünnen Boden also ein Ökosystem,<br />
das durch den Klimawandel und Temperaturanstieg<br />
gefährdet ist. Es ist äußerst<br />
wichtig, diesen Vorgang genau zu beobachten<br />
und das geht am besten unter den<br />
18 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Klemens Weisleitner (2), Georg Wohlfahrt (1), Andreas Friedle (1)
TITELTHEMA<br />
Bedingungen, wie wir sie hier in Obermieming<br />
vorfinden.“<br />
20 Messungen pro Sekunde<br />
Vor vier Jahren begann der Bau der <strong>Forschung</strong>sstation<br />
mit einer 700 Meter langen<br />
Stromleitung, die vom Obermieminger<br />
Ortsrand in den Wald verlegt wurde.<br />
Im April 2021 wurden schließlich die<br />
ersten Messgeräte in Betrieb genommen.<br />
Am 30 Meter hohen Turm sind diese auf<br />
mehreren vertikalen Ebenen vom Boden<br />
bis zur Spitze verteilt. Sie messen unter<br />
anderem Temperatur, Luftfeuchte, Windgeschwindigkeit<br />
und Windrichtung,<br />
Niederschlag und einfallende Sonnenstrahlung.<br />
Über einen Schlauch wird<br />
Luft angesaugt, die in einen Container<br />
am Fuß des Turms weitergeleitet wird.<br />
Hier sind Messgeräte untergebracht, die<br />
eine klimatisierte Umgebung benötigen.<br />
Die angesaugte Luft wird automatisch<br />
auf Spurengase analysiert, im Anschluss<br />
überträgt ein Computer die gewonnenen<br />
Messdaten auf einen Server der Universität<br />
Innsbruck.<br />
Zu FAIR gehört noch ein weiterer<br />
Turm, der vor allem für Botaniker*innen<br />
interessant ist. Dieser ist sechs Meter<br />
hoch und ähnelt einer Brücke auf zwei<br />
Pfeilern. Die Brücke ist begehbar und<br />
bietet den Wissenschaftler*innen einen<br />
direkten Zugriff auf die Baumkronen der<br />
umliegenden Bäume. Das erlaubt ihnen,<br />
Messungen per Hand durchzuführen<br />
und so beispielsweise die Photosynthese<br />
der Nadeln zu untersuchen. Die Bäume<br />
sind mit zusätzlichen Sensoren versehen,<br />
die Veränderungen im Mikrometer-Bereich<br />
messen und so über einen langen<br />
Zeitraum Daten über das Wachstum des<br />
Baumes sammeln. „Damit konnten wir<br />
zum Beispiel schon beobachten, wie der<br />
Stammdurchmesser in einem tageszeitlichen<br />
Rhythmus schrumpft und wieder<br />
wächst, wenn die Wasserspeicher des<br />
Baumes aufgefüllt werden“, sagt Wohlfahrt.<br />
„In einer Trockenperiode funktioniert<br />
das Auffüllen der Speicher über<br />
Nacht nicht mehr richtig, was ein erstes<br />
Indiz für Trockenstress ist.“<br />
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal<br />
der Station ist, dass Daten hier mit sehr<br />
hohe Auflösung gewonnen werden. In<br />
Mathias Rotachs Worten: „Was da über<br />
das Kabel in den Container geht und per<br />
Telekommunikation an unsere Institute<br />
geleitet wird, sind 20-Hertz-Daten. Das<br />
KOOPERATION: Mathias Rotach und Georg Wohlfahrt (v. li.) koordinieren gemeinsam<br />
die Projekte der neuen Messstation FAIR.<br />
heißt, auf fünf Stufen des Turms werden<br />
20-mal pro Sekunde Daten gemessen.<br />
Diese hohe Frequenz versetzt uns in die<br />
Lage, den Austausch zwischen Wald und<br />
Atmosphäre sehr genau zu untersuchen.“<br />
Durch die Vielzahl an Sensoren und die<br />
hochfrequenten Messungen ergibt sich<br />
ein großes Gesamtbild, in dem alle relevanten<br />
Faktoren, die den Wald beeinflussen,<br />
gemessen und analysiert werden.<br />
CO 2 -Speicher in Gefahr<br />
Ermöglicht wurde FAIR durch eine Förderung<br />
über das Infrastrukturprogramm der<br />
Uni Innsbruck. Die Station ist dabei eng<br />
an den <strong>Forschung</strong>sschwerpunkt „Alpiner<br />
Raum“ gekoppelt und wird fakultätsübergreifend<br />
geführt, neben dem Institut für<br />
Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften<br />
und dem Institut für Ökologie<br />
sind auch die Institute für Botanik und für<br />
Geographie beteiligt. Für die Forscher*innen<br />
dieser Institute soll die Station in<br />
Obermieming eine Plattform bieten, um<br />
frei ihren Interessen und eigenen <strong>Forschung</strong>sprojekten<br />
nachgehen zu können.<br />
„Unsere Herausforderung ist es jetzt, den<br />
Messturm zu einem Standort für Langzeit-<strong>Forschung</strong>sprogramme<br />
zu machen, in<br />
dem wir über mindestens zehn Jahre die<br />
gleichen Messungen fortführen können“,<br />
sagt Wohlfahrt. Solche langen Zeitreihen<br />
sind notwendig, um ein Ökosystem genau<br />
beobachten zu können. Ist der langfristige<br />
Betrieb der <strong>Forschung</strong>sstation erst einmal<br />
sichergestellt, kann sie dann auch für die<br />
Projekte externer Forscher*innen offen<br />
sein. Für diesen grundlegenden Betrieb<br />
hat Wohlfahrt ein Projekt entworfen, das<br />
sich mit dem CO 2 -Kreislauf des Waldes<br />
befasst.<br />
FAIR bietet den Vorteil, dass eine einzelne<br />
Größe – in diesem Fall CO 2 – mit<br />
vielen verschiedenen Ansätzen betrachtet<br />
werden kann. Damit werden Ungenauigkeiten<br />
und Schwächen der einzelnen<br />
Methoden aufgehoben. Durch die<br />
Geräte am Turm können Luftwirbel gemessen<br />
werden, die Masse und Energie<br />
transportieren. Andere Sensoren befinden<br />
sich im Unterwuchs des Waldes und<br />
im Boden, um den Gas- und Wasseraustausch<br />
auf dieser Ebene zu messen. Aus<br />
dieser Fülle an Daten können die Wissenschaftler*innen<br />
dann beispielsweise<br />
berechnen, wie viel eine Baumkrone tatsächlich<br />
zur CO 2 -Aufnahme beiträgt.<br />
Das Projekt widmet sich damit einer<br />
wichtigen <strong>Zukunft</strong>sfrage: „Vom CO 2 , das<br />
der Mensch jedes Jahr produziert, landet<br />
weniger als die Hälfte tatsächlich in der<br />
Atmosphäre“, sagt Wohlfahrt. „Der Rest<br />
wird von den Landökosystemen und<br />
den Ozeanen abgefangen. Gewissermaßen<br />
ersparen uns Wälder, wie der bei<br />
Obermieming, dass wir die volle Auswirkung<br />
unseres Handelns spüren. Die<br />
spannende und wirklich wichtige Frage<br />
für die <strong>Zukunft</strong> ist, ob die Landökosysteme<br />
auch in <strong>Zukunft</strong>, bei weiter steigenden<br />
Emissionen, in der Lage sein werden,<br />
dieses CO 2 zu binden. Um das zu<br />
beurteilen, brauchen wir solche Stationen<br />
wie FAIR.“ fo<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 19
Stubai – Kaserstattalm<br />
AFO – ALPINE FORSCHUNGSSTÄTTEN<br />
Im Jahr 1926 regte Georg Heinsheimer, der damalige Leiter der Rektoratskanzlei der Universität Innsbruck, den Bau<br />
eines alpinen Gartens in den Bergen um Innsbruck an. Als ideale Lage bot sich der Patscherkofel südlich von Innsbruck<br />
an, war doch die Seilbahn auf den Gipfel gerade in Planung. 1930, zwei Jahre nach der Eröffnung der Patscherkofelbahn,<br />
erhielt die Universität vom Land Tirol und von der Stadt Innsbruck Grund direkt neben der Bergstation,<br />
1935 wurde auf fast 2. 000 Meter Höhe die Anlage eröffnet. Heute ist der – großteils öffentlich zugängliche<br />
– Alpengarten Patscherkofel der höchstgelegene Botanische Garten Österreichs, inklusive einer modern ausgestatteten<br />
<strong>Forschung</strong>sstation. „Der Patscherkofel ist unsere älteste alpine <strong>Forschung</strong>sstätte“, erklärt Paul Illmer, Dekan<br />
der Fakultät für Biologie der Universität Innsbruck. Mit Obergurgl in den 1950ern und dem Piburger See in den<br />
1960ern etablierten sich zwei weitere „Außenpos ten“. „Vor dem Hintergrund des Klimawandels kommt solchen<br />
Standorten große Bedeutung zu. Mit konstanter Messmethodik können über Jahre und Jahrzehnte Daten erhoben<br />
werden. Als Biologen interessieren uns primär biologische Veränderungen, wir sind in der Zwischenzeit auch an einer<br />
Reihe von internationalen Netzwerken, wie etwa LTER – Long-Term Ecological Research, maßgeblich beteiligt“,<br />
erläutert Illmer. Im Laufe der Zeit wurden es immer mehr „Freiluftlabore“, die älteren waren, so Illmer, „innerhalb<br />
der ganzen Fakultät bekannt.“ Die neueren Versuchsflächen hingegen wurden oft von jungen Forscher*innen über<br />
Einzelprojekte initiiert und finanziert, „da wusste der eine nichts vom anderen.“ Daher entstand die Idee, die acht<br />
Freiluftlabore in einer eigenen Einrichtung zusammenzufassen, die „AFO – Alpine <strong>Forschung</strong>sstätten“ war geboren.<br />
Die neue Einrichtung soll die Sichtbarkeit und Bekanntheit der Standorte erhöhen, „gemeinsame Treffen sollen den<br />
Austausch untereinander fördern und Synergien aufzeigen.“ Illmer denkt dabei an (engere) Kooperation innerhalb<br />
der sieben Institute der Fakultät, aber auch über die eigene Fakultät und die Universität hinaus. „Wir haben Interesse,<br />
dass auch andere <strong>Forschung</strong>sgruppen zu uns kommen, um hier vor Ort zu arbeiten und die Kooperationen mit<br />
unseren Innsbrucker Kolleginnen und Kollegen vertiefen – und das geschieht auch schon“, sagt Illmer.<br />
Zudem will man über Social Media die Bevölkerung über die Standorte und die dortige <strong>Forschung</strong> informieren.<br />
Der wissenschaftliche Output ist tatsächlich beträchtlich, wie auf der AFO-Homepage<br />
zu sehen ist: https://www.uibk.ac.at/fakultaeten/biologie/alpine-forschungsstaetten/<br />
Fotos: Nikolaus Schallhart (3), Birgit Sattler (1), Johannes Ingrisch (1), Institut für Ökologie/Georg Leitinger (1), Institut für Ökologie (1), Institut für Botanik (1)<br />
Limnologische <strong>Forschung</strong>sstation Gossenköllesee<br />
20<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22
Piburger See<br />
Forstdiensthütte Praxmar<br />
Alpengartenhaus Patscherkofel<br />
Alpine <strong>Forschung</strong>sstelle Obergurgl<br />
Versuchsfläche Obermieming<br />
Versuchsfläche Neustift im Stubaital<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 21
KURZMELDUNGEN<br />
AKTIONSPLAN FÜR<br />
ARTENREICHEN INN<br />
Ende April wurde an der Universität<br />
Innsbruck ein umfassender Aktionsplan<br />
zum Schutz des Inn vorgestellt.<br />
„Der Aktionsplan ist das erste ganzheitliche<br />
Artenschutzkonzept für den<br />
gesamten Flussverlauf – von seiner<br />
Quelle in der Schweiz bis zur Mündung<br />
in Passau“, erklärt Leopold Füreder<br />
vom Institut für Ökologie. Der Aktionsplan<br />
entstand unter Federführung<br />
seines <strong>Forschung</strong>steams und in Kooperation<br />
mit WWF, Land Tirol und den<br />
Verbund-Kraftwerken. Der historische<br />
Zustand des Inn wurde von den Expert*innen<br />
mit seinem aktuellen Zustand<br />
verglichen. Es zeigt sich, dass die<br />
intensive Nutzung des Talraums und<br />
der Wasserkraft dazu geführt hat, dass<br />
heute nur mehr acht Prozent des Flusslaufs<br />
naturnah sind. So sind auch viele<br />
typische Pflanzen- und Tierarten, die in<br />
anderen Flusssystemen bereits ausgestorben<br />
sind, wie Äsche, Flussuferläufer,<br />
Deutsche Tamariske und Zwergrohrkolben<br />
(im Bild) heute selten und<br />
ihr Fortbestand am Inn ist bedroht. Um<br />
diesen Trend zu stoppen, wurde im<br />
Rahmen des Projekts INNsieme ein<br />
positives Leitbild für den Inn entwickelt.<br />
„Durch die Fortsetzung der<br />
Schutzmaßnahmen, Renaturierung von<br />
intakten Abschnitten und der Reduktion<br />
der Belastung – vor allem der Wasserkraftnutzung<br />
– soll die Artenfülle<br />
wieder an den Inn zurückkehren. Das<br />
neue Leitbild für einen lebendigen Inn<br />
berücksichtigt dabei regionsspezifische,<br />
flusstypische Besonderheiten, vielfältige<br />
Rahmenbedingungen und bestehende<br />
Nutzungen,“ erklärt Leopold Füreder.<br />
ALPINE<br />
NACHHALTIGKEIT<br />
Uni Innsbruck und DAV untersuchten Bewirtschaftung<br />
alpiner Stützpunkte.<br />
DAS TASCHACHHAUS ist eine saisonal bewirtschaftete Alpenvereinshütte.<br />
ÖKOSYSTEME WÄHREND DER EISZEIT<br />
Mit dem Projekt ANAH wurden<br />
erstmals die Zusammenhänge<br />
verschiedener Faktoren der Bewirtschaftung<br />
alpiner Stützpunkte im bayerischen<br />
und im Tiroler Alpenraum wissenschaftlich<br />
nach Aspekten der Nachhaltigkeit<br />
im Spannungsfeld zwischen Bergsport<br />
und Naturraum untersucht. ANAH<br />
wurde als integratives Nachhaltigkeitskonzept,<br />
das Gebäudeinfrastruktur, Hüttenbetrieb<br />
und Bergsportler*innen unter<br />
ökologischer, ökonomischer und sozialer<br />
Dimension untersucht, durchgeführt. Die<br />
Ergebnisse werden ab Mitte <strong>2022</strong> in Form<br />
eines Leitfadens insbesondere Alpenvereinshütten<br />
– aber auch anderen Gastronomie-<br />
und Herbergsbetrieben – Anreize,<br />
Ideen und Handlungsempfehlungen für<br />
einen nachhaltigeren Betrieb geben. Durch<br />
ANAH konnte ein klares Bild gewonnen<br />
werden, wo und wie künftige Maßnahmen<br />
ansetzen müssen, wie Jutta Kister,<br />
ANAH-Projektleiterin am Institut für Geographie<br />
der Universität Innsbruck, erklärt:<br />
„Wichtige Erkenntnisse aus den Erhebungen<br />
auf den ausgewählten Hütten sind<br />
einerseits, dass das erarbeitete Set an Indikatoren<br />
vor Ort anwendbar ist, und andererseits,<br />
zu sehen, an welchen Themenfeldern<br />
auf den Hütten bereits intensiv<br />
gearbeitet wird und welche Themen noch<br />
zu wenig berücksichtigt werden.“<br />
Der Wechsel zwischen kalten und warmen Phasen<br />
in der jüngsten Eiszeit führte zu wiederholten Vergletscherungen,<br />
massiven Vegetationsverschiebungen<br />
und großflächigen Veränderungen der Verbreitungsgebiete<br />
vieler Arten. Noch vor rund 20. 000 Jahren, im<br />
letzteiszeitlichen Maximum, war ein Großteil Europas von Steppe bedeckt. Die während der<br />
Eiszeit dominanten Arten und die Vegetation finden sich noch heute in den extrazonalen europäischen<br />
Steppen, wie z. B. in der Pannonischen Tiefebene oder im Südtiroler Vinschgau. Das<br />
Wissen über diese Ökosysteme stammt bisher von paläoökologischen und klimatischen Daten.<br />
Nun haben Forscher*innen erstmals große Mengen genetischer Daten zur Modellierung von<br />
Populationsschwankungen in europäischen Steppen während der Eiszeit verwendet. Dafür hat<br />
das Team nicht mit Modellorganismen, sondern mit fünf für Steppen typischen Pflanzen- und<br />
Insektenarten gearbeitet, die sie in eurasischen Steppengebieten gesammelt haben. Teile des<br />
Genoms dieser Proben wurden an den Instituten für Ökologie und für Botanik an der Uni Innsbruck<br />
sequenziert und analysiert. „Bei allen Arten konnten wir übereinstimmende Reaktionen in<br />
Form von Populationsexpansionen in der Kaltphase und Kontraktionen in der Warmphase feststellen,<br />
aber auch artspezifische Effekte“, erklärt Peter Schönswetter vom Institut für Botanik.<br />
22 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Yvonne Lesewa, Felix Lassacher, Andreas Hilpold
International vernetzt - regional verankert<br />
Internationale Spitzenforschung, engagierte Mitarbeiter*innen und hoch motivierte<br />
Studierende machen die Universität Innsbruck zu einem Motor für die Wirtschaft und<br />
zum Impulsgeber für die Gesellschaft in der Region und weit darüber hinaus.<br />
Top <strong>Forschung</strong><br />
beim renommierten Shanghai-Ranking in<br />
17 Fachbereichen<br />
Spitzenforschung in den <strong>Forschung</strong>sschwerpunkten<br />
Physik und Alpiner Raum<br />
Top Perfomance<br />
unter knapp 2000<br />
Universitäten weltweit<br />
9Top-Ergebnisse<br />
in den Bereichen Internationale<br />
Ausrichtung und <strong>Forschung</strong><br />
Quelle: Fachdisziplinen Ranking der Jiaotong-Universität Shanghai 2021<br />
Quelle: U-Multirank Top Performing Universities 2021<br />
International vernetzt:<br />
in der European-<br />
Universities-Allianz<br />
„Aurora“<br />
mit neun europäischen Universitäten<br />
von Reykjavik bis Neapel<br />
Top Arbeitgeber<br />
in Österreich<br />
und das bereits zum<br />
6. Mal<br />
in Folge<br />
Damit ist die Uni Innsbruck bisher<br />
in allen Rankings erfolgreich<br />
vertreten, was nur rund 10 % aller<br />
Unternehmen und Organisationen<br />
gelungen ist.<br />
Quelle: Ranking „Österreichs beste Arbeitgeber <strong>2022</strong>“<br />
der Zeitschrift trend<br />
Beste Spin-off-Strategie:<br />
Österreichweit führend mit aktuell<br />
21Unternehmensbeteiligungen<br />
durch die 2008 gegründete<br />
Beteiligungsholding der Universität<br />
Quelle: www.uibk.ac.at/transferstelle/beteiligungen<br />
46 Millionen Euro<br />
öffentlicher <strong>Forschung</strong>smittel<br />
national und international eingeworben<br />
40% Steigerung in 5 Jahren<br />
Quelle: Universität Innsbruck in Zahlen <strong>2022</strong><br />
Über<br />
4300 Abschlüsse<br />
im Studienjahr 2020/21<br />
Bachelor, Master, Diplom, Doktorat<br />
Quelle: Universität Innsbruck in Zahlen <strong>2022</strong><br />
© BfÖ <strong>2022</strong>, Foto: © Innsbruckphoto.at<br />
Wir bauen Brücken in die <strong>Zukunft</strong>.<br />
www.uibk.ac.at<br />
#uniinnsbruck
STANDORT<br />
RICHTIGKEIT VOR<br />
SCHNELLIGKEIT<br />
APA-Geschäftsführer Clemens Pig über das seinerzeitige Start-up MediaWatch, Journalismus in Zeiten von<br />
Corona und Verschwörungstheorien sowie seinen Wunsch nach einer offensiven Wissenschaft.<br />
„Wir benötigen wieder Stimmen und glaubwürdige Autoritäten aus<br />
der Wissenschaft – in modern interpretierter Form.“<br />
Clemens Pig<br />
ZUKUNFT: In einer Zeit, als von Start-ups<br />
noch keine Rede war, haben Sie 1996 mit<br />
MediaWatch ein solches in Innsbruck gegründet.<br />
Wie kam es dazu?<br />
CLEMENS PIG: Ich studierte damals am<br />
Institut für Politikwissenschaft, meine<br />
zentralen Professoren waren Fritz Plasser,<br />
Günther Pallaver, Ferdinand Karlhofer<br />
und Gilg Seeber. Günther Pallaver organisierte<br />
eine Exkursion nach Italien zum Osservatorio<br />
di Pavia. Dieses Beobachtungszentrum<br />
war von der italienischen Regierung<br />
mit dem Eintritt Silvio Berlusconis<br />
in die Politik ins Leben gerufen worden.<br />
Hintergrund war, dass die öffentlichrechtlichen<br />
Sender Italiens ausgewogen<br />
zu berichten hatten – das Osservatorio<br />
wurde beauftragt, die Politikerpräsenz zu<br />
analysieren. Das hat mich und eine Gruppe<br />
von Studierenden nicht mehr losgelassen.<br />
Wir wollten das auch für Österreich<br />
in die Anwendung bringen.<br />
ZUKUNFT: Was war die erste solche „Anwendung“?<br />
PIG: Im Herbst 1996 war der erste österreichische<br />
EU-Wahlkampf. Die Universität<br />
stellte uns im Sommer einen Seminarraum<br />
zur Verfügung, um unsere eigene<br />
Initiative zur medialen Analyse des Wahlkampfs<br />
zu verwenden. Es war tatsächlich<br />
so, dass wir mit Stoppuhr und Zettel Zeitim-Bild-Sendungen<br />
analysierten: Welche<br />
Politiker kommen vor? Wie lange? Haben<br />
sie Redezeit? Wird über sie gesprochen?<br />
Mit welchen Themen kommen sie vor?<br />
Wer dominiert Themen? Das war der Beginn<br />
der MediaWatch-Reise.<br />
ZUKUNFT: Wie ging die Reise weiter?<br />
PIG: Anfangs war es reines <strong>Forschung</strong>sinteresse,<br />
wir stellten aber schnell fest, dass<br />
die Daten, die wir für Österreich neuartig<br />
erhoben, auf Interesse stießen. Im Rahmen<br />
einer Diskussion in Innsbruck kamen wir<br />
mit Gerfried Sperl, dem damaligen Chefredakteur<br />
des Standard in Kontakt – daraus<br />
folgte der erste Auftrag für das Media-<br />
Watch-Institut, nämlich wöchentlich für<br />
den Standard Daten über Politikerpräsenz<br />
im ORF zu erheben.<br />
ZUKUNFT: MediaWatch maß die Präsenz<br />
von Politikern. Haben sie jemals diejenige<br />
von Wissenschaftlern analysiert?<br />
PIG: Wir führten immer wieder Vollerhebungen<br />
durch, welche Menschen, Funktionen<br />
und Geschlechter in der medialen<br />
Berichterstattung vorkommen. Damit war<br />
auch ein Teil der Wissenschaft abgedeckt.<br />
ZUKUNFT: Wissenschaftler dürften dabei<br />
nicht an erster Stelle stehen.<br />
PIG: Das stimmt, allerdings sind mit Corona<br />
die Wissenschaft insgesamt bzw. Virologinnen<br />
und Virologen massiv in den<br />
Vordergrund gerückt.<br />
ZUKUNFT: Mit Corona haben Fake News<br />
und Verschwörungstheorien noch mehr<br />
Raum und Anhänger gefunden. Warum<br />
dringen klassische Medien und Wissenschaftnicht<br />
zu ihnen vor?<br />
PIG: Meiner Meinung nach haben Corona<br />
den Rahmen und die sogenannten sozialen<br />
Medien – die ich persönlich weder als<br />
sozial noch als klassische Medien einordne<br />
– den Brandbeschleuniger für etwas<br />
geliefert, was es schon vorher gab: Verschwörungstheorien<br />
sowie Misstrauen gegenüber<br />
Eliten und klassischen Systemen<br />
wie Medien, Politik und Wissenschaft.<br />
Hand in Hand geht eine zunehmende Polarisierung,<br />
vor allem in den Online-Kanälen,<br />
aber auch eine Abwendung einiger<br />
Menschen von diesen Systemen. Es wäre<br />
24 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: APA
STANDORT<br />
unzureichend, Antworten nur rational<br />
und aus der Perspektive der betroffenen<br />
Systeme zu suchen. Anders gesagt: Rein<br />
kommunikativ wird sich dieses große<br />
Thema nicht lösen lassen.<br />
ZUKUNFT: Wie ließe es sich lösen?<br />
PIG: Es gibt komplexe Ursachen, eine ist<br />
die Globalisierung, mit all ihren vielen<br />
Vorteilen, die wir alltäglich erleben. Für<br />
manche Menschen bereitet sie aber materielle<br />
und gefühlte Nachteile. In dieser viel<br />
zitierten Transformation steckt eine große<br />
Schnelligkeit, das führt bei einigen Menschen<br />
zu einem Gefühl des Abgehängt-<br />
Seins. Und es stimmt ja auch: Die Welt<br />
ist komplexer geworden. Manche Antworten<br />
auf diese Komplexität sind aber<br />
leider nostalgisch-verklärerischer Natur<br />
und führen zu sehr einfachen, holzschnittartigen<br />
Antworten, vor allem aus dem<br />
rechtspopulistischen Umfeld. Aber auch<br />
Verschwörungstheorien, die an dieses<br />
rechtspopulistische Umfeld anknüpfen,<br />
liefern diese sehr einfachen, vor allem in<br />
sich geschlossenen und in sich schlüssigen<br />
Erklärungen. Auf psychologischer Ebene<br />
betrachtet ist das für viele Menschen in<br />
sehr belastenden Zeiten eine Entlastung.<br />
Dagegen ist schwer anzukämpfen – vor<br />
allem mit rationalen Argumenten. Daher<br />
glaube ich, dass ein wesentlicher Job von<br />
Wissenschaft, Medien und Politik darin<br />
besteht, nicht nur aktiv und aufgeklärt zu<br />
kommunizieren, sondern auch zuzuhören<br />
und Raum zu geben. Das ist eine schwierige<br />
Gratwanderung. Wenn man diesen<br />
Raum aber gibt und hin und wieder<br />
Rückfragen stellt, kann es gelingen, dass<br />
manche dieser Verschwörungstheorien<br />
von jenen, die sie propagieren oder in sich<br />
tragen, selbst in Frage gestellt werden.<br />
ZUKUNFT: Wissenschaft kann und will<br />
nicht einfache Antworten liefern. Erschwert<br />
dies Wissenschaftsjournalismus?<br />
PIG: Wissenschaftsjournalismus steht<br />
von den Ressourcen her tatsächlich unter<br />
Druck, ist aber in Wahrheit immer unter<br />
Druck gestanden. Die Gründe mögen<br />
vielschichtig sein, erstens ist es eine Frage,<br />
in welcher Tradition der Aufklärung<br />
Gesellschaften stehen; zweitens wie die<br />
polit-mediale Kultur in einem Land ist;<br />
und drittens welchen Wert man einer aufgeklärten<br />
Gesellschaft zumisst – und diese<br />
Das gesamte Interview finden Sie auf<br />
der Homepage der Uni Inns bruck unter:<br />
www.uibk.ac.at/forschung/magazin<br />
CLEMENS PIG (*1974, Innsbruck)<br />
gründete während des Studiums der<br />
Politikwissenschaft an der Universität<br />
Innsbruck 1996 mit Universitätskollegen<br />
das Unternehmen „MediaWatch – Institut<br />
für Medienanalysen GmbH“ und brachte<br />
dieses nach erfolgreichem Verkauf in die<br />
APA-Gruppe ein. 2008 wechselte Pig in die<br />
Geschäftsleitung der APA nach Wien. 2<strong>01</strong>4<br />
wurde er zum Geschäftsführer der APA-<br />
Gruppe bestellt und übernahm 2<strong>01</strong>6 den<br />
Vorsitz. Zudem ist Pig Vizepräsident des<br />
Verwaltungsrates der Schweizer Nachrichtenagenturgruppe<br />
Keystone-SDA, Präsident<br />
der European Alliance of News Agencies<br />
(EANA) und Präsident des Österreichischen<br />
Genossenschaftsverbandes (ÖGV).<br />
Gesellschaft braucht immer Qualitätsmedien,<br />
aber auch die Institutionen Wissenschaft<br />
und <strong>Forschung</strong>. Wir sehen derzeit<br />
bei dem brutalen Überfall Russlands auf<br />
die Ukraine, dass es drei Schritte auf dem<br />
Weg zu einer autokratisch-diktatorischen<br />
Gesellschaft gibt: Den Medien das Licht<br />
auszuschalten; die Störgeräusche der Opposition<br />
abzudrehen; die Unterwerfung<br />
der Justiz unter das jeweilige Regierungsregime.<br />
In dieser Situation, die wir gerade<br />
erleben, können wir daher froh sein, dass<br />
wir in einer liberalen Demokratie mit freien,<br />
privaten Medien, mit einem öffentlichrechtlichen<br />
Rundfunk und einer staatlich<br />
unabhängigen Nachrichtenagentur leben.<br />
Dennoch ist einiges zu tun, gerade in Fragen<br />
des Wissenschaftsjournalismus.<br />
ZUKUNFT: Guter Journalismus benötigt<br />
Zeit. Sind bei der Geschwindigkeit digitaler<br />
Medien Prinzipien wie Check, Re-<br />
Check, Double-Check noch möglich?<br />
PIG: Ja, es ist nicht nur möglich, es braucht<br />
in der konkurrierenden Frage Schnelligkeit<br />
versus Richtigkeit sogar eine hierarchische<br />
Antwort: Richtigkeit vor Schnelligkeit.<br />
Die Möglichkeit ist da, sie wird<br />
auch eingefordert. Die überhitzten Meinungsmärkte,<br />
gerade in den Online-Kanälen,<br />
benötigen dringend ein Cooldown.<br />
ZUKUNFT: Braucht Wissenschaft heute<br />
mehr Kommunikation?<br />
PIG: Wissenschaft hat für mich immer<br />
einen Selbstzweck aus sich selbst heraus,<br />
gleichzeitig ist sie heutzutage gefordert,<br />
die Brücke zu schlagen, zu erklären<br />
und Ergebnisse passend aufzubereiten.<br />
Schlichtweg in Anerkennung der Realitäten,<br />
wie Medien und Kommunikation heute<br />
funktionieren. Das ist eine Kraftanstrengung,<br />
einerseits ist es eine Aufgabe für die<br />
Institution selbst, andererseits braucht es<br />
einen Schulterschluss zu Medien und Politik.<br />
Wissenschaft wäre gut beraten, wissenschaftliche<br />
Ergebnisse zu publizieren, zu<br />
kommunizieren und für die Bevölkerung<br />
greifbar zu machen – die Uni Innsbruck<br />
liefert dafür ein Paradebeispiel.<br />
ZUKUNFT: Universitäten sollen also die<br />
Vermittlung ihrer Leistungen und deren<br />
Wert für die Gesellschaft forcieren?<br />
PIG: Selbstverständlich. Wir benötigen<br />
wieder Stimmen und glaubwürdige Autoritäten<br />
aus der Wissenschaft – in modern<br />
interpretierter Form. Mit Autoritäten<br />
meine ich Menschen, auf die man hört,<br />
die für Glaubwürdigkeit stehen. In unserer<br />
komplexen Welt gibt es den Wunsch<br />
nach Orientierung. Das ist nachvollziehbar,<br />
problematisch wird es nur, wenn die<br />
Antworten darauf sehr einfach und rückwärts<br />
gewandt sind. In diesem Sinne bin<br />
ich definitiv für eine aktive Rolle der Wissenschaft<br />
und wünsche mir eine selbstbewusste<br />
und offensive Wissenschaft.<br />
ZUKUNFT: Verfolgen Sie in diesem Zusammenhang<br />
die Aktivitäten der Uni Innsbruck?<br />
PIG: Durch meine Mitgliedschaft im Förderkreis<br />
der Uni Innsbruck und da ich mit<br />
vielen Kolleginnen und Kollegen noch<br />
universitär verbunden bin, verfolge ich<br />
das sehr gerne. Insbesondere achte ich auf<br />
die Positionierung: Wie schafft es die Uni,<br />
komplexe Themen weiterzubringen und<br />
welche Personen prägen das Bild der Wissenschaft<br />
in der Öffentlichkeit. Das hat für<br />
mich als Absolvent der Uni Innsbruck einen<br />
hohen Stellenwert, aber auch professionell<br />
betrachtet, weil gerade Wissenschaft<br />
und Medien im Geiste der Aufklärung<br />
agieren. Qualitätsjournalismus und<br />
Wissenschaft recherchieren, im Idealfall<br />
sind beide kritisch, methodisch und offen.<br />
Es gibt vieles, was diese beiden Systeme<br />
verbindet, deshalb ist auch der zeitgleiche<br />
Druck auf beide Systeme in manchen Teilen<br />
der Öffentlichkeit vorhanden. ah<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 25
FORSCHUNGSZENTRUM HIMAT<br />
1<br />
BEGEHRTER SCHMUCKSTEIN<br />
IM ALPINEN RAUM<br />
In den Hochlagen des Zillertals sind Forscher*innen gemeinsam mit der Bevölkerung<br />
der Geschichte des Zillertaler Granats auf der Spur. Wissenschaftler*innen aus den Bereichen<br />
Archäologie, Geschichte und Mineralogie haben sich für ein interdisziplinäres Projekt zu<br />
diesem begehrten Halbedelstein zusammengeschlossen.<br />
Vom späten 18. bis frühen 20. Jahrhundert<br />
hat im Zillertal, insbesondere<br />
auf dem Gebiet des heutigen<br />
Hochgebirgs-Naturparks Zillertaler<br />
Alpen, ein umfangreicher Bergbau auf<br />
Granat stattgefunden. Der Abbau des begehrten<br />
Halbedelsteins hat bis heute Spuren<br />
hinterlassen. Überreste der ehemaligen<br />
Infrastruktur finden sich nach wie<br />
vor in der Nähe der Granatvorkommen.<br />
Im Rahmen des Projekts „Zillertaler Granat<br />
– Studien zum kulturellen Erbe des<br />
ostalpinen Halbedelstein-Gewerbes im<br />
Spiegel interdisziplinärer <strong>Forschung</strong>“ haben<br />
sich Innsbrucker Wissenschaftler*innen<br />
das Ziel gesetzt, ihre Erkenntnisse<br />
öffentlich zugänglich zu machen und für<br />
eine museale Präsentation aufzuarbeiten.<br />
Der Fokus liegt auf der archäologischen<br />
Untersuchung der materiellen Hinterlassenschaften,<br />
dem Studium und der<br />
Archivierung der schriftlichen Quellen<br />
sowie der mineralogischen Charakterisierung<br />
des Zillertaler Granats als Halbedelstein.<br />
Bianca Zerobin, Roland Köchl und<br />
Simon Wagner, Dissertant*innen aus den<br />
Bereichen Archäologie, Geschichte und<br />
Mineralogie, arbeiten für drei Jahre an<br />
dem Projekt mit. Finanziert werden die<br />
jungen Nachwuchswissenschaftler*innen<br />
aus Fördermitteln der Österreichischen<br />
Akademie der Wissenschaften im Rahmen<br />
des Programms „Heritage Science<br />
Austria“. Zusätzliche Mittel werden von<br />
der Universität Innsbruck zur Verfügung<br />
gestellt.<br />
Im Zuge der Aufarbeitung und Rekonstruktion<br />
der Geschichte wird das umfangreiche<br />
kulturelle Erbe in Form von Ruinen<br />
26 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Walter Ungerank (3), Gert Goldenberg (2), Bianca Zerobin (1), FZ HiMAT (3), Andreas Friedle (1)
FORSCHUNGSZENTRUM HIMAT<br />
2 5 6<br />
7<br />
8<br />
3 4<br />
PROJEKT „ZILLERTALER GRANAT: Granate sind Halbedelsteine, die<br />
auch als Edelsteine des kleinen Mannes bekannt sind. In Tirol wurden und<br />
werden sie als traditioneller Trachtenschmuck verwendet. Der Zillertaler<br />
Granat gelangte vor allem über Edelsteinschleifereien in Böhmen als „Böhmischer<br />
Granat“ in den Handel.<br />
1 Granatschmuck-Set der Familie Josef Hofer aus Zell am Ziller (linke Seite).<br />
2 Der Rossrücken im Zemmgrund – Zentrum der Zillertaler Granatgewinnung<br />
im 19. Jh. 3 Granatstufe vom Rossrücken. 4 Getrommelter Granat<br />
des Granathändlers Kreidl aus Mayrhofen. 5 Projektkoordinator Gert<br />
Goldenberg 6 Bianca Zerobin 7 Roland Köchl 8 Simon Wagner<br />
von Poch- und Klaubehütten, Granatmühlen<br />
und Unterkünften sowie weitere<br />
materielle Hinterlassenschaften von den<br />
Forscher*innen dokumentiert und ausgewertet.<br />
„Es bestehen noch umfangreiche<br />
private Sammlungen, die beispielsweise<br />
Granatstufen, Werkzeugfunde und Restbestände<br />
der Handelsware aus der letzten<br />
Betriebsperiode beinhalten. Wir möchten<br />
die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte<br />
dieser vergessenen inneralpinen ,Kleinindustrie‘<br />
aufarbeiten und die Handelsnetzwerke<br />
im 19. Jahrhundert zur Zeit<br />
der ehemaligen Habsburgermonarchie<br />
rekonstruieren“, erklärt Gert Goldenberg,<br />
Professor am Institut für Archäologien<br />
und Leiter des <strong>Forschung</strong>szentrums<br />
HiMAT, der sich auf Bergbauarchäologie<br />
und Georessourcennutzung im Alpinen<br />
Raum spezialisiert hat.<br />
Enge Zusammenarbeit<br />
Im Mittelpunkt des Projekts steht die enge<br />
Zusammenarbeit zwischen den Universitätsinstituten,<br />
dem Tiroler Landesarchiv,<br />
dem Hochgebirgs-Naturpark Zillertaler<br />
Alpen und der Bevölkerung im Zillertal<br />
(„Citizen Science“). Um möglichst<br />
umfassende Erkenntnisse zu gewinnen,<br />
arbeiten die Forscher*innen sehr eng mit<br />
dem erfahrenen Mineraliensammler und<br />
Chronisten Walter Ungerank sowie den<br />
Nachfahren der Zillertaler Granathändler<br />
zusammen. „Die Mithilfe aus der Bevölkerung<br />
ist sehr wertvoll, wir können gegenseitig<br />
voneinander profitieren. Es ist<br />
uns ein großes Anliegen, die Bürger*innen<br />
in unsere Arbeit miteinzubeziehen.<br />
Die <strong>Forschung</strong>sergebnisse werden für die<br />
Öffentlichkeit aufgearbeitet und sollen<br />
langfristig und nachhaltig von Nutzen<br />
sein“, sagt Goldenberg. Spannende Erkenntnisse<br />
liefert beispielsweise der mitwirkende<br />
Bürger Josef Hofer aus Zell am<br />
Ziller. Auf seinem Dachboden entdeckte<br />
RUINE EINER GRANATHÜTTE mit<br />
Pochtisch am Rossrücken auf 2. 500<br />
Meter Seehöhe.<br />
ARCHÄOLOGIEN: Besonders im hinteren Zemmgrund am Rossrücken wurde im 19. Jahrhundert<br />
eine komplette „Kleinindustrie“ mit ihrer Infrastruktur für den Abbau und die Aufbereitung<br />
des Granats im Hochgebirge aufgebaut. Dazu gehörten einfache Unterstände aus Trockenmauerwerk<br />
und Holz, Wohn- und Arbeitsgebäude für die Granatarbeiter, ein wasserbetriebenes<br />
Pochwerk, Rollmühlen aus Holz und ein aufwendig angelegter Knappensteig, welcher<br />
zu den Abbaustellen auf bis 2. 800 m Seehöhe führte. Die Granatarbeiter waren extremen<br />
Bedingungen ausgesetzt und mussten ihrer gefährlichen Arbeit unmittelbar neben den damals<br />
mächtigen Gletschern nachgehen. Mit archäologischen Methoden werden die Abbauspuren<br />
im Fels wie Bohrpfeifen und Schrämspuren sowie Werkzeugfunde dokumentiert, welche<br />
teilweise auch in Privatsammlungen zu finden sind. Persönliche Habseligkeiten der Granatarbeiter,<br />
die bei Prospektionen und Grabungen aufgefunden werden, erzählen ihre ganz eigene<br />
Geschichte über die harte Arbeitswelt des Granatabbaus. Besondere Aufmerksamkeit gilt den<br />
Ruinen, welche durch Schneedruck, Lawinenabgänge und Witterung einem raschen Verfall<br />
unterliegen. Eine Kartierung und 3D-Dokumentation der Überreste ist deshalb von großer Bedeutung,<br />
um die Erinnerung an den früheren Granatbergbau für die Nachwelt zu bewahren.<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 27
FORSCHUNGSZENTRUM HIMAT<br />
DICKSCHLIFF eines Granat-führenden<br />
Gesteins vom Rossrücken mit Elementverteilungsbild<br />
für Mangan (angereichert im<br />
Kern) auf einem zonierten Granatkristall.<br />
MINERALOGIE UND PETROGRAPHIE: Das Hauptaugenmerk der mineralogischen Untersuchungen<br />
liegt einerseits auf den historischen Granatfundstellen im hinteren Zillertal im Bereich<br />
des Rossrückens im Zemmgrund und andererseits auf der Erarbeitung von Kriterien zur<br />
Unterscheidung von Granat unterschiedlicher Herkunft in historischen Schmuckstücken. So<br />
handelt es sich bei den in den Ostalpen vorkommenden Granaten meist um Almandin (Eisentongranat)<br />
aus metamorphen Gesteinen (vor allem Glimmerschiefer), während der böhmische<br />
Granat in der Regel als Pyrop (Magnesiumtongranat) vorliegt und magmatischen Ursprungs<br />
ist. Bei der mineralogisch/chemischen Analyse der Granatproben kommen die Durchlicht-<br />
Polarisationsmikroskopie, die Elektronenstrahlmikrosonde, die Raman-Spektroskopie und die<br />
Mikro-Röntgenfluoreszenzanalyse (Mikro-RFA) zur Anwendung. Neben der Erzeugung von<br />
Elementverteilungsbildern, die über die Zusammensetzung der analysierten Granate Auskunft<br />
geben, können mit der Mikro-RFA auch zerstörungsfreie quantitative Analysen an Schmuckgranaten<br />
durchgeführt werden, um über ihre chemische Zusammensetzung Aussagen zur<br />
Provenienz des Rohmaterials zu ermöglichen. Aber auch optisch bestimmbare Eigenschaften<br />
wie Farbe oder Einschlüsse können für die Herkunftsbestimmung nützlich sein.<br />
er nicht nur eine verstaubte Kiste mit<br />
aufschlussreichen Dokumenten, sondern<br />
auch einen seit Jahrzehnten gelagerten<br />
Holzkasten seines Urgroßvaters, der als<br />
Granathändler tätig war. Das unscheinbare<br />
Fundstück entpuppte sich beim<br />
Öffnen als Granat-Sortimentskasten, der<br />
auf der Tiroler Landesausstellung 1893 in<br />
Innsbruck ausgestellt war.<br />
„Die getrommelten Granate wurden<br />
in erster Linie an Edelsteinschleifereien<br />
in Böhmen geliefert. In weiterer Folge<br />
gelangte der Granatschmuck als böhmischer<br />
Granat in den Handel. Durch mineralogische<br />
Untersuchungen versuchen<br />
wir, der Spur des Zillertaler Granats bis<br />
in die Fertigprodukte zu folgen“, betont<br />
der Innsbrucker Mineraloge Peter<br />
Tropper. Eine Vielzahl von Proben und<br />
Funden wurden den Forscher*innen von<br />
Walter Ungerank zur Verfügung gestellt,<br />
der dem Team auch die entlegenen Spuren<br />
des Granatbergbaus im hochalpinen<br />
Gelände gezeigt hat. Profitieren können<br />
die Wissenschaftler*innen auch durch die<br />
Zusammenarbeit mit dem Tiroler Landesarchiv.<br />
Hier werden die wertvollen<br />
Dokumente gereinigt und archiviert und<br />
für die Nachwelt gesichert. „Die Analyse<br />
von Belehnungsurkunden, Korrespondenzen,<br />
Rechnungsbüchern und Frachtbriefen<br />
gewährt spannende Einblicke in<br />
das Granatgewerbe und zeigt auch die<br />
Personen auf, die als Granatklauber und<br />
Granathändler tätig waren“, sagt die am<br />
Projekt beteiligte Historikerin Gunda<br />
Barth-Scalmani.<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Um das alpine Gelände mit den weit gestreuten<br />
Überresten der Granatgewinnung<br />
umfassend zu dokumentieren, setzen<br />
die Wissenschaftler*innen auch eine<br />
Drohne ein. „Im Zuge des Projekts werden<br />
die Beobachtungen im Gelände mit<br />
den historischen Überlieferungen abgeglichen.<br />
Eine besondere Rolle spielt dabei<br />
die Dynamik der Gletscherbewegungen<br />
im 19. Jahrhundert, die in die Interpretation<br />
der Befunde mit einbezogen werden<br />
muss. So war beispielsweise der Rossrücken<br />
mit seinen Granatabbauen und Granathütten<br />
in der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
– zur Zeit der ‚kleinen Eiszeit‘ um<br />
1850 – komplett von Eismassen des<br />
Hornkees und Waxeggkees umflossen,<br />
was für die Granatarbeiter eine ganz besondere<br />
Herausforderung darstellte“,<br />
erzählt Goldenberg. Als Ergebnis des<br />
<strong>Forschung</strong>sprojektes sind, neben den drei<br />
wissenschaftlichen Dissertationen, auch<br />
ein populärwissenschaftliches Buch über<br />
den Zillertaler Granat sowie eine Ausstellung<br />
im Museumsneubau des Naturparkhauses<br />
in Ginzling geplant. Ziel ist<br />
eine nachhaltige Bewahrung und Präsentation<br />
des kulturellen Erbes zum Thema<br />
„Zillertaler Granat“ für eine breite Öffentlichkeit.<br />
ms<br />
GESCHICHTSWISSENSCHAFTEN, EUROPÄISCHE ETHNOLOGIE: Grundlage des<br />
historischen Projektteils bilden, neben hoheitlichen Urkunden über Schürf- und Sammelbewilligungen,<br />
vor allem private uneditierte Dokumente wie Korrespondenzen und<br />
Rechnungsbücher aus den Sammlungen der Nachfahren der Zillertaler Granathändler. Ein<br />
Hauptaugenmerk der <strong>Forschung</strong> liegt auf der Rekonstruktion der Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />
des Zillertaler Granatgewerbes und seiner weitreichenden Handelsverflechtungen.<br />
Hierzu gehört die Herausarbeitung der Absatzmengen von Rohgranaten bei den Edelsteinschleifereien<br />
vor allem in Böhmen. Eine Größenordnung von mehreren 100 Kilogramm<br />
gehandeltem Granat pro Jahr zeichnet sich für das 19. Jahrhundert ab. Ein weiterer Aspekt<br />
ist die Qualität der Handelsware und deren Preisentwicklung, die über den gesamten Zeitraum<br />
des 19. Jahrhunderts relativ konstant geblieben zu sein scheint. Ein Themenkomplex<br />
widmet sich der einschlägigen Literatur, beginnend mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert<br />
(vor allem naturkundliche Publikationen aus den Bereichen Botanik, Geomorphologie, Geologie<br />
und Lagerstättenkunde). Hier spielen das Aufkommen wissenschaftlicher Institutionalisierung,<br />
die bürgerliche Revolution und der beginnende Bergtourismus (Reiseberichte früher<br />
Alpinisten, lokalgeschichtliche Publikationen) eine wichtige Rolle.<br />
KOPIALBUCH „über sämtlichen Granatenhandel<br />
des Josef Hofer für die Jahre 1862<br />
bis 1872“.<br />
28 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Simon Wagner, Walter Ungerank
SOS-Kinderdorf dankt KULTIG für die kostenlose Einschaltung!
GESCHICHTSWISSENSCHAFT<br />
WEGE DES<br />
WISSENS<br />
Die Historikerin Mona Garloff nimmt den Fernhandel mit Büchern<br />
und den Buchmarkt in der Frühen Neuzeit in den Blick.<br />
HISTORIKERIN Mona Garloff untersucht den Buchmarkt der Frühen Neuzeit.<br />
Zu Hochzeiten besaß er Buchhandlungen<br />
unter anderem in Wien,<br />
Prag, Innsbruck und Linz, die<br />
größte Buchdruckerei Österreichs, eine<br />
Schriftsetzerei und eigene Papiermühlen:<br />
Johann Thomas von Trattner kontrollierte<br />
im 18. Jahrhundert weite Teile<br />
des Buchhandels und der Buchproduktion<br />
der Habsburgermonarchie. Mitte<br />
des Jahrhunderts erhielt er den Auftrag,<br />
sämtliche im Zuge der Studienreformen<br />
unter Kaiserin Maria Theresia neu zu<br />
verfassenden Lehrbücher zu verlegen<br />
und zu drucken – das verhalf seinem Unternehmen<br />
zu einem sprunghaften Aufstieg.<br />
1754 wurde er schließlich zum Hofbuchdrucker,<br />
weitere Privilegien folgten.<br />
Der Trattnerhof am Graben in Wien trägt<br />
noch heute den Namen des Verlegers,<br />
das restliche, beträchtliche wirtschaftliche<br />
Imperium ist allerdings nicht mehr<br />
einheitlich erhalten. Sein Beispiel zeigt<br />
aber die Dynamik und die Netzwerke<br />
des Buchhandels in der Frühen Neuzeit.<br />
Expertin dafür ist die Historikerin Mona<br />
Garloff. In ihrem Habilitationsprojekt,<br />
das durch den FWF (Lise-Meitner-Programm)<br />
gefördert wird, sieht sie sich den<br />
Fernbuchhandel in Wien und Prag in der<br />
Zeit zwischen 1680 und 1750 näher an,<br />
also auch der Zeit, in der der Grundstein<br />
für Trattners Imperium gelegt werden<br />
sollte. „Mich interessieren hier mehrere<br />
Aspekte: Wie durchsetzungsfähig war<br />
die Zensur im zersplitterten Heiligen Römischen<br />
Reich, das zu großen Teilen aus<br />
relativ kleinen Fürstentümern bestand?<br />
Welchen Einfluss hat der Buchhandel auf<br />
überregionale Wissensräume, wie sie um<br />
1700 zu entstehen beginnen?“, sagt Mona<br />
Garloff.<br />
Zentren im Süden<br />
Die Zentren des deutschsprachigen<br />
Buchhandels lagen in der Zeit um 1700<br />
im heutigen Süddeutschland, besonders<br />
in Nürnberg und Augsburg. „Buchhändler<br />
aus diesen Städten belieferten<br />
insbesondere auch den österreichischen<br />
und böhmischen Markt und hatten die<br />
Mittel, in den Messestädten Leipzig und<br />
Frankfurt präsent zu sein und neues Material<br />
anzukaufen. Diese Mittel fehlten<br />
den Buchhändlern in Wien in dieser Zeit<br />
noch.“ Leipzig und Frankfurt sind mit<br />
ihren Buchmessen bis heute Zentren der<br />
deutschsprachigen Literatur, in der Frühen<br />
Neuzeit war das nicht anders – und<br />
30<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Andreas Friedle
GESCHICHTSWISSENSCHAFT<br />
auch damals waren die Messen schon Zusammenkünfte,<br />
über die auch internationale<br />
Literatur in den deutschsprachigen<br />
Raum kam, aus Italien, Frankreich oder<br />
England. „Übersetzungen waren auch<br />
damals schon relevant, allerdings wissen<br />
wir über die Übersetzer*innen meist nur<br />
wenig. Häufig waren es Hauslehrer und<br />
einfache Beamte, die sich durch Übersetzungen<br />
Geld dazuverdienten, oder<br />
weniger erfolgreiche Schriftsteller, die<br />
als Brotberuf Übersetzungen anfertigten.<br />
Wir wissen, dass es auch vergleichsweise<br />
viele Frauen gab, die als – anonyme<br />
– Übersetzerinnen tätig waren“, erklärt<br />
die Historikerin. Übersetzungen konnten<br />
allerdings auch dazu dienen, die Zensur<br />
in Heimmärkten zu umgehen. Und nicht<br />
immer war es einfach, überhaupt Übersetzer*innen<br />
zu finden, erläutert Garloff:<br />
„Aus Korrespondenz des Universalgelehrten<br />
Gottfried Wilhelm Leibniz wissen<br />
wir, dass er über einen Verleger versuchte,<br />
einen Übersetzer für die Werke von<br />
Thomas Hobbes aus dem Englischen zu<br />
finden. Dieses Vorhaben scheiterte aber.“<br />
Die Art der Bücher, die im 17. und<br />
18. Jahrhundert primär gehandelt wurden,<br />
unterscheidet sich von dem, was<br />
wir heute in Buchhandlungen zu kaufen<br />
kriegen, wie Mona Garloff ausführt:<br />
„Zunehmend entstand damals schon<br />
das, was wir heute unter Literatur verstehen.<br />
Allerdings darf man nicht aus<br />
den Augen verlieren, dass im frühen 18.<br />
Jahrhundert nicht einmal zwei Prozent<br />
des Buchmarkts aus Romanen bestand<br />
– für uns heute ja der Inbegriff von Literatur.“<br />
Dieser Bruchteil wurde allerdings<br />
schon damals auch gut beworben – weil<br />
auch damals Verleger schon wussten,<br />
dass sich dafür Käufer*innen finden<br />
würden. „Romane waren kleinformatig,<br />
konnten also günstig erworben werden.<br />
Dominiert wurde der Buchmarkt aber<br />
von religiöser Erbauungsliteratur im<br />
Kleindruckformat.“<br />
Frühe Bestseller<br />
Und ähnlich wie heute: Um Schriftsteller<br />
mit Renommee rissen sich die Verleger<br />
auch in der Vormoderne. Ein Beispiel<br />
ist der Augustinerprediger Abraham a<br />
Santa Clara, dessen Bücher als Bestseller<br />
gelten. Sein Werk „Mercks Wienn“ (1680)<br />
über die Wiener Pestepidemie 1679 fand<br />
etwa erst durch einen Nachdruck durch<br />
Nürnberger und Ulmer Verleger mit bis<br />
MONA GARLOFF (*1982, Freiburg im<br />
Breisgau) studierte Neuere und Neueste<br />
Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft<br />
in München und Paris und<br />
promovierte 2<strong>01</strong>3 an den Universitäten<br />
Frankfurt am Main und Trient. 2<strong>01</strong>3 bis<br />
2020 war sie Akademische Rätin am<br />
Historischen Institut der Universität Stuttgart,<br />
seit April 2020 ist sie Universitätsassistentin<br />
am Institut für Geschichtswissenschaften<br />
und Europäische Ethnologie<br />
an der Universität Innsbruck. In ihrer<br />
<strong>Forschung</strong> befasst sie sich unter anderem<br />
mit Buchgeschichte, Handel und Wirtschaft,<br />
Wissens- und Gelehrtengeschichte<br />
im Raum der Habsburgermonarchie,<br />
Ostmitteleuropas und Frankreichs in der<br />
Frühen Neuzeit. Sie leitet das FWF-Projekt<br />
Fernbuchhandel in Wien und Prag –<br />
Märkte, Akteure, Politik 1680–1750.<br />
zu 18. 000 Exemplaren ein breites Publikum,<br />
der ursprüngliche Verleger in<br />
Wien verlor den Autor so. Nachdrucke<br />
waren auch unabhängig davon ein Problem,<br />
nicht nur für kleinere Verlage: Die<br />
Zersplitterung des Heiligen Römischen<br />
Reichs machte es schwierig, Druck- und<br />
Urheberrechte – sofern diese überhaupt<br />
geschützt waren – durchzusetzen. Mit<br />
der Methode des unautorisierten Nachdrucks<br />
sollte sich später im 18. Jahrhundert<br />
Johann Thomas von Trattner vor<br />
allem in Mittel- und Norddeutschland<br />
unbeliebt machen, zumal er bekannte<br />
Werke auch entsprechend der in der<br />
Habsburgermonarchie geltenden Zensur<br />
abgeändert nachdruckte. Was ebenfalls<br />
damals entstanden ist, sind die Versuche<br />
eines Selbstverlags: Autor*innen suchen<br />
sich Drucker und verlegen ihre Schriften<br />
selbst.<br />
Abraham a Santa Clara dient auch als<br />
Beispiel für die Art der Literatur, die in<br />
der Frühen Neuzeit gelesen wurde: Vielfach<br />
handelte es sich nämlich um religiöse<br />
Predigt- und Erbauungsliteratur.<br />
„Nahezu alle Bevölkerungsschichten<br />
haben schon damals Bücher besessen,<br />
allerdings wie erwähnt nicht das, was<br />
Menschen heute in ihren Bücherregalen<br />
stehen haben, sondern eben hauptsächlich<br />
Erbauungsliteratur, religiöse<br />
Texte. Auch der geheime Handel mit<br />
verbotenen evangelischen Werken in<br />
katholischen Gebieten war ein starker<br />
Faktor.“ Der Einfluss der großteils protestantischen<br />
Buchhändler in der Habsburgermonarchie<br />
ist jedenfalls nicht zu<br />
unterschätzen, dieser konfessionelle<br />
Faktor ist auch Teil von Garloffs Untersuchungen:<br />
„Wir wissen aus überlieferten<br />
Rechnungen, dass etwa Nürnberger<br />
Verleger auch den Wiener Hof beliefert<br />
haben. Das Benediktinerstift Göttweig<br />
erwarb gleich eine gesamte Bibliothek<br />
aus Nürnberg – und zwar in einem Ausmaß,<br />
dass ein Buchhändler bei diesem<br />
Geschäft bankrott ging.“<br />
Handelswege<br />
Diese Handelsbeziehungen nachzuvollziehen<br />
ist Ziel von Mona Garloff, eröffnen<br />
sie doch einen Blick in die Anfänge<br />
eines breiteren Buchmarkts, wie wir ihn<br />
heute kennen. Trattner und seine süddeutschen<br />
Vorgänger nahmen einiges<br />
vorweg, was noch heute Teil des Buchhandels<br />
ist: Händler eröffneten damals<br />
„Das Benediktinerstift Göttweig erwarb gleich eine gesamte Bibliothek<br />
aus Nürnberg – und zwar in einem Ausmaß, dass ein Buchhändler<br />
bei diesem Geschäft sogar bankrott ging.“ <br />
Mona Garloff<br />
Filialen in mehreren Städten – besonders<br />
Innsbruck war aufgrund der Nähe zum<br />
Handelsweg nach Italien schon damals<br />
als Niederlassung begehrt – und internationale<br />
Bestseller mit Großauflagen<br />
entstanden, die über dieses Filialnetz<br />
vertrieben wurden. „Ein früher Bestseller<br />
ist Robinson Crusoe von 1719. Bereits<br />
im folgenden Jahr waren vier deutsche<br />
Übersetzungen erhältlich, weitere Bearbeitungen<br />
des Stoffs erschienen kurz danach“,<br />
erläutert Mona Garloff. sh<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 31
GERMANISTIK<br />
POSTERBOY DER ROMANTIK<br />
In Portugal wird er als Nationaldichter verehrt, im deutschsprachigen Raum ist Luís Vaz de Camões so<br />
gut wie unbekannt. Dem war nicht immer so. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es einen<br />
regelrechten Hype um den Dichter und sein Epos Os Lusíadas. Der Germanist Peter C. Pohl begab sich<br />
auf die Suche nach dieser Faszination – und ihrem Verschwinden.<br />
Im April 1570 legte in Cascais, einer<br />
Stadt knapp 25 Kilometer westlich<br />
von Lissabon gelegen, ein Segelschiff<br />
an. Mit an Bord der Santa Clara befand<br />
sich Luís Vaz de Camões. Über 15 Jahre<br />
war er fern seiner Heimat Portugal gewesen,<br />
als Soldat in Indien und Arabien,<br />
als Verwalter in Macao, er hatte Goa gesehen<br />
und Mosambik. Reichtümer hatte er<br />
keine erlangt, vielmehr kehrte er verarmt<br />
zurück. Im Gepäck hatte er allerdings<br />
ein Manuskript, ein Epos mit 8.816 Versen,<br />
das er dem jungen König Sebastião<br />
I. widmete. Die heilige Inquisition gab es<br />
zum Druck frei, 1572 erschienen Os Lusíadas,<br />
eine idealisierte Geschichte Portugals.<br />
Acht Jahre später war Portugal selbst Geschichte.<br />
Sebastião war 1578 kinderlos in<br />
einer Schlacht gefallen. Ihm folgte zwar<br />
noch sein Großonkel, Kardinal Henrique,<br />
als König, dessen Tod 1580 bedeutete aber<br />
das Ende der Avis-Dynastie. Portugal<br />
wurde mit dem Königreich Spanien vereinigt<br />
und verlor seine Eigenständigkeit.<br />
Nur die Lusiaden zeugten noch vom Ruhme<br />
Portugals, die portugiesische Nation,<br />
schrieb Friedrich Schlegel im Jahr 1803,<br />
existierte, „gewissermaßen nur in diesem<br />
Werke noch fort“.<br />
Schlegel war nicht der erste, der Camões‘<br />
Lusiaden den deutschen Leserinnen<br />
und Lesern näher bringen wollte,<br />
doch er machte Camões „zum ‚Posterboy‘<br />
der Romantik“, wie es Peter C. Pohl<br />
vom Institut für Germanistik der Universität<br />
Innsbruck formuliert. Der „Posterboy“<br />
faszinierte unzählige Künstler,<br />
ihre Begeisterung schlug sich nieder<br />
in Literatur und Musik und war in der<br />
deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts<br />
allgegenwärtig. Heute kann davon keine<br />
Rede mehr sein. „Sowohl die kaum zu<br />
überschätzende Faszination, die Camões<br />
insbesondere auf die Romantiker, aber<br />
auch auf viele andere ausübte, als auch<br />
viele der von Camões Faszinierten und<br />
LUÍS VAZ DE CAMÕES (*1524/25, †<br />
1579/80) gilt als der bedeutendste Autor<br />
Portugals, sein – angeblicher – Todestag,<br />
der 10. Juni, ist der portugiesische<br />
Nationalfeiertag. Sein Hauptwerk Os<br />
Lusíadas (1572) besteht aus zehn Gesängen<br />
mit 1.102 Strophen, die 8.816 Verse<br />
enthalten. Lusiaden meint die Lusitanier,<br />
die Bewohnerinnen und Bewohner der<br />
römische Provinz Lusitania, die ungefähr<br />
das heutige Portugal umfasste. Die Bezeichnung<br />
Lusitania soll auf Lusus, einen<br />
Gefährten des Bacchus, zurückgehen. Im<br />
Stil klassischer Epen erzählen die Lusiaden<br />
die Entdeckung des Seewegs nach Indien<br />
durch Vasco da Gama, seine Reise entlang<br />
der afrikanischen Ostküste ums Kap der<br />
Guten Hoffnung bis nach Calicut. Camões<br />
verbindet diesen Handlungsstrang mit<br />
einer Darstellung portugiesischer Historie.<br />
Die Abbildung zeigt die Ausgabe des<br />
O commercio Portuguez vom 10. Juni<br />
1880 anlässlich des 300. Todestages von<br />
Camões.<br />
ihre literarischen Gestaltungen sind vergessen“,<br />
schreibt Pohl in seinem Buch zur<br />
deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte<br />
von Camões. Wie man sich diese Begeisterung<br />
und ihr Verschwinden erklären<br />
kann und was man aus ihr heute gewinnen<br />
könnte – diesen Fragen stellt sich<br />
Pohl in Vergessene Faszination.<br />
Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts<br />
veränderten die Französische<br />
Revolution und die Koalitionskriege<br />
das Angesicht Europas. Das Heilige Römische<br />
Reich deutscher Nation verlor<br />
Territorium um Territorium, bis Franz II.<br />
1806 schließlich die Reichskrone niederlegte.<br />
Die deutschen Romantiker suchten<br />
daher eine virtuelle Identität und schufen<br />
eine ‚Imagined Community‘. „Nach der<br />
avantgardistischen Frühromantik dienten<br />
sie sich der Nation an“, sagt Pohl. Achim<br />
von Arnim und Clemens Brentano veröffentlichten<br />
mit Des Knaben Wunderhorn<br />
eine Sammlung deutscher Volkslieder,<br />
Jacob und Wilhelm Grimm sammelten<br />
Märchen und widmeten sich dem Wörterbuch<br />
zur deutschen Sprache. Schlegel<br />
wiederum suchte nach idealen nationalen<br />
Epen, deren charismatische Dichter kraft<br />
ihrer Imagination Nationen geschaffen<br />
bzw. deren Identität gestiftet hatten – und<br />
stieß auf Luís Vaz de Camões.<br />
Faszinierendes Leben & Werk<br />
„Allein die Biografie von Camões, auch<br />
wenn es nur wenige gesicherte Daten zu<br />
ihm gibt, sagt viel über die Faszination<br />
aus, die von ihm ausging“, erklärt Pohl.<br />
Im Gefecht verlor der Portugiese ein<br />
Auge, wegen Handgreiflichkeiten saß<br />
er mehrmals im Gefängnis, als Soldat<br />
befuhr er den Seeweg nach Indien, bei<br />
einem Schiffbruch rettete er angeblich<br />
nichts außer seinem Leben und dem Manuskript<br />
der Lusiaden – ein Dichter also,<br />
der alles für sein Land und sein Werk<br />
gegeben hatte. „Schriftsteller verglichen<br />
sich mit Camões, um sich Mäzenen und<br />
der Öffentlichkeit anzubieten. Auch<br />
konnte man mit Verweisen auf Camões<br />
Aufmerksamkeit erlangen“, weiß Pohl.<br />
32 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Library of Congress, Andreas Friedle
GERMANISTIK<br />
PETER C. POHL (*1977) studierte ab<br />
1998 Germanistik, Kulturwissenschaft,<br />
Philosophie und Politologie in Heidelberg,<br />
Bremen sowie Avignon und promovierte<br />
2009 über Robert Musils Mann ohne<br />
Eigenschaften an der Universität Bremen,<br />
wo er seit 2005 auch als Lehrbeauftragter<br />
tätig war. Ab 2<strong>01</strong>0 lehrte und<br />
forschte Pohl am Arbeitsbereich Neuere<br />
deutsche Literatur und Literaturtheorie<br />
der Universität Greifswald. Seit 2<strong>01</strong>6 ist<br />
er Universitätsassistent am Institut für<br />
Germanistik der Universität Innsbruck.<br />
Ferner passten die Lusiaden selbst ins<br />
Schlegel’sche Konzept. Mit Vasco da Gama<br />
hat das Epos einen Helden, mit Portugal<br />
ein heldenhaftes Land, welches das<br />
christliche Abendland militärisch verteidigte<br />
und Handelswege nach Asien und<br />
Afrika eröffnete. „Das einzige heroische<br />
Nationalgedicht, was die Neueren aufzuweisen<br />
haben“, urteilte Schlegel und<br />
setzte die Lusiaden für seine Idee des ‚Nation<br />
Building‘ ein. „Die Idee einer deutschen<br />
Nationalität wird von einer portugiesischen<br />
Nationenidee abgeleitet“,<br />
wagt Pohl eine, wie er sagt, „steile These“.<br />
Die sich aber durch den fruchtbaren<br />
Boden, auf den Schlegels Ausführungen<br />
stießen, belegen lässt. Rund 150 fiktionale<br />
literarische Primärtexte umfasst die<br />
Bibliografie, die Pohls Institutskollege<br />
Michael Pilz zusammengetragen hat. Nur<br />
wenige, abseits von absoluten Fachkreisen<br />
bekannte Autorinnen und Autoren<br />
befinden sich darunter. Und tatsächlich<br />
ist es weniger die literarische Qualität,<br />
welche die Texte interessant macht. Man<br />
kann an ihnen jedoch Einiges ablesen:<br />
dass Camões je nach Ort und Zeit ganz<br />
unterschiedlich rezipiert wurde; dass<br />
man ihn in Dramen, Gedichten und Erzählungen<br />
ganz anders stilisierte; dass er<br />
zur Selbstinszenierung zahlreicher (zumeist<br />
erfolgloser) Autoren diente. Kurzum:<br />
Die Camões-Rezeption ist repräsentativ<br />
für weit größere Zusammenhänge.<br />
Peter C. Pohl: Vergessene Faszination.<br />
Zur deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte<br />
des portugiesischen<br />
Nationalepikers Luís Vaz de Camões.<br />
Mit Beiträgen v. Michael Pilz u.<br />
Sigurd Paul Scheichl u. einer annotierten<br />
Bibliographie v. Michael Pilz.<br />
Germanistische Reihe – Band 95,<br />
innsbruck university press, <strong>2022</strong><br />
Der Hype um Camões begann allerdings<br />
ab 1850 abzuflachen, mit der Deutschen<br />
Reichsgründung wurde die Notwendigkeit<br />
einer virtuellen Nationenbildung<br />
dann obsolet. Nationalepen hatten weitestgehend<br />
ausgedient.<br />
Fast zeitgleich, anlässlich des 300. Todestages<br />
von Camões, kam es in Portugal<br />
zu einer Neuinterpretation des Nationaldichters.<br />
„Die Geração de 70 – eine Gruppe<br />
junger Dichter, Schriftsteller und Politiker<br />
– will das ländliche katholische Portugal<br />
in die Moderne führen“, sagt Pohl, „sie<br />
bürsten dafür Camões gegen den romantischen<br />
Strich und entdecken ihn neu.“<br />
Das Augenmerk wurde auf den „Naturwissenschaftler“<br />
Camões gelegt, auf seine<br />
Beobachtung der Natur und ihrer Gefahren,<br />
seine Beschreibung des Einsatzes<br />
nautischer Instrumente. Für die Geração<br />
de 70 stand Camões zudem für den weltweiten<br />
Austausch und damit für eine Öffnung<br />
des damals rückschrittlichen Portugals<br />
zur europäischen Moderne.<br />
Pohl entwickelt daraus einen möglichen<br />
Ansatzpunkt für eine aktuelle Camões-Lektüre:<br />
„Wenn Schlegel sich über<br />
Camões germanisierte, Portugal sich<br />
über Camões europäisierte, könnte nun<br />
der Zeitpunkt gekommen sein, sich und<br />
Europa über Camões (anders) zu globalisieren.“<br />
<br />
ah<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 33
SOZIOLOGIE<br />
GEZIELTE ARBEIT an einer Erzählung der eigenen Biografie trägt auch zur Ordnung der Gedankenwelt Jugendlicher bei.<br />
RESILIENZ GEGEN<br />
EXTREMISMUS STÄRKEN<br />
Welche Faktoren verhindern Radikalisierung bei Jugendlichen?<br />
Mit dieser Frage befasst sich die Soziologin Hemma Mayrhofer, die dabei den Ansatz<br />
der Biografiearbeit mit Jugendlichen wissenschaftlich untersucht.<br />
Hannes ist heute 19 Jahre alt. Seine<br />
Geschichte ist nicht alltäglich:<br />
Als Kleinkind kommt er zu Onkel<br />
und Tante, die seine Pflegeeltern werden;<br />
zu seinem Vater hat er regelmäßigen<br />
Kontakt, zur suchtkranken Mutter nur<br />
sporadisch. Nach dem Besuch der Volksund<br />
Hauptschule beginnt er eine Lehre<br />
in einem Industriebetrieb. Mit 14 macht<br />
er sich erstmals aus eigenem Antrieb auf<br />
die Suche nach dem abwesenden Elternteil<br />
und nimmt Kontakt zu seiner leiblichen<br />
Mutter auf, die zwischenzeitlich<br />
wohnungslos ist. Über sie lernt er ältere<br />
Jugendliche kennen und wird gemeinsam<br />
mit ihnen von der Polizei beim Cannabiskonsum<br />
erwischt. Nach vorübergehendem<br />
Kontaktabbruch zur Mutter und<br />
ihrem Umfeld sucht er mit 15 neuerlich<br />
ihre Nähe. Sie gehört nun einer rechtsextremen<br />
Gruppe an und Hannes wird<br />
ebenfalls Teil dieser Gruppe. Er kommt<br />
schließlich wegen Körperverletzung und<br />
Verhetzung mit dem Gesetz in Konflikt.<br />
Hannes, das ist nicht sein realer Name,<br />
ist ein Fallbeispiel aus der im Rahmen<br />
des Sicherheitsforschungs-Förderprogramm<br />
KIRAS vom Bundesministerium<br />
für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus<br />
geförderten Studie „BI:JU – Biografiearbeit<br />
in der Offenen Jugendarbeit<br />
als resilienzstärkende Maßnahme zur<br />
Radikalisierungsprävention“, die Hemma<br />
Mayrhofer und Florian Neuburg vom<br />
Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie<br />
(IRKS) derzeit abschließen.<br />
„Uns interessiert das komplexe Zusammenwirken<br />
von Faktoren, die dazu<br />
führen können, dass Jugendliche sich radikalisieren.<br />
Und besonders interessiert<br />
uns, welche Faktoren dazu beitragen,<br />
dass Radikalisierung eben nicht ‚greift‘<br />
oder wodurch eine frühe Distanzierung<br />
von extremistischen Ideologien und<br />
Gruppen gefördert wird“, erklärt Hemma<br />
Mayrhofer. Welche Rolle biografische<br />
Erfahrungen in der Radikalisierung spielen,<br />
ist bereits durch mehrere Studien erforscht,<br />
Resilienzfaktoren hingegen wurden<br />
bislang kaum untersucht – dort setzt<br />
das <strong>Forschung</strong>sprojekt BI:JU an.<br />
34<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: AdobeStock / 1STunningART, IRKS / Uni Innsbruck
SOZIOLOGIE<br />
Sozialer Kontext<br />
„Individuelle Widerstandsfähigkeit kann<br />
nicht isoliert vom sozialen Kontext gesehen<br />
werden“, betont die Soziologin.<br />
Auch sind Risiko- und Resilienzfaktoren<br />
nicht immer klar zu trennen: Was im einen<br />
Kontext ein Risiko sein kann, schützt im<br />
anderen vor weiterer Radikalisierung.<br />
Mayrhofer führt als Beispiel Luaneshe –<br />
auch dieser Name ist geändert – an, die<br />
als Jugendliche Teil einer nationalistischen<br />
kosovo-albanischen Gruppe war.<br />
Sie verstand sich als deren Beschützerin<br />
und übernahm Verantwortung für andere<br />
Gruppenmitglieder – auch durch Ausübung<br />
von Gewalt: „Heute arbeitet sie als<br />
Security in einem Betrieb und resümiert,<br />
sie mache jetzt das, was sie ohnehin schon<br />
immer gemacht habe, aber nun für einen<br />
Arbeitgeber im rechtsstaatlichen Rahmen<br />
und nicht in einem extremistischen Kontext.“<br />
Luaneshes Form von Selbstbehauptung<br />
nach ihrer Migration nach Österreich<br />
lässt sich als „hidden resilience“ bezeichnen,<br />
also als sozial nicht verträgliche und<br />
zu gesellschaftlichen Normen im Widerspruch<br />
stehende Resilienz. Sie erfährt bereits<br />
als Schülerin dadurch Selbstwirksamkeit,<br />
dass sie mit ihrer nationalistischen<br />
Gruppe bei Mitschüler*innen Angst und<br />
Schrecken verbreitet. „Das kann in einem<br />
Umfeld, das als ausgrenzend erlebt wird,<br />
stärkend für die eigene Identitätsentwicklung<br />
sein, allerdings widerspricht es klar<br />
geltenden Normen“, sagt Mayrhofer. Als<br />
Teil der stark geschlossenen kosovo-albanischen<br />
Community erpresst sie unter anderem<br />
Schutzgelder, nimmt aber zugleich<br />
keine typische Genderrolle ein.<br />
Letzteres erweist sich später als Resilienzfaktor,<br />
nämlich im Prozess der<br />
Distanzierung von einer islamistischen<br />
Gruppierung, der sie sich als junge Erwachsene<br />
anschließt: Luaneshe erlebt parallel<br />
zur Eskalation des Krieges in Syrien<br />
einen starken antimuslimischen Diskurs<br />
in Österreich. Dadurch rückt die Ausgrenzungserfahrung<br />
als Muslima in den<br />
Vordergrund, für deren Zurückweisung<br />
ihr islamistische Identifikationsangebote<br />
bessere Möglichkeiten eröffnen. Der ethnisch-nationalistische<br />
Extremismus wird<br />
nun durch einen antinationalistischen<br />
Extremismus abgelöst: „Aus ethnischen<br />
Feind*innen werden so plötzlich Geschwister<br />
im Glauben. Das eröffnet ihr<br />
zugleich die Erfahrung, dass persönliche<br />
Zugehörigkeit und Identität veränderbar<br />
sind.“ Und noch ein Faktor wird relevant:<br />
Die strengen religiösen Regeln, denen sie<br />
sich nun als Frau unterwerfen soll, empfindet<br />
sie als einschränkend, auch in beruflicher<br />
Hinsicht. Sie verlangen einen<br />
radikalen Bruch zu ihrem bisherigen<br />
Selbstverständnis, zu dem Luaneshe nicht<br />
lange bereit ist.<br />
„Bei Luaneshe und auch bei Hannes<br />
sehen wir, dass soziale Bezugspunkte<br />
außerhalb der radikalisierten Gruppe<br />
einen bedeutenden Resilienzfaktor darstellen.<br />
Beiden hilft dieser Faktor bei der<br />
Distanzierung von der extremistischen<br />
Szene“, betont Hemma Mayrhofer. Luaneshe<br />
hat etwa eine enge Beziehung zu<br />
ihrer Mutter, deren große Sorge wegen<br />
ihrer islamistischen Orientierung ein<br />
wichtiger Beweggrund ist, den Kontakt<br />
zur jihadistischen Szene abzubrechen.<br />
Zugleich steht sie mit einer Jugendarbeiterin<br />
in losem, aber prägendem Kontakt,<br />
das unterstützt ebenfalls beim Szeneausstieg.<br />
Ein wichtiges Motiv für Hannes‘<br />
Ausstieg aus der rechtsextremen Gruppe<br />
ist sein Wunsch, die Beziehung zu seinen<br />
Pflegeeltern nicht zu gefährden. Und beide<br />
Fallbeispiele verdeutlichen, wie sehr<br />
HEMMA MAYRHOFER ist Leiterin des<br />
Instituts für angewandte Rechts- und<br />
Kriminalsoziologie (IRKS) der Uni Innsbruck<br />
in Wien. Nach dem Studium der<br />
Soziologie und eines Fächerbündels aus<br />
Politikwissenschaft, Zeitgeschichte und<br />
Gender Studies an der Universität Wien<br />
und der Freien Universität Berlin ist sie<br />
seit 1996 in unterschiedlichen Kontexten<br />
und Instituten in der empirischen<br />
Sozialforschung tätig, seit Anfang 2<strong>01</strong>2<br />
am IRKS. Sie ist Kollegiumsmitglied der<br />
ÖGS-Sektion „Recht & Gesellschaft“ und<br />
im Editorial Board der Österreichischen<br />
Zeitschrift für Soziologie (ÖZS). In ihrer<br />
<strong>Forschung</strong> befasst sich Mayrhofer unter<br />
anderem mit Fragen von sozialer Inklusion<br />
und Exklusion, sozialer Kontrolle<br />
und sozialer Arbeit, rechtssoziologischer<br />
<strong>Forschung</strong> und sozialwissenschaftlicher<br />
Sicherheitsforschung.<br />
berufliche Einbindung und Perspektiven<br />
Resilienz fördern. „Und sie zeigen das<br />
Potenzial von Biografiearbeit: Die Art,<br />
wie eine Person ihre bisherige Lebensgeschichte<br />
erzählt und deutet, beeinflusst,<br />
wie sie sich mit biografischen Herausforderungen<br />
auseinandersetzt und sich im<br />
eigenen Leben zurechtfindet.“ Hannes<br />
hatte etwa noch kaum eigene Erzählungen<br />
zu zwei sehr stärkenden Lebensbereichen<br />
und -phasen entwickelt, nämlich<br />
zu seiner Kindheit mit den Pflegeeltern<br />
sowie zur Berufsausbildung und Arbeit.<br />
„Biografiearbeit kann Menschen dabei<br />
unterstützen, zu solchen lebensgeschichtlichen<br />
Ressourcen ein biografisches Gedächtnis<br />
zu entwickeln, das die Fähigkeit<br />
zur autonomen Gestaltung und Reflexion<br />
des eigenen Lebens fördert und letztlich<br />
resilienter macht“, erläutert die Soziologin<br />
den Ansatz der Biografiearbeit.<br />
Praktische Umsetzung<br />
Die Förderung von Resilienzfaktoren<br />
schließt für Hemma Mayrhofer immer<br />
auch die Umwelt mit ein: „Individuelle<br />
Resilienz kann nur so gut sein, wie die<br />
Umwelt es ermöglicht, sie auszudrücken.<br />
Es geht immer auch darum, das soziale<br />
Umfeld resilienzfördernd zu gestalten<br />
und Jugendliche zu unterstützen – angefangen<br />
bei der Schule über berufliche<br />
Teilhabemöglichkeiten bis hin zu gut<br />
ausgestatteter Jugendarbeit.“ In der Jugendarbeit<br />
gibt es bereits Angebote der<br />
Biografiearbeit, wenn auch nicht immer<br />
unter diesem Namen: Viele Jugendzentren<br />
bieten Jugendlichen zum Beispiel die<br />
Möglichkeit, in Tonstudios eigene Musik<br />
– etwa Raps – aufzunehmen, in denen<br />
sie Erfahrungen aus dem eigenen Leben<br />
verarbeiten und reflektieren; narrativbiografische<br />
Gespräche mit den Jugendlichen<br />
helfen außerdem, Resilienzfaktoren<br />
zu identifizieren und zu stärken.<br />
„Die Ergebnisse der BI:JU-Studie lassen<br />
wir auch in die Lehre an der Universität<br />
einfließen, besonders wichtig ist uns zugleich<br />
eine anwendungsbezogene Ergebnisdissemination“,<br />
sagt Hemma Mayrhofer.<br />
Aktuell führt sie mit Florian Neuburg<br />
etwa Workshops zur Biografiearbeit für<br />
Jugendarbeiter*innen durch, zudem werden<br />
die Projektergebnisse Vertreter*innen<br />
der österreichischen Jugendstrategie und<br />
Mitgliedern des Bundesweiten Netzwerks<br />
Extremismusprävention und Deradikalisierung<br />
(BNED) vermittelt. sh<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 35
DIGITALISIERUNG<br />
DER ALGORITHMUS<br />
ALS VORGESETZTER<br />
Der Wirtschaftsinformatiker Ulrich Remus untersucht die neue Arbeits- und Wirtschaftsform<br />
der Gig Economy. Der Fokus seines aktuellen <strong>Forschung</strong>sprojekts liegt dabei auf der Beziehung<br />
zwischen den sogenannten Gig Workern und den Algorithmen, die dazu eingesetzt werden,<br />
sie zu steuern oder zu kontrollieren.<br />
Seit einiger Zeit, spätestens aber seit<br />
der Corona-Pandemie, prägen sie<br />
das Bild auch in österreichischen<br />
Städten: Lieferboten, die auf Fahrrädern,<br />
häufig den eigenen, für Plattformen wie<br />
Mjam oder Lieferando Essen von Restaurants<br />
zu privaten Haushalten bringen.<br />
Seit ca. eineinhalb Jahren ist, wenn auch<br />
mit Einschränkungen, der Beförderungsdienstleister<br />
Uber wieder in Österreich<br />
vertreten. Urlaubende und Vermieter*innen<br />
von Ferienwohnungen und Ferienhäusern<br />
finden über die Plattform Airbnb<br />
zueinander. Gemeinsam haben alle diese<br />
Anbieter, dass sie der sogenannten Gig<br />
Economy zugeordnet werden können,<br />
die sich durch kurze Anstellungen freier<br />
Dienstnehmer*innen auf Projektbasis<br />
charakterisiert. Auftraggeber und Arbeitnehmer*innen<br />
finden auf verschiedenen<br />
Internetplattformen zueinander.<br />
„Die Gig Economy ist in den vergangenen<br />
Jahren so stark gewachsen, weil<br />
viele, vor allem junge Menschen, die<br />
Flexibilität dieser Arbeitsform schätzen.<br />
Gleichzeitig ist das unternehmerische<br />
Risiko für die Plattformanbieter gering.<br />
Uber beispielsweise hat keine eigenen<br />
Fahrzeuge, Airbnb keine eigenen Immobilien“,<br />
beschreibt Ulrich Remus,<br />
Professor am Institut für Wirtschaftsinformatik,<br />
Produktionswirtschaft und<br />
Logistik, Gründe für den Erfolg der Gig<br />
Economy. Um die Anforderungen von<br />
Auftraggebern ideal mit dem Profil von<br />
Auftragnehmern zu decken, wird das<br />
„Matching“ durch Algorithmen unterstützt.<br />
Aber nicht nur zu diesem Zweck<br />
kommen Algorithmen in dieser Wirtschaftsform<br />
zum Einsatz, sondern auch,<br />
um die sogenannten Gig Worker zu steuern<br />
oder gar zu kontrollieren. Zweiteres,<br />
GIG ECONOMY: Auftraggeber und Arbeitnehmer*innen finden auf verschiedenen Internetplattformen<br />
zueinander.<br />
36 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Unsplash / Mika Baumeister, Andreas Friedle
DIGITALISIERUNG<br />
die sogenannte „Algorithmic Control“,<br />
ist <strong>Forschung</strong>sgenstand eines aktuellen<br />
FWF-Projekts, in dem Ulrich Remus und<br />
sein Team untersuchen, welche Widerstände<br />
die automatisierte Steuerung und<br />
Überwachung bei unabhängigen Arbeitnehmer*innen<br />
auslösen kann.<br />
„Viele Gig Worker sehen den<br />
algorithmischen Manager als<br />
unfehlbar und allwissend, der<br />
jede kleinste Entscheidung<br />
perfektioniert. “ <br />
Ulrich Remus<br />
Steuerung vs. Kontrolle<br />
Im Mittelpunkt des <strong>Forschung</strong>sprojekts<br />
steht dabei, wie Menschen mit diesen<br />
Technologien interagieren. Dazu nutzen<br />
die Wissenschaftler*innen eigene Foren,<br />
in denen Gig Worker sich zu ihren<br />
Arbeitsbedingungen austauschen. Mit<br />
Hilfe der Methode des Web Scrapings,<br />
also dem automatisierten Auslesen der<br />
Inhalte dieser Foren, identifizieren sie die<br />
dominanten Themen, die dort diskutiert<br />
werden. Dabei ist besonders eines für Remus<br />
interessant: „Viele Gig Worker sehen<br />
den algorithmischen Manager als unfehlbar<br />
und allwissend, der jede kleinste Entscheidung<br />
perfektioniert. Sie sind sich gar<br />
nicht bewusst, dass dessen Steuerungsvorgaben<br />
möglicherweise gar nicht auf<br />
einem festgelegten Plan beruhen, sondern<br />
nur auf Zufall. Trotzdem versuchen die<br />
Gig Worker aus den begrenzten Informationen,<br />
die ihnen zur Verfügung stehen,<br />
einen Sinn zu generieren. Dazu konstruieren<br />
sie Geschichten, die ihnen dabei<br />
helfen, ein Gefühl der Kontrolle und<br />
Handlungsfähigkeit wiederherzustellen.<br />
Ein Beispiel dafür ist etwa, dass sich in<br />
diesen Foren häufig darüber ausgetauscht<br />
wird, dass neue Fahrer*innen bei Liefer-<br />
oder Fahrdiensten mit profitableren<br />
Fahrten geködert werden und dadurch<br />
der Verdienst zu Beginn besonders hoch<br />
ist. Das soll, so die Vermutung, die Motivation<br />
erhöhen. Wenn aber die ‚Flitterwochen‘<br />
vorbei sind, nehmen Qualität und<br />
Häufigkeit solcher Fahrten ab. Ob diese<br />
Geschichte ‚wahr‘ ist oder nicht, wurde<br />
bisher nicht nachgewiesen“, so Remus.<br />
Zu dieser subjektiven Wahrnehmung<br />
und dem Versuch, einen Sinn daraus zu<br />
generieren, trägt wohl auch bei, dass Gig<br />
Worker ihre Arbeitsaufträge meist über<br />
eine App erhalten und nicht von einer<br />
Person. Nachfragen, warum etwas gemacht<br />
werden muss, können sie deshalb<br />
nicht. Gleichzeitig erhalten die App-Betreiber<br />
Daten in Echtzeit, wodurch die<br />
Apps umgehend auf das Verhalten der<br />
Nutzer*innen reagieren können. Um besser<br />
zu verstehen, wie Gig Worker mit dieser<br />
automatisierten Steuerung umgehen,<br />
nutzen Remus und sein Team zusätzlich<br />
die Methode des Experience Samplings:<br />
Dabei werden Personen regelmäßig und<br />
in kurzen Abständen befragt. Die Wissenschaftler*innen<br />
können bei diesem Verfahren<br />
in einem experimentellen Setting<br />
auch Trigger setzen, um die Reaktion auf<br />
bestimmte Szenarien abzufragen.<br />
Kontrolle in Echtzeit<br />
Ein besonders interessantes <strong>Forschung</strong>sgebiet<br />
ist die Gig Economy auch deshalb,<br />
weil dort bereits Technologien und Praktiken<br />
zum Einsatz kommen, die früher oder<br />
später auch in der traditionellen Arbeitswelt<br />
zum Einsatz kommen könnten. Das<br />
<strong>Forschung</strong>sprojekt dient deshalb auch dazu,<br />
mögliche gesellschaftliche Auswirkungen<br />
frühzeitig zu erkennen. „Durch die<br />
eingesetzten Technologien ist die kontinuierliche<br />
Kontrolle einer Person in Echtzeit<br />
mithilfe einer Vielzahl an Daten möglich.<br />
Dadurch ist für die Person selbst auch<br />
nicht mehr exakt nachvollziehbar, was,<br />
warum und wann kontrolliert wird. Außerdem<br />
können die Kontrollmechanismen<br />
personalisiert zum Einsatz kommen, wodurch<br />
eine zusätzliche Intransparenz entsteht“,<br />
erklärt der Wirtschaftsinformatiker.<br />
Und auch ethische Aspekte müssen verstärkt<br />
in den Fokus kommen, denn ein<br />
ULRICH REMUS studierte Wirtschaftsinformatik<br />
an der Universität Bamberg<br />
und arbeitete danach als Unternehmensberater<br />
bei Mummert & Partner, vor allem<br />
in Prozessmanagement- und Datawarehousing-Projekten.<br />
Weitere Stationen<br />
führten ihn an die Universität Regensburg<br />
(Promotion), die Universität Erlangen-<br />
Nürnberg (Habilitation) und nach Neuseeland<br />
(Gastwissenschaftler an der School<br />
of Information Management der Victoria<br />
University of Wellington, Senior Lecturer<br />
an der University of Canterbury). 2<strong>01</strong>2<br />
wurde Remus an die Universität Innsbruck<br />
berufen, wo er als Professur für Wirtschaftsinformatik<br />
– Digitale Gesellschaft<br />
am Institut für Wirtschaftsinformatik, Produktionswirtschaft<br />
und Logistik tätig ist.<br />
Algorithmus ist immer auch abhängig<br />
von den Daten, die ihm zugeführt werden.<br />
Das kann auch ungewünschte Folgen<br />
haben, die das verantwortliche Management<br />
oder die Programmierer*innen nicht<br />
beabsichtigt haben. „Bereits vor einigen<br />
Jahren hat ein großer Online-Händler für<br />
seine Recruiting-Software Daten aus der<br />
Vergangenheit übernommen, mit denen<br />
der Algorithmus für die Personalauswahl<br />
trainiert wurde. Dabei hat er auch übernommen,<br />
dass in der Vergangenheit häufiger<br />
Männer als Frauen eingestellt wurden,<br />
was schließlich zu einer geschlechterdiskriminierenden<br />
Personalauswahl geführt<br />
hat“, veranschaulicht Remus die<br />
Problematik. Noch bis 2024 werden Ulrich<br />
Remus und sein Team an diesem <strong>Forschung</strong>sprojekt<br />
arbeiten, um diese sehr<br />
rasant wachsende neue Arbeitsform besser<br />
zu verstehen. lm<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 37
PHYSIK<br />
AMMONIAK TREIBT<br />
WOLKENBILDUNG AN<br />
Der vermehrte Einsatz von Kunstdünger und Mist aus der Tierhaltung bringen mehr Ammoniak in die<br />
Atmosphäre. Dadurch entstehen mehr Wolken am Himmel.<br />
EXPERIMENTE wurden in der CLOUD-Kammer<br />
am CERN durchgeführt<br />
Ob und wie viele Wolken am Himmel<br />
sind, hat großen Einfluss<br />
darauf, wie sich die Erde weiter<br />
erwärmt. Diesen Effekt in Klimamodellen<br />
zu quantifizieren, ist bis heute mit<br />
großen Unsicherheiten verbunden. Das<br />
liegt vor allem daran, dass die Entstehung<br />
von Kondensationskeimen in der<br />
Atmosphäre nur ungenügend verstanden<br />
wird. Seit 2009 erforscht ein internationales<br />
Team beim Großexperiment CLOUD<br />
am europäischen Kernforschungszentrum<br />
CERN bei Genf die molekularen<br />
Mechanismen der Neubildung von Partikeln<br />
aus atmosphärischen Gasen, aus<br />
denen sich Kondensationskeime für<br />
Wolken bilden. In einer aktuellen Studie<br />
in der Fachzeitschrift Nature zeigen die<br />
Wissenschaftler*innen, dass die Anwesenheit<br />
von Ammoniak in der oberen<br />
Troposphäre zur verstärkten Bildung von<br />
Partikeln führen kann.<br />
Mehr Wolkenbildung<br />
Die obere Troposphäre spielt eine wichtige<br />
Rolle im Klimasystem. Gerade hier<br />
haben bereits geringe Veränderungen<br />
der Zusammensetzung erheblichen Einfluss<br />
auf den Strahlungshaushalt der<br />
Erde. Bilden sich hier neue Partikel, entstehen<br />
daraus auch mehr Wolken. „Die<br />
Vorläufergase, die diesen Prozess der<br />
Partikelbildung antreiben, sind jedoch<br />
nicht gut verstanden“, betont Armin<br />
Hansel vom Institut für Ionenphysik<br />
und Angewandte Physik der Universität<br />
Innsbruck, einer der Mitautor*innen<br />
der aktuellen Studie. „Mit Experimenten,<br />
die unter den Bedingungen der oberen<br />
Troposphäre in der CLOUD-Kammer<br />
am CERN durchgeführt wurden, konnten<br />
wir nun zeigen, dass Salpetersäure,<br />
Schwefelsäure und Ammoniak gemeinsam<br />
Partikel bilden, und zwar mit einer<br />
Geschwindigkeit, die um Größenordnungen<br />
schneller ist, als wenn nur zwei<br />
der drei Komponenten miteinander reagieren“,<br />
schildert Hansel.<br />
Modellrechnungen bestätigen, dass<br />
Ammoniak während des asiatischen<br />
Monsuns in großen Mengen in die obere<br />
Atmosphäre gelangt, dort mit Salpetersäure,<br />
die lokal durch Blitze entsteht, zusammen<br />
mit nur Spuren von Schwefelsäure<br />
rasch zur Bildung von Partikeln<br />
führt. Dadurch entstehen bei den kühlen<br />
Temperaturen der oberen Troposphäre<br />
Eispartikel, die sich über die nördliche<br />
Hemisphäre ausbreiten können. Die<br />
meis ten Ammoniakemissionen in Südasien<br />
stammen aus der Landwirtschaft<br />
und hier vor allem aus der vermehrten<br />
Verwendung von Kunstdünger neben<br />
der natürlichen Düngung mit Mist. <br />
38<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Unsplash / Pero Kalimero, CERN
FÖRDERKREIS 1669<br />
UNTERSTÜTZUNG<br />
FÜR SMARTE IDEEN<br />
Durch unbürokratische und motivierende Anschubfinanzierung unterstützt der<br />
Förderkreis 1669 wissenschaftliche Projekte an der Universität Innsbruck.<br />
Der Förderkreis 1669 versteht sich<br />
als Schnittstelle zwischen der<br />
Universität Innsbruck und der<br />
Gesellschaft. Seit der Gründung im Jahr<br />
2<strong>01</strong>5 konnten dank der großzügigen Unterstützung<br />
von Förderinnen und Förderern<br />
eine Vielzahl an Projekten umgesetzt<br />
werden. Hier einige Beispiele mit Videos<br />
(QR-Code):<br />
SMARTE ANTENNEN<br />
Handy, Autoschlüssel und Smartwatch<br />
kommunizieren heute auch über Antennen.<br />
Viele Produkte sind ohne speziell<br />
konstruierte Antennen nicht denkbar. Ihre<br />
Entwicklung ist aber zeitaufwendig und<br />
komplex. An der Uni Innsbruck hat ein<br />
<strong>Forschung</strong>steam nun eine Methode entwickelt,<br />
mit der zweidimensionale Antennen<br />
vollautomatisch konstruiert und optimiert<br />
werden können. Damit lassen sich völlig<br />
neuartige Formen entwerfen, die für spezielle<br />
Anwendungen optimiert sind. Es<br />
muss dafür nur angegeben werden, welche<br />
Umgebungsmaterialen verbaut und<br />
welche Frequenz und Richtwirkung die<br />
Antenne haben soll. Das ermöglicht<br />
es auch kleinen Firmen,<br />
innovatives Know-how<br />
in ihre Produkte einzubauen.<br />
INNOVATIVE PULSMESSUNG<br />
Ein T-Shirt, das die Herzfrequenz misst?<br />
An einem solchen Sensor arbeiten das Institut<br />
für Textilchemie und Textilphysik<br />
und das Institut für Mikroelektronik und<br />
Implantierbare Systeme der Universität<br />
Innsbruck derzeit gemeinsam. Der textilbasierte<br />
Sensor, der als Messelektrode für<br />
ein Elektrokardiogramm dient, wurde am<br />
Textilinstitut in Dornbirn entwickelt. Darauf<br />
aufbauend hat das Innsbrucker Team<br />
um Elektroniker Thomas Ußmüller einen<br />
batterielosen Sensor zur Herzfrequenzmessung<br />
gebaut. Als Grundlage dafür<br />
dient ein in Innsbruck entwickelter passiver<br />
RFID-Transponder, der die<br />
Energie des RFID-Lesegeräte<br />
nutzt, um die Herzdaten an<br />
den Empfänger weiterzuleiten.<br />
FISCHE SCHÜTZEN<br />
Ein am Institut für Wasserbau entwickeltes<br />
System bietet für den Fischschutz an<br />
Wasserkraftanlagen eine einfache, aber<br />
revolutionäre Idee: Ein Elektro-Seilrechen<br />
funktioniert dabei ähnlich wie ein elektrischer<br />
Weidezaun. Die Fische erhalten<br />
ungefährliche Stromschläge im Niedrigvoltbereich.<br />
So schwimmen sie nicht<br />
in die gefährlichen Turbinen, sondern<br />
werden in Ausweichrinnen gelenkt. Der<br />
„Fishprotector“ getaufte Schutzzaun ist<br />
durch ein Patent geschützt und wird nun<br />
über das Spin-off-Unternehmen HyFish<br />
weltweit vermarktet. Die erste Pilotanlage<br />
eines flexiblen FishProtectors konnte<br />
unlängst an der Wasserkraftanlage<br />
Leinau an der Wertach<br />
in Kaufbeuren, Bayern, realisiert<br />
werden.<br />
Fotos: Uni Innsbruck<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 39
WISSENSTRANSFER<br />
KLÄRANLAGE ALS<br />
FRÜHWARNSYSTEM<br />
Das Anwachsen und Abflauen der Corona-Infektionszahlen wurde schon früh auch über Messungen<br />
im Abwasser mitverfolgt. Federführend beim Aufbau des österreichischen Abwassermonitorings waren<br />
Innsbrucker Forscherinnen und Forscher.<br />
Jeder Mensch scheidet täglich Viren<br />
und Bakterien aus. Auch Fragmente<br />
des Coronavirus SARS-CoV-2 bahnen<br />
sich ihren Weg durch den Darm und landen<br />
in der Kanalisation. In den Kläranlagen<br />
werden regelmäßig Abwassserproben<br />
entnommen, die man auf RNA-Fragmente<br />
des Virus untersuchen kann. Im Auftrag<br />
des Bildungsministeriums und des Gesundheitsministeriums<br />
wird dies inzwischen<br />
routinemäßig gemacht. Die Daten<br />
werden den zuständigen Gremien für die<br />
Risikobewertung zur Verfügung gestellt<br />
und teilweise auch auf einem öffentlichen<br />
Dashboard zugänglich gemacht.<br />
An der Universität Innsbruck hat der<br />
Mikrobiologe Heribert Insam schon sehr<br />
früh die Chancen des Abwassermonitorings<br />
erkannt und mit Wolfgang Rauch<br />
vom Arbeitsbereich Umwelttechnik sowie<br />
Heiko Kinzel vom Spin-off-Unternehmen<br />
hydro-IT engagierte Mitstreiter gefunden.<br />
Gemeinsam mit der AGES und Partnern<br />
an anderen <strong>Forschung</strong>seinrichtungen haben<br />
sie das österreichweite Monitoring<br />
aufgebaut und damit einen Beitrag zu einer<br />
evidenzbasierten Maßnahmenplanung<br />
geleistet. Denn in den Abwasserdaten sind<br />
Infektionsentwicklungen früher erkennbar<br />
als in den Zahlen aus den Testzentren.<br />
Viele offene Fragen<br />
Auch wissenschaftlich sind mit dem Thema<br />
viele Fragen verbunden, denn bis zur<br />
aktuellen Pandemie hatten sich nur wenige<br />
Forscherinnen und Forscher mit Abwassermonitoring<br />
beschäftigt. „Wir mussten<br />
uns zunächst einmal in die Thematik<br />
einarbeiten“, erzählt Wolfgang Rauch,<br />
„aber die Lernkurve war sehr steil.“ Seine<br />
Arbeitsgruppe verfügt über hervorragende<br />
Modelle für Kanalsysteme. Diese<br />
bilden nun die Basis für Untersuchungen<br />
darüber, wie das Virus in die Kläranlagen<br />
transportiert wird und welche Prozesse<br />
zu einem Abbau des Virus führen können.<br />
Die daraus entwickelten Modelle geben<br />
wichtige Hinweise auf den Verlauf von<br />
Inzidenzen und zukünftige Hospitalisierung.<br />
Allerdings gibt die Omikron-Variante<br />
den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />
Rätsel auf, denn seit einiger<br />
Zeit finden sie weniger Virus im Abwasser<br />
als aufgrund der Inzidenzen eigentlich zu<br />
erwarten wäre. „Unsere Modelle passen<br />
nicht mehr“, sagt Rauch. Über die Ursache<br />
wird derzeit noch spekuliert.<br />
Know-how-Transfer<br />
Das Team um Rauch kümmert sich auch<br />
um die Datenaufbereitung und Datenanalyse.<br />
Unterstützt werden sie dabei vom<br />
Innsbrucker Spin-off-Unternehmen hydro-<br />
IT, das für das gesamte Datenmanagement<br />
zuständig ist und die IT-Infrastruktur dafür<br />
entwickelt hat. <br />
AUCH IN DER Kläranlage Strass/Zillertal wird das Abwasser auf Virus-Rückstände untersucht.<br />
40 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Foto: AWV Achental-Inntal-Zillertal
WISSENSTRANSFER<br />
SURFWELLE MIT<br />
INNSBRUCKER KNOW-HOW<br />
FÜR EINSTEIGER<br />
UND PROFIS<br />
Innsbrucker Mikrobiologen haben ein Softwarepaket für die<br />
einfache Analyse von DNA-Sequenzierungsdaten entwickelt.<br />
Die moderne biologische und medizinische<br />
<strong>Forschung</strong> ist heute ohne<br />
die tiefen Einblicke, die durch<br />
neue DNA-Sequenzierungstechnologien<br />
gewonnen werden, kaum noch denkbar.<br />
Heute gibt es eine Vielzahl von Softwarepaketen<br />
für die Analyse von Sequenzierungsdaten.<br />
Die meisten von ihnen<br />
setzen jedoch umfangreiche Computerkenntnisse<br />
voraus oder erfordern sogar<br />
eine Bioinformatik-Ausbildung. „Aus<br />
diesem Grund haben wir CoMA entwickelt,<br />
eine besonders intuitive und benutzerfreundliche<br />
Software, die auf allen<br />
gängigen Computer-Betriebssystemen<br />
läuft und auch für Einsteiger zugänglich<br />
ist“, erzählt Sebastian Hupfauf vom<br />
Institut für Mikrobiologie. „Gleichzeitig<br />
machen zahlreiche Einstellungsmöglichkeiten<br />
und ein hoher Automatisierungsgrad<br />
CoMA auch für fortgeschrittene<br />
Anwender interessant, die eine effiziente<br />
und schlanke Datenanalyse suchen.“<br />
Das Softwarepaket nutzt verschiedene<br />
Open-Source-Programme von Drittanbietern<br />
und kombiniert diese mit eigenen<br />
Skripten. Das Ergebnis der Auswertungen<br />
sind ansprechende und publikationsreife<br />
Grafiken, statistische Analysen<br />
sowie Ausgabedateien in standardisierten<br />
Formaten. Die frei verfügbare Software<br />
soll es auch Einsteigern ermöglichen,<br />
solche komplexen Analysen durchzuführen.<br />
Im Frühjahr hat das Entwicklerteam<br />
die dritte Version des Softwarepakets<br />
veröffentlicht. <br />
Der bayrische Ministerpräsident Markus<br />
Söder kam Ende März nach Nürnberg,<br />
um die sogenannte Fuchslochwelle zu<br />
eröffnen. Die natürlich gespeiste und rund<br />
achte Meter breite Flusswelle ist die erste<br />
ihrer Art in Deutschland. Das Konzept für<br />
das Bauwerk stammt vom Arbeitsbereich<br />
Wasserbau der Universität Innsbruck unter<br />
Leitung von Markus Aufleger und der Firma<br />
Dreamwave. Im Betrieb wird das Wasser der<br />
Pegnitz durch ein Wehr im ursprünglichen<br />
Verlauf aufgestaut und in den Kanal gelenkt.<br />
Hier fließt es über eine einstellbare Rampe<br />
hinunter und trifft unten auf langsameres<br />
Wasser, wodurch eine Welle entsteht. Wellenreiter<br />
können mit einem gewöhnlichen<br />
Surfbrett, wie es auch im Meer zum Einsatz<br />
kommt, auf der Welle gegen die Fließrichtung<br />
des Flusses surfen. Die Qualität und<br />
Eigenschaften der Welle sind unter anderem<br />
abhängig von der Menge des Wassers, dem<br />
Winkel der Rampe und der Stellung des<br />
Kickers am Ende der Wellenrampe. Da die<br />
Rampe aus drei unabhängigen Modulen<br />
besteht, ist auch die Breite der Welle einstellbar.<br />
So ist gewährleistet, dass auf der<br />
Welle, unabhängig von der Wassermenge in<br />
der Pegnitz, ganzjährig und bei unterschiedlichen<br />
Bedingungen gesurft werden kann.<br />
ANALYSE VON CYBERATTACKEN<br />
Ob Cyberattacken gegen die Ukraine, Online-Erpressungen von Krankenhäusern oder<br />
Spähkampagnen gegen zivilgesellschaftliche Gruppen: Moderne Netzwerke bergen<br />
nicht nur viele Potenziale, sondern auch einige Gefahren, die von Staaten wie nichtstaatlichen<br />
Akteuren ausgehen können. Aber wer sind die gefährlichsten Player online? Welchen Staaten<br />
sind sie zuzuschreiben? Wie sind ihre Cyberangriffe politisch zu bewerten und welche technischen<br />
Tools werden in welchen Angriffen verwendet?<br />
Die Universitäten Innsbruck und Heidelberg und die Stiftung Wissenschaft und Politik erhielten<br />
im Frühjahr den Zuschlag für den Aufbau einer Open-Source-Datenbank über globale Cybersicherheitsvorfälle:<br />
das European Repository on Cyber-Incidents (EuRepoC). Das deutsche<br />
Außenministerium fördert den Aufbau dieser Datenbank mit 1,2 Millionen Euro. Auch das dänische Außenministerium unterstützt das Projekt<br />
finanziell; weitere Förderungen aus anderen EU-Staaten sollen folgen. An der Universität Innsbruck wird ein Team um Matthias Kettemann vom<br />
Institut für Theorie und <strong>Zukunft</strong> des Rechts die internetvölkerrechtlichen Analysen von Cyberattacken beisteuern.<br />
Fotos: www.colourbox.de, Nürnberger Dauerwelle e.V. – Andreas Schiefer, Unsplash / Philipp Katzenberger<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 41
KURZMELDUNGEN<br />
UNI INNSBRUCK STÄRKT<br />
DEN HOLZBAU<br />
PHYSIKER BRINGEN<br />
LICHT INS DUNKEL<br />
Innsbrucker Experimentalphysikern ist es mit Kollegen aus Finnland<br />
erstmals gelungen, in supraleitenden Quantenbits geschützte<br />
Quantenzustände – sogenannte Dunkelzustände – zu kontrollieren.<br />
GEMEINSAM FÜR DEN HOLZBAU:<br />
proHolz-Geschäftsführer Rüdiger Lex, Dekan<br />
Günter Hofstetter und Anton Kraler,<br />
Leiter des Arbeitsbereichs Holzbau (v.li.)<br />
Das Bauen mit Holz konnte sich in<br />
den letzten Jahrzehnten durch<br />
viele Innovationen und Entwicklungen<br />
weltweit, aber vor allem in Europa,<br />
wieder etablieren. In den vergangenen<br />
25 Jahren hat sich das mit Holz umbaute<br />
Hochbauvolumen in Österreich mehr als<br />
verdoppelt, beträgt nun rund 30 Prozent<br />
und weist weiterhin eine steigende<br />
Tendenz auf. An der Universität Innsbruck<br />
wird daher eine Stiftungsprofessur<br />
für Holzbau – Architektur, Ressourceneffizienz<br />
und Fabrikation eingerichtet.<br />
Die neue Professur soll den Holzbau in<br />
Westösterreich weiterentwickeln und<br />
eine Verbindung zwischen Architektur<br />
und Ingenieurholzbau etablieren. „Die<br />
Entscheidungen für die Umsetzung und<br />
Materialwahl eines Gebäudes werden in<br />
der Regel von Architektinnen und Architekten<br />
getroffen“, sagt Rektor Tilmann<br />
Märk. „Deshalb kommt der Erweiterung<br />
des Ausbildungsangebots im Holzbau<br />
in der Architektur, aber auch in den<br />
Bauingenieurwissenschaften besondere<br />
Bedeutung zu. Es freut mich deshalb sehr,<br />
dass das Landwirtschaftsministerium gemeinsam<br />
mit der <strong>Forschung</strong>sförderungsgesellschaft<br />
und vielen Partnern auch aus<br />
der Region unsere Initiative in diesem<br />
Bereich nun fördert.“ Finanziert wird die<br />
Stiftungsprofessur durch das Landwirtschaftsministerium,<br />
den Fachverband der<br />
Holzindustrie Österreichs/FHP – Forst Holz<br />
Papier, proHolz Tirol mit Partnern und der<br />
Innsbrucker Immobilien IIG sowie fachlich<br />
unterstützt durch weitere Kooperationspartner.<br />
ZWEI HOUSKAPREIS ALL STARS<br />
Im Labor von Gerhard Kirchmair am<br />
Institut für Quantenoptik und Quanteninformation<br />
(IQOQI) der Österreichischen<br />
Akademie der Wissenschaften<br />
werden supraleitende Quantenbits an<br />
Wellenleiter gekoppelt. Werden mehrere<br />
dieser Quantenbits in den Wellenleiter<br />
eingebaut, wechselwirken diese miteinander<br />
und es entstehen sogenannte<br />
Dunkelzustände. „Das sind verschränkte<br />
Quantenzustände, die von der Außenwelt<br />
völlig entkoppelt sind“, erläutert<br />
Max Zanner vom Institut für Experimentalphysik:<br />
„Sie sind sozusagen unsichtbar,<br />
deshalb sprechen wir von Dunkelzuständen.“<br />
Diese Zustände sind für Quantensimulationen<br />
oder die Verarbeitung von Quanteninformation<br />
von Interesse. Bis heute ist<br />
es aber nicht gelungen, diese Dunkelzustände<br />
auch entsprechend zu kontrollieren<br />
und zu manipulieren. „Mit einem<br />
Trick ist es uns nun gelungen, Zugriff auf<br />
diese Dunkelzustände zu finden“, erzählt<br />
der Leiter der <strong>Forschung</strong>sgruppe, Gerhard<br />
Kirchmair. Sein Team hat vier supraleitende<br />
Quantenbits in einen Mikrowellenleiter<br />
eingebaut und seitlich zwei Kontrollleitungen<br />
angebracht. Mittels Mikrowellenstrahlung<br />
über diese Zuleitungen<br />
lassen sich die Dunkelzustände manipulieren.<br />
Gemeinsam bilden die vier supraleitenden<br />
Schaltkreise ein robustes Quantenbit<br />
mit einer Speicherzeit, die rund<br />
500-mal länger ist als jene der einzelnen<br />
Schaltkreise. <br />
Clemens Zierhofer, Professor am Institut<br />
für Mechatronik, erhielt Ende April<br />
für die Entwicklung und Verbesserung von<br />
Innenohr-Implantaten den ersten Preis beim<br />
Houskapreis <strong>2022</strong> All Stars. Auch der dritte<br />
Platz ging an einen Wissenschaftler der<br />
Universität Innsbruck: Armin Hansel vom<br />
Institut für Ionenphysik und Angewandte<br />
Physik erhielt den Preis für seine <strong>Forschung</strong>en in der Spurengasanalytik. Die Preisträger<br />
erhielten Gutscheine für <strong>Forschung</strong>s-, Ausbildungs- oder Infrastrukturinvestition. Insgesamt<br />
wurden von der B&C Privatstiftung 340.000 Euro ausgeschüttet.<br />
42 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: Mathieu Juan / University of Sherbrooke, Uni Innsbruck, Gregor Hofbauer
MOBILITÄT<br />
AKTIVE MOBITITÄT<br />
Eine Stiftungsprofessur an der Universität Innsbruck wird neue Lösungen<br />
an der Schnittstelle von Gesundheit, Klima und Wirtschaft entwickeln.<br />
Klimawandel und Bewegungsmangel sind<br />
Entwicklungen, die Verhaltensänderungen<br />
des Menschen notwendig machen.<br />
An dieser Schnittstelle setzt eine neue Stiftungsprofessur<br />
der Universität Innsbruck an: Ausgehend<br />
von einem sportwissenschaftlich-gesundheitsorientierten<br />
Schwerpunkt und in enger<br />
Kooperation mit Fachleuten aus Verkehrsplanung,<br />
Ökonomie, Management und Psychologie<br />
wird eine neue <strong>Forschung</strong>sgruppe Konzepte<br />
erarbeiten, die eine nachhaltige Veränderung<br />
des Mobilitätsverhaltens bewirken können.<br />
„Aktive Mobilität genießt in Tirol einen hohen<br />
Stellenwert“, sagt Markus Mailer, Professor für<br />
Verkehrsplanung. „Das zeigt sich etwa daran,<br />
dass wir beim Anteil der zu Fuß oder mit dem<br />
Fahrrad zurückgelegten Wege österreichweit<br />
im Spitzenfeld liegen.“ „Auch der Tourismus<br />
in Tirol ist auf Aktivität und Gesundheit ausgerichtet,“<br />
ergänzt Martin Schnitzer, Professor<br />
für Sportökonomie: „Daher erscheint uns die<br />
Förderung von aktiver Mobilität speziell in der<br />
Verbindung von Bewegung in Alltag und Freizeit<br />
besonders vielversprechend.“ So wird die<br />
neue Stiftungsprofessur am Institut für Sportwissenschaft<br />
eingerichtet, wobei der Arbeitsbereich<br />
für Intelligente Verkehrssysteme und das<br />
<strong>Forschung</strong>szentrum Tourismus und Freizeit<br />
enge Kooperationspartner sind. „Durch die<br />
Einbindung mehrerer Fakultäten und Kompetenzbereiche<br />
der Universität Innsbruck können<br />
zusätzlich zur Aktiven Mobilität im Alltag die<br />
Besonderheiten des Tourismus und des Alpinen<br />
Raumes berücksichtigt werden“, betont<br />
Rektor Tilmann Märk diese innerhalb der österreichischen<br />
Universitätslandschaft einzigartige<br />
Möglichkeit. Mittelfristig soll an der Universität<br />
ein eigenes Masterprogramm zu Aktiver Mobilität<br />
entstehen.<br />
Lösungen<br />
Nachhaltige Ideen für die Anreise der Gäste in<br />
den alpinen Raum werden in den Tourismuskonzepten<br />
der <strong>Zukunft</strong> ein wesentlicher Aspekt<br />
sein. Aktive Mobilität im Urlaub kann darüber<br />
hinaus als Impuls zu Verhaltensänderungen im<br />
Alltag dienen. Als starkes Tourismusland mit<br />
rund 50 Millionen Übernachtungen pro Jahr<br />
kann sich für Tirol hier eine weit über das eigene<br />
Land hinausreichende Wirkung ergeben.<br />
Dieses Potenzial zu heben, ist auch eine wesentliche<br />
Motivation der zahlreichen Partner, die<br />
das Projekt unterstützen. „Mobilität ist ein wesentlicher<br />
Teil der Nachhaltigkeits- und Klimastrategie<br />
des Landes Tirol und unseres Leitantrags<br />
‚Land und Klima schützen‘. Tirol ist der<br />
ideale Ort, um Gesundheit, Sport, Mobilität<br />
und Tourismus miteinander zu verbinden. Wir<br />
können vorangehen und nachhaltige Lösungen<br />
nicht nur für unser Land, sondern auch für andere<br />
Regionen entwickeln“, betont Tirols Landeshauptmann<br />
Günther Platter. cf<br />
KOOPERATIONEN<br />
Für die neue Stiftungsprofessur<br />
stellt das Klimaschutzministerium<br />
1,5 Millionen Euro<br />
zur Verfügung. Je eine halbe<br />
Million Euro kommen vom<br />
Land Tirol sowie zahlreichen<br />
Partnern aus der Region.<br />
Foto: Unsplash / Tomi Vadász<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
43
GEMEINSAM bauen wir Brücken in die <strong>Zukunft</strong><br />
sind wir einen Schritt voraus<br />
Silbernes Doktorjubiläum –<br />
zwischen Tradition und Moderne<br />
Zum zweiten Mal in der Geschichte der Universität wird das<br />
Silberne Doktorjubiläum gefeiert.<br />
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Kontakt<br />
Universität Innsbruck | Transferstelle Wissenschaft – Wirtschaft – Gesellschaft | Technikerstraße 21a (ICT), 6020 Innsbruck<br />
Alumni-Netzwerk | Johanna Lamboy, +43 (0) 512 507 32208, alumni@uibk.ac.at<br />
Career-Service | Mag. Annemarie Larl-Wolf, +43 (0) 512 507 32207, career-service@uibk.ac.at<br />
© BfÖ 2021
PREISE & AUSZEICHNUNGEN<br />
SPITZENFORSCHUNG<br />
Im April wurden gleich drei Wissenschaftler*innen der Universität Innsbruck<br />
mit einem ERC Advanced Grant ausgezeichnet. Insgesamt fließen damit über<br />
sieben Millionen Euro an <strong>Forschung</strong>sförderung.<br />
PRÄMIERT: Der Theoretische Physiker Hans Briegel, die Biochemikerin Kathrin Thedieck und die Experimentalphysikerin Francesca Ferlaino (v.li.)<br />
Mit ERC-Advanced-Grants zeichnet<br />
der Europäische <strong>Forschung</strong>srat<br />
(ERC) etablierte Spitzenwissenschaftlerinnen<br />
und Spitzenwissenschaftler<br />
für ihre herausragende wissenschaftliche<br />
<strong>Forschung</strong> aus. Sie erhalten dafür bis zu 2,5<br />
Millionen Euro über einen Zeitraum von<br />
fünf Jahren als Förderung für ihre Grundlagenforschung.<br />
Im April erhielten Francesca<br />
Ferlaino, Kathrin Thedieck und Hans Briegel<br />
diese hochkarätige Auszeichnung. Sie werden<br />
an neuen Systemen für die Simulation von<br />
Quantenmaterie, der Kontrolle von mTORabhängigen<br />
Stoffwechselprozessen und Modellen<br />
für KI-gesteuerte Quantenexperimente<br />
forschen. „Der ERC Advanced Grant ist die<br />
höchste Auszeichnung für erfolgreiche Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler in der<br />
EU,” freut sich Rektor Tilmann Märk. „Insgesamt<br />
acht solcher Advanced-Grant-Auszeichnungen<br />
in den vergangenen fünf Jahren<br />
unterstreichen eindrücklich die sehr erfolgreiche<br />
Entwicklung in der Spitzenforschung<br />
der Universität Innsbruck.“<br />
Francesca Ferlaino ist Professorin am Institut<br />
für Experimentalphysik und wissenschaftliche<br />
Direktorin am Institut für Quantenoptik<br />
und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen<br />
Akademie der Wissenschaften.<br />
Sie wurde bereits vielfach ausgezeichnet und<br />
erhielt bereits den dritten ERC-Grant, nach<br />
einem Starting Grant (2<strong>01</strong>0) und einem Consolidator<br />
Grant (2<strong>01</strong>6).<br />
Kathrin Thedieck ist Professorin und Leiterin<br />
des Instituts für Biochemie. Ihre Arbeitsgruppe<br />
erforscht die Regulation des Stoffwechsels<br />
durch komplexe Signalnetzwerke,<br />
um grundlegende zelluläre Mechanismen<br />
der metabolischen Signaltransduktion experimentell<br />
und theoretisch zu untersuchen.<br />
Kathrin Thedieck ist vielfach ausgezeichnet<br />
und koordiniert ein europäisches Brustkrebskonsortium.<br />
Hans Briegel ist Professor am Institut für<br />
Theoretische Physik. Seine Arbeitsgruppe erforscht<br />
grundlegende Konzepte der Quantenmechanik<br />
und der statistischen Physik sowie<br />
deren Anwendungen für die Informationsverarbeitung.<br />
Aktuelle <strong>Forschung</strong>sinteressen<br />
konzentrieren sich auf das Problem des Lernens<br />
und der künstlichen Intelligenz in der<br />
Quantenphysik.<br />
Foto: Uni Innsbruck<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 45
PREISE & AUSZEICHNUNGEN<br />
MANNAGETTA-PREIS<br />
Die Historikerin Elena<br />
Taddei erhielt in Anerkennung<br />
ihrer Monografie<br />
„Franz von<br />
Ottenthal“ Ende April<br />
von der Österreichischen<br />
Akademie der<br />
Wissenschaften den<br />
diesjährigen Johann-Wilhelm-Ritter-von-<br />
Mannagetta-Preis für die Geschichte der<br />
Medizin. Die Auszeichnung ist mit 7. 000<br />
Euro dotiert und wird an Wissenschaftler*innen<br />
bis 45 Jahre für herausragende Publikationen<br />
vergeben. Franz von Ottenthal war<br />
über 50 Jahre lang in Sand, im heutigen<br />
Südtiroler Tauferertal/Ahrntal, als Privatarzt<br />
und von 1861 bis 1883 als Abgeordneter im<br />
Tiroler Landtag tätig.<br />
RECHTSSCHUTZBEAUFTRAGTE<br />
Mit Wirkung vom<br />
1. 2. <strong>2022</strong> wurde<br />
Lamiss Khakzadeh,<br />
Professorin am Institut<br />
für Öffentliches<br />
Recht, Staats- und<br />
Verwaltungslehre,<br />
zur stellvertretenden<br />
Rechtsschutzbeauftragten beim Bundesminister<br />
für Inneres bestellt. Die Ernennung<br />
durch den Bundespräsidenten erfolgte auf<br />
Vorschlag der Bundesregierung und nach<br />
Anhörung der Präsidenten des Nationalrats<br />
sowie der Präsidenten des Verfassungs- und<br />
Verwaltungsgerichtshofs.<br />
GABRIELE-POSSANNER-PREIS<br />
Für ihre Dissertation<br />
„Das politische Subjekt<br />
des queeren Aktivismus<br />
– Diskurs- und<br />
Akteurskonstellationen<br />
queerer Politiken<br />
im deutschsprachigen<br />
Raum: Eine empirische<br />
Untersuchung“ wurde Tanja Vogler in<br />
März in Wien mit dem Gabriele-Possanner-<br />
Preis für herausragende wissenschaftliche<br />
Leistungen im Bereich der Geschlechterforschung<br />
ausgezeichnet. Vogler beleuchtet in<br />
der preisgekrönten Arbeit, was Identitätspolitiken<br />
kennzeichnet – historisch, gegenwärtig,<br />
auf spezifische Kontexte und Konstellationen<br />
bezogen. Sie zeigt am Beispiel des<br />
politischen Subjekts des queeren Aktivismus<br />
auf, was an Identitätspolitiken problematisch<br />
aber ebenso ohne Alternative ist.<br />
STARTING GRANTS<br />
Zwei Physiker sicherten sich zu Beginn des Jahres einen<br />
ERC Starting Grant: Hannes Pichler und Mathias Scheurer.<br />
Der Europäische <strong>Forschung</strong>srat<br />
(ERC) unterstützt Pionierforschung<br />
von herausragenden<br />
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />
in Europa. Mit den ERC Starting<br />
Grants werden erfolgreiche junge Forscherinnen<br />
und Forscher mit hoch dotierten<br />
Projektbudgets ausgestattet, dotiert<br />
sind die Starting Grants mit rund<br />
1,5 Millionen Euro.<br />
Der Theoretiker Hannes Pichler wurde<br />
vor zwei Jahren aus den USA an die<br />
Universität Innsbruck und das Institut<br />
für Quantenoptik und Quanteninformation<br />
der Österreichischen Akademie<br />
der Wissenschaft in Innsbruck berufen.<br />
Er erhält nun die prestigeträchtige Förderung<br />
des Europäischen <strong>Forschung</strong>srats<br />
und wird damit seine <strong>Forschung</strong>en<br />
zu Quanten-Vielteilchenphysik und<br />
Quanteninformationsverarbeitung weiter<br />
vorantreiben. In seinem ERC-Projekt<br />
will Pichler im Detail untersuchen, wie<br />
sich die speziellen Eigenschaften von<br />
Rydberg-Atomen für Anwendungen in<br />
der Quanteninformationsverarbeitung<br />
nutzen lassen. Beispielsweise will er ein<br />
Quanten-Vielteilchenphänomen, das<br />
kürzlich entdeckt wurde, als Werkzeug<br />
HANNES PICHLER will seine <strong>Forschung</strong>en<br />
zu Quanten-Vielteilchenphysik und<br />
Quanteninformationsverarbeitung weiter<br />
vorantreiben.<br />
MATHIAS SCHEUER arbeitet auf dem<br />
Feld der theoretischen Quantenvielteilchenphysik<br />
mit einem besonderen Schwerpunkt<br />
auf Anwendungen in Festkörpern.<br />
zur Erzeugung hochverschränkter Zustände<br />
nutzen. „Ein weiteres Ziel ist die<br />
Erforschung und Entwicklung neuartiger<br />
Ansätze für die Implementierung<br />
von Quantenalgorithmen für Optimierungsprobleme<br />
mit Rydberg-Atomen“,<br />
ergänzt der Physiker.<br />
Mathias Scheurer kam im September<br />
2020 von der Harvard University an die<br />
Universität Innsbruck, um hier seine<br />
<strong>Forschung</strong>en zur Quantenvielteilchenphysik<br />
fortzuführen. Er arbeitet ebenfalls<br />
auf dem Feld der theoretischen<br />
Quantenvielteilchenphysik mit einem<br />
besonderen Schwerpunkt auf Anwendungen<br />
in Festkörpern. Im Fokus seines<br />
ERC-Projekts stehen zweidimensionale<br />
Materialien wie Graphen. Durch theoretische<br />
Studie verschiedener innovativer<br />
Setups und Geometrien möchte er neue<br />
Quantenvielteilchenzustände realisieren<br />
und Ansätze finden, um deren Eigenschaften<br />
zu vermessen. „Diese Zustände<br />
sind relevant, sowohl um unser fundamentales<br />
Verständnis komplexer Quantensysteme<br />
zu verbessern als auch für<br />
mögliche quantentechnologische Anwendungen<br />
in der <strong>Zukunft</strong>“, erklärt der<br />
Physiker. <br />
46 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Fotos: M.R.Knabl (1), privat (2), BMI/Gerd Pachauer (1), BMBWF/Philipp Schuster (1)
PREISE & AUSZEICHNUNGEN<br />
PREISTRÄGERIN Ruth Breu mit (v.l.) Rektor Tilmann Märk, Konrad Bergmeister von der<br />
Stiftung Südtiroler Sparkasse, Laudator Rainer Böhme und Vizerektorin Ulrike Tanzer.<br />
INFORMATIKERIN<br />
AUSGEZEICHNET<br />
Ruth Breu erhielt im April für ihr wissenschaftliches Werk den<br />
Wissenschaftspreis der Stiftung Südtiroler Sparkasse.<br />
Die Informatikerin Ruth Breu ist<br />
seit 2002 Professorin am Institut<br />
für Informatik der Universität<br />
Innsbruck. Sie erhielt den Wissenschaftspreis<br />
für ihr wissenschaftliches<br />
Gesamtwerk. Ihr <strong>Forschung</strong>sschwerpunkt<br />
liegt im Bereich der Software-<br />
Qualität und Software-Sicherheit –<br />
Breus <strong>Forschung</strong>sarbeit hat zum Ziel,<br />
Methoden und Werkzeuge zu entwickeln,<br />
um IT-Systeme industriellen<br />
Maßstabs so planen, betreiben und bewerten<br />
zu können, dass Risiken rechtzeitig<br />
erkannt und Anforderungen an<br />
Qualität und Sicherheit laufend erfüllt<br />
werden. Neben ihrer <strong>Forschung</strong>sarbeit<br />
ist Ruth Breu Mitgründerin zweier Spinoff-Unternehmen<br />
der Universität Innsbruck;<br />
für die Ausgründung der Txture<br />
GmbH hat die Universität Innsbruck<br />
zusammen mit dem Unternehmen den<br />
österreichischen Gründerpreis Phönix<br />
erhalten.<br />
„Die öffentliche Anerkennung hervorragender<br />
Leistungen trägt neben dem<br />
persönlichen Engagement der Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler<br />
wesentlich zu <strong>Forschung</strong>sleistungen<br />
auf hohem internationalen Niveau<br />
und damit zum Erfolg der Universität<br />
bei. Unser Dank gilt hier besonders<br />
auch der Stiftung Südtiroler Sparkasse“,<br />
hielt Rektor Tilmann Märk bei der<br />
Verleihung fest. Und <strong>Forschung</strong>s-Vizerektorin<br />
Ulrike Tanzer ergänzte: „Der<br />
‚Wissenschaftspreis für außergewöhnliche<br />
<strong>Forschung</strong>sleistung‘ als Würdigung<br />
für das wissenschaftliche Gesamtwerk<br />
ist der renommierteste Preis, der an unserer<br />
Universität zur Vergabe gelangt.<br />
Mit Kollegin Ruth Breu erhält ihn auch<br />
dieses Jahr eine herausragende Wissenschaftlerin.“<br />
Die Architekturtheoretikerin Bettina<br />
Schlorhaufer, der Archäologe Christian<br />
Heitz, der Jurist und Rechtshistoriker<br />
Martin Schennach und Thomas Furtmüller<br />
vom Arbeitsbereich Angewandte<br />
Mechanik des Instituts für Grundlagen<br />
der Technischen Wissenschaften erhielten<br />
bei der Verleihung an der Universität<br />
Innsbruck <strong>Forschung</strong>spreise.<br />
UMWELTPREIS<br />
Alice do Carmo Precci<br />
Lopes hat im Frühjahr<br />
für ihre am Institut für<br />
Infrastruktur verfasste<br />
Dissertation den<br />
Hans-Roth-Umweltpreis<br />
erhalten. Darin<br />
beschäftigte sich die<br />
Umweltingenieurin mit der Gewinnung von<br />
biogenen Stoffen aus Siedlungsabfällen<br />
für die Co-Vergärung mit Klärschlamm auf<br />
Kläranlagen. Aufgrund des hohen Anteils<br />
biologisch abbaubarer Stoffe in Siedlungsabfällen<br />
erforscht sie das Potenzial, die<br />
aktuell zur Anwendung kommenden Bioabfälle<br />
durch Restmüll zu ersetzen. Betreut<br />
wurde sie dabei von Anke Bockreis am<br />
Arbeitsbereich für Umwelttechnik.<br />
ERIKA-CREMER-STIPENDIUM<br />
Mit dem Erika-Cremer-Stipendium<br />
fördert die Universität<br />
Innsbruck exzellente<br />
Wissenschaftlerinnen<br />
während ihrer Habilitation.<br />
Das diesjährige<br />
Stipendium ging<br />
an die Neulatein-Forscherin Johanna Luggin.<br />
In ihrem Habilitationsprojekt beschäftigt<br />
sich Luggin mit der Überzeugungskunst<br />
von Wissenschaftlern in der Frühen Neuzeit.<br />
Sie untersucht in ihrer Arbeit, warum sich<br />
manche naturwissenschaftliche Hypothese<br />
letztlich durchsetzen konnte. Texte<br />
wurden damals auf Latein publiziert, ihr<br />
Stil unterscheidet sich aber stark vom unpersönlichen<br />
Ton moderner Wissenschaft;<br />
vielmehr versuchten sie, auch emotional zu<br />
überzeugen.<br />
HUMANISMUSPREIS<br />
Der ehemalige Wissenschaftsminister<br />
und Altrektor Karlheinz<br />
Töchterle erhielt<br />
Mitte April vom<br />
Deutschen Altphilologenverband<br />
den<br />
Humanismuspreis.<br />
Der Preis unterstreicht das auf die Antike<br />
zurückgehende Ideal der Verknüpfung von<br />
geistiger Bildung und aktivem Eintreten für<br />
das Gemeinwohl. Frühere Preisträger waren<br />
unter anderem Richard von Weizsäcker,<br />
Roman Herzog, Rita Süssmuth und Michael<br />
Köhlmeier.<br />
Fotos: Uni Innsbruck, Franz Oss, privat, Scattolon<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 47
ZWISCHENSTOPP INNS BRUCK<br />
BILDUNG<br />
MITGESTALTEN<br />
Irma Eloff ist Professorin für Educational Psychology an der<br />
University of Pretoria in Südafrika und am Institut für<br />
LehrerInnenbildung und Schulforschung an der Universität<br />
Innsbruck als Gastprofessorin tätig.<br />
„Ich glaube, dass wir in einer Zeit befinden,<br />
in der die Bedeutung von Lehrer*innen noch<br />
wichtiger sein wird. Sie unterrichten die<br />
zukünftige Generation und können so einen<br />
bedeutsamen Einfluss nehmen. “ <br />
Irma Eloff<br />
Ich bin in Südafrika aufgewachsen,<br />
einem Land voller Vielfalt. Ich habe<br />
mich immer dafür interessiert, wie<br />
Menschen mit herausfordernden Umständen<br />
umgehen“, sagt Irma Eloff. Ihren<br />
<strong>Forschung</strong>sschwerpunkt legte die<br />
Südafrikanerin auf das Thema Bildung<br />
und insbesondere die psychologische<br />
Dimension. Im Mittelpunkt ihres wissenschaftlichen<br />
Tuns stellt sie die nachhaltigen<br />
Entwicklungsziele der Vereinten<br />
Nationen. Dabei konzentriert sie sich auf<br />
das Entwicklungsziel 3 „Gesundheit und<br />
Wohlergehen“ und das Ziel 4 „Hochwertige<br />
Bildung“. „Im Rahmen meiner<br />
Arbeit gelingt es mir, meine beiden<br />
Fachgebiete Pädagogik und Psychologie<br />
ideal miteinander zu kombinieren.“ Der<br />
Forscherin ist es ein großes Anliegen,<br />
Kontexte aus der ganzen Welt zu berücksichtigen,<br />
um ein umfassendes Verständnis<br />
zu erlangen. „Nachhaltigkeit ist ein<br />
weltweites Thema, daher ist es wichtig,<br />
unterschiedliche Perspektiven einzunehmen.<br />
Auch im Zusammenwirken mit Organisationen<br />
lege ich viel Wert darauf,<br />
die globalen Dimensionen miteinzubeziehen“,<br />
sagt Eloff.<br />
Nächste Generation<br />
In ihrer <strong>Forschung</strong> fragt sich Irma Eloff,<br />
was Lehrer*innen tun können, um die Erfüllung<br />
der Nachhaltigkeitsziele zu unterstützen.<br />
„Durch die Corona-Pandemie<br />
kam es zu einem Umschwung. Moderne<br />
Technologien haben uns geholfen, mit<br />
vorübergehenden Schul- und Universitätsschließungen<br />
umzugehen.“ Nun stellt<br />
sich die Wissenschaftlerin die Frage, wie<br />
man mit diesen Technologien in <strong>Zukunft</strong><br />
umgehen soll. Lehrer*innen nehmen aus<br />
Sicht von Irma Eloff in vielen Bereichen<br />
eine entscheidende Rolle ein, auch wenn<br />
es zum Thema Nachhaltigkeit kommt.<br />
„Das Bewusstsein für unseren eigenen<br />
CO 2 -Abdruck, die Mülltrennung oder<br />
die Art der Fortbewegung hat zugenommen.<br />
Ich glaube, dass wir uns in einer<br />
Zeit befinden, in der<br />
die Bedeutung von<br />
Leh rer*in nen noch<br />
wichtiger sein wird.<br />
Sie unterrichten die<br />
zukünftige Generation<br />
und können so<br />
einen bedeutsamen<br />
Einfluss nehmen.“ Aus Sicht von Eloff<br />
konnten schon gute Fortschritte gemacht<br />
werden, dennoch gibt es beispielsweise<br />
in der Industrie, dem Energiewesen oder<br />
auch der Landwirtschaft noch Aufholbedarf:<br />
„Es sollte viel mehr über Lösungen<br />
geredet werden, anstatt nur Probleme<br />
aufzuzählen.“<br />
Im Rahmen des Projekts „Teach4Reach<br />
– Teaching the global goals“ befasst sich<br />
Eloff gemeinsam mit Forscher*innen der<br />
Universität Innsbruck, der Universität<br />
Pretoria und der Universität Wien mit<br />
der Integration der SDGs in Lehrpläne<br />
und Wegen, mehr Bewusstsein für diese<br />
Themen in der Lehrer*innenbildung zu<br />
schaffen. „Die Zusammenarbeit mit Forschenden<br />
empfinde ich als sehr wertvoll.<br />
Diskussionen führen fast immer zu neuen<br />
Erkenntnissen und bringen uns dazu,<br />
IRMA ELOFF ist Professorin für Educational<br />
Psychology an der University of<br />
Pretoria in Südafrika. In den Jahren 20<strong>01</strong><br />
bis 2020 war sie assoziierte Gastprofessorin<br />
an der Yale Universität. 2<strong>01</strong>2<br />
zählte sie zu den Top 3 „Most influential<br />
Women in Business and Government in<br />
South Africa”. Eloff befasst sich mit der<br />
Rolle von Lehrer*innen in Zusammenhang<br />
mit den Nachhaltigen Entwicklungszielen<br />
der Vereinten Nationen. Ihr Wissen gibt<br />
sie an Studierende an der Universität<br />
Innsbruck weiter.<br />
eigene Ideen zu überdenken.“ Mit Innsbruck<br />
verbindet Eloff viele positive Erinnerungen.<br />
„Es war der erste Ort, an dem<br />
ich außerhalb Südafrikas übernachtet<br />
habe. Nach meinem Abschluss Anfang<br />
der 1990er-Jahre unternahm ich eine Reise<br />
nach Österreich. Für mich war es einer<br />
der schönsten Orte der Welt.“ ms<br />
48 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Foto: Denis Legg
SPRUNGBRETT INNS BRUCK<br />
„EIN WENIG<br />
VERRÜCKT SEIN“<br />
Johann Danzl hat in Innsbruck Medizin und Physik studiert<br />
und ist heute Professor am IST Austria in Klosterneuburg.<br />
Der Tiroler Johann Danzl möchte<br />
einen Beitrag dazu leisten,<br />
besser zu verstehen, wie biologische<br />
Gewebe funktionieren. Nach<br />
einem Studium der Medizin wechselte<br />
er zunächst für ein Jahr in ein Labor der<br />
Innsbrucker Quantenphysik, um seine<br />
naturwissenschaftlichen Kenntnisse zu<br />
vertiefen. Die <strong>Forschung</strong> zu ultrakalten<br />
Quantengasen und das Umfeld dort<br />
waren so spannend, dass Danzl sich<br />
entschloss, ein Doktorat in Physik anzustreben.<br />
„Wir wollten mit Hilfe von<br />
sehr präzise kontrolliertem Laserlicht<br />
Moleküle in all ihren quantenmechanischen<br />
Freiheitsgraden auf der Ebene<br />
einzelner Quantenzustände kontrollieren“,<br />
erzählt der gebürtige Kitzbüheler.<br />
Später profitierte er von der sehr profunden<br />
technologischen Ausbildung, die er<br />
hier erhielt. „Ganz wesentlich für mich<br />
war, dass ich in Innsbruck das erste Mal<br />
Teil eines <strong>Forschung</strong>sumfelds war, das<br />
den Anspruch stellt, international kompetitiv<br />
zu sein. Ich hatte dort das große<br />
Privileg, in einem Team aus exzellenten<br />
jungen Wissenschaftlern zu arbeiten“,<br />
erinnert sich Johann Danzl. „Was ich<br />
aus dieser Zeit auch mitgenommen habe,<br />
ist, dass man am authentischsten<br />
und leistungsfähigsten ist, wenn man<br />
die wissenschaftlichen Fragestellungen<br />
danach wählt, was für einen persönlich<br />
am faszinierendsten ist.“<br />
„Was ich aus der Zeit in Innsbruck<br />
auch mitgenommen habe, ist,<br />
dass man am authentischsten<br />
und leistungsfähigsten ist, wenn<br />
man die wissenschaftlichen<br />
Fragestellungen danach wählt,<br />
was für einen persönlich am<br />
faszinierendsten ist.“ Johann Danzl<br />
Eigene <strong>Forschung</strong>sgruppe<br />
Nach der Promotion in Innsbruck<br />
wollte Johann Danzl seine Kenntnisse<br />
aus Medizin und Physik verbinden und<br />
wechselte nach Göttingen in die Arbeitsgruppe<br />
von Stefan Hell, der kurze Zeit<br />
später mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet<br />
wurde. Dort forschte er an<br />
der Entwicklung hochauflösender Mikroskopieverfahren,<br />
welche die Analyse<br />
biologischer Proben mit Auflösungen<br />
im Nanometerbereich ermöglichen.<br />
Diese Arbeit führt er seit 2<strong>01</strong>7 am Institute<br />
of Science and Technology Austria<br />
(ISTA) in Klosterneuburg fort, wo er<br />
auf eine Tenure-Track-Position berufen<br />
wurde. Sein Ziel sind neuartige optische<br />
Bildgebungsverfahren für die Biologie.<br />
In seiner <strong>Forschung</strong>sgruppe arbeiten<br />
Biologen, Neurowissenschaftler, Physiker<br />
und Computerwissenschaftler eng<br />
zusammen, um neue Technologien zu<br />
entwickeln und auf biologische Fragestellungen<br />
anzuwenden. „Zum Beispiel<br />
entwickeln wir Technologien, um die<br />
Struktur von Hirngewebe bis auf die<br />
Ebene einzelner Synapsen mit Hilfe von<br />
Lichtmikroskopie zu rekonstruieren, sodass<br />
wir die Funktion und Struktur des<br />
Netzwerks von Nervenzellen und seine<br />
zeitliche Dynamik erfassen und miteinander<br />
in Beziehung setzen können“,<br />
erzählt Johann Danzl.<br />
Während seiner Arbeit im Quantenlabor<br />
machte der Wissenschaftler eine<br />
wichtige Erfahrung: „Wir haben uns ein<br />
wissenschaftliches Ziel gesteckt, von<br />
dem man mit Fug und Recht hätte behaupten<br />
können, dass das nie klappen<br />
würde, weil es zu ambitioniert ist“, sagt<br />
Danzl. „Dann haben wir jede Anstrengung<br />
unternommen, um es schlussendlich<br />
auch zu erreichen.“ Dies hat den<br />
Forscher darin bestärkt, dass man sich<br />
durchaus Ziele suchen darf, die auf den<br />
ersten Blick ein wenig verrückt scheinen.<br />
„Ich habe es auch als sehr bereichernd<br />
empfunden, unterschiedliche<br />
Herangehensweisen und verschiedene<br />
wissenschaftliche Umgebungen kennen<br />
zu lernen. Ich kann nur allen Studierenden<br />
und jungen Wissenschaftler*innen<br />
empfehlen, diese Möglichkeiten wahrzunehmen,“<br />
so Johann Danzl abschließend.<br />
<br />
cf<br />
Foto: IST Austria<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/22 49
ESSAY<br />
FRÜHE FORSCHUNG<br />
IM GEBIRGE<br />
Der Latinist Martin Korenjak begibt sich auf Spurensuche nach alpinen<br />
<strong>Forschung</strong>splätzen in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit.<br />
„Bereits vor rund<br />
450 Jahren verfasste<br />
Francesco Calzolari<br />
einen Führer auf<br />
Monte Baldo, in dem<br />
er nicht nur die dort zu<br />
findenden Heilpflanzen<br />
auflistete, sondern<br />
auch die Schönheit des<br />
Berges hymnisch pries.“<br />
MARTIN KORENJAK (*1971<br />
in Wels, Oberösterreich) studierte<br />
Klassische Philologie (Latein<br />
und Griechisch) sowie Sprachwissenschaft<br />
an der Universität<br />
Innsbruck, die Dissertation<br />
schrieb er an der Universität<br />
Heidelberg. Von 1997 bis 2003<br />
arbeitete er als Universitätsassistent<br />
am Institut für Sprachen<br />
und Literaturen der Universität<br />
Innsbruck, danach folgte er<br />
einem Ruf an die Universität<br />
Bern. 2009 wechselte er als<br />
Professor für Klassische Philologie<br />
und Neulatein zurück nach<br />
Innsbruck.<br />
Die Universität Innsbruck ist eine von<br />
wenigen Universitäten weltweit, die<br />
mitten im Gebirge liegen. Es ist schlüssig,<br />
dass sich bei uns viele Fächer in <strong>Forschung</strong><br />
und Lehre mit alpinen Phänomenen auseinandersetzen<br />
und dass diese Beschäftigung<br />
häufig am Berg selbst stattfindet: Will man die<br />
Hochgebirgsflora, den Gletscherschwund, die<br />
Geologie der Brennergegend oder die alpine<br />
Toponymie verstehen, so führt am Lokalaugenschein<br />
kein Weg vorbei.<br />
Orte des Lernens waren die Berge seit jeher<br />
– schon lange, bevor es so etwas wie Wissenschaft<br />
gab. Man eignete und eignet sich in den<br />
Bergen neues Wissen an, um zu überleben, um<br />
besser zurechtzukommen, aber auch einfach,<br />
weil einem dort Dinge auffallen, die es im Tal<br />
nicht gibt. Das gilt für Bauern, Jäger, Knappen<br />
früherer Zeiten ebenso wie für Wanderer und<br />
Bergsteiger heute: Am Berg lernt man, wie<br />
man auf Skiern eine Aufstiegsspur anlegt, wie<br />
ein Kolkrabe ruft und dass man einen Regenbogen<br />
manchmal auch von oben betrachten<br />
kann.<br />
Darüber hinaus ist das Gebirge schon erstaunlich<br />
früh zum Ort und Objekt systematischer<br />
wissenschaftlicher <strong>Forschung</strong> geworden.<br />
Als sich in den ersten Jahrhunderten der<br />
Neuzeit die modernen Naturwissenschaften<br />
entwickelten, wandten sich manche Intellektuelle<br />
schon bald den Bergen zu, um ihr diesbezügliches<br />
Wissen zu erweitern. Der Zürcher<br />
Universalgelehrte Conrad Gessner betrieb um<br />
1550 am Pilatus bei Luzern Feldforschung zur<br />
alpinen Flora. Im Jahr 1615 erklomm David<br />
Frölich aus dem slowakischen Kežmarok einen<br />
Gipfel der Hohen Tatra und notierte, dass<br />
ein Pistolenschuss dort oben viel leiser klang<br />
als im Tal. Der Jesuit Athanasius Kircher stieg<br />
1638 auf den gerade aktiven Vesuv und blickte<br />
schaudernd in den brodelnden Krater. Ende<br />
des 17. Jahrhunderts rekonstruierte der Brite<br />
Thomas Burnet aus den spektakulären Formen<br />
der Westalpen den Ablauf der Sintflut. Wenig<br />
später durchstreifte Johann Jakob Scheuchzer,<br />
ein weiterer Zürcher, viele Sommer lang die<br />
Schweizer Bergwelt und dokumentierte in seinen<br />
Reiseberichten alles erdenklich Wissenswerte<br />
vom Luftdruck auf den Gipfeln über<br />
spektakuläre Gesteinsfaltungen bis zur Klettertechnik<br />
der Gamsjäger, die sich in schwierigem<br />
Gelände angeblich die Fußsohlen aufschnitten,<br />
um sich mit dem Blut an den Fels<br />
zu kleben.<br />
Viele dieser Forscher begeisterten sich auf<br />
ihren Ausflügen auch für die ästhetische Dimension<br />
der Bergwelt. Bereits vor rund 450<br />
Jahren verfasste der Veroneser Apotheker<br />
Francesco Calzolari einen Führer auf den beim<br />
nahen Gardasee gelegenen Monte Baldo, in<br />
dem er nicht nur die dort zu findenden Heilpflanzen<br />
auflistete, sondern auch die Schönheit<br />
des Berges hymnisch pries und seinen<br />
Erholungswert hervorhob. Die Besteiger, so<br />
schrieb er „wird ihre Mühe nicht reuen, da<br />
sie fühlen und erkennen werden, dass sie daraus<br />
beinahe unglaubliches Vergnügen und<br />
größten Nutzen ziehen. Sie werden nämlich<br />
aus dieser Wanderung soviel Seelenruhe und<br />
Lebensfreude gewinnen, wie niemand sich<br />
vorstellen oder in Worte fassen kann.“ Die<br />
Bergbegeisterung unserer Zeit, die touristische<br />
Erschließung des Gebirges und das alpine<br />
Selbstverständnis von Regionen wie Tirol,<br />
dem „Land im Gebirge“, sind direkte oder<br />
mittelbare Folgen dieser wissenschaftlich motivierten<br />
Bergbegeisterung.<br />
Wie die meisten Gelehrten ihrer Zeit schrieben<br />
auch die genannten Autoren in erster Linie<br />
auf Latein. Vor einigen Jahren hatte ich die<br />
Gelegenheit, den Bergdiskurs dieser Epoche<br />
gemeinsam mit zwei jüngeren Kollegen im<br />
Rahmen eines Projekts am Ludwig-Boltzmann-Institut<br />
für Neulateinische Studien zu<br />
erforschen. Auf diese Weise den Wurzeln der<br />
eigenen Freude an den Bergen nachzuspüren,<br />
wäre grundsätzlich an jedem Ort mit einer ordentlichen<br />
Bibliothek und Internetzugang<br />
möglich und reizvoll gewesen. Der Blick aus<br />
meinem Bürofenster auf die Nordkette und<br />
die Möglichkeit, am Wochenende selbst ins<br />
Gebirge zu gehen, haben diese Spurensuche<br />
aber zu einem besonders bereichernden und<br />
erfüllenden Erlebnis gemacht.<br />
50 zukunft forschung <strong>01</strong>/22<br />
Foto: Andreas Friedle
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