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Anekdoten Luftsprung über die Ozeane 50 REPORT Andreas Spaeth Fast drei Viertel der Erdoberfläche ist von Ozeanen bedeckt. Die meisten Langstreckenflüge führen über Wasser und verlaufen reibungslos. Was passiert aber bei einem Triebwerksausfall fernab jedes Landeplatzes? Seit gut 20 Jahren gibt es für Überwasserstrecken mit zweistrahligen Jets spezielle Regelungen – namens ETOPS. Sie erlauben zeit- und kerosinsparende Routen, die bis zu dreieinhalb Stunden vom nächsten Flughafen entfernt liegen. Möglich macht das die zuverlässige Triebwerkstechnologie von heute. Das Tropenparadies Midway liegt so einsam wie kaum ein Flecken sonst auf dem Globus, wie geschaffen für Robinson Crusoe und Freitag: Aus den endlosen Weiten des Pazifischen Ozeans ragt ein 6,2 Quadratkilometer flaches Landstück als Teil eines Korallenatolls heraus; 15 Kilometer schneeweiße Strände erheben sich aus dem türkisblauen Wasser und gehen im Inselinneren in üppige tropische Vegetation über. Der Name Midway passt, befindet sich das Atoll doch beinahe in der Mitte zwischen der US-Westküste und Tokio. Etwa 4.500 Kilometer östlich liegt San Francisco, 3.500 Kilometer weiter westlich erreicht man Tokio. In einem Umkreis von rund 1.800 Kilometern gibt es keinen weiteren Quadratmeter Land. Seit der Schließung des Marine-Stützpunktes 1993 fristet das Atoll ein beinahe vergessenes Dasein, spielt aber plötzlich in der aktuellen Diskussion im Weltluftverkehr eine entscheidende Rolle: Angesichts der Pläne der US-Behörden, den Flugplatz Midway aus Kostengründen zu schließen, fürchten die Fluggesellschaften um ihre lukrativsten Strecken. Der Grund: Die 2.437 Meter lange Hauptlandebahn des Inselflughafens ist für mögliche Ausweichlandungen auf vielbeflogenen Pazifikrouten seit langem von entscheidender Bedeutung. Grönland bietet ETOPS-Landeplätze. Iwojima Guam Magadan Petropavlovsk Yuzhno Sakhalinsk King Salmon Vancouver Cold Bay Sapporo Shemya Seattle Tokio Midway San Francisco Wake Anchorage Honolulu Nach der ETOPS-Regel müssen die Flugrouten über den Pazifik innerhalb der roten Kreise liegen. Nur so können betroffene Maschinen in maximal 207 Minuten einen Ausweichlandeplatz erreichen. Ein unverzichtbarer Ausweichlandeplatz in den Weiten des Pazifiks: die Insel Midway. REPORT 51
Anekdoten Zweistrahler wie der Airbus A330 sind heute Alltag auf Überwasserrouten. „Wenn Midway geschlossen wird, müssten unsere Flüge von Tokio nach Los Angeles, San Francisco und Honolulu eine viel nördlichere Route nehmen“, klagt Rob Henderson, Sprecher der japanischen Fluggesellschaft All Nippon Airways (ANA), „das würde bis zu eine Stunde mehr Flugzeit und bis zu zehn Prozent höhere Kosten bedeuten.“ Continental Airlines plant eine Route von Nagoya nach Honolulu – ohne Midway würde daraus allerdings nichts. „Dann müssten unsere Boeing 767-Jets eine komplizierte Zickzack-Route fliegen, um in der Nähe von Mikronesien zu bleiben“, so Continental-Sprecher Rahsaan Johnson, „und so viel Extra-Kerosin tanken, dass wir Passagiere und Fracht zurücklassen müssten, lohnt sich nicht.“ 52 REPORT Die entscheidende Größe in dieser Diskussion ist ETOPS. Die Abkürzung steht für „Extended Twin Operations“ und bezeichnet die strenge Regel, dass sich zweistrahlige Verkehrsflugzeuge heute maximal 207 Minuten Flugzeit weit – gerechnet mit der Kraft eines verbleibenden Triebwerks - vom nächsten Landeplatz über den Ozean hinauswagen dürfen, also fast dreieinhalb Flugstunden vom Land entfernt. Begonnen hat der Trend einst über dem Nordatlantik: Anfang der 80er-Jahre wollte die US-Gesellschaft TWA ihre kostengünstigere, zweistrahlige Boeing 767 von Amerika nach Europa einsetzen anstelle der bis dahin üblichen drei- oder vierstrahligen Maschinen wie der Lockheed TriStar oder der Boeing 747. Bis dahin galt eine Regel der US-Luftfahrtbehörde FAA aus dem Jahr 1953, nach der zweimotorige Verkehrsflugzeuge stets in maximal 60 Minuten in der Lage sein mussten einen Landeplatz anzusteuern. Die damals üblichen Kolbenmotoren schafften es kaum, selbst den Katzensprung von Irland nach Neufundland zuverlässig zu fliegen; Pannen waren an der Tagesordnung, aber bei vier Motoren kein Problem. Für die meisten europäischen Airlines galt damals eine ICAO- Regelung, nach der 90 Minuten oder etwa 1.280 Kilometer Entfernung vom nächsten Flugplatz für Zweimotorige vorgeschrieben waren. Auch dann noch wäre mit der Boeing 767 oder dem Airbus A310 ein Umweg ent- lang der Ausweichflughäfen Keflavik (Island), Kangerlussuaq (Grönland) und Goose Bay (Kanada) unvermeidlich gewesen. Dann kam das Jahr 1984: TWA durfte zunächst die Frist auf 90 und bald auf 120 Minuten ausdehnen; später erlaubten die kanadischen Behörden Air Canada sogar 138 Minuten mit einer speziell ausgerüsteten Boeing 767. Anfangs gab es unter Piloten Proteste, doch bald zeigte sich, dass moderne Triebwerke eine unvergleichliche Zuverlässigkeit lieferten: Lag das Risiko eines doppelten Triebwerksausfalls bei Kolbenmotoren statistisch bei einem Fall pro acht Millionen Flugstunden, so passiert dies bei einem heutigen Jet Anforderungen an ETOPS-fähige Passagierflugzeuge • Verbesserte Zuverlässigkeit der Triebwerke durch höhere Instandhaltungsstandards • Verstärkte Kühlung der Avionik- Instrumente unterhalb des Cockpits • Verbesserte Feuer-Unterdrückung im Frachtraum bis zu157 Minuten • Zusätzliche hydraulische Not- Stromquelle für die Cockpit- Instrumente • Hilfsturbine (APU) muss während des Fluges in Betrieb gesetzt werden können • Zusätzliche Treibstoffreserve Die MTU Maintenance macht Triebwerke ETOPS-tauglich. rechnerisch einmal pro zehn Milliarden Flugstunden. Inzwischen ist der kostensparende und wirtschaftlichere Einsatz von Twin Jets wie dem Airbus A330 oder der Boeing 777 über dem Atlantik zum Alltag geworden; die Boeing 777 dominiert mittlerweile auch viele Pazifik-Strecken. Innerhalb von 24 Stunden führen heute 125 verschiedene Fluggesellschaften auf der ganzen Welt etwa 1.100 Flüge unter ETOPS-Bedingungen durch. Fast immer ohne Komplikationen. Im März 2003 musste allerdings eine Boeing 777 nach einem Triebwerksausfall genau 192 Minuten den einmotorigen Flug über dem Pazifik bis zur sicheren Landung in Kona auf Hawaii fortsetzen – der längste durch eine technische Panne bedingte einmotorige Jetflug in der Geschichte der Luftfahrt. Bis dahin hatte die 777-Familie rund 400.000 Flüge hinter sich, und dies war erst der dritte Zwischenfall auf einem ETOPS-Flug, der eine vorzeitige Landung erforderte. Fazit: Die strengen Auflagen für ETOPS-Flüge (siehe Kasten) haben sich bewährt. „Die Hersteller haben die heutigen Triebwerke wesentlich ausfallsicherer konstruiert“, erklärt Christoph Zederer, Senior Manager Engineering bei der MTU Maintenance Hannover. „Der Trend geht dahin, ganze Teilflotten von Flugzeugen ETOPS- tauglich zu machen, um sie flexibel einsetzen zu können“, so Zederer. Eine Entwicklung, die sich vor allem bei jenen Jets zeigt, die in der Hand von Leasingfirmen sind und häufiger den Betreiber wechseln. In Hannover werden Triebwerke des Typs V2500 für längere Überwasserflüge beim A320 fit gemacht; auch GE CF6-80C-Aggregate für Boeing 767-300ER-Jets der Air Canada gingen bereits durch die MTU- Modifikation. Zederer: „Wichtige Verbesserungen zur Erhöhung der Ausfallsicherheit unter ETOPS-Bedingungen sind etwa eine optimierte Kühlung der Triebwerksschaufeln oder Modifikationen von hydromechanischen und elektrischen Regeleinheiten.“ Das alles geschieht gemäß des Mottos der unter Piloten kursierenden scherzhaften Übersetzung von ETOPS: „Engines turn or passengers swim“ – entweder das Triebwerk dreht sich oder die Passagiere müssen schwimmen. Für nähere Informationen steht Ihnen Sabine Biesenberger gerne zur Verfügung: +49 89 1489-2760 Weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.mtu.de/report REPORT 53
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