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sortimenterbrief juni 2022

Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe Juni 2022.

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www.barbara-brunner.at<br />

buchrezensionen<br />

Die aktuellen Lesetipps von Dr. Barbara Brunner<br />

Liebe Leute,<br />

ist die Welt aus den Fugen geraten? Und<br />

wer kann diesem Irrsinn noch folgen?<br />

Fake News, Bad News, nix is fix, weil etwas<br />

faul ist im Staate Dänemark?<br />

Vielgeprüftes Österreich<br />

ist der Titel,<br />

den Paul Lendvai<br />

seinem jüngsten<br />

Opus gegeben hat.<br />

Und nein, es ist<br />

keine Abrechnung<br />

mit dem Land, in<br />

dem er seit 1957<br />

lebt und in dem er<br />

– frei nach Joseph Roth – zugleich Patriot<br />

und Weltbürger sein kann. Er zeichnet die<br />

Entwicklung Österreichs seit dem Zweiten<br />

Weltkrieg nach, erzählt, analysiert<br />

und erklärt. Er urteilt bisweilen hart über<br />

das politische Personal, versucht aber immer,<br />

ausgewogen und gerecht zu bleiben.<br />

Vom Mythos rund um die Familie Habsburg<br />

über Aufstieg und Niedergang der<br />

Sozialdemokratie ebenso wie Siege und<br />

Niederlagen der ÖVP zieht er gedankliche<br />

Linien von der Geschichte in die Gegenwart.<br />

Und getreu dem Grundsatz Check,<br />

Re-Check, Double-Check hat er für dieses<br />

Buch Gespräche mit mehr als vierzig Persönlichkeiten<br />

der letzten Jahrzehnte aus<br />

Politik und Wirtschaft geführt, hat ihre<br />

Meinung gehört und Fragen gestellt – von<br />

Hannes Androsch bis Alma Zadic, ´ von<br />

Hans Peter Doskozil bis Peter Pilz, Wolfgang<br />

Schüssel, Karel Schwarzenberg,<br />

Beate Meinl-Reisinger, Herbert Kickl, Alfred<br />

Gusenbauer oder Sigrid Maurer. Das<br />

Buch versteht sich als eine Fortsetzung<br />

des 2008 erschienenen Bestsellers Mein<br />

Österreich – 50 Jahre hinter den Kulissen<br />

der Macht. Paul Lendvai erliegt nicht der<br />

Versuchung, Zukunftsszenarien zu entwerfen,<br />

wichtig ist ihm, Lehren aus der<br />

Vergangenheit zu ziehen und daraus zu<br />

lernen, was wir vermeiden und was wir<br />

tun sollen. Und dazu sind seine Analysen<br />

eine brillante Anleitung. Ein Buch,<br />

das immer wieder grimmige Lacher provozieren<br />

wird, das dazu noch ob seiner<br />

Sprache ein Genuss zu lesen ist.<br />

„Was für ein Jahrhundert!, ging mir durch<br />

den Kopf, als die Nachricht vom russischen<br />

Einmarsch in die Ukraine kam:<br />

Wieso wird die Welt immer wahnsinniger?<br />

Seit ‚9/11‘ zu Beginn dieses Jahrhunderts,<br />

dem Terrorangriff auf die New<br />

Yorker Zwillingstürme, kommt die Welt<br />

nicht mehr zur Ruhe. Wer geglaubt hatte,<br />

in unserem Jahrhundert wäre es nicht<br />

mehr möglich, dass ein durchgeknallter<br />

Machthaber Europa in ein Schlachtfeld<br />

verwandelt, wurde eines Schlechteren belehrt.<br />

Auch wenn manche Vorgänge und<br />

Entscheidungen noch so abwegig scheinen<br />

mögen, haben sie doch eine Ursache.<br />

Warum passiert, was passiert? Das ist das<br />

Leitmotiv dieses Buches.“ Das schreibt<br />

Kurt Seinitz, seit 1974 Außenpolitik-Ressortleiter<br />

der Kronen Zeitung, der nicht<br />

nur beinahe jeden Winkel der Welt bereist<br />

und unzählige internationale Reportagen<br />

verfasst hat, sondern der auch mit vielen<br />

der großen politischen Akteure, Wladimir<br />

Putin, Xi Jinping oder Joe Biden, selbst gesprochen<br />

hat.<br />

Was für ein Jahrhundert<br />

ist auch der Titel<br />

seines neuen Buches,<br />

in dem er über die<br />

Brandherde der Welt<br />

seit der Jahrtausendwende<br />

berichtet. Er<br />

geht den Ursachen<br />

der Konflikte nach<br />

und liefert damit einen<br />

Crashkurs in Geschichte der letzten<br />

beiden Jahrzehnte. So schreibt er über<br />

das ewige Rätsel Russland, über die Erschütterungen<br />

im Glauben an die Globalisierung,<br />

über die Corona-Pandemie<br />

und die damit verbundene große Systemverdrossenheit,<br />

über Trumps Rechts-<br />

Populismus, über die falschen Kriege der<br />

USA, er berichtet über Orbans Ungarn,<br />

über Polen und die Tschechei, aber auch<br />

über China und den vermutlich nächsten<br />

Krisenherd Taiwan. Auch den Nahen<br />

und Mittleren Osten bezieht er in seinen<br />

Leitfaden durch ein irres Jahrhundert<br />

mit ein. Zwischen die Analysen streut<br />

Kurt Seinitz persönliche Anekdoten, die<br />

er während seiner fünfzigjährigen Laufbahn<br />

mit Weltenlenkern erlebt hat. „Manche<br />

sind so urkomisch, dass ich bis zum<br />

23. Februar <strong>2022</strong>, dem Vortag des Kriegs,<br />

immer wieder behauptet hatte: Mich<br />

kann nichts<br />

mehr überraschen.<br />

Dann<br />

kam Putin ...“<br />

Einer, der ebenfalls<br />

seit Jahrzehnten von<br />

den Brandherden in<br />

Ost- und Südosteuropa<br />

berichtet, ist Christian<br />

Wehrschütz.<br />

Mein Journalistenleben<br />

erzählt die Geschichten<br />

hinter den<br />

Geschichten seiner<br />

Reportagen und gibt auf diese Weise viel<br />

Hintergrundinformationen über die jeweiligen<br />

Länder, aus denen er berichtet.<br />

Er holt seine Mitarbeiter:innen, die Sekretärinnen<br />

in den Büros in Belgrad und<br />

Kiew, die Kameraleute, die Fahrer in den<br />

verschiedenen Ländern, vor den Vorhang,<br />

ohne die seine Arbeit nicht möglich wäre.<br />

Gilt es doch, in Windeseile von einem<br />

Geschehen zum anderen zu kommen,<br />

oft auf abenteuerlichen Wegen, vorbei an<br />

unberechenbaren Kontrollposten, konfrontiert<br />

mit undurchsichtigen Warlords<br />

– wobei ihm sicher zugute kommt, dass er<br />

neben Russisch und Ukrainisch auch die<br />

Sprachen des Westbalkans spricht. Aber<br />

was für Geschichten hat er schon erlebt:<br />

Er wurde in Serbien, in Mazedonien und<br />

in der Ostukraine verhaftet, überlebt in<br />

Nordmazedonien nur durch Zufall ein<br />

Attentat, wurde zu einem Interview schon<br />

einmal mit einer schwarzen Kapuze über<br />

dem Kopf gefahren. Und natürlich nimmt<br />

der Krieg in der Ukraine breiten Raum<br />

ein: Bei all der Betroffenheit, die Christian<br />

Wehrschütz angesichts der Gräuel<br />

empfindet, ist für ihn die nüchterne und<br />

objektive Berichterstattung das oberste<br />

Gebot. Ein beeindruckendes Buch über<br />

das aufregende Leben eines ORF-Korrespondenten,<br />

unaufgeregt erzählt und unglaublich<br />

informativ.<br />

Drei Bücher von drei hervorragenden<br />

österreichischen Journalisten, die man<br />

lesen sollte. Um diese verrückte Welt ein<br />

wenig besser zu verstehen.<br />

Viele Grüße<br />

Barbara Brunner<br />

<strong>sortimenterbrief</strong> 6/22<br />

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