Beitrag - MEK
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Gottfried von Straßburg und Ovid 37<br />
Monstra maris Sirenes erant, quae voce canora<br />
Quamlibet admissas detinuere rates.<br />
(Ars III 311f.)<br />
Tristans Preis der schönen Isolde (Trist. 8257-8304), die als niuwe sunne sogar die<br />
sunne von Myzene, Helena, übertreffe, nimmt offensichtlich auf Paris’ Brief an Helena<br />
aus den Heroides Bezug (XVI 133-146).<br />
Wenn Frau Minne (die personifizierte Liebe) sich heimlich und zunächst unbemerkt<br />
in die Herzen Tristans und Isoldes einschleicht, sie überwältigt und in ihnen ihr<br />
siegreiches Banner aufpflanzt (Trist. 11711-719), dann läßt das an den insidiosus<br />
Amor denken (Remedia 148, vgl. auch Amores I, 2, 5-8), vor allem aber natürlich an<br />
den Ovidianischen Topos des Liebeskrieges. 13<br />
Nach dem Minnetrank ist Tristan mit den Stricken der Liebe gefesselt (Trist. 11756-<br />
792) wie die Gefangenen in Amors Triumphzug (Amores I, 2).<br />
Die Rede vom lîm der Minne und von Isoldes gelîmeten sinne[n], mit denen sie an<br />
Tristan gebunden ist (Trist. 11793-818), erinnert an die vergeblichen Befreiungsversuche<br />
des gefangenen Vogels auf der Leimrute als Vergleich für die erfolglosen<br />
Bemühungen Riwalins, sich aus der Bindung an Blancheflur zu lösen, ein Vergleich,<br />
der seinerseits dem Bildarsenal Ovids entlehnt ist (Ars I 391; Met. XI 73-78).<br />
Der Kampf zwischen Liebe und mädchenhafter Scham im Herzen Isoldes, aus dem<br />
natürlich die Liebe als Siegerin hervorgeht (Trist. 11824-844), läßt an Amores III, 10,<br />
28f. denken, an den Widerstreit zwischen amor und pudor und an das lapidare victus<br />
amore pudor (besiegt von der Liebe ist die Scham).<br />
Wie sich nach Ovid (freilich nicht nur bei ihm) die Gefühle Liebender durch raschen<br />
Wechsel der Gesichtsfarbe verraten, durch plötzliches erubescere und candescere (Met.<br />
VI 46-49), 14 so ist es auch bei Tristan und Isolde, die abwechselnd rot und bleich werden,<br />
was Minne diu verwærinne bewirkt (Trist. 11912-929).<br />
Wenn die Liebenden durch geschickte Fangfragen zu erfahren suchen, ob sie auf<br />
Gegenliebe hoffen dürfen, und sich dabei wie wildenære verhalten, wie Wilderer, die<br />
ihre Netze stellen und Fallen auslegen (Trist. 11934-939), dann erinnert das an die<br />
Jagdmetaphorik der Ars amatoria. 15<br />
Auch der Gedanke, daß für Liebende die Liebesvereinigung wirksamer ist als jedes<br />
Heilmittel der Ärzte (Ars II 489-491), ist in Gottfrieds Roman aufgegriffen, wenn es<br />
dort heißt, die Ärztin Minne habe die Liebeskranken (Tristan und Isolde) zusammengeführt,<br />
ihn ihr und sie ihm wechselseitig als Arznei zu geben (Trist. 12161-174).<br />
Doch nicht nur bei der Präsentation der Minnehandlung verrät sich Ovidianischer<br />
Einfluß, sondern auch in den längeren Räsonnements des Erzählers, die sich zu<br />
Exkursen ausweiten können, zu lehrhaften Digressionen, die in die Erzählhandlung<br />
eingeschoben sind. Zu denken ist an die Klage über die Käuflichkeit der Liebe (Trist.<br />
12304-306; vgl. Ars II 277f. und Amores I, 10), an die Reflexionen über die Eifer-<br />
13 Amores I, 2; I, 9, 1f.; Met. I 452-474; V 363-384; IX 543 u.ö. Vgl. KOHLER, ERIKA: Liebeskrieg. Zur<br />
Bildersprache der höfischen Dichtung des Mittelalters. Stuttgart; Berlin, 1935; WESSEL (wie Anm. 9), S. 250-<br />
268 (Kriegs- und Kampfmetaphern), bes. S. 263f.<br />
14 Vgl. auch Met. IV 266-270.<br />
15 Ars I 45-50, 89f., 253f., 269-273 u.ö. – Zu Jagd-Metaphern: WESSEL (wie Anm. 9), S. 378-398.