Beitrag - MEK
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68<br />
Helmut Tervooren<br />
Er ist also – so würden es moderne Untersuchungen sagen – der adelige Dilettant, ein<br />
mächtiger Lehnsmann mit künstlerischen Neigungen. 23 Die Klage unterstreicht das<br />
noch und verweist explizit auf den Minnedienst:<br />
er was von vrîen lîden komen<br />
und het sich daz an genomen<br />
daz er diente schoenen vrouwen (694-698) 24<br />
Der dienst wird dann am Hofe Rüdigers in einer Festsituation expliziert. gämelîche<br />
sprüche (1612, 3) trägt Volker dort vor und besingt Rüdigers Gattin Gotelind (1705ff.).<br />
„Die einzige durchgeführte Szene höfischen Minnedienstes. Der ritterliche Sänger<br />
bringt der höher stehenden verheirateten Dame seine Lieder dar“ – vermerkt de Boor<br />
dazu. 25 Volker bekommt darüber hinaus den Auftrag der Minnedame, dafür zu sorgen<br />
– das läßt sich am besten mit Worten Morungens sagen –: „sô daz ir lop in dem rîche<br />
umbe gêt“ (I; 1, 3). Volker übernimmt hier repräsentative, nicht aber die emotionalen<br />
und ethischen Funktionen. Damit steht im Einklang, daß er für diese Dienste fürstlich<br />
belohnt wird. Er bekommt zwelf bouge (während die anderen burgundischen Recken<br />
Waffen als Geschenk bekommen). Dem Ethos des Minnesangs entspricht das allerdings<br />
nicht, denn dort muß der dienst âne lôn belîben, so sehr auch das im Minnelied<br />
imaginierte Rollen-Ich sich nach lôn sehnt. Die Figur Volker verkörpert also nur eine<br />
Seite der Minnesänger-Rolle. Diese Dislokation des Rollen-Ichs entspricht aber nicht<br />
der Rollenerwartung, denn die Personalunion von Liebender und Sänger ist das<br />
eigentliche Charakteristikum und Faszinosum des höfischen Minneliedes, sein ethischer<br />
und zugleich utopischer Kern. Diese Verbindung ist es auch, die das höfische<br />
Minnelied angreifbar macht. Morungens „Maniger der sprichet: ‘nu sehent, wie der<br />
singet! / waere ime iht leit, er taete anders danne sô.’“ (XIII, 2, 1-2) zeigt, daß gerade<br />
die Mehrdimensionalität der Minnesängerrolle Einfallstor für die Kritik am<br />
Minnesang ist. 26 Das beweisen auch die vielen Minnesangparodien, die aus der<br />
Dislokation der Rolle ihr kritisches Potential beziehen. Mit anderen Worten: Der<br />
Nibelungendichter rezipiert in seiner Figur Volker die Repräsentationsform des<br />
Minnesangs, nicht aber seine Ethik, die an die Doppelfunktionalität der Rolle gebunden<br />
ist. Wenn man will, kann man dies auch als Hinweis und Kritik am Illusionären<br />
des Minnesangs verstehen. Die Ethik wird zumindest im Ansatz in einer anderen<br />
Figur sichtbar: in Siegfried. „si benimet mir mange wilde tât“ klagt der Liebende bei<br />
Dietmar von Aist (XII, 1, 7). Siegfried, in Xanten höfisch erzogen, der hôrte sagen<br />
maere wie ein scoeniu meit / waere in Burgunden ze wunsche wol getân (44, 2-3), lebt<br />
diese Klage. Im eskalierenden Streit am Burgundenhof in der 3. Aventiure gedâhte<br />
ouch Sîvrit an die hêrlîchen meit (123, 4) und bändigt dadurch seinen übermuot. volleclîch<br />
ein jâr (138, 2) wartet er, bis er Kriemhild sehen darf, die er in herzen truoc<br />
24<br />
LACHMANN, KARL (Hg.): Der Nibelungen Noth und die Klage. 5. Aufl. Berlin, 1878, S. 326.<br />
25<br />
DE BOOR: Nibelungenlied, zur Stelle.<br />
26 Zur Mehrdimensionalität der Minnesängerrolle und der durch sie ausgelösten Parodien vgl. TERVOOREN,<br />
HELMUT: Das Spiel mit der höfischen Liebe. Minneparodien im 13.-15. Jahrhundert. – In: Zeitschrift für deutsche<br />
Philologie 104 (1985), Sonderheft, S. 135-157, wieder abgedruckt in: DERS.: Schoeniu wort mit süezeme doene.<br />
Philologische Schriften. Hg. v. Susanne Fritsch u. Johannes Spicker. Berlin, 2000 (= Philologische Studien und<br />
Quellen, 159), S. 73-95.