Beitrag - MEK
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Helmut Tervooren<br />
Horants problematisches Handeln emotionalisiert zwar das Geschehen, kann aber den<br />
von der Tradition vorgegebenen Handlungsverlauf nicht abbiegen. Der Kudrun-<br />
Dichter lenkt ihn durch Horants formvollendeten Antrag (404) wieder in die offizielle<br />
Richtung. 47 Das ändert jedoch nichts daran, daß sich vor diesem Antrag die epischen<br />
Personen und auch die Hörer unsicher sind, wo bei Horant eigenes Handeln und wo<br />
deligiertes Handeln vorliegt. Diese Unsicherheit schwindet selbst nach dem Antrag<br />
nicht ganz, denn auch die dem Antrag folgenden Strophen 405-406 sind in leichte Ironie<br />
getaucht. Hilde will bei Hetel ligen, wenn Horant für sie den âbent und den morgen singen<br />
wird, d.h. doch: Nicht der Herrscher Hetel fasziniert sie, sondern der Sänger Horant.<br />
Der verspricht es der etwas zwielichtig agierenden jungen Frau, 48 nicht ohne maßlos<br />
übertreibend hinzuzufügen, daß es an Hetels Hof noch zwölf gebe, die ihn überträfen,<br />
von Hetel selbst ganz zu schweigen.<br />
Ein Resümee soll die Überlegungen beschließen. Dabei muß zunächst festgehalten werden:<br />
Der Blick auf den Minnesang kann auch für die Erforschung der Heldendichtung<br />
interessant werden, denn ohne Zweifel hat der Minnesang über Rezeption und Interaktion<br />
auf sie Einfluß genommen. Er gibt den Autoren der Heldendichtung Sprach- und<br />
Bildmaterial zur Hand, das als Folie zur Gestaltung der Liebenden, vor allem zu ihrer<br />
psychologischen Vertiefung und Modernisierung dienen kann. Siegfried und Kriemhild,<br />
bis zu einem gewissen Maße auch Volker, sind Beispiele dafür. Auch die epische Explikation<br />
einzelner lyrischer Motive und Gattungen trägt dazu bei, höfisches Ambiente im<br />
Heldenepos zu schaffen und Szenen der Heldendichtung zumindest temporär in das<br />
höfische System zu integrieren. Daß die Integration letztlich nicht gelingt, liegt daran,<br />
daß die Helden zu viel Sperriges aus ihrer Vergangenheit mitbringen.<br />
Der Minnesang als gestaltende Kraft stößt aber an Grenzen, wenn das imaginierte<br />
Rollen-Ich mit seinen ethischen Ansprüchen und ästhetischen Funktionen episch<br />
expliziert werden soll, d.h. wenn Frauendienst zur aventiure wird und als Handeln, nicht<br />
als Haltung verstanden wird. Das zeigt die Horant-Figur, die nach Minnesangmanier die<br />
Funktionen als Werbender, Liebender und Sänger zusammenbindet. Horants Handeln<br />
an Hagens Hof bekommt dadurch unscharfe Konturen, ja es wird suspekt und stürzt den<br />
Hof in Unordnung.<br />
Die mit der Minnesangs-Rolle verbundenen ethischen Handlungsanweisungen können<br />
in den lyrischen Kontext, d.h. in den Bekenntnissen des lyrischen Ichs innerhalb einer<br />
idealen, von vornherein unwirklichen Situation immer wieder demonstriert und so ritualisiert<br />
werden, daß sie für den offiziellen Raum zur Repräsentation taugen, sie können<br />
aber nicht in episches Handeln ausgefaltet werden, besonders nicht in der Heldenepik<br />
mit ihren traditionellen Handlungsverläufen. Geschieht dies doch, dann droht die<br />
47 Vgl. DEBUS: Wie suoze Hôrant sanc, S. 91f., verweist auf Distanzierungsversuche Horants. Auch die auf den<br />
ersten Blick nicht motivierte Anwesenheit Morungs in der Kemenatenszene könnte als Entschärfung der<br />
Situation interpretiert werden.<br />
48 Von „Naivität“ spricht DEBUS: Wie suoze Hôrant sanc, S. 90. Zu Recht? Man könnte auch auf die Werbeszene<br />
zwischen Kudrun und Hartmut verweisen. Auch in dieser Szene wird der Leser verunsichert. Er bekommt den<br />
Verdacht, daß Kudrun durch Hartmuts Virilität beeindruckt ist und sich lediglich aus pragmatischen Überlegungen<br />
seiner Werbung entzieht.