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Beitrag - MEK

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Gottfried von Straßburg und Ovid 47<br />

Tristan versucht, seinen von triste (traurig) abgeleiteten Namen40 zu verleugnen und<br />

damit zugleich seinem durch triure (Trauer) gekennzeichneten Schicksal41 zu entgehen;<br />

er will ein triurelôser Tristan werden (19468), ein „Tristan ohne Trauer“!<br />

Zu diesem Zweck wendet er sogar ein besonders verwerfliches Heilrezept Ovids an.<br />

Ovid hatte empfohlen, wenn einer sich von einer Geliebten losreißen wolle, möge er<br />

sich vorstellen, sie hintergehe ihn mit einem gänzlich unwürdigen Kerl (mit dem erstbesten<br />

Hausierer), ihn selbst aber weise sie zurück. Auf diese empörende Vorstellung<br />

solle der heilungswillige Liebhaber so lange fixiert sein, bis seine frühere Liebe<br />

schließlich in Haß umschlage:<br />

„Diligit ipsa alios, a me fastidit amari,<br />

Institor, heu, noctes, quas mihi non dat, habet.“<br />

Haec tibi per totos inacescant omnia sensus,<br />

Haec refer, hinc odii semina quaere tui.<br />

(Remedia 305-308) 42<br />

Ganz so drastisch sind Tristans Imaginationen zwar nicht. Den Hausierer gibt es da<br />

nicht, aber immerhin: Er versucht sich in Selbstmitleid; er müsse trauern, allein, in der<br />

Fremde, gepeinigt von unerfüllter Sehnsucht; sie dagegen (Isolde) sei sicherlich froh,<br />

in Gesellschaft Markes, mit dem sie sich, so oft sie es wolle, vergnügen könne,<br />

daheim, wahrscheinlich kaum noch an ihn (an Tristan) denkend:<br />

„nu bin ich trûric, ir sît frô;<br />

sich senent mîne sinne<br />

nâch iuwerre minne<br />

und iuwer sinne senent sich,<br />

ich wæne, mâzlîch umbe mich.<br />

die fröude, diech durch iuch verbir,<br />

owî, owî, die trîbet ir<br />

als ofte, als iu gevellet.<br />

ir sît dar zuo gesellet:<br />

Marke, iuwer hêrre und ir, ir sît<br />

heime unde gesellen alle zît;<br />

sô bin ich fremede und eine.“<br />

(Trist. 19488-499)<br />

Nein, Tristan läßt wirklich kein Heilmittel des Lehrmeisters Ovid aus, um ein triurelôser<br />

Tristan zu werden! Weit ist es mit ihm gekommen! Früher der edle Liebhaber,<br />

40 Gottfried versteht triste genauerhin (wie tristisce) als triure (Trauer): nu heizet triste triure, / und von der âventiure<br />

/ sô wart daz kint Tristan genant, / Tristan getoufet al zehant. / von triste Tristan was sîn name [...] (Trist.<br />

1997-2001).<br />

41 Rual, sein Pflegevater, wählt den Namen Tristan, weil er mit triure gezeugt wurde und zur Welt kam (Trist.<br />

1981-2000); und der Erzähler bekräftigt, daß dieser Name für das Kind angemessen (gevallesame, gebære) war,<br />

weil er nicht nur seinem bisherigen, sondern auch seinem späteren Lebensschicksal bis hin zu seinem traurigen<br />

Tod gehellesame (entsprechend) war (Trist. 2002-2018): er was reht, alse er hiez, ein man / und hiez reht, alse<br />

er was, Tristan (2019f.).<br />

42 Übersetzung (Lenz): „‘Sie wählt sich andere für ihre Neigung, von mir sich lieben zu lassen ist ihr ein Greuel;<br />

der reisende Händler, schlimm, genießt die Nächte, die sie mir nicht gönnt.’ Laß dieses verbitternd auf dein ganzes<br />

Fühlen einwirken, dieses rufe dir zurück, aus diesen Keimen laß deinen Widerwillen wachsen.“

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