Beitrag - MEK
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Max Schiendorfer<br />
Salman und seiner neuen Gattin Afra zwei andere Rollenträger den Hauptpart an – doch<br />
da fällt auch schon der Vorhang. Von den neuen Protagonisten erfährt man lediglich noch,<br />
daß sie volle dreiunddreißig Jahre in Glück und Frieden herrschten, ehe beide gottes<br />
hulde erfuhren und vom irdischen ins himmlische Jerusalem eingehen durften.<br />
Aber war es denn nun wirklich Salme, die Morolfs arbeit verschuldet hatte? Sie allein?<br />
Und wie steht es um Morolfs geliebten Bruder Salman? Oder wäre vielleicht<br />
auch dem Erzähler eine Art Schuld anzukreiden? Oder gar den Sachzwängen der von<br />
ihm aufgegriffenen Erzähltradition?<br />
Diesen Fragen möchte ich im folgenden nachgehen, wobei die Textoberfläche, der<br />
narrative Handlungsverlauf im wesentlichen vorausgesetzt und nur ganz knapp erinnert<br />
wird. Mein Hauptaugenmerk gilt der textsortenimmanenten Tiefenstruktur, d.h.<br />
der Gattungszugehörigkeit und den damit vorgegebenen interpretatorischen Implikationen.<br />
Schließlich wende ich mich unter Einbezug dieser Implikationen einigen<br />
mir wichtig scheinenden Schlüsselszenen zu.<br />
Zum Handlungsverlauf: König Salman von Jerusalem hat Salme, die Tochter des<br />
indischen Königs Crispian (nach anderer Lesart: Cyprian), entführt und zur Frau<br />
genommen. Gute drei Jahre später entbrennt der Heidenkönig Fore in Minne zu<br />
Salme und beschließt, sie ihrem Gatten seinerseits zu rauben. Das Vorhaben gelingt,<br />
und zwar unter aktiver Mitwirkung Salmes, die sich tot stellt und so entkommen kann.<br />
Nun soll Salmans Bruder Morolf den Aufenthalt der Entflohenen erkunden. Er findet<br />
sie an Fores Residenz und erstattet darüber Bericht. Es kommt unter Beteiligung<br />
Salmans zum Auszug des Christenheeres, das nach Überwindung mancher Hindernisse<br />
Salme zurückgewinnt, während Fore hingerichtet wird. Fores Schwester hingegen,<br />
die sich Salman geheimnisvoll verbunden fühlt, reist mit ihm nach Jerusalem<br />
und wird auf den Namen Afra getauft. – Während sieben Jahren scheint nun alles gut<br />
zu verlaufen, aber dann wiederholt sich der Vorgang: Diesmal läßt Salme sich, erneut<br />
freiwillig, vom Heidenkönig Princian rauben; erneut wird sie zurückgeholt, doch nur<br />
um diesmal, wie gesehen, den Tod von Morolfs Hand zu erleiden.<br />
Die frühere Forschung zählte Salman und Morolf zur Spielmannsepik, einer inzwischen<br />
längst als problematisch erkannten, den supponierten Autortypus anpeilenden<br />
Gattungsbezeichnung. Demgegenüber zielt der heute meist bevorzugte Terminus<br />
Brautwerbungsdichtung auf das dominante Erzählthema ab. Auch unter diesem weit<br />
unverfänglicheren Aspekt lassen sich die betroffenen Texte – mit der einen Ausnahme<br />
des Herzog Ernst – gut zusammenfassen: König Rother ebenso wie die Epen von St.<br />
Oswald, von Orendel sowie eben Salman und Morolf. Darüber hinaus rücken nun<br />
noch weitere Werke ins Blickfeld, etwa das Doppel-Heldenepos von Ortnit und<br />
Wolfdietrich oder die unter dem Titel Die Heidin bekannte, sowohl in Mären- wie in<br />
Romanfassungen tradierte Werkgruppe.<br />
Hervorzuheben ist dabei, daß diesen Dichtungen nicht nur das Thema gemein ist, sondern<br />
daß alle auf einer letztlich zugrundeliegenden typischen Erzählstruktur basieren,<br />
die sie freilich in je eigener und origineller Weise arrangieren, erweitern, kürzen und<br />
variieren. 2 Das Grundgerüst schimmert dennoch immer erkennbar durch, und auf<br />
diese virtuell-abstrakte Basis konnten (und können) die Kenner mittelalterlicher<br />
Brautwerbungsdichtung den einzelnen Text, die einzelne Schemaindividuation<br />
beziehen und so das jeweils Besondere daran erkennen. Der Autor wiederum konnte