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72<br />

Helmut Tervooren<br />

sicherlîchen“ (401, 3)? Gleichgültig, ob man dîn als genitivus subjectivus oder objectivus<br />

deutet, die Aussage bleibt problematisch. Solche Stellen wecken Zweifel an<br />

einem reinen Stellvertreterhandeln, zumal dann, wenn man beachtet, wie der Kudrun-<br />

Dichter seine Horant-Figur aufbaut und ihr Verhältnis zu Hilde gestaltet. Er stellt<br />

Horant in erkennbarem Kontrast zum Kämpen Wate (237) als Minneritter vor (224;<br />

247), und er deutet an, daß er den politischen Erfolg gefährdet sieht. Denn er läßt<br />

Fruote, dessen wîsheit er immer wieder betont, nicht ohne Sorgen fragen: „wem mag<br />

er zu dienste als ungefüege tagewîse bringen?“ (382, 4). 39 Hilde schildert er zudem<br />

offensichtlich als die „natürliche“, d.h. als die passende Partnerin Horants: Wie die<br />

Dame des Kürenbergers reagiert sie auf Horants Singen, 40 und ihr Begehren ist deutlich<br />

auf ihn gerichtet. Auch als sie den wahren Sachverhalt, der ihr zunächst verborgen<br />

war, kennt, macht sie ihre Zusage an Hetel davon abhängig: „ich wolte im ligen<br />

bî, / ob du mir woltest singen den âbent und den morgen“ (405, 2-3).<br />

Eines wird freilich aufgrund der narrativen Strategien nicht deutlich und läßt die<br />

Spannung der Szene wachsen: Richtet sich Hildes Verlangen auf den Sänger oder auf<br />

den Mann? Im Minnesang hätte sich diese Frage nicht gestellt, da dort diese Positionen<br />

zusammenfallen. So wäre es denn auch nicht verwunderlich, wenn ein am Minnesang<br />

geschulter Rezipient der Kudrun eine Spaltung der Rolle, die das Epenschema<br />

fordert, in seiner Vorstellung nicht vorgenommen hätte. Er wäre nicht der einzige<br />

gewesen: Im Dukus Horant41 nimmt die Szene genau diesen Verlauf: Dort wird<br />

Horant neben Gold und Silber eine slof geselín (F 68, 1) angeboten, wenn er zum<br />

Gesangsvortrag in die Kemenate komme.<br />

In der Kemenaten-Szene sind offenbar einige nicht kalkulierbare Elemente eingebaut,<br />

die sich mit der (vom Minnesang vorgegebenen?) Mehrdimensionalität der Figur<br />

Horants verbinden und überdeutlich machen, daß alle Interpretationen, die Horant nur<br />

als die höfische Figur in dieser Szene sehen, zu kurz greifen. Horant ist eine ambivalente<br />

Figur: Er hat höfische Züge, er ist aber zugleich auch Auslöser und Ziel weiblichen<br />

Begehrens. Das ist dem politischen Ziel der Werbung nicht förderlich. Die<br />

oben zitierten ungefüegen doene deuten das an. Das Attribut ungefüege wird in den<br />

Interpretationen kaum beachtet oder einfach übersehen. 42 Mit ‘ungeschickt’ (so<br />

39 Diese Verse sind verschieden gedeutet worden. DEBUS: Wie suoze Hôrant sanc, S. 84, versteht mit HOFFMANN:<br />

Kudrun, S. 58, die Stelle so, daß Fruote hier zu erkennen gebe, „Besseres gewohnt zu sein“. Er deute damit<br />

zugleich auf die in Str. 406 gepriesene Sangeskunst Hetels. SIEBERT: Rezeption und Produktion, S. 104, sieht<br />

darin eine „listige Bescheidenheit“ Fruotes.<br />

40 Vgl. dazu auch EHLERT, TRUDE: Ablehnung als Selbstdarstellung. Zu Kürenberg 8,1 und 9,29. – In: Euphorion<br />

75 (1981), S. 288-302.<br />

41 Über das Verhältnis der Horant-Szenen in der Kudrun und im Dukus Horant besteht in der Forschung keine<br />

einhellige Meinung. Vgl. CALIEBE, MANFRED: Dukus Horant. – In: Die deutsche Literatur des Mittelalters:<br />

Verfasserlexikon. Begr. v. WOLFGANG STAMMLER; fortgef. v. KARL LANGOSCH. 2., völlig neu bearb. Aufl. unter<br />

Mitarb. zahlreicher Fachgelehrter hg. v. KURT RUH zusammen mit GUNDOLF KEIL [u.a.]. Berlin; New York: de<br />

Gruyter, 1978ff., Bd. 2 (1980), Sp. 239-243; auch HOFFMANN: Kudrun, S. 67.<br />

42 Das gilt auch für die m.W. letzte größere Interpretation der Aventiure bei GRENZLER, THOMAS: Erotisierte<br />

Politik – Politisierte Erotik? Die politisch-ständische Begründung der Ehe-Minne in Wolframs ‘Willehalm’, im<br />

‘Nibelungenlied’ und in der ‘Kudrun’. Göppingen, 1992 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 552), S. 437-444.

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