Kunst | Kultur 36 Unschuldig? Finde es heraus im Bildband »Innocence«
37 Kunst | Kultur »Nur wenn wir sündigen, wird alles wirklich gut; erst dann können wir uns in einem frechen Blick verlieren und ein Schwanz wird für uns zum Kreuz für die Christen, wir knien nieder und beten ihn an.« Sind sie das wirklich? Unschuldig? So wie uns der Titel des neuen Fotobildbandes von Andreas Fux weismachen will? Wir haben da unsere Zweifel, doch genau deswegen faszinieren uns die neuen Bilder des Fotokünstlers noch mehr. «Innocence« versammelt Porträts und Aktfotografien von echten Kerlen und Boys aus Berlin, die mit den glattgebügelten und kommerzialisierten Standards der schwulen Fotografie herzlich wenig gemein haben. Sie verkörpern dabei aber auch eine entscheidende Zeit in der Kulturgeschichte der Stadt, eine Zeit des Aufbruchs und der Emanzipation – eine Stadt, die niemals schläft und die das, anders als das viel zitierte New York, tatsächlich ernst meint. Eine Stadt, in der die Boys in die dunkelsten Ecken der Lust abtauchen und jeden Fetisch als ihre eigene Spielwiese begreifen – ganz frei von moralsauren Blicken und Vorverurteilungen. Während im Big Apple schon das Wort «Fuck« immer noch gerne medial weggepiepst wird, begreifen die Berliner Boys das Wort als simple Aufforderung, endlich loszulegen. Wer jemals länger als ein paar Nächte in Berlin – und in einigen Berliner Boys – verbracht hat, der erkennt auf einmal diesen einzigartigen Charme, dieses ganz besondere, sexuell flirrende Licht, das von ihnen ausgeht. Ganz so, als wüssten die Jungs, wie Sex besonders dreckig, böse, hemmungslos, kurzum grenzenlos geil werden kann. Andreas schafft es, diese Magie einzufangen und dabei unbefangen jenseits des Überbelichteten hinzuschauen und pure Erotik sichtbar zu machen. Er lebt bis heute in seiner Wohnung im obersten Stockwerk eines Hauses im Prenzlauer Berg – diese Nähe tut seinem Werk gut. Und so fotografiert er bis heute auch analog, stellt seine Abzüge selber her und hat es dabei zur wahren Meisterschaft gebracht. Analog braucht seine Zeit – genauso wie guter Sex, genauso wie ein Orgasmus, der dich für Stunden nicht mehr loslässt. Andreas geht nächtelang in Klausur in seiner Dunkelkammer, um dann perfekte Abzüge zu erhalten – vielleicht braucht es diese Dunkelheit auch, um das bestimmte Etwas von Berlin einzufangen, damit sich der Beat der Stadt in die Fotografie einbrennt und für immer dort verweilt – ähnlich wie jene anderen, ganz besonderen, von Dunkelheit gefluteten Örtlichkeiten, die Glory Holes der Stadt. In beiden Fällen treten wir mit großen Erwartungen in die Dunkelheit hinein und kommen zumindest – wenigstens in Berlin – in beiden Fällen zufrieden daraus wieder hervor. So sind Andreas´ Werke auch ein Portrait einer Stadt, die wie keine andere eine Geschichte erzählen kann von Trennung und Herzschmerz, Mauern im Herzen und auf den Straßen und von der Ekstase einer Verschmelzung, die immerzu schmutzig, unmoralisch und am besten nackt sein muss, will sie denn in uns nachwirken. Andreas nimmt uns mit auf eine Reise, präsentiert uns seine unvollständige Chronik vieler Berliner Nächte, ein intimer Blick auf Menschen, die nichts zu verbergen haben. Denn Menschen müssen sich nicht für ihre Nacktheit und auch sonst