FineTobacco[+] 03|22
FREUDE AM LEBEN. SPASS AM GENUSS.
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Handwerk, Kunst<br />
& heiße Öfen<br />
Nic Nagel ist ein Reisender zwischen den Welten, die er auf wundersame Weise<br />
verbindet. Unterwegs zwischen Tradition und Moderne, zwischen Garmisch und<br />
Partenkirchen, zwischen seiner Werbeagentur, Zweiradmanufaktur, Cocktailbar,<br />
Vinothek. Ständig sprudeln neue Ideen empor, die er und sein Team in die Tat umsetzen.<br />
Auf die lange Bank wird hier nichts geschoben. Trotzdem bleibt Nagel so<br />
erdverbunden, wie man als Bayer nur sein kann. Ein Ortstermin mit einem multikreativen<br />
Macher, der großen Wert auf gutes Handwerk legt.<br />
Text: Elmar Schalk Fotos: Nina Bauer<br />
Irgendwie scheint sich das Navi in<br />
Garmisch-Partenkirchen nicht so<br />
richtig auszukennen. Die Stimme<br />
aus dem Off lässt zwar keinen<br />
Zweifel am richtigen Kurs aufkommen,<br />
trotzdem lotst sie einen auf die falsche<br />
Seite der mehrspurigen Hauptstraße.<br />
Eine analoge Anfrage bei Einheimischen<br />
später, und wir stehen vor dem<br />
Firmengebäude von Nic Nagel: seines<br />
Zeichens Werbefachmann, universeller<br />
Selfmademan und „bunter Hund“<br />
in der Region. Die Fassade des ehemaligen<br />
Lagerhauses hatte schon für<br />
Gesprächsstoff gesorgt, als er sie kurzerhand<br />
mattschwarz strich – eigentlich<br />
ein Unding im Reich der Lüftlmalerei.<br />
Doch der Gemeinderat stimmte<br />
darüber ab und gab grünes Licht. So<br />
sind Garmisch-Partenkirchen und seine<br />
Bewohner immer für eine Überraschung<br />
gut. Der Morgen an diesem<br />
Augusttag verspricht mal wieder hohe<br />
Temperaturen, das große Rolltor der<br />
Werbeagentur Nagel ist weit offen, als<br />
der Inhaber die Eisentreppe herunterwippt.<br />
Nicolas „Nic“ Nagel erscheint in<br />
kurzer Dickies-Hose und mit Vans Checkerboards<br />
an den Füßen; beide Marken<br />
sind in verschiedenen Subkulturszenen<br />
verbreitet. Dass der 49-jährige aus der<br />
Hot Rod-Ecke kommt, lassen nicht so<br />
sehr seine ausdrucksstarken Koteletten<br />
und die zurückgekämmten Haare<br />
vermuten, als vielmehr sein 1949er<br />
Chevrolet Pickup Truck, der in unübersehbarem<br />
Rot vor der Agentur parkt.<br />
Aber mit Schubladen kann Nagel nur<br />
wenig anfangen, versperren sie doch<br />
den Blick aufs große Ganze. Seine Ideen<br />
jenseits des Horizonts führen ein<br />
Eigenleben. Statt in der Schublade zu<br />
mumifizieren, stürmen sie bei nächster<br />
Gelegenheit als Entwurf aufs Papier, um<br />
sich so bald wie möglich zu materialisieren.<br />
Das bekannte Zitat „Geht nicht,<br />
gibt’s nicht“ des Erfinders Artur Fischer<br />
klingt bei Nagel so: „Wenn ich es nicht<br />
kann, dann gebe ich es einem anderen,<br />
der es machen kann“.<br />
Zeitreise nach<br />
Südkalifornien<br />
Ursprünglich wollte der Agenturchef<br />
Automechaniker werden. Sein<br />
Bruder und er erfuhren eine frühkindliche<br />
Prägung durch den Job des Vaters,<br />
der in einem Autohaus arbeitete und<br />
außerdem Unfallwagen richtete, um sie<br />
weiterzuverkaufen. Für die Reparaturen<br />
wurden die Sprösslinge requiriert, die<br />
mit Leidenschaft und steigendem Können<br />
dabei waren. Trotzdem hatte der<br />
Senior andere Vorstellungen für ihre Zukunft<br />
– er wollte nicht, dass seine Söhne<br />
tagtäglich im Öl sind. Auf Geheiß des<br />
Vaters machte Nic eine Ausbildung zum<br />
Schildermaler (heute: Werbetechniker),<br />
wo er alle Spielarten der Beschriftung<br />
von der Pike auf erlernen konnte. Seine<br />
Lehre noch in der prä-digitalen Ära absolviert<br />
zu haben, bezeichnet er heute<br />
als großes Glück. Zum einen, weil noch<br />
mehr das Handwerk im Vordergrund<br />
stand, zum anderen, weil er über das<br />
Zeichnen und das Pinstriping eine neue<br />
Welt für sich entdeckte. Ursprünglich<br />
bezeichnete der Begriff „Pinstriping“<br />
das freihändige Auftragen gerader Zierlinien,<br />
um beispielsweise die Form einer<br />
Autokarosserie zu betonen. Ab Mitte<br />
der 1950er wurde die Technik unmodern,<br />
doch außerhalb des Mainstreams<br />
hatte sich in Südkalifornien daraus eine<br />
eigene Kunstform entwickelt. Auf wundersame<br />
Weise verwandelten Magier<br />
wie Von Dutch, Tommy The Greek und<br />
Ed Roth die einfachen Linien in ein grafisches<br />
Feuerwerk. Und sie schlugen<br />
den jungen Nic in ihren Bann, der über<br />
Hot Rod-Magazine ein Paralleluniversum<br />
betrat, in dem seine Leidenschaften<br />
für Lack und Motoren miteinander<br />
verschmolzen. Hier gab es Hot Rods:<br />
Fahrzeuge der 1920er bis 1940er, deren<br />
offenbar geisteskranke Besitzer alles<br />
entfernt hatten, was einem schnellen<br />
Vortrieb im Wege war. Statt einer Motorhaube<br />
versperrte dann oft ein zähnebleckender<br />
Motor die ohnehin schon<br />
magere Sicht aus dem tiefergelegten<br />
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