Tabu
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Jung und Alt möchten offen<br />
über HIV reden können.<br />
Über HIV zu sprechen, ist oft noch<br />
schwierig. Dabei gibt es HIV schon<br />
seit 40 Jahren. Was heißt es für<br />
Betroffene, sehr viele Jahre über<br />
HIV zu schweigen? Warum ist<br />
eine Enttabuisierung so wichtig?<br />
Darüber sprechen wir mit Dr.<br />
Kristel Degener, der geschäftsführenden<br />
Vorstandsvorsitzenden der<br />
Deutschen AIDS-Stiftung.<br />
Text Andrea Babar<br />
Frau Dr. Degener, wer etwas in sich „hineinfrisst“<br />
und nicht darüber redet, kann davon<br />
seelisch und körperlich krank werden.<br />
Was bedeutet das für Menschen mit HIV?<br />
Auch wenn die Infektion behandelbar ist,<br />
bleibt der Mensch HIV-positiv. Je länger<br />
jemand seine Infektion verschweigt oder<br />
verschweigen muss, umso mehr wird das<br />
„Geheimnis“ ein Teil der Biografie. Gerade<br />
ältere HIV-positive Menschen bedrückt es<br />
oft schon sehr lange, nicht offen über HIV<br />
sprechen zu können. Auch als Seniorinnen<br />
und Senioren überlegen sie sich gut, ob<br />
und wem sie über ihre Infektion erzählen.<br />
Gerade im Alter schauen die meisten<br />
Menschen zurück auf ihr Leben. Was heißt<br />
das für Frauen und Männer mit HIV?<br />
Wir wissen von vielen, wie froh und auch<br />
dankbar sie sind, dass sie wegen der medizinischen<br />
Fortschritte so alt werden durften.<br />
Allerdings können alte Wunden schmerzhaft<br />
wieder aufbrechen. Denn im Alter bekommen<br />
Erinnerungen häufig ein größeres Gewicht.<br />
Erlebnisse, gute wie schlechte, wollen geteilt<br />
werden. Dafür braucht es ein empathisches<br />
und vorurteilsfreies Gegenüber.<br />
Was kann die Deutsche AIDS-Stiftung tun?<br />
Als Deutsche AIDS-Stiftung ist es seit jeher<br />
unser Anliegen, mit Mythen und Vorurteilen<br />
über HIV aufzuräumen. Deshalb engagieren<br />
wir uns in Aufklärung und Prävention und<br />
für einen „Lebensort Vielfalt“. Gleichzeitig<br />
braucht es weiter geschützte Räume für<br />
Menschen mit HIV. Vor Kurzem konnten<br />
wir den Grundstein legen für ein neues<br />
Wohnhaus der Stiftung. In Hannover entsteht<br />
ein vorurteilsfreies Zuhause für ältere HIVpositive<br />
Menschen. Dort stehen informierte<br />
und zugewandte Fachleute zur Seite.<br />
Dr. Kristel Degener<br />
Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der<br />
Deutschen AIDS-Stiftung<br />
Wann wird es ein offenes Klima geben,<br />
das es Menschen mit HIV einfacher<br />
macht, über sich zu sprechen?<br />
Noch haben leider zu viele Mitmenschen alte<br />
Bilder von HIV und HIV-positiven Menschen<br />
im Kopf und irrationale Ängste. Damit sich<br />
das ändern kann, engagieren wir uns unter<br />
anderem zusammen mit Partnern in der<br />
Welt-Aids-Tags-Kampagne zum 1. Dezember.<br />
In der Kampagne räumen HIV-positive Menschen<br />
mit Vorurteilen auf. An jedem Tag<br />
im Jahr ist es wichtig, HIV weiter zu enttabuisieren.<br />
Und niemand sollte aus Angst vor<br />
Diskriminierung zögern, einen HIV-Test zu<br />
machen.<br />
Eine Gesellschaft, in der HIV kein <strong>Tabu</strong> mehr<br />
ist, bleibt Ziel und Wunsch der Deutschen<br />
AIDS-Stiftung!<br />
Je länger jemand<br />
seine Infektion<br />
verschweigt oder<br />
verschweigen muss,<br />
umso mehr wird das<br />
„Geheimnis“ ein Teil<br />
der Biografie.<br />
Für mehr Informationen über die<br />
AIDS-Stiftung, scannen Sie den<br />
QR-Code oder besuchen Sie<br />
unsere Webseite unter<br />
www.aids-stiftung.de<br />
„Das Reden hat<br />
mir wirklich<br />
geholfen!“<br />
Lange sprach Oliver mit niemandem<br />
über seine HIV-Infektion – bis er fast<br />
daran kaputtging. Jetzt sagt er der<br />
ganzen Welt: „Ich bin HIV-positiv!“<br />
Text Holger Wicht<br />
Mit Anfang 20 wusste Oliver nur wenig über HIV. Weil er Sex<br />
mit Männern hat, ließ er sich trotzdem regelmäßig testen. Das<br />
positive Ergebnis kam aber völlig überraschend. „Ein ziemlicher<br />
Schock“, erinnert sich Oliver.<br />
Auf Anraten eines Freundes, „der nur das Beste für mich wollte, da bin ich<br />
sicher“, behielt er die Diagnose für sich. „Der Rat war fürsorglich gemeint<br />
und sollte mich vor Zurückweisung schützen. Aus heutiger Sicht war es<br />
aber total falsch. Dieses Nicht-darüber-Reden hat mich krank gemacht.“<br />
Eine schlechte Erfahrung an seiner Uni belastete den Psychologiestudenten<br />
besonders. Mitstudierende aus dem Fachbereich Zahnmedizin erzählten<br />
stolz und spöttisch, wie sie eine HIV-positive Patientin runtergemacht<br />
hatten. Die hatte vor ihrer Behandlung nicht auf ihre Infektion hingewiesen –<br />
was auch nicht nötig ist, weil die üblichen Hygienestandards bei HIV völlig<br />
ausreichen. „Den Ekel, den ich da spürte, nahm ich persönlich und projizierte<br />
ihn auf mich. Und weil ich mit niemandem darüber sprach und alles<br />
in mich hineinfraß, ekelte ich mich irgendwann vor mir selbst.“<br />
Oliver rutschte in eine Depression, geriet sogar in Suizidgefahr. „Ich habe<br />
gemerkt, ich muss mir dringend Hilfe suchen, ich kann so nicht weiterleben.“<br />
Eine Psychotherapie brachte die Wende. Vor allem aber baute ihn<br />
der Kontakt mit anderen HIV-Positiven auf, er fuhr zu Jung-Positiven-Treffen<br />
und holte all die Gespräche nach, die er schon Jahre vorher gebraucht hätte.<br />
Er sah: Mit HIV kann man heute gut leben. Unter Therapie ist HIV auch<br />
nicht mehr übertragbar.<br />
„Der Austausch hat mir wahnsinnig geholfen, ein entspanntes Verhältnis<br />
zu meiner Infektion aufzubauen. Nach und nach habe ich gelernt, dass<br />
offen über HIV zu sprechen mir selbst die Macht gibt mitzubestimmen,<br />
wie andere mich sehen.“ Deswegen macht Oliver jetzt komplett Schluss mit<br />
dem Schweigen. Im Rahmen der Welt-Aids-Tags-Kampagne von Bundeszentrale<br />
für gesundheitliche Aufklärung, Deutsche Aidshilfe und Deutsche<br />
AIDS-Stiftung sagt er allen: „Ich bin positiv!“<br />
Mit seinem öffentlichen Coming-out möchte er deutlich machen:<br />
Darüber reden hilft. Er hofft, dass er damit Menschen dazu motiviert, ihr<br />
Wissen über HIV upzudaten und Vorurteile auf den Prüfstand zu stellen.<br />
Mehr von Oliver und zum Leben mit HIV unter www.welt-aids-tag.de<br />
FOTO: KATJA RUGE/DEUTSCHE AIDSHILFE<br />
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Gilead Sciences GmbH entstanden.<br />
Ein Leben mit HIV,<br />
aber ohne Vorurteile<br />
Text Charlie Schröder<br />
Moderne HIV-Therapien sorgen in der<br />
Regel dafür, dass Menschen, die mit<br />
HIV leben, zuverlässig unter der<br />
Nachweisgrenze bleiben. Zu einem<br />
nachhaltigen Behandlungserfolg gehört<br />
aber noch mehr: Neben einer individuell passenden<br />
Therapie sind auch eine umfassende medizinische<br />
Versorgung, die bestmögliche Lebensqualität und<br />
eine offene Gesellschaft, die Menschen mit HIV nicht<br />
diskriminiert, wichtig.<br />
Diskriminierung und Stigma<br />
Der letzte Termin in der Zahnärzt*innenpraxis oder HIVbedingte<br />
Absagen von Operationen – noch immer sind<br />
Menschen, die mit HIV leben, zahlreichen Ungleichbehandlungen<br />
ausgesetzt. Diskriminierung im Gesundheitssystem<br />
kann beispielsweise dazu führen, dass<br />
Menschen nicht zu ihren Kontrolluntersuchungen gehen<br />
oder Vorsorgemaßnahmen nicht wahrnehmen – und<br />
kann daher direkten Einfluss auf die Gesundheit haben.<br />
Vorurteile und Stigmatisierung führen außerdem dazu,<br />
dass Menschen mit HIV ihre Infektion in vielen Lebensbereichen<br />
verheimlichen. In der Umfrage „Positive<br />
Stimmen 2.0” sagte fast die Hälfte der Befragten, im Job<br />
nie über ihre HIV-Infektion zu sprechen, rund ein Viertel<br />
der Befragten fühlte sich schuldig oder schämte sich,<br />
HIV-positiv zu sein.<br />
Gemeinsam sind wir stark<br />
Der Zusammenschluss mit Menschen, die ihre Erfahrungen<br />
gegenseitig nachvollziehen können, kann dabei<br />
helfen, das eigene Selbstbewusstsein zu stärken. Im<br />
Freundeskreis, beim Sport oder in der Kneipe: Vielleicht<br />
findet man in der Community Vorbilder für einen entspannten<br />
Umgang mit HIV oder eine Empfehlung für<br />
eine*n Zahnärzt*in, für die oder den der Umgang mit<br />
HIV völlig normal ist. Denn auch die mentale Gesundheit<br />
spielt – neben der individuell passenden Therapie<br />
– eine entscheidende Rolle, wenn man einen nachhaltigen<br />
Behandlungserfolg erreichen möchte. Die eigene<br />
mentale Verfassung ist auch ein guter Anlass für ein<br />
Ärzt*innengespräch. Denn ein ehrlicher Austausch über<br />
psychische Probleme und die Aussicht auf Unterstützung<br />
können zu mehr Lebensqualität beitragen.<br />
Gemeinsam mit der Community kann man aber auch<br />
selbst aktiv werden und etwas an den Verhältnissen verändern:<br />
Gesellschaftliche Vorurteile und Stigmatisierung<br />
können durch Aufklärung, positive Vorbilder und realistische<br />
Einblicke in das Leben mit HIV weiter verringert<br />
werden. Die Selbsthilfe und Aidshilfen bieten<br />
dazu Unterstützung!<br />
FOTO: WILLIE B. THOMAS, GETTYIMAGES, AGENTURFOTO. MIT MODELS GESTELLT.<br />
Den QR-Code scannen<br />
und mehr zum Nachhaltigen<br />
Behandlungserfolg<br />
erfahren.<br />
Bewegende Emotionen<br />
und Erlebnisse gibt es im<br />
Podcast Zwei+ Leben und<br />
Lieben mit HIV zu hören.