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ERF Medien Magazin Februar 2023

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8 ı<br />

THEMA<br />

Ich glaube, man kann die ganze Palette an Reaktionen auf<br />

zwei fundamentale Motive herunterkochen, die tief in uns<br />

angelegt sind und die unser Handeln in Krisensituationen,<br />

aber auch im ganz normalen Leben wesentlich bestimmen:<br />

Das erste Motiv ist die Angst<br />

Man kann Angst definieren als das Ergriffensein von einem<br />

negativen Zukunftsszenario. Dieses nimmt unser Denken,<br />

Fühlen und Handeln in Beschlag und setzt einen Teufelskreis<br />

in Gang, der uns immer mehr in die Enge und Einsamkeit<br />

treibt.<br />

Natürlich gibt es auch irrationale Ängste, die kaum gerechtfertigt<br />

erscheinen. Die Liste an psychologisch diagnostizierbaren<br />

Phobien wächst stetig an. Die durch die drei<br />

grossen Krisen ausgelösten Ängste sind allerdings durchaus<br />

berechtigt. Die damit verbundenen apokalyptischen<br />

Szenarien werden von internationalen Krisenstäben und<br />

von renommierten Wissenschaftlern als ernsthafte Möglichkeiten<br />

durchgespielt. Sie setzen eine kognitive, emotionale<br />

und dann auch wortwörtliche Bewegung in Gang:<br />

• Kämpfen gegen das drohende Unheil<br />

Negative Zukunftsszenarien wecken in uns einen Instinkt,<br />

gegen das Unheil zu kämpfen, das uns droht. Es ist ein<br />

Kampf dagegen, leer auszugehen, Mangel zu erleiden, zu<br />

kurz zu kommen.<br />

Zahlreiche, die Krisen unserer Zeit verarbeitende Netflix-<br />

Formate führen uns die enorme mobilisierende Kraft wie<br />

auch das destruktive Potenzial solch bedrohlicher Aussichten<br />

vor Augen – die Realität steht dem aber in nichts nach: Aus<br />

der ersten Corona-Welle sind uns die Berichte von Menschen<br />

in Erinnerung, die in Spitälern Seife und Desinfektionsmittel<br />

stehlen, von Müttern, die sich in Supermärkten<br />

um das letzte Toilettenpapier streiten, in den USA auch von<br />

Bürgern, die sich mit Waffen eindecken, um sich im erwarteten<br />

Chaos durchsetzen zu können. Das sind erschreckend<br />

konkrete Veranschaulichungen des Mobilisierungspotenzials,<br />

das in der aufkeimenden Angst steckt.<br />

• Rückzug, Isolation, Einsamkeit<br />

Dieser Kampf gegen das, was die eigene Zukunft bedroht,<br />

ist ein einsamer Kampf. Er führt zum Rückzug in die eigene<br />

kleine Welt. Auch das lässt sich in vielen apokalyptischen<br />

TV-Serien hervorragend beobachten: Die meisten von<br />

ihnen gehen von einer Gruppe von Menschen aus («The<br />

100»; «The Walking Dead» …), die nicht allein durch die<br />

Bedrohungen von aussen, sondern auch und gerade durch<br />

interne Überlebenskämpfe, Misstrauen und Intrigen immer<br />

weiter dezimiert wird: Angst macht unsere Welt kleiner und<br />

kleiner, sie führt uns in die Abgrenzung – eine Einsicht, die<br />

übrigens auch von der Wortherkunft gedeckt wird: «Angst»<br />

kommt etymologisch von «Enge», «Engsein», sogar von<br />

einem Ausdruck, den man mit «die Kehle zuschnüren»<br />

wiedergeben könnte.<br />

• Erschöpfung, Resignation, Zynismus<br />

In dieser Abgrenzung, in dieser immer kleiner werdenden<br />

Welt, wird man trotz allen Aufbäumens irgendwann<br />

überwältigt von dem, was man befürchtet. Es kommt der<br />

Moment, an dem die Kräfte zum Kampf sich erschöpfen und<br />

die Resignation siegt. Man kann nicht mehr, ist blockiert.<br />

Was noch bleibt, ist allenfalls ein beissender Zynismus, der<br />

den eigenen Blick auf die Welt vollends vergiftet und sich<br />

auch toxisch auf die eigene Umgebung auswirkt. Wir sollten<br />

nicht unterschätzen, wie tief diese Mechanismen der Angst<br />

in uns verwurzelt sind und wie unerbittlich sie von uns Besitz<br />

ergreifen, wenn die negativen Zukunftsszenarien sich in<br />

uns einmal festgesetzt haben.<br />

Das zweite Motiv ist die Hoffnung<br />

Es gibt wohl nur ein Motiv, das uns noch fundamentaler<br />

ergreifen und aus der Reserve locken kann als die Angst –<br />

und das ist die Hoffnung. Wenn Angst das Ergriffensein<br />

von einem negativen Zukunftsszenario ist, dann ist<br />

Hoffnung das Ergriffensein von einem positiven Zukunftsszenario.<br />

Und auch diese Ergriffenheit setzt einen Kreislauf<br />

in Gang, der uns kognitiv, emotional und körperlich<br />

bewegt. Es ist dieser Traum einer besseren Welt, der die<br />

Rede von Martin Luther King so berühmt gemacht hat und<br />

noch heute Hörerinnen und Hörer dazu bringt, innerlich<br />

«Ja!» zu rufen. Es ist dieser Glaube, dass noch nicht alles<br />

verloren ist, dass die Kräfte des Guten doch noch siegen<br />

könnten, dass Gottes Liebe und nicht die Leiden dieser<br />

Welt das letzte Wort haben werden. Es ist diese Zuversicht,<br />

dass Menschen sich bewegen lassen und für eine bessere<br />

Zukunft auch einen Preis zu zahlen bereit sind. Solche<br />

positiven Zukunftsszenarien ergreifen uns und führen uns<br />

ebenfalls entlang dreier sich verstärkenden Phasen:<br />

• Kämpfen für die erhoffte Zukunft<br />

Nicht nur die Angst, sondern auch die Hoffnung weckt unseren<br />

Kampfeswillen. Es ist aber nicht ein Kampf gegen das,<br />

was man befürchtet und was auf keinen Fall eintreten soll –<br />

es ist vielmehr ein Kampf für das, was man erhofft, für das,<br />

was man, wenn irgend möglich, noch mit eigenen Augen<br />

sehen oder wenigstens seinen Kindern als Vermächtnis mitgeben<br />

will. Die Spannung vieler TV-Serien verdankt sich der<br />

Tatsache, dass eben nicht alles in Zynismus und Resignation<br />

versinkt, sondern dass immer wieder Protagonisten die Fackel<br />

der Hoffnung auf eine bessere Welt hochhalten und sich

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