Das Magazin NR.1/23
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Der<br />
sensible<br />
Durchstarter<br />
Der Pianist Eric Lu zeigt Finesse<br />
mit einem<br />
klassisch-romantischen Programm<br />
Eric Lu<br />
Die Karriere von Eric Lu verläuft bisher rasant. Man könnte kaum glauben,<br />
dass der in Massachusetts geborene Sohn chinesisch-taiwanesischer<br />
Einwanderer gerade erst 25 Jahre alt ist. Im beschaulichen<br />
Bedford, einer Kleinstadt in der Nähe von Boston, verlebte er seine<br />
Kindheit. Mit 5 Jahren begann er mit dem Klavierspiel. »Meine Eltern<br />
sind beide keine Musiker, aber sie sind definitiv Musikliebhaber, was in<br />
gewisser Weise noch wichtiger ist«, sagt er. Mit 15 begann er sein Musikstudium<br />
am Curtis Institute of Music in Philadelphia. Mit 17 war er einer<br />
der jüngsten Preisträger beim Internationalen Chopin-Wettbewerb,<br />
der nur alle fünf Jahre stattfindet. Mit 19 gewann er den Internationalen<br />
Deutschen Pianistenpreis in Frankfurt/Main.<br />
Und dann kam Leeds. Die Vorrunde des traditionsreichen Wettbewerbs<br />
fand 2018 erstmals parallel in Berlin, Singapur und New York statt. 68<br />
Teilnehmer stellten sich der Jury. Lu war in New York dabei. »Ich musste<br />
zwei Programme vorbereiten«, erinnert er sich. »Die Jury wählte eines<br />
aus und ich musste es komplett durchspielen.« Er kam weiter und<br />
stand im Halbfinale in Leeds. Doch dann erkrankte er plötzlich. Er hatte<br />
hohes Fieber und rasende Kopfschmerzen, die das Üben zwei Tage<br />
lang kaum möglich machten. Erst fünf Stunden vor der Aufführung<br />
fühlte sich der Pianist endlich klar genug, um aufzutreten – und übte<br />
bis zur Abendvorstellung durch. »Meine Finger waren immer noch<br />
steif, als ich auf die Bühne ging. Aber wie durch ein Wunder schien<br />
mein Körper zu wissen, dass dies ein sehr wichtiger Moment für mich<br />
war. Am Ende des 75-minütigen Programms war mein Geist komplett<br />
geröstet.« Mit Beethovens 4. Klavierkonzert überzeugte Lu schließlich<br />
die Jury der Leeds International Piano Competition – und gewann als<br />
jüngster Finalist.<br />
Im Februar 2020 erschien sein erstes Studioalbum, auf dem er unter<br />
anderem Chopins 24 Préludes op. 28 interpretiert. Seine Fähigkeit,<br />
»subtile, intensive Atmosphären zu schaffen«, sei von großer Finesse,<br />
urteilte das BBC Music <strong>Magazin</strong>e. Mit fünf Sternen kürte es das Album,<br />
das auch Werke von Brahms und Schumann enthält, zur besten<br />
Instrumentalaufnahme des Monats. In der Begründung geizt der<br />
Text nicht mit Superlativen: »Eric Lu ist ein junger Pianist, der mit etwas<br />
gesegnet ist, das wie eine ‚alte Seele‘ klingt. Sein Spiel ist von einer<br />
seltenen Klasse – eine, die seit Radu Lupus Abschied vakant ist.« Weiter<br />
schrieb das <strong>Magazin</strong>: »Diese Art von Sensibilität und emotionaler<br />
Intuition wächst nicht auf Bäumen, schon gar nicht, wenn sie von einer<br />
solchen Technik bedient wird, mit reich singendem Ton und zarter<br />
Fingerfertigkeit.«<br />
Der so Gelobte hat zum Glück nicht die Bodenhaftung verloren. »Ich<br />
versuche, die Dinge in Balance zu halten«, erklärt er – und hält den Ball<br />
flach. »Meine Freizeit ist ganz normal. Wenn ich in Boston bin, treffe ich<br />
20 <strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong>