Stenographischer Bericht 22. Sitzung - Deutscher Bundestag
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Wolfgang Börnsen (Bönstrup)<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 14. Wahlperiode – <strong>22.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1999 1615<br />
(A) Auch die Finanzkrise auf den asiatischen Märkten ist ei- wenn damit europaweit 140 000 Arbeitsplätze zerstört (C)<br />
ne Ursache. Doch der eigentlich Grund ist: Es fehlt eine werden. Noch kann der Ecofin-Rat am 15. März das<br />
solide, berechenbare marktwirtschaftliche Wirtschafts- Steuer herumreißen. Sie, Herr Finanzminister, sind dabei<br />
politik, die zu mehr Einstellungen ermutigt.<br />
entscheidend. Verhindern Sie weitere 6 000 Arbeitslose<br />
in Norddeutschland! Verhindern Sie weitere 140 000<br />
Arbeitslose in Europa! Jetzt ist die Zeit zum Handeln.<br />
Der Abstieg kam mit der Änderung der Reformgesetze<br />
der Regierung Kohl/Waigel. Mehr Einstellungsmobilität,<br />
mehr Kostenentlastung wollte man erreichen. Das<br />
ist willkürlich gestoppt worden. Anstatt die Wirkung zu<br />
modifizieren – was eine Alternative gewesen wäre –, ist<br />
eine breite Verunsicherung der Wirtschaft entstanden.<br />
Die Folge: Es fehlt Vertrauen für Investitionen. Was<br />
bleibt, ist Unberechenbarkeit.<br />
Pessimismus macht sich breit. Wie sollen da Arbeitsplätze<br />
entstehen? Auf jeden Fall nicht in der Landwirtschaft.<br />
Diese wird von der Agenda 2000 bis zur Ökosteuer<br />
mit über 6 Milliarden DM zusätzlich belastet. Als<br />
Investor hat sie im letzten Jahr 12 Milliarden DM ausgegeben.<br />
Diese Summe fällt in Zukunft weg. Weniger<br />
Arbeit wird die Folge sein. Noch ist Zeit zur Umkehr<br />
dieser Politik. Die Menschen im ländlichen Raum werden<br />
entmutigt, und Arbeit wird vernichtet. Deutschland<br />
hat jetzt die EU-Ratspräsidentschaft. Jetzt muß der<br />
Kanzler handeln. Wann denn sonst?<br />
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber er ist<br />
unfähig!)<br />
Unter deutscher Ratspräsidentschaft kommt es wohl<br />
zum Ende der Duty-free-Regelung. Die norddeutschen<br />
Gewerkschaften rechnen mit einem Wegfall von 5 700<br />
Arbeitsplätzen. Allein im Ostseebereich gehen die Betriebsräte<br />
der Fährlinien von 20 000 Entlassungen im<br />
Herbst aus. Noch im Dezember verkündete Kanzler<br />
Schröder auf dem Wiener Gipfel vollmundig: Duty-free<br />
bleibe erhalten, Deutschland, Frankreich und England<br />
seien sich einig; das sei jetzt Chefsache. Kleinere Staaten<br />
wie Dänemark fühlten sich von diesem Diktat der<br />
drei verärgert, mauerten um ihrer Selbstachtung willen.<br />
Die Uneinigkeit der 15 Regierungen in dieser Frage<br />
nutzte die EU-Kommission jetzt zum Schlußstrich, auch<br />
(Beifall bei der CDU/CSU)<br />
(Beifall bei der CDU/CSU)<br />
Um Rücksichtnahme auf nationale Interessen geht es<br />
auch beim strukturpolitischen Teil der Agenda 2000.<br />
Wenn der Plan Wirklichkeit wird, werden nur noch<br />
11 Regionen in Westdeutschland förderungswürdig sein.<br />
Für alle anderen gibt es kein Recht mehr auf Wirtschaftsförderung;<br />
Brüssel schließt das aus. Das bedeutet,<br />
Wie die Wirtschaft auf eine solche Politik und Ausgangslage<br />
reagiert, wird deutlich an den Worten des Präsidenten<br />
des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks,<br />
Dieter Philipp: Die Inhaber der deutschen Handwerksbetriebe<br />
seien von den ersten vier Monaten rotgrüner<br />
Politik in höchstem Maße verunsichert. Von Neueinstellungen<br />
im Jahre 1999 könne keine Rede mehr sein,<br />
daß die Wahlkreise von mehr als 100 Kollegen in diesem<br />
Haus betroffen sein werden. Einen solchen Kahlschlag<br />
für die benachteiligten Gebiete von Flensburg bis<br />
Passau hat es noch nie gegeben. Jetzt ist zu handeln.<br />
Jetzt, unter deutscher Ratspräsidentschaft, hat man das<br />
Ruder herumzureißen. Es entsteht ein ganz großer Schaden<br />
für unser Land, wenn jetzt nicht gehandelt wird.<br />
im Gegenteil: Man müsse Entlassungen befürchten. Es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-<br />
wirkt wie Salz in der Wunde, wenn jetzt im Rahmen der<br />
ordneten der F.D.P.)<br />
(B)<br />
neuen Steuergesetzgebung Verlustvortrag und Ansparabschreibungen<br />
gestrichen und die Teilwertabschreibung<br />
in erheblichem Maße abgeschafft werden sollen.<br />
Dafür gibt es jetzt die Steuer auf Umwandlungsgewinne.<br />
Sie trifft Hunderttausende kleiner und mittelständischer<br />
Betriebe in ihrer Existenz. Altersversorgung und Betriebsübergaben<br />
werden drastisch belastet. Besitzer mittelständischer<br />
Betriebe werden damit um ihre Lebensleistung<br />
gebracht.<br />
Schwere Versäumnisse gibt es auch in der maritimen<br />
Politik: In der Seeschiffahrt und bei den Werften, überall<br />
setzt eine Krise ein, wenn jetzt nicht gehandelt wird. Der<br />
Mangel an gezielter Initiative, der radikale Kurswechsel<br />
in der Wirtschaftspolitik, das sprunghafte Wechseln der<br />
Prioritäten, das Fehlen operativer Konzepte und die Zunahme<br />
von Bürokratie auf allen Ebenen schaden dem<br />
Wirtschaftsstandort Deutschland. Ein radikaler Kurswechsel<br />
zu einer Politik der Berechenbarkeit ist das Ge- (D)<br />
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der bot der Stunde.<br />
CDU/CSU: Unerhört!)<br />
Danke schön.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)<br />
Präsident Wolfgang Thierse: Für die SPD-<br />
Fraktion erteile ich dem Kollegen Ernst Schwanhold das<br />
Wort.<br />
Ernst Schwanhold (SPD): Herr Präsident! Meine<br />
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich,<br />
was wir in dieser Debatte von Herrn Börnsen vorgeführt<br />
bekommen. Er ignoriert die Änderungen in den<br />
Steuergesetzen, operiert ganz bewußt mit falschen Aussagen<br />
(Widerspruch bei der CDU/CSU)<br />
und tut so, als ob dies die Zukunft für unser Land wäre.<br />
Nein, das Problem ist, daß Sie nicht wissen, wie Sie sich<br />
wirtschaftspolitisch orientieren sollen, daß Sie noch immer<br />
darunter leiden, daß der große Teil der Misere, die<br />
wir bei der Arbeitslosigkeit haben, durch Ihre falsche<br />
Politik der letzten Jahre begründet ist. Sie haben noch<br />
immer nicht den Neuanfang gefunden.<br />
(Beifall bei der SPD)<br />
Herr Börnsen, wenn man die Arbeitslosenzahlen in<br />
redlicher Weise miteinander vergleicht und nicht ganz<br />
bewußt falsche Zeichen setzen will, ist der Vergleich des